Die Kathedrale des Fleisches
Alle Fotos von Diana Pfammatter

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DIE SIE KOMMEN NACHTS RAUS AUSGABE

Die Kathedrale des Fleisches

Im Schlachthof auf Zürcher Stadtgebiet werden wöchentlich 5.000 Tiere geschlachtet. Wir haben uns vor Ort umgesehen.

Aus der Sie kommen nachts raus Ausgabe

Ich bin ein begeisterter Fleischkonsument. Damit bin ich in der Schweiz nicht allein. Gut 51 Kilogramm Fleisch konsumierte der durchschnittliche Schweizer im Jahr 2015. Das ist zwar ein Rückgang von etwa zwei Prozent gegenüber dem Jahr zuvor—allerdings hat der weniger mit der "Hipwerdung" von Veganismus zu tun, sondern vielmehr damit, dass viele Schweizer letztes Jahr ihr Fleisch direkt aus dem Ausland bezogen. Wegen des tiefen Euros, der eine Einkaufstourismuswelle nach sich gezogen hat. In den Schlachthöfen der EU werden pro Jahr rund 360 Millionen Schweine, Schafe, Ziegen und Rinder geschlachtet.

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Ich esse sicher mehr Fleisch als der Durchschnitt und ich würde sogar soweit gehen, zu sagen, dass ich im Verlauf eines Jahres vermutlich mein eigenes Körpergewicht an tierischen Proteinen verzehre. Und das mit einigem Genuss. Und nur in den seltensten Fällen habe ich die Tiere, die später auf meinem Teller gelandet sind, vorher kennengelernt—geschweige denn hatte ich eine Vorstellung davon, welchen Prozess ein Tier zwischen Weide und Holzkohlegrill durchläuft.

Ob ich beim Metzger oder im Einkaufszentrum mein Fleisch hole—es ist jeweils einfach die rohe Version dessen, was ich später auf einem Teller habe. Für mich handelt es sich um ein T-Bone Steak oder Kalbskotelett und damit vielmehr um ein entpersonalisiertes Nahrungsmittel und ein Produkt als um ein Stück Tier.

Dass wir für diese sehr beliebte Art von entpersonalisierten Nahrungsmitteln industriell Leben auslöschen, wird dem Kunden eher verheimlicht. Natürlich wissen wir alle theoretisch, dass es sich bei unseren Chicken Nuggets um Bestandteile von Hühnern handelt, die mit einer überraschend grossen Menge Brot (und Gerüchten zufolge in einigen Fällen sogar mit Holzspänen) vermengt, in Paniermehl gedreht und dann frittiert werden. Wir sehen aber die Hühner, von denen diese Teile stammen, nicht—oder wenn, dann nur als stilisiertes Icon auf der Verpackung.

Deshalb habe ich mich mit der Fotografin Diana Pfammatter auf den Weg in den einzigen Schlachthof auf Zürcher Stadtgebiet gemacht, um herauszufinden wie unser Fleisch lokal "produziert" wird.

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Der Zürcher Schlachthof hat ein lange Tradition. Er wurde 1909 eröffnet und war schon damals einer der grössten Fleischproduzenten der Schweiz. Als "Industriekathedrale" wurde der damals hochmoderne Betrieb zu Recht bezeichnet. Die Anlage ist auch heute noch auf dem neuesten Stand und verarbeitet 5.000 Tiere pro Woche.

Als wir beim Schlachthof Zürich ankommen, werden wir sehr freundlich empfangen. Von einer Frau Eck, die uns nach einer kurzen Besprechung von Stationen, die wir fotografieren dürfen, und solchen, die wir nicht fotografieren dürfen, in eine Garderobe führt.

Dort angekommen, ziehen wir uns weisse Overalls und Haarnetze an. Hygiene wird gross geschrieben im Schlachthof. Mir ist schon auf dem Weg zur Garderobe aufgefallen, dass die Mitarbeiter tendenziell guter Stimmung sind. Es scheint ein recht angenehmes Arbeitsklima zu herrschen. Wir waschen unsere ebenfalls mit Plastik überzogenen Schuhe und betreten eine Halle.

An der hohen Decke hängen bereits Tierkörper in Reih und Glied, sie sind abgedeckt, ich weiss nicht, ob das mit der Würde der Toten oder mit Hygiene zu tun hat. Offenbar mit Hygiene. Ich stelle fest, dass die Schlachtkörper erst von allen Seiten geduscht werden, ebenfalls kopfüber hängend und von allen Seiten gleichzeitig. So eine Dusche wünsche ich mir daheim.

