Diese Künstlerin macht aus deinem WG-Dreck Kunst
Elisas erstes "Humus Humana"-Bild hängt hinter ihr | Alle Fotos: Hanko Ye

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Nicht wegschmeißen

Diese Künstlerin macht aus deinem WG-Dreck Kunst

Wo andere den Müll raustragen, holt Elisa den Bilderrahmen. Wir haben sie ein Staubbild von unserem eigenen Dreck anfertigen lassen.

Pulvis et umbra sumus, Staub und Schatten sind wir – Horaz

Als wir bei Elisa klingeln, werfen unsere Körper lange Schatten am Haus entlang. Die Strahlen der Abendsonne fallen zwischen den Miets- und Bürohäusern von Berlin-Schöneberg hinab. Wir sind gute Gäste und haben etwas mitgebracht: keine Flasche trockenen Weißwein, kein Taboulé, dafür zwei halbvolle Staubsaugerbeutel mit dem Dreck des VICE-Büros. Elisa wird aus deren Inhalt ein Kunstwerk formen.

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Im Winter vor zwei Jahren lag Elisa Jule Braun schlaflos in einem Bett in London, als sie auf die Idee kam, Staubbilder zu machen. "Ich dachte über Spuren von Menschen nach, da erblickte ich am Boden ganz viele Staubmäuse und Flusen." Staub, sagt die 27-Jährige, sei eine solche Menschenspur, eine, die von unsichtbarer Hand in die Welt kommt, die sich überall ablegt, "aber eigentlich möchte man ihn weghaben". Das erste Werk entstand später in Berlin. Nachdem Elisa ihren Master in Visueller Anthropologie gemacht hatte, begann sie vor einem Jahr, Bildende Kunst an der UdK zu studieren. Mit ihrem Freund, ebenfalls Künstler, zog sie in die 96 Quadratmeter große Wohnung nahe des S-Bahn-Rings. Im Wohnzimmer hängt es nun, das Bild Nummer eins.


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Ein ein Meter mal ein Meter schwarzer Rahmen umschließt einen weißen Hintergrund und einen Quadratmeter Sichtglas. Die oberen zwei Drittel des Bildes sind leer, am Boden liegen mehrere Schichten Dreck – Staub, Sand, Krümel, ausgeblichener Klebestreifen, abgeschnittene Waschhinweise von zwei Oberteilen, Haare. Halb sieht es aus wie ein erstarrter Sturm im Sanduhrglas, halb wie eine verwaiste Ameisenfarm. Das Bild strahlt eine angenehme Ruhe aus, selbst für Menschen, die keine Staubforscher sind und sich vor dem Blick unter den eigenen Kühlschrank fürchten.

"Am Anfang wirkten die unterschiedlichen Schichten wie Jahresringe, mittlerweile ist etwas einheitlicher geworden", sagt Elisa. Ein Jahr lang hatte sie den Staub von sich und ihrem Freund gesammelt, vier Staubsaugerbeutel sind so voll geworden. Zwischendurch hatten sie renoviert. Am Boden unter dem großen Bild hat Elisa vier weitere Bilder aufgereiht, jedes ein Viertelquadratmeter groß, 50 Zentimeter mal 50 Zentimeter voll mit Dreck und Geschichten. "Humus Humana" heißt die Serie, menschlicher Nährboden. "Der Hausstaub ist die tote Substanz des Menschen", sagt Elisa. Er bestünde zu einem Großteil aus toten Hautschuppen, Haaren, Klamottenabreibungen.

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Es dauere drei bis vier Monate, bis die Spender einen Staubsaugerbeutel voll hätten, sagt Elisa. Mit Hilfe von über 100 VICE-Kollegen ging es bei uns schneller. Der Inhalt unseres einen halbvollen Staubsaugerbeutels wurde in den letzten Wochen auf der Etage von Buchhaltung, Videoteam und Sales eingesaugt, der andere im Erdgeschoss in der Redaktion

Jeder Staub erzählt die Biografie seiner Verursacher. Wie die des "messihaften" Untermieters. Eine Freundin Elisas war verreist, ihr WG-Zimmer hatte sie für die Zeit einem Unbekannten überlassen. Als ihre Mitbewohner nach ein paar Wochen in das Zimmer kamen, hatte er dort alles mit Joint- und Pizzaresten zugemüllt. Elisas Bild ist das Dokument dieser Zwischenmiete. Neben den zahllosen Krümeln und einer Dame-Figur leuchtet ein pinkfarbenes Post-it hervor. "meja" steht darauf. "Das ist von meiner Freundin selbst, sie lernt Indonesisch." Elisa findet, der Staub sehe ganz fröhlich aus.

