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I said what I said

Der Tag, an dem ich Schwarz wurde

Lange war ich so assimiliert, dass ich selbst rassistische Witze im Freundeskreis erzählte, nur um dazuzugehören. Ich musste erst 20 werden, bis sich alles änderte.
Foto von der Autorin zur Verfügung gestellt

Dieser Artikel ist Teil unserer Kolumne 'I said what I said'.

Erwachsenwerden ist für niemanden einfach. Jahr für Jahr verfliegt der Zauber von Dingen wie Weihnachten, Geburtstag und Urlaub. In meinem Fall war es der Zauber der Farbenblindheit, als ich realisiert habe, dass ich Schwarz bin. Ich weiß nicht, ob ich bis zu dem entscheidenden Moment die Realität verdrängt habe, oder ob es daran lag, dass man als Kind einfach unschuldiger, leichtgläubiger und naiver ist.

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Natürlich wusste ich, dass ich anders aussehe als die anderen Kinder. Meine Haut ist viel dunkler, meine Haare sind krause. Die meisten Mädels konnten sich gegenseitig mit Farbstiften die Haare bunt anmalen und Zöpfchen flechten. Ich nicht. Das ist eine der prägendsten Erinnerungen aus meiner Grundschulzeit. Klar wusste ich, dass einige Menschen irgendetwas gegen mich haben. Aber ich war einfach zu klein, um zu verstehen, warum das so ist. Könnt ihr verstehen, warum man Menschen, die anders aussehen, grundlos hasst? Wie erklärt man das einem Kind? Wie macht man einem Kind begreifbar, dass seine pure Existenz unerwünscht ist?


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Andererseits hätte man es mir rauf und runter erklären können, so wirklich realisiert habe ich Rassismus erst als Erwachsene. N*ger war anfangs keine Beleidigung für mich. Ich dachte, es wäre ein Spitzname, so wie man zu Elisabeths eben Lisi sagt. Auch, als ich dann verstanden habe, dass andere Kinder es benutzen, um mich zu beleidigen, dachte ich noch, es einfach einer dieser bösen Ausdrücke, die man als Kind halt nicht sagen darf, wie Arschloch oder blöde Kuh.

Den kongolesischen Schwarzen Teil in mir habe ich vollkommen ignoriert. Für mich war ich nicht Schwarz; vor allem nicht angesichts von allem, was dazu gehörte. Ich war keine von den Wilden, von den Hungernden und den Kriegsgeilen in Afrika. Eine Erinnerung, die mich noch heute beschäftigt, war eine Aufnahme in der Tagesschau, bei der eine Ordensschwester in weißem Gewand ein Schwarzes Baby in den Armen hielt – und ich mich als Kind verwundert fragte, wie es sein konnte, dass dieses Baby keinerlei Flecken auf der Schwester hinterließ. Ich hielt Schwarze Babys tatsächlich für schmutzig. Dieses Gefühl, zwischen den Stühlen zu stehen und einen Teil von sich selbst zu verleugnen, prägte mich damals ziemlich.

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Ich wuchs als Schwarzes Kind einer weißen Familie auf; mit Oma und Opa im bayerischen Chiemgau. Auf dem Land sah die Welt in den 90ern noch anders aus. Es gab in meinem Umfeld niemanden, der so aussah wie ich. Meine Hautfarbe war trotzdem nie ein Thema für meine Familie und ich hatte zu keinem Zeitpunkt Zweifel daran, dass meine Familie mich liebt. Da die Verwandtschaft meiner Mutter allerdings keine sonderlich gute Meinung über meinen Vater hat, war mein Kontakt zu seiner Kultur und Heimat jedoch so gut wie nichtexistent.

