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Drogen

Der erste LSD-Trip der Welt war eigentlich ziemlich beschissen

Notizen aus Albert Hofmanns Privatarchiv werfen neues Licht auf einen Schlüsselmoment aus den Anfängen des psychedelischen Zeitalters.
Ein Mann steht in einem bunten psychedelischen Bild
Albert Hofmann auf einer LSD-Pappe | Foto: Fabrice Coffrini | AFP | Getty Images

"Kaleidoskopartig sich verändernd, drangen bunte, phantastische Gebilde auf mich ein, in Kreisen und Spiralen sich öffnend und wiederschließend, in Farbfontänen zersprühend, sich neu ordnend und kreuzend, in ständigem Fluss."

Das ist Albert Hofmanns berühmte Schilderung seiner ersten bewussten LSD-Erfahrung im Jahr 1943, wie er sie in seinen 1979 erschienen Memoiren LSD – Mein Sorgenkind beschreibt. In dem Buch erzählt er, wie er vom Schweizer Chemiker zum prominenten Entdecker einer der bekanntesten psychedelischen Drogen wurde.

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Hofmanns legendärer LSD-Trip gilt heute als Entstehungszeitpunkt der modernen Drogenkultur und Heureka-Moment der Wissenschaft. Der trippende Chemiker, der auf LSD und Fahrradsattel in eine farbenfrohe Zukunft fährt, ist die Krippenszene der Acid-Heads. Jedes Jahr am 19. April, dem sogenannten "Bicycle Day", wird das Ereignis überall in der Welt mit Paraden, Konzerten, Partys und Umzügen gefeiert. Das Bild des fahrradfahrenden Hofmann ziert Tausende LSD-Pappen.

Aktuell zeigt die schweizerische Nationalbibliothek in Bern eine Ausstellung zu Hofmanns Entdeckung. LSD. Ein Sorgenkind wird 75 stellt unter anderem Dokumente aus Hofmanns Privatarchiv aus, die die Universität von Bern vor Kurzem erstanden hat. Darunter findet sich auch ein Bericht, den der Chemiker drei Tage nach seinem ersten LSD-Trip für seine Vorgesetzten beim Pharmaunternehmen Sandoz verfasst hatte.

Und wie sich dort zeigt, war der erste Acid-Trip der Welt vor allem eins: ein nicht enden wollender Albtraum.

Hofmanns erster Trip war ein Zufall

Albert Hofmanns Schilderungen von 1943 unterscheiden sich in einigen Teilen grundlegend von denen, die er 1979 in seinen Memoiren beschreibt.

Der Chemiker beginnt seinen Bericht am 16. April, drei Tage vor dem eigentlichen Ereignis. Während der Arbeit im Chemielabor überkommt Hofmann ein Schwindelgefühl. Er schiebt sein Unbehagen darauf, dass er Lösungsmittel eingeatmet hat. Dann geht er nach Hause, um sich in einem abgedunkelten Zimmer hinzulegen. Dort versinkt er "in einen nicht unangenehmen rauschartigen Zustand", der sich durch eine stark angeregte Fantasie auszeichnet.

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"Art und Verlauf dieser Störung" lassen ihn auf eine "toxische Einwirkung" schließen. Drei Tage später entschließt er sich zu einem Selbstversuch mit der Substanz, die er nach einigen Überlegungen für seinen Zustand verantwortlich macht: Lysergsäurediethylamid, kurz LSD.

Am Morgen des 19. April synthetisiert Hofmann 0,5 Milliliter der Substanz. Um 16:20 Uhr nimmt er mit einem Glas Wasser die kleinste Dosis ein, von der er sich eine Wirkung verspricht: 250 Mikrogramm. Um 17 Uhr wird ihm wie bei seinem letzten Versuch schwindelig. Er entscheidet sich dazu, begleitet von seiner Laborantin mit dem Rad nach Hause zu fahren.


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Während dieser inzwischen legendären Fahrt nimmt die Wirkung weiter zu. "Ich hatte größte Mühe klar zu sprechen und mein Gesichtsfeld schwankte und war verzerrt wie ein Bild in einem verkrümmten Spiegel", schreibt er damals – ähnlich wie in seinen 1979 erschienen Memoiren. "Auch hatte ich das Gefühl, nicht vom Fleck zu kommen, während mir nachher meine Laborantin sagte, dass wir ein scharfes Tempo gefahren seien." Als die beiden bei Hofmann zuhause ankommen, lässt er einen Arzt rufen.

