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Zwischen Homoerotik und Sexismus: Als Transgender-Frau in der Männer-Spielerkabine

Unsere Autorin erzählt, was sie als Mädchen im Körper eines Jungen mit der Macho-Kultur in der Umkleidekabine zurecht kam.
Photo by Chad Cooper/CC BY 2.0

Mich hat neulich jemand gefragt, ob ich in der Schule auch Theater gespielt habe. Worauf ich nur meinte: „Oh ja, ich habe damals rund um die Uhr Theater gespielt." Eigentlich habe ich aber Sport gemacht: Und zwar Fußball, Basketball und Leichtathletik. Was kein Wunder war, weil ich aus einer sportbegeisterten Familie komme.

Während wir aufwachsen, lernen Transgender wie ich früh, welche gesellschaftliche Rollen wir zu erfüllen haben.

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Zu sehen, dass ganze Bundesstaaten und manche Schulbezirke ihr Recht einklagen, Transgender-Jugendliche in die Umkleidekabinen ihres bei der Geburt festgelegten Geschlechts zu zwingen, bricht mir das Herz. Ich habe es selber kaum in den Umkleiden während meiner Highschool-Zeit ausgehalten und ich war noch nicht mal geoutet. Transgender-Kinder und -Jugendliche in die für sie gefühlt falschen Kabinen zu drängen, bedeutet jede Menge Schmerz und eine zerstörerische Geschlechterwahrnehmung, die sie ein Leben lang mit sich rumschleppen werden.

Ich habe als Teenagerin unter meiner Geschlechtsidentitätsstörung stark gelitten. Geschlechtsidentitätsstörung ist ein medizinischer Ausdruck für das Gefühl vieler Transgender, in einem Körper zu leben, der nicht ihrer eigenen Geschlechtsidentität entspricht. Das hat aber nie meine sportliche Leistung beeinträchtigt. Ganz im Gegenteil: Für mich auf dem Feld zu stehen, war ein Gefühl der Befreiung. Endlich ging es in meinem Kopf nicht mehr um mein Geschlecht, sondern nur darum zu gewinnen. Es gab nur den Ball, den Gegner und mich. Für Gender-Kopfzerbrechen und Selbstmordgedanken war auf dem Platz schlicht und einfach kein Platz. Ich war einfach nur ich selber, und nicht ein Junge, der klammheimlich ein Mädchen war.

Doch sobald Schlusspfiff oder Schlusssirene ertönte, begann wieder meine persönliche Hölle als Transgender-Mädchen: die Umkleidekabine der Jungen.
Bei Teamsportarten geht es nicht nur darum, gut zu spielen. Es spielt auch das soziale Gefüge dahinter eine große Rolle. Und bei Jungs besteht dieses soziale Gefüge aus verschiedenen Stufen von Männlichkeit. Ein ständiger Wettkampf darum, allen zu zeigen, wer das Alphatier ist. Die Gewinner in diesem Wettkampf bekommen Macht und Respekt von ihren Gleichaltrigen. Und die Besten sogar von offizieller Seite, indem sie zum Beispiel zum Kapitän ernannt werden. Denn Coaches stehen auf Charaktereigenschaften wie „Leadership". Und die sind in ihren Augen oft mit männlichem Auftreten verknüpft.

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Foto: Daniel Oines/CC BY 2.0

Und dann natürlich Muskeln. Warum wirkte es so, dass sich alles in der Jungenumkleide nur um Muskeln drehte? In meiner Highschool in Massachusetts sind Jungen andauernd oberkörperfrei über das Schulgelände stolziert und haben ihre Muckis spielen lassen. Ich erinnere mich noch an den einen Tag, als ich vor einem Leichtathletikwettkampf in der Umkleide wartete. Ich hatte mir schon—so schnell ich nur konnte—mein Outfit angezogen. Ich zog mein Shirt nie vor anderen Leuten aus. Dafür war ich wegen meiner Brust viel zu unsicher.

Als ich gerade aus der Umkleide wollte, kam mir mein Kumpel Jim entgegen, halb-nackt, wie eigentlich immer. Er ließ mal wieder seine Brustmuskeln hüpfen. Rechts, links, rechts, links. Das Spektakel war für den Rest von uns bestimmt, eine kleine Demonstration maskuliner Dominanz. Jim war besser gebaut und fitter als wir alle—und musste uns in einer Tour daran erinnern. Wenn ich als heterosexuelles Cisgender-Mädchen geboren worden wäre, hätte ich Jimmys Körper und seine selbstbewusste Art bestimmt attraktiv gefunden. Doch stattdessen war ich viel zu eingeschüchtert und ängstlich, um mir seinen Körper genauer anzuschauen, aus Angst, dass mich jemand für schwul halten könnte—der ultimative Knockout für die eigene Männlichkeit in diesen Kreisen.

