Wir waren mit dem Initiator des Rauchverbots in einer Raucherkneipe
"Einmal hat jemand meinen Kopf auf das Foto einer Terrorleiche montiert und es mit meiner Adresse im Internet veröffentlicht" | Alle Fotos: Eva L. Hoppe

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Rauchverbot

Wir waren mit dem Initiator des Rauchverbots in einer Raucherkneipe

Über 1.000 Menschen drohten, ihn zu töten. Freunde wandten sich ab: "Ich würde es wieder tun", sagt Sebastian Frankenberger.

Sebastian Frankenberger kommt in die Potsdamer Raucherkneipe und ruft "Servus!", als würde er den Musikantenstadl eröffnen. Drei mittelalte Männer halten sich an ihren Bieren fest, rauchen und haben sich nichts zu sagen. Es riecht nach Aschenbecher. Der Wirt schaut Fußball am Flatscreen. Keiner reagiert. Sie wissen offenbar nicht, wer Frankenberger ist. Wären wir in Bayern, hätte der Wirt ihm zur Begrüßung vielleicht einen Bierkrug an den Kopf geworfen – auch wenn es dort keine Raucherkneipen mehr gibt. Frankenberger sorgte persönlich dafür.

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2010 initiierten er und die Ökologisch-Demokratische Partei, ÖDP, den Volksentscheid zum Nichtraucherschutz. Die einen sagen, es sei sein Verdienst, die anderen: seine Schuld. Für Letztere wurde er deutschlandweit zur Hassfigur, auch weil seine Kampagne weitere Bundesländer ansteckte. Kurz nach dem Erfolg in Bayern starteten Nichtraucher-Initiativen in NRW, Hamburg und Berlin.

Die meisten Menschen, die einen Shitstorm erleben, trifft die volle Wucht des Hasses einige Tage, vielleicht Wochen. Sebastian Frankenberger taumelt seit acht Jahren durch einen Shitstorm. Über 1.200 Morddrohungen hat er in dicken Ordnern gesammelt. Noch immer kommen jeden Monat neue dazu. "Einmal hat jemand meinen Kopf auf das Foto einer Terrorleiche montiert und es mit meiner Adresse im Internet veröffentlicht", sagt er. Darunter stand: "Wer tut es ihm endlich an?"

"Das hat Spuren hinterlassen", sagt er. Er könnte ein Seminar dazu halten, wie man mit so viel Hass umgeht. Noch heute muss der 36-Jährige wieder und wieder die gleiche Frage beantworten: Warum hast du das gemacht?


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In Bayern galt 2008 der strengste Nichtraucherschutz Deutschlands: ohne Raucherräume, Raucherclubs oder andere Ausnahmen. Doch im gleichen Jahr ließ die CSU genau diese Ausnahmen wieder zu, um dem Koalitionspartner FDP entgegenzukommen. Frankenberger, ein unbekannter ÖDP-Politiker, Sportsakko-Träger und Fan der direkten Demokratie, sah seine Chance gekommen. "Wir wollten nicht nur alle vier Jahre ein Kreuz machen, um danach das Wahlschaf zu sein, das den eigenen Schlächter gewählt hat", sagt er. Die Mehrheit habe das strengere Rauchverbot eigentlich besser gefunden. Das perfekte Thema für ein Volksbegehren. "Außerdem habe ich, seit ich sechs bin, lange Haare und es hat mich gestört, wenn die nach Rauch stinken." Fast 1,3 Millionen Menschen trugen sich für das Volksbegehren ein. Weil der Landtag den Gesetzentwurf trotzdem ablehnte, kam es 2010 zum Volksentscheid "Nichtraucherschutz". Am Ende stimmten 61 Prozent der Wähler in Bayern für Frankenbergers ÖDP-Entwurf, gegen den Widerstand der mächtigen Tabaklobby, der Gastwirte und der Raucher.

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"Ich habe zum Glück ein relativ entspanntes Verhältnis zum Tod."

