Ich habe den Valentinstag in einem Puff verbracht

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Sex

Ich habe den Valentinstag in einem Puff verbracht

Fühlen sich Single-Männer am Valentinstag genau so einsam wie Frauen? Ich habe einen Abend in einem Bordell verbracht, um das herauszufinden.

Die Autorin hat es sich in einem der Zimmer bequem gemacht. Alle Fotos von Rebecca Colquhoun

Das Le Boudoir ist eins der wenigen Bordelle in der australischen Metropole Melbourne, das komplett von Frauen geführt wird. Jill, die seit 40 Jahren in dem Geschäft tätig ist, hatte das Haus 1998 eröffnet. Sie ist eine sehr direkte aber gutmütige Dame—mit irgendwelchem Unsinn brauch man ihr auf jeden Fall nicht zu kommen. Nachdem wir uns ein paar mal getroffen hatten, lud sie mich und meine Fotografin dann dazu ein, den Valentinstag in ihrem Etablissement zu verbringen. Ich hatte schließlich ein paar Fragen auf dem Herzen, die nur in einem Bordell beantwortet werden konnten.

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Man nimmt ja allgemein schon an, dass Frauen der Valentinstag wichtig ist und Männern eher nicht. Als Single und Bartenderin verbringe ich einen Großteil meiner Zeit damit, die zwischenmenschlichen Traditionen anderer Paare zu beobachten, anstatt eigene zu etablieren. Und ehrlich gesagt, sieht es von meiner Seite der Bar nicht wirklich so aus, als ob ich dabei viel verpassen würde. Der Valentinstag spielt für mich keine große Rolle und einsam fühle ich mich auch nicht. Ich kenne allerdings auch nicht gerade wenige Single-Frauen, bei denen das genau anders aussieht. War das Einsamkeitsgefühl am Valentinstag also wirklich so geschlechtsspezifisch? Stimmt es, dass einsame Männer eigentlich nur ficken wollen? Oder hat der Valentinstag vielleicht gar keine Auswirkungen auf die Sexindustrie? Ich hoffte, dass mir dieser Bordellbesuch ein paar der Fragen beantworten würde.

Das Le Boudoir von außen

22:35 Uhr

Das Le Boudoir befindet sich in dem viktorianischen Industrie/Hipster-Stadtteil Collingwood, gut behütet zwischen einer kleinen Gasse und der Rückseite eines Porschehändlers.

Ein paar Überwachungskameras am Eingang

Nachdem wir den Laden durch den Haupteingang betreten hatten, fanden wir uns in einem üppig ausgestatteten Empfangsraum mit zwei dekadenten Sofas und viel Gold wieder. Obwohl sonst niemand zu sehen war, fühlte ich mich ziemlich underdressed. Gibt es überhaupt einen Dresscode für den Bordellbesuch? Ich betätigte die Klingel und eine Rezeptionistin ließ uns in die eigentlichen Räumlichkeiten. Der Deal hier ist folgender: Die Männer kommen von draußen in diese Art Wartezimmer, wo sie dann über die Videoanlage von den Angestellten beäugt werden. Diese entscheiden dann darüber, ob sie die potenziellen Kunden in den Laden lassen oder nicht. Sofort musste ich daran denken, was sich in diesem Raum wohl für Unterhaltungen zwischen den Wartenden abspielen.

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Die Telefone im inneren Empfangszimmer. Die Rezeptionistin ruft damit die Frauen in ihren Zimmern an, wenn die Zeit ihrer Kunden abgelaufen ist

22:40 Uhr

Sobald wir drinnen waren, bekamen wir von der Rezeptionistin, einer älteren Dame mit perfekt sitzender Frisur und einem warmen Lächeln, eine kleine Führung. Ein Zimmer war besser als das andere. Der ganze Laden war von einem opulenten elisabethanischen Flair durchzogen, der allerdings etwas im Kontrast zu dem ständigen Klingeln der Telefone und der Playlist mit DJ Snake und Zara Larsson stand. War das gerade etwa „Habits" von Tove Lo? Ja, doch!

Samt und Seide sind das A und O

22:42 Uhr

Die Rezeptionistin, die gerne anonym bleiben möchte, führte uns in das Personalzimmer. „Das ist der einzige Ort, an dem ihr bleiben könnt. Die anderen Zimmer sind nämlich alle in Benutzung", klärte sie uns auf, während sie die Monitore der Überwachungskameras nicht aus den Augen ließ. „Kleinen Moment, ich bin sofort wieder da." Sie ging raus, um draußen das Telefon abzunehmen.