Dennoch, obwohl Schwulsein bei uns eigentlich nicht akzeptiert war, lag in unserer Umkleide andauernd eine homoerotische Spannung in der Luft. Ich habe mich oft gefragt, ob ich die als einziger wahrgenommen habe. Fast so, als würde etwas mit mir nicht stimmen, was meine Wahrnehmung in der Kabine betraf. Mittlerweile weiß ich: Diese Spannung gab es definitiv, und sie hat das viele Sticheln und Aufziehen unter den Jungs noch angestachelt. Für mich war dieser Punkt der wohl unangenehmste von allen.

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Ich erinnere mich noch ganz genau an die eine Szene in der Kabine, als einer unserer Anführer, Joe, bis auf seine Boxershorts nichts anhatte und er einen der älteren Schüler zu sich rief: „Hey Brian, ich hab' hier was für dich!" Dann spreizte er die Beine und zeigte sein bestes Stück. Brian kniete sich hin, zwinkerte mich an und tat so, als würde er Joe einen blasen.

Neben mir waren noch ein paar andere Jungs in der Kabine. Keiner sagte was, alle schauten nur zu. Brian kam Joes Körper immer näher, bis er plötzlich seinen Kopf nach hinten riss und jeden einzelnen von uns angrinste. „Reingefallen, ihr habt gedacht, dass ich Joe wirklich einen blase!" Am Ende zeigte er mit dem Finger auf mich. „Dir hat das doch am meisten gefallen, oder K? Du hättest gerne mit mir den Platz getauscht, gib's zu! Bei dir würde Joe bestimmt nicht nein sagen."

Ich spürte, wie ich knallrot wurde. Ich wollte einfach nur raus, wusste aber, dass das verdächtig wirken könnte. Also nahm ich all meinen Mut zusammen und brachte ein piepsendes „Brian, werd einfach mal erwachsen!" heraus. Was ziemlich ironisch aus dem Mund einer 15-Jährigen unter all den 18-Jährigen gewirkt haben muss.

Auch wenn die Situation damals gut ausging, sind mir die Geschichten aus der Kabine als Beispiele einer Männlichkeitskultur in Erinnerung geblieben, die ich bis heute nicht verstehe—und die mich ziemlich traumatisiert haben. Ich verspürte keinerlei Verlangen, auch so zu werden wie die Älteren in meinen Teams. Gleichzeitig hatte ich Schiss davor, aufzufliegen. Darum versuchte ich verzweifelt, die Rolle eines pubertierenden Jungen so gut es ging zu spielen. Ich wollte dazugehören, auch wenn mir das sehr schwer fiel.

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Foto: Flickr-User natintosh/CC BY-ND 2.0

Das lag vor allem daran, wie die Jungs in der Kabine über Mädchen sprachen. Mädchen waren Besitztümer, die man anzuschauen hatte und die es zu erobern galt. Was Mädchen nicht waren: Menschen mit Gefühlen und Emotionen.

Die Trainingseinheiten am Montag waren die schlimmsten, weil sich die Jungs darin überboten, wer die krassesten Womanizer-Geschichten zu erzählen hatte. Derjenige, der die heißeste „Braut" „klären" konnte, stand in der Hierarchie der Gruppe ganz weit oben. Je größer der Frauenverschleiß, desto männlicher war man, lautete das Kabinenverdikt. Während fast meiner gesamten Highschool-Zeit hatte ich eine feste Freundin. Weiter als Petting gingen wir zwar nie, doch in der Kabine konnte ich das natürlich keinem erzählen. Und noch eine logische Schlussfolgerung wurde mir bewusst: Wenn man möglichst viele Frauengeschichten auftischen musste, damit man männlich genug ist, konnte ich meinen Teamkameraden natürlich nicht beichten, dass ich eigentlich gar kein Mann war!

Weiblichkeit war etwas, das aus sicherer Distanz bewundert wurde, das aber unter Jungs etwas war, das unter allen Umständen vermieden werden musste. Weiblichkeit bedeutete Sanftheit, und Sanftheit im Sport bedeutete, dass man sich an Spieltagen auf der Bank wiederfand. Coaches mögen aggressive Spielweisen und belohnen sie auch. Je härter man in die Zweikämpfe geht, desto mehr Respekt hat man von seinen Mitspielern und seinem Trainertram sicher. Für „weibliche" Eigenschaften ist da natürlich kein Platz.

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Männlichkeit ist zu einem gewissen Grad auch ein sozialer Akt, der vollzogen werden muss—und der für mich umso wichtiger war. Wer als zu feminin wahrgenommen wurde, drohte, ausgegrenzt zu werden. Also musste ich schauspielern, um zu überleben. Nur war das in meinem Fall noch schwerer, weil ich ja eh nie ein Junge bzw. ein Mann war.