Seitdem sind Restaurant- und Kneipenbesuche für Frankenberger wie Zugfahren ohne Ticket: Hoffentlich erwischt mich keiner. Hoffentlich kein Rausschmiss. Auch jetzt wäre er lieber woanders, nicht umgeben von Wänden, gestrichen mit Nikotin. "Freiwillig würde ich hier nicht hingehen", sagt Frankenberger, aber setzt sich trotzdem und bestellt eine Orangensaftschorle. In seiner Heimat Passau, sagt er, könnte er das nicht tun: "Ich traue mich dort nicht mehr in die Öffentlichkeit." Inzwischen wohnt Frankenberger im österreichischen Linz, seine Wohnung ist alarmgesichert. Doch auch dort flog er letzten Sommer aus einem Wirtshaus. "Du blödes Arschloch, schleich di!", habe der Wirt gerufen. Für alle Fälle trägt Frankenberger immer Pfefferspray bei sich. Bei öffentlichen Veranstaltung schaut er, wer hinter ihm steht. "Ich habe zum Glück ein relativ entspanntes Verhältnis zum Tod", sagt er.

Aber wie konnte es überhaupt so weit kommen, dass Frankenberger ins Exil gehen musste? Nur wegen ein paar Glimmstengel und nur, weil er, wie er sagt, die Welt ein Stück besser machen wollte? Denn eigentlich sprechen die Zahlen für ihn. Immer weniger Menschen rauchen, 2015 griffen laut dem Drogen- und Suchtbericht der Bundesregierung nur noch rund acht Prozent der Jugendlichen zur Zigarette. Zehn Jahre davor war es noch fast jeder Zweite. "Es hat also wirklich etwas gebracht, ich würde es wieder tun", sagt Frankenberger. Er wisse aber, dass das nicht jeder verstehe.

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"Ich ecke gerne in Diskussionen an, weil wir nur so vorankommen. Auch wenn ich dadurch nicht immer geliebt werde." Jedes Mal, wenn er über die dunklen Seiten seines Lebens spricht, versucht er, das mit raumfüllendem Lachen zu entschärfen. Doch das macht das, was er als Nächstes sagt, nicht weniger bedrückend: "Ich habe eigentlich keine Freunde", sagt er. Nur noch Bekannte seien ihm geblieben.

Früher habe er in Freundschaften immer mehr als die anderen gegeben, erklärt er, solange ihn seine Arbeit nicht davon abhielt. Denn auch mit ihm sei es nicht immer unkompliziert: "Ich bin sehr extrem und melde ich mich längere Zeit nicht, wenn ich an einem Projekt dran bin. Danach falle ich in ein Loch." Da müsse man erst mal mithalten können. Stattdessen habe er für verschiedene Bedürfnisse verschiedene Bekannte und, um sich selbst zu hinterfragen, seit 2001 eine Therapeutin.

"Ich habe eigentlich keine Freunde"

Dass Michel Friedman ihn mal als personifizierte Spaßbremse bezeichnet hat, nennt Frankenberger "das größte Missverständnis über mich selbst". Klar, er sei Vegetarier, versuche, auf Kaffee zu verzichten, hat abgesehen von Messwein noch nie Alkohol getrunken und noch nie geraucht. Auch im Urlaub war er seit seiner Kindheit nicht mehr. Trotzdem sei er nicht der Typ, der den Menschen ihr Vergnügen verbieten will. Er hinterfrage einfach mehr als andere, sagt er.

Das habe er von seiner Mutter. Der Vater, zu dem das Verhältnis schwierig sei, habe ihn dagegen nie wertgeschätzt. "Deswegen habe ich ein Wertschätzungsproblem und schon in meiner Jugend viel gemacht, um welche zu kriegen." Mit 13 leitete er als Messdiener in Passau eine Gruppe von 30 Ministranten. Da habe er gelernt, was es heißt, ein Vorbild zu sein und – fast noch wichtiger – wie man sich inszeniert.

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"Um Leute zu begeistern, brauchst du einen dramatischen Aufbau", sagt Frankenberger, der manchmal in einen wippenden Sprachrhythmus verfällt, so als läse er eine Messe.

Angriffe aus den eigenen Reihen

Überhaupt darf man sich ihn im Gespräch nicht als Trauerklos vorstellen. Eher als Mischung aus aufgedrehtem Frühstücksfernsehen-Moderator, der seine Haare noch mal für die Fotos öffnet, und würdevollem Priester. Das Theatralische habe er sich im Gottesdienst abgeschaut, sagt er. "Später im Theologiestudium haben sie mir beigebracht, wie man schauspielert, und in der Politik, wie man Märchen erzählt." Das alles nutze ihm jetzt in seinem Hauptberuf als Fremdenführer, wenn er in barocken Gewändern Touristen durch Linz führt. "Infotainment zum Reflektieren", nennt er das. Es sei seine Mission, zum Nachdenken anzuregen, egal ob bei Führungen, oder eben bei einem Volksbegehren.