Mein Vater war für mich lange nur irgendein gesichtsloser Schwarzer Mann. Meine Mutter trennte sich kurz nach meiner Geburt von ihm, woraufhin er zuerst zurück in den Kongo und später nach Paris zog. Ich habe ihn bisher erst zwei Mal in meinem Leben getroffen; das erste Mal im Alter von 16 Jahren in Paris. Es war ein einziger großer Kulturschock für mich, der mir einmal mehr zeigte, dass ich nirgendwo so richtig dazugehörte. In Paris war ich das deutsche Mädchen, in Bayern war ich das Schwarze Mädchen. Es fühlte sich irgendwie unfertig an; nichts Halbes und nichts Ganzes.

Zuhause war ich Ministrantin, im Trachtenverein und machte mit den anderen Kindern Sport. Meine Oma versuchte ständig, mir ein normales Aufwachsen zu ermöglichen. Das reservierte Verhalten und die Abscheu, die mir einige Kinder entgegenbrachten, war für mich zwar spürbar, aber nicht auf Rassismus zurückzuführen. Ich dachte einfach, dass mit mir als Person etwas nicht stimmte; dass ich keines der coolen Kids war.

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Es war schwierig mit meiner Oma über meine Erfahrungen zu sprechen. Als weiße Frau in einem (abgesehen von mir) rein weißen Umfeld hatte sie bisher keinerlei Kontakt mit Rassismus gehabt. Dementsprechend fühlte ich mich sehr oft sehr alleine. Je klarer mir wurde, dass es die äußeren Unterschiede waren, wegen denen mich die anderen mobbten, umso mehr habe ich verzweifelt versucht, dazuzugehören. Ich habe mir die Haare geglättet und wollte mir fast die Haut bleichen. Vor allem habe ich einfach nicht verstanden, warum ich anders aussehe.

Und ja, ich habe auch kräftig mitgeschimpft. Über “die Asylanten”, die in der Gegend angeblich die Fahrräder klauen. Über “die Rumänen und Ungarn”, die den Sperrmüll einsammelten. Alles was nicht Deutsch war, war mir suspekt. Irgendwann war ich dann so assimiliert, dass es normal war, sich in meiner Gegenwart über “die Bimbos” und “die Busch-N*ger” auszulassen. Ganz ohne schlechtes Gewissen. Wenigstens war ich damit eine von ihnen.

Ich hatte sogar die besten Witze über Schwarze auf Lager. Was genau genommen kein Wunder war, wo ich sie über die Jahre doch ständig über mich ergehen lassen musste. Rassistischen Witze waren mein Türöffner. Klar hat es mich verletzt, wenn über meine Hautfarbe gelacht wurde. Aber zugleich war ich erfreut, zu hören, dass ich cool war, weil man mit mir immerhin darüber lachen konnte. Natürlich wurde keine Gelegenheit ausgelassen, um mich daran zu erinnern, dass ich trotzdem nicht wie alle anderen aussah und nie zur Gänze dazugehören würde. Ich wurde der “Quotenbimbo“. “N*ger, bums mich“ wurde mir mehr als einmal angeboten.

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Anfang 20 hatte ich dann eine handfeste Identitätskrise. Wenn ich in den Spiegel blickte, wusste ich, dass ich nicht weiß war; gleichzeitig war ich aber zu assimiliert, um es auf einer tiefergreifenden Ebene wahrhaben zu wollen. Eines Tages begann ich mein Studium an einem Internationalem Institut. Hier war ich nicht mehr die Dunkelste, die Einzige. In anderen Kursen traf ich haufenweise Studierende aus Afrika. Ich wurde magisch angezogen, war fasziniert von ihren bunten schönen Kleidern, vom Essen, von ihrer Kultur. Wir wurden Freunde. Für sie war ich eine von ihnen. Es war egal, dass ich ein wenig heller war oder kein Fufu kochen konnte. Wenn wir gemeinsam zu Afrobeats tanzten oder zusammen aus einem riesigen Topf aßen, fühlte ich mich zuhause. Diese Menschen haben mir bereitwillig ihre Türen geöffnet und mir den Zugang zu einer neuen Welt gezeigt. “Klar bist du eine von uns“, hieß es immer. “Vergiss deine Wurzeln nie“, haben sie oft gesagt. Es tat gut, über ähnliche Erfahrungen zu reden.