Manchmal habe ich dabei auch Fehler gemacht. Bevor ich mit meinem Highschool-Sweetheart zusammenkam, habe ich ein Mädchen aus einer anderen Stadt gedatet, die genau einmal meinen Penis in ihren Mund genommen hat. Ich wusste, dass das etwas war, das mir in der Kabine Respekt verschaffen würde—auch wenn ich den Gedanken, etwas so Persönliches zu teilen und den Ruf des Mädchens gegen ein paar (wertvolle) Männlichkeitspunkte einzutauschen, abstoßend fand. Ich wusste, was von mir erwartet wird, ich wusste aber auch, was ich von dem System hielt. Einerseits hatte das mit meinen Vorstellungen von Moral zu tun, andererseits wusste ich—ganz tief im Inneren—, dass ich—in einem anderen Universum—auch eines von diesen Mädchen sein könnte, über die sich die Jungs ihr Maul zerrissen.

Erst viele Wochen später erzählte ich meinen Jungs von meiner Oralsex-Erfahrung—natürlich in der Kabine. Ich wurde sehr anschaulich in meiner Beschreibung. Zu anschaulich, wie sich herausstellen sollte. Meine Geschichte wurde mal mit „Das ist nicht passiert!", mal mit „Du bist zu weit gegangen, K!" quittiert. Ich verstand die Welt nicht mehr. Warum wurde ich nicht mit Lob dafür überschüttet, dass ich eine Sexgeschichte zum Besten gab? Der „Fehler" lag in meiner Erzählweise. Jungs neigen zu einer sehr nüchternen, lapidaren Wiedergabe ihrer Heldentaten. Während sie Dinge sagten wie „Erst machte sie das, dann machten wir das", habe ich darüber berichtet, wie es sich für mich und für sie angefühlt hat.

Die Sache ist, wir alle spielen in gewisser Hinsicht eine Gender-Rolle—mit typischen Handlungen, die wir mit der Zeit als Mädchen und Jungen gelernt haben. Die Umkleidekabine ist dabei ein wichtiger Ort. Ein Ort, an dem das andere Geschlecht nicht vertreten ist. Für Jungs gilt also, dass sie hier lernen, wie sie zu „echten" Männern werden.

Ich bereue es nicht, mit Sport aufgewachsen zu sein. Der Sport hat mir dabei geholfen, aufs College zu kommen und eine gute Arbeitsmoral zu entwickeln. Der Sport hat mir meine Geschlechtsidentitätsstörung ein Stück weit leichter gemacht, mir zumindest ein paar Stunden Erleichterung pro Woche beschert. Aber nicht alles in Bezug auf Sport ist gesund, und für mich waren die Erfahrungen der Umkleidekabine verdammt schädlich. Das wurde auch nicht besser, als ich älter war. Darum habe ich nach meinem ersten Jahr auf dem College auch mit Leistungssport aufgehört.

Auch später—als ich nicht mehr Tag ein Tag aus in der Umkleide mit der Angst „aufzufliegen" leben musste—spürte ich die Nachwirkungen meiner Sportlerzeit. Nachwirkungen einer vergifteten Wahrnehmung davon, wie Weiblichkeit von Männern beurteilt und bewertet wird. Ich habe mir selber das Leben zur Hölle gemacht mit der Frage, ob meine Weiblichkeit ausreichen würde, dass man(n) mir abkauft, eine Frau zu sein. Noch heute bewegen mich Details der sozialen Interaktion. Wie etwa die Tatsache, dass Frauen häufiger anfassen und vor allem angefasst werden als Männer. Ich weiß noch genau, was in der Kabine bei Joe und Brian ungeschriebenes Gesetz war: lachen ja, anfassen nein. Heute erlebe ich ständig, wie jemand seine Hand auf meinen Arm, meinen Rücken oder sogar meinen Hintern legt. Vor allem bei Männern schockt mich das. Wie können sie glauben, jetzt das Recht dazu zu besitzen, wo doch jede Form der Berührung früher Auslöser für Scham und Spott war?

Ich habe das Gefühl, dass es nicht nur Transgendern so geht. Die Macho-Kabinenkultur—gepaart mit dem Drang vieler Männer, bloß nicht als zu weiblich rüberzukommen—ist ein genauso hartnäckiges wie omnipräsentes Phänomen. Wie populär es momentan ist, besonders männlich/aggressiv/großspurig rüberzukommen, zeigen die erschreckenden Wahlerfolge von Donald Trump. Ich bin überzeugt davon, dass den meisten Männern bewusst ist, wie herablassend und destruktiv eine solche Verhaltensweise ist. Doch der Druck, sich anzupassen, nicht aufzufallen, ist vielen einfach zu groß. In gewisser Hinsicht lassen sie die Umkleidekabine nie hinter sich.