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Terror, Amok, Krankheit: Warum wir uns gegenseitig immer weiter hochschaukeln

Politiker, Medien und Hobbyjournalisten suchen nach einfachen Erklärungen für die Verbrechen der letzten Tage und spielen dabei den echten Terroristen in die Hände.

Foto: imago | Spöttel Picture

Die letzte Woche war beängstigend. Das Axtattentat von Würzburg, der Amoklauf in München, der Mann, der in Reutlingen mit einem Messer eine Frau getötet hat, und der Selbstmordanschlag in Ansbach. All das innerhalb von sieben Tagen. Bei allen diesen Taten war für einige Beobachter, noch während sie gerade geschahen, klar: Es muss islamistischer Terror sein.

Das Attentat in München war ein Amoklauf, der Mord in Reutlingen eine Beziehungstat. Bei den Anschlägen in Würzburg und Ansbach gibt es tatsächlich Hinweise, die darauf hindeuten, dass die Täter in Verbindungen zum sogenannten Islamischen Staat standen. Aber: Keines dieser Verbrechen ist bisher wirklich aufgeklärt, die Ermittlungen laufen. Was aber erreicht wurde—und zwar egal, was den jeweiligen Taten wirklich zu Grunde liegt—ist, Angst zu verbreiten. Damit hat der IS erreicht, was er will.

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In einer perfekten Welt würde man daraus lernen und abwarten, bis man Kommentare in die Welt setzt, um die eigene Überzeugung zur vermeintlichen Realität werden zu lassen. Die letzte Woche hat wieder mal bewiesen, dass eine perfekte Welt ziemlich weit entfernt ist. Als sich am Sonntagabend ein Attentäter vor einem Festival in Ansbach in die Luft sprengte und dabei 12 Menschen verletzte, wäre das unter Umständen eine gute Gelegenheit gewesen, erstmal innezuhalten und abzuwarten, gerade nach den Ereignissen in München.

Joachim Herrmann, der bayerische Innenminister, war sich ziemlich schnell sicher, dass es sich bei der Tat um "islamistischen Terrorismus" handelte, lange bevor es gesicherte Erkenntnisse dazu gab:

"Meine persönliche Einschätzung ist, dass ich es leider für sehr naheliegend halte, dass hier ein echter islamistischer Selbstmordanschlag stattgefunden hat."

Persönliche Einschätzungen sind so eine Sache, wenn es um internationalen Terrorismus geht, vor allem wenn sie von jemandem kommen, der nicht für persönliche, sondern eher für professionelle Meinungen vom Volk bezahlt wird. Sicherlich besteht die Möglichkeit, dass es sich hier um Terrorismus handelt, aber erst Montagnachmittag, lange nach Herrmanns persönlicher Einschätzung, wurde klar, dass es ein Bekennervideo des Attentäters gibt.

Das alles spielt tatsächlichen Terroristen in die Hände. Natürlich ist es extrem beunruhigend, wenn Terrorismus offenbar vor der eigenen Haustür ankommt. Gerade die Fälle, die jetzt unter diesem Begriff diskutiert werden, fanden abseits der Metropolen statt. Selbst der Amoklauf in München passierte nicht an einem zentralen Ort. Das vergrößert die Verunsicherung und lässt das Gefühl aufkommen, wirklich nirgends mehr sicher zu sein.

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Wenn Medien den Attentäter von Würzburg unverpixelt und mit vollem Namen auf die Titelseite bringt, dann ist es vielleicht nicht das größte Wunder auf Gottes weiter Welt, dass so Nachahmungstäter unter Umständen auf den Plan gerufen werden und sich wieder auf den IS berufen. Gleichzeitig wird Terror so erst zum Terror gemacht und Terroristen werden zu Stars. Die Terrororganisation muss zwar militärisch immer mehr Verluste einstecken, ist aber auch durch die mediale Präsenz in unseren Köpfen zu einer fundamentalen Bedrohung geworden. Rechtspopulisten, Medien und Politiker stärken die Angst vor dem Terror und damit diejenigen, die davon profitieren.

Schaut man sich die Fälle der letzten Woche nämlich auch nur etwas genauer an, merkt man schnell, dass es vor allem darum zu gehen scheint, so schnell wie möglich die einfachsten Antworten zu finden, die Politik und Medien geben können. Nur dass die einfachen Antworten nicht immer stimmen müssen.

Der Attentäter aus dem Zug bei Würzburg war 17 und ein unbegleiteter Flüchtling. Der Amokläufer von München war in psychiatrischer Behandlung und der Mann, der sich in Ansbach in die Luft gesprengt hat, hatte bereits zwei Selbstmordversuche hinter sich. Wäre es tendenziell nicht naheliegender, die Frage zu stellen, wie mit Menschen umgegangen wird, die offensichtlich psychische Probleme haben, statt, wenn Terrorismus nicht mehr zieht, als Erstes zu schreien "DIE KILLERSPIELE SIND SCHULD!"?

Psychische Krankheiten und den Umgang damit einfach zu ignorieren, ist besonders perfide, weil man sicher davon ausgehen kann, dass der IS gezielt Menschen anspricht, deren Psyche angeschlagen ist. Und selbst wenn sich die Täter von Würzburg und Ansbach zum IS bekennen, heißt das noch lange nicht, dass sie psychisch gesund waren. Genauso wenig weiß man natürlich, ob man mit psychologischer oder psychiatrischer Hilfe die Taten hätte verhindern können.

Taten wie die in Würzburg, Ansbach oder München sind eben nicht durch eine einfache Theorie zu erklären, die wir alle nach dem Lesen einer Schlagzeile verstanden haben. Wenn man wirklich verhindern will, dass ähnliche Attentate geschehen, reicht es nicht, nach einfachen Lösungen zu suchen. Einfache Lösungen nutzen niemandem, außer Rechtspopulisten und Islamisten.

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