Le Boudoir hat sechs Arbeitszimmer, vier oben und zwei unten. Es gibt zwei Wartezimmer: eins öffentlich und eins privat. Wir konnten über die Überwachungsmonitore beide Räume beobachten, durften aber auf Anweisung der Rezeptionistin unseren Raum unter keinen Umständen verlassen, weil wir sonst die Kunden verschrecken würden. Die Mädchen würden zu ihren jeweiligen Pausen zu uns reinkommen, wo wir dann die Gelegenheit haben würden, ihnen ein paar Fragen zu stellen. Bis dahin hieß es warten.

Was auf dem Monitor zu sehen war

23:00 Uhr

Die Kamerabilder waren faszinierend. Ich konnte dabei zuschauen, wie Männer in den zweiten Raum vorgelassen wurden, wo sie dann nach und nach den Frauen vorgestellt wurden, bis sie sich für eine entschieden. Das war der Moment, in dem jede der Frauen ihre Vorzüge bewarb und, wenn nötig, Grenzen feststeckte. Man konnte sehen, wie jede der Frauen bei diesem Vorstellungsritus automatisch in ihre Rolle verfiel. Sie alle schienen unglaublich selbstbewusst zu sein und in keinem Moment die Zügel aus der Hand zu geben—angefangen bei der Art, wie sie gingen, bis hin zu der Art, wie sie sich hinsetzten. Während ich gebannt auf die Monitore starrte, merkte ich, dass hier gleichermaßen Kunstfertigkeit wie Schau am Werk war.

Ich folgte jedem neuen Paar mithilfe der Kameras die Treppen hoch, zum jeweiligen Zimmer bis zur Tür.

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Die Autorin macht sich nützlich

23:18 Uhr

Die Zeit verging nur langsam, also entschied ich mich dazu, ein paar frisch gewaschene Handtücher zu falten, die sich in einem Wäschekorb auf dem Boden des Dienstzimmers befanden. So etwas mache ich eigentlich noch nicht mal zu Hause. Ich wechselte mich mit Rebecca, meiner Fotografin, damit ab, die Monitore zu beobachten.

Phoenix wollte nicht fotografiert werden, deswegen gibt es stattdessen ein Bild von der Hauswäscherei

23:24 Uhr

Endlich kam eine 28-jährige Frau mit kurzen blonden Haaren und einer kurvenreichen Figur zu uns rein. Ihr Name war Phoenix und sie erzählte uns, dass sie lediglich hier arbeiten würde, um Grundkapital für eine eigene Geschäftsidee anzusparen. Sie berichtete außerdem, dass sie erst seit zwei Tagen hier arbeiten, den Job aber jetzt schon lieben würde. Sie hatte außerdem eine Theorie, dass die Typen hier nicht nur auf Sex aus sind. „Da draußen gibt es jetzt so viel Scheiß mit Tinder und dem ganzen Zeug. Die Leute bekommen doch leicht was zum Vögeln", sagte sie. „So eine richtig gute Beziehung aber bekommt man nur schwer und die Männer sind auf der Suche danach—auch am Valentinstag."

Adalines Schuhe

20 Minuten später kam eine weitere Frau namens Adaline in das Zimmer. Sie war die mit Abstandenthusiastischste Person, mit der wir die ganze Nacht über sprechen sollten. Sie war zierlich gebaut, hatte lange, braune Haare und mir fiel sofort auf, wie leger sie es sich auf der Couch gemütlich machte. Wir begannen über ihrer spannendsten Erfahrungen zu sprechen und sie erquickte uns mit der Erzählung von einem Typen, der immer bellt, wenn er zum Höhepunkt kommt.

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Die Unterhaltung ging aber schon bald dazu über, was sie während ihrer Zeit im Le Boudoir gelernt hat. Sie berichtete von den Einblicken, die die Sexarbeit ihr in Sachen Beziehung ermöglicht hatte. „Wir bekommen hier viel von den Streitereien zu hören, die die Männer mit ihren Partnerinnen haben", sagte sie. „Als ich einen Freund hatte, konnte ich seinen Standpunkt dadurch immer ganz gut verstehen, wenn ich nach Hause kam. Die Arbeit hier hat mir also dabei geholfen, diese Außenperspektive für mein eigenes Liebesleben zu erlangen."

