Franziskas Familie ist links, sie war in der AfD – Nun ist sie ausgetreten
Alle Fotos: Grey Hutton

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Jung Politiker

Franziskas Familie ist links, sie war in der AfD – Nun ist sie ausgetreten

"Ich habe mich von meiner eigenen Familie entfremdet – meine richtige Familie, das war irgendwann die AfD."

Ich treffe mich mit Franziska Schreiber nach Feierabend in der Dresdener Neustadt. Wir unterhalten uns in einer Kneipe mit grünem Hinterhof. Als der Wirt das Thema unseres Interviews mitbekommt, schmeißt er uns raus. "Wäre sie in die AfD eingetreten, wäre es nicht so schlimm", sagt er. "Aber ich will Politik allgemein aus dem Laden raushalten, verstehen Sie?" Franziska sagt: "Die Stimmung hier ist aufgeladen."

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In ihrer Heimatstadt Dresden war die CDU der Wahlgewinner. Dahinter lag die AfD mit 23 Prozent und die Linke mit 17 Prozent der Stimmen. Als Schülerin war Franziska in der linken Szene der Stadt aktiv, sie spielte Theater gegen rechts. Heute sagt sie, als Teenagerin sei sie unreflektiert gewesen. Ihre Einstellung änderte sich während des Jurastudiums in Leipzig. Auf der Suche nach neuer politischer Identität trat sie 2013 in die AfD ein. Sechs Tage vor der Bundestagswahl verkündete die 27-Jährige ihren Austritt in der Berliner Morgenpost . Jetzt warnt sie vor der Partei.

VICE: Hast du die letzten vier Jahre verschwendet?
Franziska: Die AfD hat offensichtlich mal zu mir gepasst. Jetzt bin ich froh, erkannt zu haben, dass sie das nicht mehr tut. Viele Überzeugungen, die ich heute habe, könnte ich ohne die AfD nicht so intensiv vertreten. Ich kann mich so leidenschaftlich wie noch nie für Minderheiten einsetzen, weil ich gesehen habe, wie es aussieht, wenn sie bedroht sind.

Du hast der AfD ja dabei geholfen, Stimmung gegen Minderheiten zu machen.
Ich habe das Monster miterschaffen. Aber ich habe mir eingestanden, dass die Partei gefährlich ist.

Was war konkret dein Beitrag, um die AfD stark zu machen?
Ich war seit 2013, acht Monate nach der Parteigründung, dabei. Ich war Pressesprecherin der besonders radikalen Jungen Alternative und in Sachsen auch zeitweise deren Vorsitzende. Später Stellvertretende Vorsitzende. Ich habe mein Gesicht hergegeben, die Parteiansichten nach außen in Kameras und Mikrofone vertreten.

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Wie bist du zur AfD gekommen?
Es ging mir um die Kritik an der EU. Und ich hatte das Gefühl, die anderen Parteien wollen mich mit Blabla einlullen. Ich war von Bernd Lucke, dem Parteigründer und damaligen AfD-Chef, beeindruckt. Der hat mit mir als Wähler geredet wie mit einem erwachsenen Menschen. Zum Beispiel hat er wissenschaftlich begründet, dass die Einführung des Euro nur sehr wenigen Ländern einen Vorteil gebracht hat.


Lucke untermauerte seine These mit dem addierten Bruttoinlandprodukts der EU-Länder. Wahr ist, dass durch die Euro-Einführung die Zinsen für einige Länder stark fielen, was es für sie günstiger machte, sich zu verschulden. Das günstige Kapital überhitzte einige Volkswirtschaften, die Löhne stiegen, die Wettbewerbsfähigkeit sank dadurch. Auch das war Auslöser der Krise. Ob diese Länder ohne den Euro heute besser dastehen würden, ist allerdings zu bezweifeln und nicht abschließend zu beurteilen.


Warum bist du dann in der Partei geblieben?
Mir hat die Vorstellung gefallen, mit der AfD den Politikbetrieb aufzuwirbeln. Die AfD war der Underdog, der es mit den Altparteien aufnehmen wollte. Es hat mich geärgert, dass die sich mit der AfD nicht auf der inhaltlichen Ebene auseinandergesetzt haben und nur die rechte Ecke als Gegenargument bringen konnten. Auch die Medien haben zugelassen, dass ein "Alle gegen einen"-Gefühl aufgekommen ist. Gerade bei Talkshows habe ich gedacht: "Jetzt lass ihn doch mal ausreden!" Oder: "Das hat sie doch so gar nicht gesagt." Das führte bei mir zu einer Solidarisierung mit der AfD.

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Das klingt wie eine Trotzreaktion.
Vielleicht war es unterbewusst Rebellion gegen meine Familie. Vielleicht wollte ich in Opposition zu meinen von mir als gefühlsduselig empfundenen linken Eltern und Lehrern gehen. Dem ganzen "Herzschmerzgelaber" wollte ich intelligente Argumente entgegensetzen. Meine Eltern meinten immer: "Oh Gott, die armen Flüchtlinge, wo sollen die alle unterkommen." Und ich habe halt gesagt: "Macht ihr euch mal 'n Kopf, was das kostet? Wo das Geld herkommen soll?"

