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Popkultur

Harvey Weinsteins Ex-Angestellte beschreiben seine Wutausbrüche

Dem Hollywood-Produzenten wird inzwischen mehrfach Vergewaltigung vorgeworfen, seine Frau hat ihn verlassen.
Foto: Christian Alminana | Getty Images

Der Enthüllungsbericht der New York Times ging um die Welt: Der Film-Mogul Harvey Weinstein soll angeblich seine ganze Karriere über Frauen sexuell belästigt, missbraucht und vergewaltigt haben. Doch für viele, die mit ihm zusammengearbeitet haben, war das nicht einmal mehr ein offenes Geheimnis – weil es dazu ja wenigstens ein bisschen geheim sein müsste. Langsam solidarisieren sich einige Hollywood-Stars öffentlich mit Weinsteins mutmaßlichen Opfern – eine länger werdende Liste, auf der auch so große Namen stehen wie Ashley Judd, Gwyneth Paltrow, Angelina Jolie, Asia Argento und Rose McGowan. Argento sowie die Schauspielerin Lucia Evans und eine Frau, die anonym bleiben möchte, geben an, Weinstein habe sie vergewaltigt. McGowan hat dies ebenfalls angedeutet, aber nicht ausdrücklich gesagt – laut New York Times zahlte Weinstein ihr 1997 nach einem nicht näher beschriebenen Vorfall in einem Hotelzimmer 100.000 Dollar im Rahmen einer außergerichtlichen Einigung.

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Selbst die Obamas haben sich inzwischen dazu geäußert: Malia Obama war erst dieses Jahr Praktikantin bei der Weinstein Company, ihre Eltern sind "angewidert" von den Berichten und "feiern den Mut der Frauen, die sich zu Wort gemeldet haben".

Doch Weinsteins Ruf als machthungriges, aufbrausendes, von Cola-Light-Paletten umgebenes Arschloch war bereits bekannt, seit er 1979 mit seinem Bruder Bob die Produktionsfirma Miramax gründete. Von großen Hollywood-Persönlichkeiten wie Spike Lee bis hin zu Ex-Angestellten, wie sie die New York Times zitierte, haben schon einige aus der Filmbranche Weinstein für mutmaßliche Ausfälle kritisiert: Er soll körperliche Gewalt angedroht haben, öffentlich ausgerastet sein, oder Zigaretten im Lachs-Tablett der Catering-Firma ausgedrückt haben. 2004 veröffentlichte Peter Biskind ein Buch, in dem er unter anderem mehr als zwei Jahrzehnte der Weinstein'schen Aggression festhielt: Sex, Lies & Pulp Fiction: Hinter den Kulissen des neuen amerikanischen Films. In Deutschland erschien das Buch 2005, nur Monate bevor die Gebrüder Weinstein ihre Disney-Tochter Miramax verließen, um The Weinstein Company zu gründen. Am 8. Oktober 2017 feuerte diese Produktionsfirma den Mitgründer Harvey Weinstein für seine mutmaßlichen (und im Grunde zum Teil eingestandenen) Taten. Seither hat auch seine Frau, die Modedesignerin Georgina Chapman, ihn dafür verlassen.


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Zwei der Geschichten, die seit dem Bericht der New York Times ans Licht kamen, beschreibt Biskind bereits in seinem Buch. Die Journalistin Rebecca Traister berichtet, wie Weinstein 2000 auf einer Party ihren Kollegen und damaligen Partner Andrew Goldman in den Schwitzkasten nahm und brüllte: "Ich nehme ihn mit nach draußen und bringe ihn verfickt nochmal um!"

Dann ist da Nathan Lanes Geschichte. Der Schauspieler berichtet, dass Weinstein ihn vergangenes Jahr an die Wand geschubst und bedroht habe. Der Vorfall soll sich bei einer Geburtstagsparty für Hillary Clinton zugetragen haben, die Weinstein ausrichtete und bei der Lane als Moderator agierte. Weinstein soll deswegen so ausgerastet sein, weil Lane zuvor einen Witz über die Combover-Frisur des ehemaligen New Yorker Bürgermeisters Rudy Giuliani gemacht hatte. Bei derselben Party feuerte Weinstein einen Assistenten, der Weinsteins Platz freihalten sollte, während der Produzent auf der Bühne war. Weinstein fand Jimmy Buffet, Harrison Ford und dessen Frau Melissa Matthiessen an seinem Platz vor und kündigte dem Assistenten mit wütendem Geschrei. Am folgenden Morgen wurde der Assistent anscheinend wieder eingestellt.

