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Ich habe eine Woche auf Schreiben verzichtet und (fast) nur telefoniert

Wenn man jeden oberflächlichen WhatsApp-Verlauf in ein echtes Telefongespräch verwandelt, fangen Beziehungen an, sich zu verändern.

Foto: ona Angled Pujol | Flickr | CC BY 2.0 (cropped)

Die einzige Person, mit der ich regelmäßig telefoniere, ist meine Mama. All meine anderen sozialen Kontakte laufen über WhatsApp, den Facebook-Messenger, iMessage und manchmal, wenn das WLAN streikt, verschicke ich sogar noch ein SMS. Das hat sich über die Jahre so entwickelt. Eine Nachricht zu versenden ist einfach bequemer und entspannter als ein richtiges Gespräch.

Beim Texten läuft man keine Gefahr, ins Stottern zu geraten oder etwas Unüberlegtes, Ungefiltertes auszusprechen. Es ist also—zumindest im nüchternen Zustand—eine ziemlich sichere Form der Kommunikation. Man kann sich möglichst eloquent wirkende Formulierungen überlegen, den Wortlaut jeder Nachricht vor dem Abschicken noch mal abändern und Herzen anhängen, um Botschaften zu unterstreichen oder sie abzuschwächen. Beim Telefonieren kann man sich plötzlich nicht mehr hinter Emojis verstecken.

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Seit ein richtiges Telefonat für die meisten ungefähr so intim geworden ist wie ein handgeschriebener Brief, gewähre ich diese Nähe hauptsächlich Familienmitgliedern und, seltener, auch ein paar ausgewählten Freunden, die ich noch aus der Prä-WhatsApp-Ära kenne. Also die, denen ich schon mit 14 die erste dreistellige Handyrechnung zu verdanken hatte, wegen der der Papa dann so geschimpft hat. Mit dem Rest findet die Kommunikation aber hauptsächlich über WhatsApp und Facebook statt.

Heute telefoniert nämlich eigentlich niemand mehr. Sogar als Kinder, als wir noch nicht mal Handys hatten, haben wir noch öfter zum Hörer gegriffen als heute, wo wir vermutlich 1000 Freiminuten haben (es aber nicht mal so genau wissen, weil niemand sein Kontingent jemals aufbraucht). Ich kann noch immer die Festnetznummern all meiner damaligen Freunde auswendig, weil es die einzigen zwei Nummern waren, die ich fast täglich gebraucht habe. Die Rufnummernwahl alleine dauerte dabei schon mindestens zwei Minuten: Eine dicke Wählscheibe mit meinen Wurstfingerchen zu penetrieren und nach jeder Ziffer abzuwarten, bis sie sich wieder in ihre Ursprungsposition zurückgewunden hatte, war im Gegensatz zum heutigen Tupfer auf das Anruf-Icon ein Kraftakt.

Noisey hat uns bei WhatsApp die Jugend erklärt

Grundsätzlich bin ich momentan eher gegen Telefonieren, weil ich mein Handy danach ständig wieder sauber wischen muss und ich währenddessen meistens das Gefühl bekomme, gerade sehr viel Zeit mit Höflichkeits-Smalltalk zu verschwenden. Viele Freundschaften basieren neben den realen Treffen inzwischen nur noch auf Chats. Die sind zwar häufig und konstant, aber trotzdem nur Chats. Sollte tatsächlich mal jemand anrufen, bin ich erst mal total perplex, gehe dann oft bewusst nicht ran und antworte lieber mit einer „Was gibt's?"-Nachricht. (Vorausgesetzt es ist kein wichtiges Gespräch, von dem ich bereits im Vorfeld wusste.) Darauf bin ich nicht stolz, aber es vermeidet unmittelbare Konversation und ist effizienter.

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Mit diesem Verhaltensmuster wollte ich nun brechen. Eine Woche lang. Kein WhatsApp (Sprachnachrichten und Fotos inkludiert), kein Messenger, kein SMS, nicht mal Tinder. Keine digitalen Nachrichtendienste, nur Real Talk. Wenn mir jemand schreibt, ruf ich einfach an, in der Hoffnung, meine zwischenmenschlichen Beziehungen würden sich irgendwie entdigitalisieren und vielleicht nie zuvor dagewesene Dimensionen erreichen. Kommentare auf Facebook gehen aber OK, irgendwo muss es schließlich auch beim Detox eine Grenze geben.

Telefonieren kann super sein

Gleich am ersten Tag muss ich meinen Bruder in der U-Bahn anrufen, um die Punkte, die wir für gewöhnlich auf WhatsApp durchnehmen würden, zu besprechen. Ich merke schnell: Es gibt Telefonate, die man lieber in den eigenen vier Wänden abhalten sollte. Oder zumindest irgendwo, wo nicht 20 Menschen um einen herum sitzen und auffällig ruhig, fast schon aufmerksam zuhören. Es ist ein Ringen nach Synonymen und Codes für Worte, die ich einfach nicht neben einer lieb aussehenden Omi in den Mund nehmen möchte. Aber es ist schön, mit meinem Bruder zu telefonieren.

Freunde, mit denen ich den Großteil meiner Freizeit verbringe, die ich kenne, mit denen ich auch sonst lange Unterhaltungen führen kann, lerne ich am Telefon nochmal ganz anders kennen. Da ist man irgendwie mehr im Gespräch, ruhiger, lässiger (wahrscheinlich weil der andere einen nicht sehen kann), weniger abgelenkt von der Umwelt. Die Stimmen der meisten klingen sogar irgendwie anders. Man hört bewusster zu und kann auch bewusster antworten, zumindest ausführlicher als in einer WhatsApp-Nachricht, bei der ich schon nach der Hälfte aufhören möchte, zu tippen, weil es mir zu anstrengend ist.