Es geht darum, Menschen in existenzieller Not zu helfen.
Gefühlsbetonter Politik habe ich mich lange überlegen gefühlt. Bis ich irgendwann gemerkt habe, dass es ohne humanitäre Prinzipien nicht geht und man bei dem Flüchtlingsthema Menschenleben nicht gegen Steuergeld aufrechnen kann, aber am Anfang war ich stolz darauf, Probleme vermeintlich kühl und rational anzugehen.

Welche Ansichten hast du noch vertreten?
Ich habe den politischen Islam als Freiheitsbedrohung gesehen, und die politische Korrektheit verurteilt, weil ich sie als Sprechverbot aufgefasst habe. Ich war für ein Einwanderungsgesetz nach kanadischem Modell, dafür bin ich heute noch. Ich war für die Anrechnung der Mutterschaft bei der Rente [ Anm. d. Red.: Eine Mütterrente gibt es seit Mitte 2014, Erziehungszeiten werden bereits seit 1986 angerechnet] und für die aktivierende Grundsicherung, eine Art Grundeinkommen, nur nicht so teuer für den Steuerzahler. Bei der Flüchtlingspolitik ging es mir vor allem um den Kontrollverlust des Staates bei der Registrierung der Menschen, und um die ganzen Steuergelder, die wir aufbringen mussten.

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Warst du auch bei Pegida-Demos?
Ja. Deren Positionspapier hat mir gefallen. Nach der Veröffentlichung von Lutz Bachmanns Facebook-Posts, in denen er Ausländer als "Viehzeug", "Gelumpe" und "Dreckspack" bezeichnet hat, dann nicht mehr.

Wie hat deine Familie auf deinen Parteieintritt reagiert?
Meine Familie ist links und hochpolitisch. Meine Urgroßeltern waren im kommunistischen Widerstand gegen die Nazis. Und als ich eintrat, war meine kleine Schwester bei der Antifa aktiv. Anfangs haben sie gesagt, ich sei auf Abwegen und würde wieder "normal" werden.

Und als das nicht passiert ist?
Unsere Diskussionen sind ausgeartet, wir haben uns angebrüllt. Bei einer Feier sind alle gleichzeitig auf mich losgegangen, mit persönlichen und verletzenden Aussagen. Ich widerum habe im Streit auch mal gesagt: "Ich muss los, ich geh zu Pegida." Damit wollte ich schocken und meine Wut ausdrücken und es funktionierte besser als jeder Kraftausdruck.

Wie hast du dich in der Zeit gefühlt?
Ich war ja der Fremdkörper, quasi der Feind im eigenen Haus. Mich hat es getroffen, dass meine Mutter und meine Schwester die Welt auf die gleiche Weise gesehen haben, aber ich nicht. Wir haben uns entfremdet. Ich hatte das Gefühl, nirgendwo so wenig ich selbst sein zu können, und war oft nur noch aus Höflichkeit bei Feiern dabei. Meine richtige Familie – das war für mich irgendwann die AfD.

Du wolltest sogar Politikerin in der AfD werden.
Ich konnte innerhalb der Partei offen reden, die Leute haben mir zugehört. Wir haben uns darauf eingeschworen: Wir gegen den Rest der Welt. Es wurde immer gesagt: "Draußen versteht dich eh keiner, da kannst du deine Meinung nicht sagen." Das war auch das, was ich mit meiner Familie erlebt habe. Ich dachte auch, niemand wird mich jemals einstellen. In einem Interview habe ich mal gesagt: "Mein Gesicht ist für alles andere verbrannt." Das ist im Rückblick natürlich Quatsch, aber ich habe es damals wirklich gedacht, dass ich bei der AfD bleiben muss, oder mich bei einem AfDler anstellen lassen muss, wenn ich einen Job will.

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Den Rassismus in der Partei fandest du nicht bedenklich?
Für mich war es so: Mit meinen Ansichten habe ich in der AfD niemanden schockiert. Und das ist natürlich ein gutes Gefühl – wenn du merkst, ach die anderen denken ja noch viel schlimmere Sachen als ich.

Für dich war es beruhigend, dass Rechtsextreme in der Partei sind?
Von meiner Familie kamen natürlich Nazivorwürfe. Aber ich dachte immer: "Ich bin doch kein Nazi. Ich habe doch nichts gegen Ausländer." Und wenn man dann bei der AfD merkt: OK, der da ist ein Rechtsextremer, du bist keiner. Dann ist das in gewissem Maße beruhigend.