Einige Ex-Angestellte sagen, die Arbeit für Bob und Harvey Weinstein habe sich angefühlt, als sei man Teil der Mafia. Unzählige Überstunden und Sonderwünsche der Vorgesetzten sind in Hollywood (wie in vielen anderen Branchen) Standard, doch ehemalige Miramax-Angestellte vermitteln ein Bild einer besonders sadistischen Atmosphäre innerhalb der Firma. "Wer etwas darüber erzählt, was für Monster die beiden sind, erzählt die Wahrheit", sagt Amy Hart, die drei Jahre lang als Marketing-Leiterin bei Miramax war. So ziemlich jeder Gegenstand habe Harvey Weinstein als Waffe dienen können: Er habe Telefone aus der Wand gerissen und auch Aschenbecher, Bücher, VHS-Kassetten und gerahmte Familienfotos auf Menschen geschleudert.

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"Der Treibstoff bei Miramax war Angst. Die Weinsteins sind einschüchternd, sie brüllen viel, sie haben Schaum vorm Mund", sagt Stuart Burkin, der 1991 in der Postproduktion anheuerte. "In der ganzen Firma gab es keine Frau, die sie nicht zum Weinen brachten", sagt Mark Lipsky, ein ehemaliger Distributionschef von Miramax. "Wenn Weinstein dich ins Visier nimmt, dann wird es giftig – und persönlich."

"Du bist ein Dildo! Du bist ein Dildo. Sag es: 'Ich bin ein Dildo'." So zitiert eine ehemals bei der Firma angestellte Person, die anonym bleiben will, Weinstein. "Ich hasse deine Atemgeräusche", zitiert ihn eine andere. "Jedes Jahr bei Miramax fühlte sich an wie eine Ewigkeit, weil es so psychisch belastend und grausam war", sagte Mark Gill, der ehemalige Chef des Büros in Los Angeles, gegenüber Biskind. "Du musst deine eigene Vorstellung von gut und böse völlig unterdrücken, damit du dort arbeiten kannst", sagte David Steinberg, ein Anwalt, der zwei Jahre lang für Miramax in der Akquise tätig war.

Zahllose Überstunden – und niemand traute sich, das Geld einzufordern

1997 untersuchte das Arbeitsministerium der USA sieben Monate lang die Arbeitsbedingungen bei Miramax, letztendlich zahlte die Firma ohne offizielle Aufforderung etwa 80.000 Dollar für geleistete Überstunden an 136 Angestellte. Im Frühling 1998 versammelte die Anwältin und Mutter einer Ex-Angestellten Merri Lane etwa 35 potentielle Kandidaten für eine Sammelklage: Miramax sollte 1,4 Millionen Dollar für geleistete Überstunden zahlen. "Totenstille", beschreibt der ehemalige Marketing-Assistent Peter Kindlon die Reaktion der Anwesenden auf Lanes Aufruf. "Bis auf mich hatten in dem Raum alle Angst, dass die Weinsteins sich an ihnen rächen würden. Sie konnten sich nicht vorstellen, etwas mit einer Aktion gegen Miramax zu tun zu haben."

"Sie haben einfach alle eingeschüchtert", sagte Lane gegenüber Biskind. "Niemand, der zu dem Zeitpunkt noch dort arbeitete, wollte sich beteiligen. Sie waren sicher, dass sie gefeuert werden würden, man würde ihre Karriere ruinieren und andere schreckliche Dinge. Der Vater einer armen jungen Frau rief dauernd bei mir an und sagte, seine Tochter wolle mitmachen, aber sei außer sich vor Angst. Ich konnte nicht garantieren, dass ihr nichts Schlimmes zustoßen würde." Die Klage endete schließlich mit einer Einigung über eine unbekannte Summe; Kindlon sagt, er habe 25.000 Dollar (etwa ein Jahresgehalt) bekommen, und Amy Hart erhielt zwischen 7.000 und 10.000 Dollar.

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"Grausame und zutiefst gestörte Menschen"

"Sie spielten mit dir, du warst ihr Eigentum. Sie verkrüppelten und zerstörten dich", sagt Jack Foley, ein ehemaliger Vertriebschef. "Harvey machte völlig unbegründete Aussagen, nur um einen aufzuregen. Er wollte immer demonstrieren, wie ineffektiv und unfähig man ist." Foley kündigte 1996 aufgrund von Meinungsverschiedenheiten während der Testvorführungen von Scream. "Wenn die Weinsteins sterben, werden die Leute darüber reden, was für tolle Menschen sie waren", fährt Foley fort. "Aber das sind sie nicht. Sie sind grausame und zutiefst gestörte Menschen. Sie spucken auf die Menschlichkeit."