Es ist kalt, es herrschen Temperaturen von bis zu Minus zwei Grad. Ich bin bereits begeistert von dem recht ungewohnten, etwas perversen Bild, das sich mir bietet. Enthusiastisch zeige ich um mich und will, dass Diana Fotos macht. Ich werde aber darauf hingewiesen, dass wir die Schlachtlinie nicht in Aktion fotografieren dürfen. Wenn diese Bilder aus dem Kontext gerissen würden, könnten sie von gewissen Tierschutzgruppen missbraucht werden, lässt man mich zur Begründung wissen.

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Wenn ich so um mich herum blicke, kann ich den Verantwortlichen diese Vorsicht nicht übel nehmen. Natürlich schaut es bereits an dieser Stelle (und es soll noch deutlich grausiger werden) des Schlachthofs alles andere als hübsch aus. Körper an Haken säumen die Decke, Metzger mit blutbespritzten Schürzen zerteilen Rinder, ich sehe Wannen gefüllt mit dampfenden Innereien. Wir befinden uns in einer industriellen Tötungsmaschinerie.

Und genau das ist gewissermaßen der Punkt: Wenn wir in der Schweiz pro Jahr um die 430.000 Tonnen Fleisch verspeisen wollen, kommen wir nicht drum herum, industriell zu töten. So betont auch der freundliche Chef der Anlage, dass sie Dienstleister seien, die für Kunden Tiere schlachten und die Einzelteile dem Kunden zurückgeben.

Wir werden weiter durch die Anlage geführt. Wir sehen so ziemlich jedes Einzelteil der Kuh, säuberlich geordnet. Eine Wanne besteht aus unkenntlichen Fleischstücken, mit ein bisschen Sehnen und Fett, die noch zucken. Mir wird erklärt, dass der Zucker in der Muskulatur der Tiere noch bis zu eine Stunde lang abgebaut wird und so auch die längstens vom Körper getrennten Muskelfasern noch zucken können.

Die Mitarbeiter sind freundlich, posieren für Fotos, es herrscht ein sehr angenehmes Klima—abgesehen von der vom Töten dominierten Szenerie. Obwohl ich keine Tierschreie höre, frage ich nach ihnen. Das Gequieke und Geblöke, das man zuweilen von ausserhalb eines Schlachthofes mitbekommt, entsteht offenbar während Hierarchiekämpfen, die die neu zusammengewürfelte "Herde" jeweils erst auszutragen hat. Nachdem eine neue Rangordnung etabliert ist, sei es jeweils recht still. Und als wir später zu den Gattern gelangen, die ausserhalb des Gebäudes stehen, wo die Kühe auf ihre Verarbeitung warten, bestätigt sich diese Erklärung.

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Von den Aussengattern werden die Tiere erst in einen Gang, dann in einen abgesperrten, zirka vier Quadratmeter grossen Bereich geführt. Dort bekommen sie einen Bolzen ins Hirn geschossen, der sie betäubt. Unmittelbar danach wird der Fuss des Tiers mit einer Kette umschlungen, sie werden dann kopfüber aufgehängt und zwei Meter weit befördert. Ein weiterer Metzger, der leicht erhöht steht, schneidet den Tieren dann die Kehle durch. Das Rind blutet aus, wird von seinem Fell befreit und wird dann durch die Schlachtlinie befördert, wo es Position für Position weiter zerteilt wird.

Das war ein sehr eindrückliches Erlebnis. Ich war zwischen Faszination, Grauen, Mitleid und Appetit hin- und hergerissen. Vor Ort, von den freundlichen Mitarbeitern des Schlachthofs durch ihre Arbeitsstätte geführt, hat sich mir zwar ein durchaus blutiges Bild geboten, aber ich habe Verständnis für die marktwirtschaftlichen Anforderungen, denen sich der Schlachthof und insbesondere seine Mitarbeiter gegenüber sehen. So empfand ich das Bestreben der Metzger, den Tieren so viel Pein wie möglich zu ersparen, aber gleichzeitig ihren Job effizient auszuüben, als aufrichtig.

Um mein Bild aber abzurunden, habe ich mich mit Frau Dr. med. Vet. Dunya Reiwald unterhalten, für die Tierpsychologin bringt die industrielle Schlachtung einige Probleme für die psychische Belastung der Tiere mit sich: "Dass die Tiere mit einem Bolzenschuss betäubt werden, ist an sich schon mal gut", sagt sie. "Das ist im Verhältnis zu den Ansprüchen der Marktwirtschaft die humanste Form zu töten."

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Für eine wirklich stressfreie Tötung wäre es aber notwendig, die Schlachtung im gewohnten Umfeld der Tiere vorzunehmen: "Die Tiere kommunizieren viel mehr über den Geruch als wir Menschen, daher ist eine Sichtblockade nicht effektiv, um die Tiere abzulenken. Bei Schweinen finde ich das besonders schlimm. Schweine sind intelligenter als beispielsweise Hunde, sie haben ein sehr funktionsfähiges Gehirn und sind komplexe soziale Wesen, die ganz genau begreifen was mit ihnen geschieht."