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Und weil anscheinend keiner so richtig weiß, wie man mit diesen Telefongesprächen umgehen soll, weiß auch keiner so richtig, wie man sie beendet. Anderthalb Stunden später habe ich es dann doch noch irgendwie geschafft, alles Nötige und alles, was darüber hinausgeht, mit den Nötigsten durchzukauen. Viele kleine Gedankengänge meines Tages, die ich im Normalfall direkt via Messenger verschicken würde und von denen ich ursprünglich geplant hatte, sie mir aufzuschreiben, um sie dann abends am Telefon herunterzubeten, sind aber einfach im Blödsinn-Nirvana verloren gegangen. Wahrscheinlich eh das Beste für uns alle.

Am nächsten Tag direkt zu verschlafen, kommt jetzt natürlich nicht so gut. Normalerweise würde ich da schnell ein SMS in Richtung „Bin zu spät, sorry" senden, jetzt muss ich halt anrufen. Selber schuld. Letztendlich aber das einzig Richtige—auf ein „Du rufst ja wirklich an" (generell scheint jeder erst mal überrascht zu sein, wenn ich anrufe) folgt ein „Gar kein Problem!" und die Erkenntnis, dass eine unpersönliche SMS wohl eine andere Reaktion ausgelöst hätte. Telefonieren ist super!

Telefonieren kann auch anstrengend sein

Außer an Katertagen. Da lobe ich mir den guten alten „Wie lange warst du noch"-WhatsApp-Verlauf, der nichts von einem verlangt, außer ein paar Emojis und halbherzige Reaktionen im Zwei-Stunden-Takt legitimiert. An Katertagen drücke ich sogar meine Mama weg, wenn sie mich bei der Pizza stört. Jetzt ist Telefonieren nicht mehr super, sondern mühsam. Vor allem in Situationen, in denen ich ein „Passt das für dich eh?" dank meiner eigenen Regeln nur mit einem Anruf bestätigen kann. Oder wenn ich ständig vergesse, jemanden später anzurufen (sorry). Oder wenn jemand ständig vergisst, mich zurückzurufen. Oder wenn ich um 1:00 Uhr morgens Leute aus dem Bett klingeln muss, einfach nur um „Sarg-Emoji" ins Telefon zu nuscheln und sofort wieder aufzulegen.

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Hier kommt der kompliziertere Teil. Es gibt Leute, mit denen ich im echten Leben noch nie wirklich gesprochen habe, weil ich sie nur flüchtig bis gar nicht kenne, mit denen ich aber dennoch sporadisch bis regelmäßig schreibe. Leute aus dem Internet. Leute von Tinder, mit denen ich mal Nummern ausgetauscht habe, die zu treffen ich aber noch nie wirklich geschafft habe. So jemanden anzurufen—jemanden, den man irgendwie „kennt", aber halt auch nur über WhatsApp—kann entweder sehr ernüchternd oder ziemlich großartig sein. Zunächst mal ist es aber einfach nur peinlich.

Dadurch, dass wir die wenigsten Menschen noch abseits von Facebook oder Dating-Plattformen kennenlernen, ist es so komisch und unangenehm, hinter den Nachrichten plötzlich einen echten Menschen am Hörer zu haben. Auf sehr viel „Ja … ähm", sehr viel Stille, verlegenes Kichern und noch mehr Stille folgt dann meistens so was Ähnliches wie Konversation. Dann geht es. Und mit einem fünfminütigen Telefonat hat man plötzlich mehr Vertrautheit geschaffen als nach 5 Monaten WhatsApp. Das heißt, sofern derjenige am anderen Ende der Leitung überhaupt abhebt. Manche scheint mein Anruf wiederum so arg abgeschreckt zu haben, dass bis auf eine verdutzte Nachricht, ob das mein Ernst wäre, bis heute nichts mehr kam.

Fazit

Eine Freundin war mal auf so einer Fastenkur, bei der man eine ganze Woche lang nichts Richtiges isst und am Ende einen gewöhnlichen Apfel bekommt, in den man dann aufgeregt und hungrig reinbeißen darf. Ihren Erzählungen nach zu urteilen muss es die reinste Geschmacksexplosion sein. Am Ende meiner Woche ohne WhatsApp, ohne Emojis und ohne Sticker-Exzess im Facebook-Chat war sie mein Apfel. Meine Capslove war so groß—also, wortwörtlich. Nur Großbuchstaben. Ich hatte ganz vergessen, wie es sein kann, ein Emoji-Trio zu tippen.

Trotzdem—wir müssen wieder mehr telefonieren. Vielleicht nicht in Momenten, in denen es nur ein „OK" oder ein Herz braucht. Vielleicht auch nicht in Momenten mit Kater und Pizza. Aber definitiv in Momenten, in denen ein echtes Gespräch so viel mehr tun kann, als eine pupsige Nachricht es jemals könnte. Scheiß auf WhatsApp, ich werde mir diese Telefonier-Angewohnheit behalten. Die meisten meiner Beziehungen haben sich nämlich tatsächlich irgendwie intensiviert—zumindest fühlen sie sich realer an. Außer mit meiner Mama, da hat sich nichts geändert.

Franz twittert trotzdem noch: @FranzLicht