Es gibt mindestens einen Fall, in dem Harvey Weinstein eine Angestellte mit Zuneigung überschüttet haben soll. Eine Assistentin, die er 1986 einstellte, hatte es ihm besonders angetan. "Sie war noch nicht mal einen Tag da, als er schon total hinter ihr her war", sagt Lipsky. Unter anderem soll Weinstein der Assistentin Rosen an den Schreibtisch geschickt haben. Das öffentliche Geflirte ging so weit, dass Mitarbeiter Weinstein konfrontierten und sagten: "Das kannst du nicht machen, das hier ist ein Büro und nicht dein persönlicher sexueller Spielplatz." Der Name der umschwärmten Assistentin war Eve Chilton. Letztendlich übertrug Weinstein ihr die Kinderfilm-Abteilung von Miramax und heiratete sie im folgenden Jahr; das Paar ließ sich 2004 wieder scheiden.

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Immer wieder zeichnet sich in den von Biskin gesammelten Berichten aus erster Hand ein Muster ab: Weinstein rastete anscheinend aus, nur um sich dann wieder zu entschuldigen. Oft tat er das laut den Ex-Angestellten mit Blumen, manchmal gab es noch ein Fax dazu. "Leidenschaft für den Film war immer seine Ausrede", sagt eine Quelle aus dem Umfeld des Films Strike – Mädchen an die Macht!. Miramax kaufte diesen Film von Sarah Kernochan und ließ ihn ohne große PR untergehen, als es kreative Meinungsverschiedenheiten gab. "Es war, als würde er sich als vorübergehend unzurechnungsfähig ausgeben: 'OK, ich habe gelogen, vielleicht habe ich auch eins deiner Kinder umgebracht oder ein Flugzeug entführt, aber ich hab' nun mal so eine Leidenschaft für Film!'", fährt die anonyme Quelle fort. "Das gehört zu seiner Manipulationstechnik. Er versucht Leuten eine Scheißangst einzujagen, und am nächsten Tag schickt er Blumen."

Brüllen, bis die Tränen fließen

Diese Aggression soll am häufigsten Regisseure und Regisseurinnen getroffen haben. Weinstein soll sich mit den Filmemachern oft über Schnitte in der Postproduktion gestritten haben – lange Zeit hatte er auch den Spitznamen "Harvey mit den Scherenhänden". Nach einer Vorführung von M. Night Shyamalans erstem Spielfilm Wide Awake "brachte Harvey Night zum Weinen. Er hat ihn vor den Augen aller Anwesenden zerstört", so der ehemalige Miramax-Produktionschef Paul Webster.

Shyamalan war nicht der einzige, dem die Tränen kamen. Comedian und TV-Moderatorin Rosie O'Donnell hatte eine kleine Rolle in dem Film und rief bei Weinstein an, um Shyamalan zu verteidigen. "Das waren so Augenblicke, wo man sehen konnte, wie der Rauch aus Harveys Ohren kam. Er ist einfach ausgetickt. Er hat den Verstand verloren", erinnert sich Cathy Konrad, eine der Produzentinnen von Wide Awake. Weinstein habe O'Donnell angebrüllt: "Du bist ja auch so eine verdammte Künstlerin! Du bist nur eine scheiß Talkshow-Moderatorin! Als ob du darüber was wüsstest. Du Miststück! Du Fotze!" Daraufhin sei O'Donnell in Tränen ausgebrochen, sagt Konrad. Eine Quelle erzählte Biskind außerdem, Weinstein habe O'Donnell als "große, fette verfickte Kuh" bezeichnet. Weinstein behauptete daraufhin: "Ich habe nie das Wort 'Fotze' gesagt, und auch nicht 'Kuh'." O'Donnell soll am nächsten Tag ihre Entschuldigungsblumen erhalten haben, aber weiterhin außer sich vor Wut gewesen sein.

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Todd Haynes, der mit Miramax an der Distribution seines Films Velvet Goldmine arbeitete, ging mit seinem nächsten Film Dem Himmel so fern lieber zu USA Films. Laut Biskinds Buch flippte Weinstein aus: "Du verfickter kleiner Motherfucker, du bist einfach nur ein verwöhntes Gör. Du hältst dich für so ein verdammtes Genie, dabei bist du nur eine verfickte, arrogante Primadonna." Haynes sagt außerdem, Weinstein habe gedroht, er werde 10 Millionen Dollar ausgeben, um zu verhindern, dass Julianne Moore für den Film eine Oscar-Nominierung erhält. (Hinterher erhielt Haynes angeblich sowohl einen Entschuldigungskorb als auch ein Fax.)