Ich finde es immer wieder bewundernswert, wie Sexarbeiterinnen wie Adaline es schaffen, nebenher auch noch eine romantische Beziehung zu führen. Ich persönlich glaube nicht, dass ich das hinbekommen würde, aber ich kann verstehen, wie diese Frauen das meistern. Für sie existiert eine starke Trennung zwischen Sex und wahrer Intimität—etwas, das manche Kunden sogar besonders reizvoll finden.

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00:00 Uhr

Es war Valentinstag und ich war umgeben von Escorts, frisch gewaschener Wäsche und ein paar wirklich interessanten Kameramonitoren. Dieser Tag wird zukünftige Partner auf jeden Fall schwer zu toppen sein.

Josies Rücken

00:25 Uhr

Josie, 45, erzählte mir, dass sie mit ein paar Unterbrechungen seit 20 Jahren in der Sexindustrie arbeiten würde. Und genau wie Phoenix war auch sie der Meinung, dass ihr die Arbeit im Bordell dabei geholfen habe, ein paar Vorurteile zu überwinden. „Wir tragen alle diese Masken des gesellschaftlich Akzeptierten, die uns von Kindheit an, antrainiert wurden", sagte sie. „Wenn man mit Fremden intim wird, wie wir das hier ständig machen, kommt man ziemlich schnell hinter diese Maske."

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Ich fragte sie, ob sie der Meinung sei, dass sich der Valentinstag auf die Sexarbeit auswirken würde. Sie pausierte kurz, um sich ein paar Haare ihres Ponys aus den Augen zu streichen. „Es ist gut für Menschen, die sich bei diesem Valentinsmist ausgeschlossen fühlen, dass sie hierherkommen können", sagte sie nachdenklich. „Wir sind doch alle irgendwo verletzliche Tiere, selbst oder gerade in der Liebe." Sie erzählte mir, dass ihr letzter Freier—also der vor gerade mal fünf Minuten—wollte, dass sie so tut, als ob sie in ihn verliebt wäre. „Es war komisch, aber es war seine Fantasie. Er sagte mir sogar, dass er möchte, dass ich die Mutter seiner Kinder werde. Also ich mag Fantasien ja. Ich gebe mir richtig Mühe, sie zu erfüllen. Die Sache mit den Fantasien ist nur die, dass sie in der Regel auch irgendwann vorbei sind."

Badezimmerutensilien

In diesem Moment schaute die Rezeptionistin rein und Josie eilte nach draußen zu ihrem nächsten Kunden. Der war gerade aus der Dusche gekommen und wartete oben auf sie.

Raine in Pink

00:40 Uhr

Ich war etwas überrascht, den ganzen Abend über nur Positives über Männer zu hören. Raine, eine Frau mit einem sanften Auftreten und großen Brüsten, hatte dann aber eine andere Meinung. „Pornos sind zu leicht zugänglich", sagte sie mir, bevor sie mir dann erklärte, wie geschädigt ein paar ihrer Kunden sein können. „Man merkt, welche Männer davon betroffen sind, weil sie ihre Vorstellung von Sex, Frauen und Beziehungen aus Pornos haben. Ihnen fehlt eine gewisse Menschlichkeit und menschliche Verbindung zur Liebe."

Der Kaffeetisch im Personalzimmer zu fortgeschrittener Stunde

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01:00 Uhr

Nach unserem Gespräch mit Raine beendeten wir unseren Besuch im Bordell. Gefolgt von den Blicken der wartenden Männer machten wir uns auf den Weg in Richtung Ausgang. An der Rezeption merkte ich dann, dass es dort einen weiteren Bildschirm und einen Buzzer gibt, der mit den Telefonen in jedem Raum verbunden ist. Darüber wird den Frauen bescheid gegeben, wenn ihre Zeit abläuft. Unsere Zeit im Le Boudoir war jetzt auch vorbei.

01:11 Uhr

Der Valentinstag im Le Boudoir war dann doch geschäftiger gewesen, als wir gedacht hatten. Während meiner Zeit im Personalzimmer, als ich die Gedanken der kommenden und gehenden Frauen in unseren Gesprächen aufschnappte, wurde mir irgendwann klar, dass Bordelle doch aus wesentlich komplexeren Gründen existierten, als ich ursprünglich erwartet hatte. Adaline hatte diese Tatsache vielleicht am besten auf den Punkt gebracht: „Diese Typen wollen Gesellschaft und wir sind dazu da, sie ihnen zu bieten. Die ganze Industrie lebt von Menschen, die einsam sind."

Auf dem Weg nach draußen