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Ich habe versucht, mich mit Likörpralinen zu betrinken

​Weihnachtszeit ist Mon-Cherie-Zeit. Oder so ähnlich.
Hannah Ewens
London, GB

Alle Fotos: Jack Pasco

​ Weihnachtszeit ist Mon-Cherie-Zeit. Oder so ähnlich. Weinbrandhaltige Pralinen wie eben die mit der Piemont-Kirsche gehen in der Vorweihnachtszeit weg wie gebutterte Maiskolben. Das mit Schokolade ummantelte Feuerwasser scheint uns genau das wohlig-warme Gefühl in der Magengegend zu verschaffen, das wir in den kalten Wintertagen brauchen—vor allem die älteren Semester schwören darauf.

Ich persönlich glaube, dass niemand mit intakten Geschmacksnerven freiwillig Weinbrand- beziehungsweise Likörpralinen isst, weil sie einfach eklig schmecken. Und was die Jugendlichen anbetrifft: Die sind doch nicht blöd. Sie werden eher vor dem Supermarkt einem Fremden fünf Euro in die Hand drücken, damit der ihnen Bier kauft, als im schlimmsten Falle  fünfzehn Euro für eine Box voll mit Omas Bonbons zu bezahlen.

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Außerdem, welche Unmengen müssten davon schon gegessen werden, damit man einen Einschlag spürt? Denn mittlerweile geben sich selbst die Jugendlichen nicht mit Kleinkram ab. Erst vor wenigen Tagen wurde eine 14-jährige Steirerin mit 3,13 Promille in ein Krankenhaus gebracht, weil sie mit ihren drei Freundinnen zwei Wodkaflaschen vernichtet hat— ​in einer Stunde wohlgemerkt.

Jetzt mal also wirklich: Wie viele Pralinen müsste man essen, um annähernd betrunken zu werden? Es kursieren durchaus Geschichten, dass Menschen sich ​mit Likörpralinen betrunken haben. Es scheint doch aber ziemlich unwahrscheinlich, dass jemand genug Pralinen essen kann, um sich ​beschwipst zu fühlen, ohne dass er vorher von dem Zeug kotzen muss.

Ich habe beschlossen, mir meine Frage selbst zu beantworten, und bin losgezogen, um so viele Pralinen mit Alkohol zu kaufen, wie ich mir leisten konnte. Es hat sich herausgestellt, dass das nur vier Packungen waren (insgesamt 80 Pralinen). Wenn Jugendliche das auch versuchen wollten, müssten sie sich anstrengen: Ich musste in insgesamt fünf Supermärkte laufen, um welche zu bekommen. Danach habe ich mir noch ein Atemtestgerät gekauft, damit ich meinen Alkoholspiegel messen konnte.

Einer höchstwahrscheinlich unglaubwürdigen Internetquelle zufolge entsprechen 450 Gramm Likörpralinen einer Flasche Wein. Meine vier Packungen entsprachen also anderthalb Flaschen. Würde ich betrunken werden oder Diabetes bekommen? Würde ich mich wegen des Alkohols oder der süßen Pralinen übergeben?

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Als die vier Packungen so vor mir lagen, schien mir die Aufgabe kaum zu bewältigen. Das waren viel zu viele Pralinen, als dass sie in ein 1,60 Meter kleines Mädchen passen könnten. Trotzdem maß ich zuerst meinen Blutalkoholspiegel. Er lag bei 0,0. Ich konnte loslegen.

Ich biss in die erste Praline, eine Cognac-Praline, und wurde sofort daran erinnert, was ich mir geschworen hatte, als ich das erste Mal eine Likörpraline gegessen hatte: „Nie wieder."

Nach zehn Pralinen war mir schon übel. Es war allerdings eher die Übelkeit, die du verspürst, wenn du fünf Adventskalender auf einmal verdrückst, und nicht die magenumdrehende Übelkeit nach zehn Cognac-Shots.

Ich wartete 20 Minuten, damit der Alkohol in meinen Blutkreislauf aufgenommen werden konnte. Danach zeigte das Atemtestgerät 0,3 Promille. Bei einem Blutalkoholgehalt zwischen 0,3 und 0,5 Promille kannst in bestimmten Fällen schon Probleme bekommen. Ich war also gut dabei.

Alle Pralinen waren wirklich widerlich, aber die mit Whiskey verursachten Brechreiz bei mir, weshalb ich versuchte, bei Irish Cream und Cointreau zu bleiben.

Nach 15 Pralinen war ich frustriert und fühlte mich bestätigt: Ich wurde nicht betrunken, was nervtötend war, weil ich zumindest einen Nutzen aus diesem Experiment ziehen wollte. Aber es war auch insofern gut, als dass es zeigte, dass man sich keine Sorgen um Weinbrandbohnen naschende Kinder und Jugendliche machen muss.

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Nach der zwanzigsten Praline fühlte ich mich dann aber schon beschwipst. Nach einer kurzen Pause nahm ich wieder das Atemtestgerät in die Hand. Leider zeigte es immer noch nur 0,3 Promille.

Ich durchsuchte das Internet nach Ratschlägen und las irgendwo, dass der Zucker und das Fett in der Schokolade die Wirkung des Alkohols schwächen könnten und ich mich dadurch weniger betrunken fühlen würde. Da kam mir der Gedanke, dass ich den Alkohol irgendwie anders zu mir nehmen muss.