Eine ähnliche Anekdote steht in dem Buch über eine Testvorführung des Films Frida: Weinstein soll Publikumsbewertungen zerrissen und Regisseurin Julie Taymor angegriffen haben, als sie mit ihm über seine vorgeschlagenen Änderungen diskutierte: "Du bist die arroganteste Person, der ich jemals begegnet bin. Geh und vermarkte den Scheißfilm selbst, ich verkaufe ihn an HBO." Dann soll er seine Wut weiter an anderen ausgelassen haben: an Taymors Agenten Bart Walker ("Verschwinde, verdammt nochmal!"), an Taymors Partner und Filmkomponisten Elliot Goldenthal ("Dein Gesicht gefällt mir nicht. Wieso verteidigst du deine Frau nicht, damit ich dir die Scheiße rausprügeln kann.") und schließlich an leitenden Miramax-Angestellten sowie dem Filmeditor von Frida ("Du bist gefeuert, du bist gefeuert, du bist gefeuert, du bist gefeuert!").

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"Harvey brüllte einfach 45 Minuten lang obszöne Beleidigungen und idiotische Aussagen so laut wie er konnte. Sachen wie: 'Unsere Raketen sind auf euch gerichtet! Wir werden sie auch abfeuern!"

Nach dem Frida-Zwischenfall und einer Reihe weiterer mutmaßlicher Ausraster sagte Weinstein Berichten zufolge: "Am Morgen nach der Sache mit Julie sprach ich mit der Co-Produktionschefin Meryl Poster und sagte: 'Wir müssen meine Wutprobleme managen. Meine ganzen Filme sind aufgrund meiner Persönlichkeit vermasselt worden. Ich bin zu aufbrausend und das muss jetzt ein Ende haben.' Gott, was für ein Arschloch bin ich doch gewesen."

Weinsteins Streitigkeiten mit Rivalen endeten seltener in einer Entschuldigung. Als Scott Greenstein, der oberste stellvertretende Geschäftsführer von Miramax, zum Konkurrenten October Films wechselte, rief Weinstein angeblich dessen Mitgründer John Schmidt an: "Harvey brüllte einfach 45 Minuten lang obszöne Beleidigungen und idiotische Aussagen so laut wie er konnte. Sachen wie: 'Unsere Raketen sind auf euch gerichtet! Wir werden sie auch abfeuern! Ihr werdet nicht wissen, wie euch geschieht! Ihr bringt einen Film raus, wir bringen drei. Wir lassen euch pleitegehen.'" Und zum zweiten Mitgründer Ray Bingham soll er gesagt haben: "Und Bingham, du wertloses Stück Scheiße, glaubst du wirklich, du kannst irgendwas? Fick dich. Du bist scheiße, ich könnte dich mit einem meiner schwächsten Fürze wegpusten."

"Wenn du kein Matt-Damon-Soufflé bist, dann wirft er dich beiseite"

Natürlich hatte Weinstein trotz allem noch treue Unterstützer wie Ben Affleck – der unter dem wachsenden Druck des Skandals inzwischen ein bisschen anders über ihn spricht. In Sex, Lies and Pulp Fiction zitiert Biskind Affleck: "Harveys Verhalten ist, als würde Queens nach Manhattan kommen." Weinstein stammt aus dem New Yorker Bezirk Queens, der einen Ruf für etwas rauere Umgangsformen hat als die "City". "Ich finde es irgendwie charmant", fuhr Affleck fort. "Vielleicht ist es nicht so charmant, wenn du derjenige bist, den er im Schwitzkasten hat, aber Harvey ist nun mal ein tougher Bastard und hat nicht die besten sozialen Kompetenzen. Und er hat kaum Zurückhaltung, seine Psyche ist ganz Ego. Aber Harvey ist nicht Suge Knight. Je nachdem, mit wem sie zu tun haben, verhalten sich Menschen unterschiedlich, und ich habe immer nur seine menschliche Seite zu Gesicht bekommen."

David O. Russell, der Regisseur von American Hustle, behauptet in dem Buch, er habe für Weinstein nie etwas übrig gehabt: "Seine Gier nach Macht und Ruhm haben ihm geschadet. Wenn er dich nicht sofort in seinen Mund stopfen und verschlingen kann, wenn du kein Matt-Damon-Soufflé bist, dann wirft er dich beiseite. Er verletzt alle." Der Kultregisseur Spike Lee findet da noch deutlichere Worte: "Es gibt da den Spruch 'God don't like ugly'. Die abgefuckte Scheiße, die er im Laufe seiner Karriere gemacht hat, wird sich eindeutig noch rächen. Er ist ein unehrlicher Schwanzlutscher. Ein fetter Bastard. Ein hinterhältiger, fetter Bastard!"

Letzten Endes scheinen die (noch verbliebenen) Vorstände der Weinstein Company der Logik gefolgt zu sein, die ein leitender Miramax-Angestellter Biskind darlegte: "Er hat eine schreckliche Tat zu viel begangen. Wenn die Katzenscheiße größer wird als die Katze, ist es Zeit, die Katze loszuwerden."

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