Die Wirkung überwältigt ihn bald. Hofmann schreibt: "Schwindel, Sehstörungen, die Gesichter der Anwesenden erschienen mir wie farbige Fratzen, starke motorische Unruhe, wechselnd mit Lähmungen; der Kopf, der ganze Körper und die Glieder dünkten mich zeitweise schwer, wie mit Metall gefüllt; in den Waden Krämpfe, Hände zeitweise kalt empfindungslos; auf der Zunge metallischer Geschmack; Kehle trocken, zusammengezogen; Erstickungsgefühl; abwechselnd betäubt, dann wieder klares Erkennen der Lage, wobei ich zeitweise als außerhalb mir selbst stehender neutraler Beobachter feststellte, wie ich halb wahnsinnig schrie oder unklares Zeug schwatzte."

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Es ist nicht verwunderlich, dass Hofmann glaubt, verrückt zu werden oder zu sterben. Mit 250 Mikrogramm war die Dosis extrem hoch. Außerdem wusste er vorher nicht, was genau ihn bei Einnahme der Substanz erwarten würde. Aus Angst vor einer Vergiftung trinkt Hofmann "alle irgendwie beschaffbare Milch, im Verlaufe des Abends insgesamt zweieinhalb bis drei Liter".

Als der Arzt Walter Schilling eintrifft, ist "der Höhepunkt der Krise bereits überschritten". Doch auch die Aufzeichnungen des Arztes beschreiben Hofmanns motorische Störungen und nervöse Stimmung. Allerdings kann Schilling keine körperlichen Probleme bei seinem Patienten feststellen: "Sein Herzschlag war regelmäßig (…) sein Puls war durchschnittlich, seine Atmung ruhig und tief."

36 Jahre später schreibt Hofmann: "Jetzt begann ich allmählich, das unerhörte Farben- und Formenspiel zu genießen, das hinter meinen geschlossenen Augen andauerte." In seinem ursprünglichen Bericht ist von Genuss keine Rede: "Ausgeprägt waren noch die Sehstörungen (…) Dazu war alles in wechselnde, unangenehme, vorwiegend giftig grüne und blaue Farbtöne getaucht. Bei geschlossenen Augen drangen ständig farbig, sehr plastische und phantastische Gebilde auf mich ein."

Gemeinsam mit dem behandelnden Arzt sieht Hofmann Ähnlichkeiten zu Symptomen, die "nach übermäßigem Gebrauch von Pervitin (Methamphetamin)" und anderen Aufputschmitteln auftreten.

Am nächsten Morgen "war die Welt wie neu erschaffen", heißt es in Hofmanns Memoiren. Sein Bericht liest sich dagegen etwas nüchterner. Er fühle sich zwar wieder gesund, aber noch etwas mitgenommen. Auf Anraten seines Arztes bleibt er den ganzen Tag im Bett.

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Auch im Wehrdienst experimentiert Hofmann weiter mit LSD

Obwohl der erste LSD-Trip ein verstörender und anstrengender Horrortrip war, wusste Hofmann, dass er etwas Außergewöhnlichem auf der Spur war. Ihm war keine Substanz bekannt, die bei einer derartig winzigen Menge eine solche Wirkung entfaltete. "Die toxische Dosis von Pervitin liegt in der Größe von Zehntelgrammen, ist also etwa tausendmal größer als beim d-Lysergsäurediethylamid", schreibt er.

Noch im gleichen Jahr nimmt Hofmann drei weitere Male LSD. In den Jahren darauf folgen weitere Selbstversuche. Seine Erfahrungen hält er in bislang unbekannten Berichten fest, die er damals an seinen Vorgesetzten bei Sandoz schickt. Die Dosen sind erheblich kleiner. Die 250 Mikrogramm seines Initialrausches betrachtet er bis zum Ende seines Lebens als massive Überdosierung.

Hofmann leistet während des Zweiten Weltkriegs seinen Wehrdienst. Durch die Neutralität der Schweiz ist er von Kampfeinsätzen verschont. Der Chemiker ist in Claro, im Kanton Tessin, stationiert – in der Nähe von Mussolinis Italien.

Am 29. September nimmt Hofmann in der Nähe seiner Kaserne eine geringe Dosis von 20 Mikrogramm. Danach trinkt er Kaffee und Grappa mit den anderen Soldaten und spielt Kicker und Billard. Als die Wirkung einsetzt, versinkt er in seine Gedanken. Hofmann geht ins Bett. Vor seinen Augen spielen sich Bilder ab und er nimmt ein warmes, behagliches Gefühl wahr.