Nach seinem politischen Erfolg in Bayern stieg Frankenberger 2010 zum ÖDP-Bundesvorsitzenden auf. 200 Tage in Hotelzimmern, Vorträge im ganzen Land. Frankenberger hatte einen Run – zu schnell für manche Parteikollegen. Es gab Eifersüchteleien, er sei untragbar, solle Passau verlassen, sagten manche. "Mobbing", sagt Frankenberger, "das tat weh." Sein Magen rebellierte. Bevor er am Parteitag 2014 ans Rednerpult trat, übergab er sich. Seine ehemaligen Parteifreunde wählten ihn ab. Kurz darauf verließ er die ÖDP. Inzwischen erinnert nicht mal mehr die Seite nichtraucherschutz-bayern.de an ihn. Weil die ÖDP die Domain nicht verlängerte, macht dort heute jemand Werbung für Online-Casinos. "Gut, OK, dann ist das halt so", sagt Frankenberger und man spürt die Müdigkeit, die einen ergreift, der sich schon zu lange mit einem Thema beschäftigt.

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Frankenbergers Mittel gegen Hass

Wer sich so ausdauernd wie Frankenberger gegen Feinde stemmt, gibt irgendwann auf oder greift selber an. Frankenberger hat sich für einen dritten Weg entschieden und sich einen intellektuellen Panzer zugelegt. Der schützt seine Psyche, so wie ihn sein Paisley-Schal davor bewahrt, seine Fremdenführer-Stimme zu verlieren.

"Als Erstes frage ich mich, ist das konstruktive Kritik oder laden die Leute nur Frust ab, der nichts mit mir zu tun hat?", sagt er. Sein "Filter-Fell" nennt er das. "Zweitens: Es bringt nichts, sich alle Hasskommentare durchzulesen." Er schaue trotzdem, was Leute unter Artikel über ihn schreiben, um vorgewarnt zu sein, wenn die Stimmung kippt. "Drittens: Keiner darf mich kritisieren, der nicht weiß, wie es ist, an meiner Stelle zu stehen." Außerdem sagt Frankenberger: "Hass ist etwas, das du dir verdienen musst. Und wenn sich darin Neid ausdrückt, hast du was richtig gemacht." Und viertens: "Nur weil jemand rumschreit, hat er noch lange nicht Recht."

Trotzdem, sagt Frankenberger, müsse er gerade aufpassen, nicht im Burnout zu landen. Nicht, weil er noch nie im Urlaub war und 2017 nur an fünf Tagen nicht gearbeitet hat. Das brauche er nicht. Freizeit bedeutet für ihn, von einem Termin zum nächsten mit dem Auto durchs Donautal zu fahren und in der Ferne eine Burgruine zu sehen. Aber er stecke in einer Sinnkrise, weil er seit drei Jahren keine Politik mehr mache. "Ich weiß gerade nicht, wo ich hin soll, und das stresst mich total." Und er hat schon wieder Ärger. Frankenberger ist Sprecher der oberösterreichischen Fremdenführerbranche und will die Ausbildung modernisieren. Dass passe nicht jedem. "Ich hatte ein richtiges Down deswegen."

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"Ich habe, seit ich sechs bin, lange Haare und es hat mich gestört, wenn die nach Rauch stinken"

Kurz bevor sich Sebastian Frankenberger verabschiedet, sagt er, er wisse noch gar nicht, wo er als Nächstes hinfährt. Eigentlich habe er Führungen in Linz, aber in Österreich verlange ein altes Thema nach ihm: das Rauchverbot. "Wir haben ein Volksbegehren gestartet. Ich berate aber nur im Hintergrund", sagt Frankenberger, obwohl er dazu in österreichischen Medien auftritt. Warum tut er sich das nochmal an? "Ich bin da ganz entspannt. In Österreich tauge ich als Bayer eh nicht zur Galionsfigur."

Frankenberger sagt das so zuversichtlich, als glaube er wirklich, dass sich der Kampf um die Zigarette rational führen lässt. Währenddessen schicken ihm Menschen aus Österreich Nachrichten: "Wüste Beschimpfungen, ein paar Morddrohungen", sagt Frankenberger. Er schreibe dann freundlich zurück: "Wenn's dir nicht passt, mach halt ein Volksbegehren. Ich würde mir beim nächsten Mal etwas mehr Freundlichkeit wünschen." Das sei seine Standardantwort. Sein Filter-Fell, das keiner sieht.

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