Sie will zwei Arten von Staubmenschen erkannt haben: "Die einen räumen immer alles gleich weg, dann bleiben nur noch ein paar Flusen und Pflanzenreste zurück. Die anderen lassen erstmal alles liegen – da wird später auch schon mal eine Socke oder ein Kondom eingesaugt." In den über zehn Staubsaugerbeuteln, die man ihr bislang gespendet hat, hat sie gesehen, dass der Staub nach Silvester ins Rötliche geht, weil sich Böllerreste unter ihn mischen, und dass die Hundehaare eines Podencos den Staub wiederum ganz fein und schwarz machen. Im Beutel einer jungen Familie offenbarten sich Kinder und – mutmaßlich genervte – Eltern in Form von Puzzleteilen und Ohrstöpseln, im Beutel einer Frauen-WG glitzerte es.

Sieben Bilder hat Elisa bereits angefertigt, sieben weitere Staubsaugerbeutel liegen auf dem Tisch. Elisa hat sie mit kleinen Schildern versehen, auf denen sie Name, Saugzeitraum, Wohnungstyp und Preis notiert hat – wie bei frisch obduzierten Leichen. Sie muss husten, einmal, zweimal. Ihre Augen werden feucht. Sie hatte uns gewarnt: Die Staubkünstlerin hat eine Stauballergie. Neben den Beuteln liegen drei Atemmasken aus dem Baumarkt, ein Paar rote Gummihandschuhe und eine Schere.

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Ihre Mutter hat gerade ein Bild bei ihr geordert. Elisa soll dafür Dreck von ihr und ihrem Bruder, ebenfalls Künstler, für die Mutter zusammenpacken. Elisa denkt aber auch größer. Gerade versucht sie, eine Freundin, die im Bundestag arbeitet, zu überreden, für sie Staub aus dem hohen Hause zu klauen. Außerdem würde sie gerne von ihrem ganzen Hauskomplex hier mit rund 230 Einheiten eine Staub-Studie über alle ihre Nachbarn machen.

Elisas Bilder kann man auch kaufen. Das große Bild mit dem Dreck von ihr und ihrem Freund kostet 1.865 Euro. Das entspricht dem damaligen Kaufpreis pro Quadratmeter der Schöneberger Eigentumswohnung, in der sie wohnen kann. Andere Bilder kann man nicht kaufen, aber mieten. Ihr Material stammt aus Mietwohnungen, die monatliche Leihgebühr für das Bild berechnet sich nach dem Mietpreis der Wohnung. Wenn das Bild nur einen Viertelquadratmeter groß ist, setzt Elisa die Gebühr mit einem Viertel des Quadratmeterpreises der Miete gleich. So kann das eine Bild 6.000 Euro kosten und ein anderes für zwei Euro verliehen werden. Wenn Elisa die Bilder ausstellt, packt sie zudem noch das Klingelschild der Staubverursacher dazu.

Elisa legt auch den Dreck aus dem ersten Stock des VICE-Büros auf das Bild. Die größte Überraschung: ein Streifen Klopapier – ohne Flecken. "Da hätte ich mir von einem solch skandalösen Magazin wie VICE ehrlich gesagt mehr erwartet", sagt Elisa.

Warum ist der eine Mensch mehr wert als der andere, obwohl beide doch nur Dreck machen? Elisa hinterfragt mit ihrer Kunst die Preise auf dem Immobilienmarkt, aber auch die im Kunsthandel. Das Intime – den Dreck – verbindet sie mit dem Übergeordneten – dem Ringen der Menschen um Wohnraum. "Aber so können sich auch Leute mit wenig Geld Kunst zu Hause aufhängen." Bislang sie noch kein Bild verkauft, aber zwei vermietet.

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