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Bei seinem zweiten Experiment am 2. Oktober nimmt er am Abend kurz vor dem Schlafengehen die gleiche Dosis ein. Dieses Mal ist sein Trip allerdings weit weniger angenehm: "Ich hatte verstörende Träume", schreibt Hofmann. Er sieht eine grässlich verstümmelte Frau mit abgetrennten Armen und ausgebrannten Augen. "Meine Gefährten dachten, ich sei verrückt geworden, und ich konnte sie nicht vom Gegenteil überzeugen", schreibt er.

Am 31. Oktober 1943, einem Sonntag, hat Hofmann keinen Dienst und versucht sich an einer größeren Dosis. Nach dem Mittagsschlaf nimmt er 30 Mikrogramm LSD. Er fühlt "leichten Schwindel, Schüttelfrost, Übelkeit, einen leicht metallischen Geschmack in meinem Mund" und geht wieder ins Bett. Dort verspürt er eine "Stimulation in der Genitalregion". Hofmann gerät in einen "schläfrigen Zustand", während ihm "verstörende, unheimliche Phantasmen, zum Teil sinnliche Visionen" durch den Kopf gehen. Um 22 Uhr steht er auf, um Kekse und Schokolade zu essen.

Im folgenden Jahr beginnt Sandoz, LSD an Tieren zu testen. Hofmann synthetisiert eine Reihe von Varianten, die sich jedoch als weniger psychoaktiv erweisen. Einige seiner Kolleginnen und Kollegen erklären sich zu Selbstversuchen bereit.

Am 17. Januar 1946 berichtet Hofmann von einem weiteren LSD-Experiment an sich selbst. Dieses Mal kann er sich zum ersten Mal etwas entspannen. Nach einer Dosis von 30 Mikrogramm setzt er sich zu Hause in einen Armsessel und ist fasziniert von "den wunderschönen Farben der Tischplatte (…) wunderbar warmen Tönen, die von orange zu blutrot zu violett wechselten", schreibt er. Rorschach-Bilder bereiten ihm ebenfalls große Freude. Eine halbe Stunde lang studiert er die abstrakten Tintenkleckse. Endlich erlebt Hofmann mit seinem Problemkind etwas wohlverdiente Wohlfühlzeit.

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Am Ende erlebt jemand anderes den ersten psychedelischen Trip

Den ersten wirklich psychedelischen Acid-Trip erlebt allerdings der Psychiater Werner Stoll. Über seinen Vater Arthur Stoll, der gleichzeitig Hofmanns Vorgesetzter ist, kommt er in Besitz der Substanz. Er entscheidet sich für eine Dosis von 60 Mikrogramm: doppelt so viel wie bei den jüngeren Experimenten, aber nur ein Viertel von dem, was Hofmann am Fahrradtag "besiegt" hatte. Wie sich herausstellte, genau die richtige Menge.

In einem abgedunkelten Raum liegend sieht Stoll tanzende abstrakte Formen und Muster. "Es war ein Emporschießen, Kreisen, Strudeln, Sprühen, Regnen, Kreuzen und Umranken in ständigem jagendem Fluss", schreibt er in seinem Aufsatz "Lysergsäure-diäthylamid, ein Phantastikum aus der Mutterkorngruppe". Der Text erschien 1947 in einer psychologischen Fachzeitschrift. Die Bilder werden immer klarer: "Bogen, Bogenreihen, Dächermeere, Wüstenlandschaften, Terrassen, flackernde Feuer, Sternenhimmel von ungeahnter Pracht." Seinen Gemütszustand beschreibt Stoll als "bewusst euphorisch".

Die alljährlichen Feierlichkeiten zum "Bicycle Day" wären für Albert Hofmann 1943 absolut undenkbar gewesen. Von der Vorstellung von LSD als Mittel zur persönlichen Erkenntnisgewinnung oder zum Erreichen spiritueller Transzendenz war man damals weit entfernt.

Ende der 1940er befand sich LSD gerade erst am Anfang einer langen, abgedrehten Reise: vom Research-Chemical zur psychiatrischen Wunderdroge, vom Gehirnwäschewerkzeug zum Wegbereiter von Ich-Auflösung, kosmischer Erkenntnis und einer kulturellen Revolution.

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