Nach einigem Widerstand der Behörden, ist es Nils Müller, dem Betreiber des Bauernhofs "Zur chalte Hose", heute erlaubt, die sogenannte Weideschlachtung durchzuführen—noch. Das Bundesamt für Lebensmittelschutz und Veterinärwesen möchte die gesetzliche Grundlage für die Weideschlachtung wieder aus der Tierschutzverordnung streichen. Diese Form der Schlachtung wird auf der Weide und in Anwesenheit der gesamten Herde durchgeführt. Die Tiere werden von einem Hochsitz aus mit einem Schuss ins Hirn aus einem Kleinkalibergewehr vom Kaliber .22 Magnum betäubt und anschliessend geschlachtet.

Der entscheidende Unterschied liegt für Nils Müller darin, dass er die Tiere nicht von der Herde trennt, um sie zu schlachten, sondern sie in ihrem gewohnten Umfeld vom Leben zum Tode befördert: "Meine Tiere haben soweit es geht ein angemessenes, artgerechtes Leben. Sie leben in einer Herde und ihre natürlichen Instinkte werden nicht unterdrückt, sie bewegen sich als Herde weitgehend frei. Die Herde ist für die Kühe, Kälber und Rinder dem Individuum übergeordnet. Der Tod eines einzelnen Herdenmitglieds ist an sich nicht besonders schlimm für die Tiere, schlimm ist es für sie, von ihrer Herde getrennt zu werden." Entsprechend würde sie auch der Transport zum Schlachthof und das Zusammenpferchen mit fremden Artgenossen in enormen Stress versetzen, so Müller weiter.

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"Der Tod eines einzelnen Herdentiers kommt an sich auch in der Natur vor und ist in diesem Sinne nichts Unnatürliches"

"Die Herde gibt den Tieren Sicherheit im Leben. Wenn sie getrennt werden, geht diese Sicherheit dahin und an ihre Stelle tritt grosse, existenzielle Angst. Der Tod eines einzelnen Herdentiers kommt an sich auch in der Natur vor und ist in diesem Sinne nichts Unnatürliches. Diese Akzeptanz ist verankert in ihrer DNA. Die Herde kommuniziert durch Pheromone und in einer Situation, in der diverse Tiere grossem Stress ausgesetzt sind, bekommen alle Tier das durch die Luft mit—ob sie den Vorgang sehen oder nicht ist da hinfällig, sie wissen, was passiert und auch die Herde gerät unter Stress, wenn ein Tier abtransportiert wird und darum die entsprechenden Pheromone ausschüttet."

Nils Müllers Methode baut auf Gewohnheit. Er gewöhnt die Tiere daran, dass er ab und an im Hochsitz sitzt. Er gibt auch gelegentlich einen Schuss ab, der nicht auf ein Tier zielt, dessen Funktion einzig und allein ist, die Tiere daran zu gewöhnen, dass es ab und zu knallt. Alles in allem werden die Tiere an die Situation der Schlachtung gewöhnt.

Er erläutert seine Methode: "Durch die ganze Einübung des Prozesses fliessen diese Pheromone nicht, also kommunizieren die Tiere keine Gefahrensituation und kommen daher nicht in Stress. Auch der Schuss ist eingeübt und wenn er fällt, fehlt den Tieren das Abstraktionsvermögen, das Umfallen des Tieres an den gefallenen Schuss zu koppeln und so verläuft die ganze Schlachtung für das Tier und die Herde stressfrei."

Es versteht sich von selbst, dass diese Methode der Schlachtung niemals den gegenwärtigen Ansprüchen der Marktwirtschaft genügen kann. Nils' Fleisch ist verständlicherweise teurer; er produziert auch extrem viel weniger davon als der Schlachthof. Was die Zukunft des Fleischkonsums der Welt betrifft, tendieren die Statistiken und Meinungen auseinander. Im Sommer 2013 wurde der erste Fleisch-Burger im Labor gezüchtet und ging für satte 250.000 Euro über den Ladentisch.

Start-ups, die Insektenfleisch als Alternative zu Fleisch anbieten wollen, entstehen überall in Europa und arbeiten erfolgreich daran, dass delikate Wirbellose auch hierzulande in grosser Varianz für den Lebensmittelmarkt zugelassen werden. Das ist ganz im Sinne der UNO, die die Krabbeltiere auch als Fleischersatz der Zukunft handelt. Laut Sabine Oberrauch von der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung wird die Entwicklung des Fleischkonsums insbesondere von der gesellschaftlichen Entwicklung abhängen. Sie sieht bereits heute eine Tendenz hin zum Vegetarismus und einer nachhaltigen, biologischen Fleischgewinnung, die halt auch etwas teurer sein wird und sein darf.

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