Warum hast du begonnen, schließlich doch an der Partei zu zweifeln?
Wirtschaftspolitik wurde unwichtiger. Und mit der Flüchtlingskrise ist eine rechrtsextreme Mehrheitsmeinung entstanden. Ich erinnere mich an eine Diskussion darüber, dass Deutschland nicht souverän und noch immer besetzt sei. Ich dachte zuerst, das ist nur ein Kreisverband aus alten Verschwörungstheoretikern. Irgendwann ist mir aufgefallen, dass es keine Gegenwehr gibt, dass die Rechtsextremen keine Einzelfälle sind. Dass ich der Einzelfall bin.

Hast du den Rechtsextremen in der AfD denn gesagt, was du von ihren Ansichten hältst?
Wir haben versucht, uns zu formieren. Ich und einige andere, die auch schon seit dem Anfang dabei waren, sind in die innerparteiliche Opposition zu Höckes Lager gegangen. Wir haben gefragt, warum wir nur noch über den Islam und nicht mehr über Wirtschaft reden, und dass es der Partei anfangs um andere Themen ging. Kritik an Höcke habe ich verstärkt nach seinen abstoßenden Reden geäußert.

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Wann zum Beispiel?
Als er das Holocaust-Denkmal als "Denkmal der Schande" bezeichnet hat. Ich habe in die Facebook-Gruppe der Jungen Alternative geschrieben: "Es muss sich kein anderes Land ein 'Denkmal der Schande' ins Land setzten. Denn bisher ist noch kein anderes Land auf die Idee gekommen, sechs Millionen Menschen der industriellen Vernichtung preiszugeben." Dafür wurde ich hart angefeindet. Sie meinten, ich solle mit meiner Meinung zu den Grünen zu gehen. Ich sei eine Unruhestifterin, Nestbeschmutzerin, Volksverräterin und Medienhure. Der Umgang mit uns wurde immer rauer und bedrohlicher.

Wie konntest du diese Leute so lange nach außen als Pressesprecherin der Jungen Alternative vertreten?
Nachdem die Rechtsextremen um Höcke immer mächtiger wurden, wollte ich mein Amt dazu benutzen, Gegenakzente zu setzen. Ich habe mich zum Beispiel geweigert, eine Pressemitteilung gegen die Ehe für Alle zu schreiben. Ich wollte nicht, dass Höcke als einzige Stimme der AfD wahrgenommen wird. Hätte ich mein Amt aufgegeben, hätte es womöglich einer von Höckes Flügel-Jüngern besetzt. Die Junge Alternative war seine Kadertruppe, da hatte er früh eine Mehrheit.

Wann hast du beschlossen, doch auszutreten?
Meinen endgültigen Beschluss habe ich meiner Familie nach dem Parteitag in Köln im April mitgeteilt, auf dem die Delegierten Frauke Petry fallen gelassen haben. Es war vor allem meine persönliche Achtung vor Petry, die mich so lange zurückgehalten hat, der Partei den Rücken zuzuwenden. Nach diesem Parteitag hatte ich nicht mehr die geringste innere Bindung an die AfD. Wer unter dem Verdacht steht, Petry-Anhängerin zu sein, wird "geoutet", gemobbt und zum Austritt aufgefordert. Die Ultrarechten in der AfD sprechen sogar von einer "Säuberung" der Partei.

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Wie reagierte die Partei auf deinen öffentlichen Austritt?
Mein Facebook-Postfach war voll mit Beleidigungen und Drohungen. Dass ich besser auf mich aufpassen solle.

Was glaubst du, hat dein Austritt was bewegt?
Ich habe viele Nachrichten bekommen von Menschen aus der AfD, denen es genauso ging wie mir. Einige überlegen, jetzt auch auszusteigen. Viele AfD-Wähler glauben den Medien schon lange nicht mehr. Meine Warnung hat mehr Gewicht, weil ich von Anfang an dabei war und mitbekommen habe, wie sich die Partei verändert hat.

Wie wird der Bundestag die Partei deiner Meinung nach weiter verändern?
Der Bundestag wird die AfD enttarnen. Die Bürger werden vorgeführt bekommen, wie wenig Lösungskompetenz die Partei hat. Die Abgeordneten werden sich innerhalb kürzester Zeit zerstreiten. Das wird peinlich sein. Es werden skandalöse Aussagen fallen, dann werden sich die eigenen Leute davon distanzieren. Die Partei wird ein fürchterliches Bild abgegeben.

Wie kann man der AfD am besten schaden?
Wenn man die AfD sinnvoll angreifen will, muss man verhindern, dass sie Themenmonopole hat. Und man muss immer wieder zeigen, dass die Partei in fast allen Punkten nicht über die Analyse des Problems hinausgekommen ist.

Wie hat deine Familie auf den Austritt reagiert?
Am meisten hat sich meine Mutter gefreut, sie war richtig außer sich. Für sie stand die ganze Zeit die Frage im Raum, wie ihr das eigene Kind so fremd werden konnte. Ob sie das alles nicht hätte verhindern können, ob sie irgendwas hätte anders machen sollen. Am Tag meines Austritts haben wir angestoßen.

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