Ich fing an, die Seiten abzubeißen und den Alkohol herauszulecken. Ich versuchte auch, die Pralinen als Schnapsglas zu verwenden und den Alkohol daraus zu trinken. Schließlich versuchte ich, den Alkohol durch einen Strohhalm zu trinken.

Nach 30 Pralinen machte ich wieder eine Pause. Das Atemtestgerät zeigte 0,5 Promille. Genug für ein Fahrverbot.

Alles oder nichts, sagte ich mir. Ich musste mehr essen und mir selbst beweisen, dass ich sinnlose Herausforderungen mindestens genauso gut meistern konnte wie die Jungs von Jackass. Mein Mund quoll fast über mit billiger Schokolade und Baileys-Imitat, doch irgendwie habe ich es geschafft, 45 Pralinen in mich reinzustopfen, ohne mich zu übergeben. Das Atemtestgerät spann aber diesmal und zeigte von 0,0 bis 0,7 alles an. So oder so fühlte ich mich, als ob ich ein paar Bier intus hätte.

Doch wie konnte ich mir ohne einen wissenschaftlichen Beweis meiner Trunkenheit sicher sein? Da sich das Atemtestgerät verabschiedet hatte, beschloss ich, mich an körperlichen Aktivitäten zu versuchen, um herauszufinden, ob meine Fähigkeiten irgendwie eingeschränkt waren.

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Zuerst wollte ich herausfinden, ob ich noch verkehrstüchtig war. Aber nicht in einem Auto, weil das a) unverantwortlich wäre, weil ich ja getrunken hatte, und b) ich gar nicht Auto fahren kann. Stattdessen lieh ich mir das Fahrrad einer Freundin.

Ich hatte Schwierigkeiten, aufs Rad zu steigen, das kann aber auch daran liegen, dass ich viel kleiner bin als sie. Doch als ich erstmal auf dem Fahrrad saß, war ich auf und davon. 45 Likörpralinen haben meine Fähigkeit, auf dem Fahrrad im Kreis zu fahren, nicht beeinträchtigt.

Meine körperlichen Reaktionen hatte ich getestet, nun war es Zeit für die geistigen. Am Computer machte ich einen Mathe-Test für Elfjährige. Obwohl der nur aus sechs Fragen bestand, habe ich geschlagene 15 Minuten gebraucht, um ein Ergebnis von 50 Prozent zu erreichen. Ich bin entweder dümmer als der durchschnittliche Elfjährige oder in der Tat angetrunken. Ich hoffe doch sehr, dass es Letzteres ist.

Abschließend von den geistigen zu den grundlegenden Reaktionen: Hatte ich mir mit den Pralinen Männer schön getrunken? Auf YouTube rief ich mir das neue Video von McBusted auf, der neuen Superband aus Busted und McFly (minus Charlie Simpson, der wegen seiner Solokarriere bei Busted ausgestiegen war).

Ich war noch nie ein großer Fan von Matt Willis. Irgendetwas an seiner selbstgefälligen Visage im Video zu „What I Go to School for" hat mich vom ersten Augenblick an abgestoßen. Allerdings hatte ich gehört, dass man ihm einen neuen, rockigeren Style verpasst hatte, und es gibt ja wohl nichts schärferes als Rock-'n'-Roll-Bad-Boys.

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Leider konnte er mich trotz des schwarzen T-Shirts und der Tattoos nicht überzeugen. Ein definitives Nein. Der andere von Busted sieht aus wie eine PEZ-Figur. Ein weiteres definitives Nein. Weiter zu McFly. Dougie ist das einzige Ja. Aber das war er schon immer, von daher sagt das nicht viel.

Insgesamt hatte ich kein sexuelles Interesse an der Mehrheit von McBusted. Vielleicht war das aber auch die Schuld des furchtbaren Songs oder der Tatsache, dass erwachsene Männer gleichzeitig mit ihren Gitarren hochsprangen. Vielleicht war ich aber auch einfach nicht so beschwipst, wie ich dachte.

Nach der ganzen Aufregung war ich total platt und auch ein bisschen traurig. „Vielleicht ist es Alkoholüberdruss?", dachte ich mir. Aller Wahrscheinlichkeit nach lag es aber einfach daran, dass ich gerade innerhalb von 45 Minuten so viel Zucker in mich aufgenommen hatte, wie ein durchschnittlicher erwachsener Mensch innerhalb einer Woche maximal aufnehmen sollte. So oder so war ich mir sicher, dass ich dieses Experiment so schnell nicht mehr wiederholen würde.

Mein Fazit ist folgendes: Es gibt keinen Grund für Panikmache. Was zählt, sind Achtsamkeit und Aufklärung und nicht die Tatsache, ob ein Kind nun Zugang zu Likörpralinen hat oder nicht. Wenn ein Kind wirklich mal Alkohol probieren will, wird es sich ein Bier von seinen Eltern klauen und sich nicht auf den Weg zum Supermarkt machen, um Pralinen zu kaufen, in denen kaum Alkohol enthalten ist.

Selbst wenn ein Kind zwölf Packungen Likörpralinen bei dem Versuch verdrücken würde, sich zu betrinken, wäre eines gewiss: Es wäre so angewidert, dass es bis zu seinem 18. Geburtstag keinen Alkohol mehr anrühren würde.