Ich begann, Malcolm X zu lesen. Ich besuchte einen Vortrag von Farid Hafez, der ein tolles Buch über Malcolm geschrieben hatte. Er sprach mir direkt aus der Seele. Er hat mir die Augen darüber geöffnet, wie ich mein Leben lang nur gelernt hatte, mich durch die Augen der weißen Gesellschaft zu sehen und mich zu hassen. Ich hasste meine Haare, weil sie nicht lang, blond und glatt waren. Ich hasste meine Haut, weil sie nicht hell genug war, um mit meinen Freundinnen Make-up in der Drogerie kaufen zu können. Ich hasste meinen Körper, weil er so kurvig und so anders als der der anderen Mädels war. Ich war mein ganzes bisheriges Leben lang einem Schönheitsideal nachgelaufen, das ich niemals erreichen konnte.

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Heute liebe ich meine Locken, meine Kurven, meine Haut. Und nicht nur ich. “Schwarz sein“ ist das neue Schwarz. Alle wollen dicke Ärsche haben, Boxerbraids tragen, Creolen und twerken lernen. Die internationalen Charts werden von Schwarzen Musikern dominiert. Wie es in der Chappelle’s Show schon hieß: “The black man in America is the most copied man on this planet, bar none. Everybody wanna be a n*gga, but nobody wanna be a n*gga.”

Als Women of Color in einer weißen Gesellschaft aufzuwachsen, bedeutet immer, nie ganz dazuzugehören. Sei es durch Mädchenmagazine, in denen ich verzweifelt Beautytipps für Schwarze gesucht habe, oder beim tausendsten “Nein” auf die Frage, ob mir jemand in die Haare greifen darf. Vor allem als Kind möchte man sich wiedererkennen – in den Büchern, die man liest und den Filmen, die man sieht, aber auch in den Produkten und Werbungen, die man vorgesetzt bekommt, und erst recht bei den Themen im Freundeskreis und natürlich in seiner eigenen Familie.

Rückblickend hätte ich mir mehr Informationen dazu gewünscht, wo mein Vater herkommt. Hätte ich mehr über seine Kultur gewusst, wäre mir kein so großes Puzzlestück in meinem Leben abgegangen. Solange man nur die Hälfte seiner Herkunft kennt, kann man niemals wirklich frei sein. Aber ich bin nicht hier, um über die Dinge zu reden, die man nicht mehr ändern kann. Und das hier soll auch kein Jammern sein. Im Gegenteil.

Wir, die Kinder, die so liebevoll als “Mischlinge“ bezeichnet werden, sind Brückenbauer zwischen den Kulturen. Durch unsere bloße Existenz zwingen wir unser Umfeld, über ihre Ansichten nachzudenken. Meine Erfahrung hat mir auch beigebracht, wie einfach man Kinder zu Rassismus erziehen kann. Es sind die kleinen, abfälligen Bemerkungen; das ewige Othering, mit dem man den Gruppenzusammenhalt stärkt. Gleichzeitig zeigt mir meine Vergangenheit im Dorf aber auch, dass nicht alle, die etwas Rassistisches von sich geben, von Grund auf böse sind. Die Abneigung gegenüber dem Fremden ist anerzogen und antrainiert; sie lebt von der Angst und wird genährt von Unwissenheit. Auch ich musste meine Vorurteile gegenüber anderen erst abbauen, die ich zuhause unterbewusst gelernt hatte. Mit dem Verurteilen von Vorurteilen kommen wir nicht weiter. Natürlich sollte es anders sein, aber diese Dinge sind Teil der Wirklichkeit – in viel zu vielen Familien und viel zu vielen Freundeskreisen. Lasst uns das ändern, indem wir es nicht mehr unter den Teppich kehren. Damit die nächste Generation zumindest ein Problem weniger beim Erwachsenwerden hat.

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