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Jemanden in seiner Selbstmordabsicht zu bestärken, kann strafbar sein

Nach wie vor sterben in Österreich doppelt so viele Menschen durch Selbstmord wie durch Verkehrsunfälle.

Foto: Gerald Gabernig | flickr | CC BY 2.0

Die Leiden des jungen Werther von Johann Wolfgang Goethe erschien 1774. Am Ende des Buches (Achtung Spoiler!) nimmt sich Werther das Leben, was zu einem Schlüsselereignis des Werks, aber auch der Sturm-und-Drang-Zeit generell wurde und seither zahlreiche Selbstmorde getriggert haben soll, weshalb man heute noch vom Werther-Effekt spricht. Dieser Effekt wird immer noch als Erklärung herangezogen, wenn es darum geht, ob Medien über Suizide berichten sollen oder eben nicht. Mittlerweile weiß man, dass insbesondere reißerische Berichterstattung ein Problem darstellt und zu Nachahmungen führt, während weniger sensationsträchtige Meldungen keine Auswirkungen haben und Berichte über die Bewältigung von suizidalen Krisen sogar positiv wirken und zu einem Rückgang führen können.

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Während die meisten Medien sicherheitshalber von dem Thema Abstand nehmen, wenden sich Suizidgefährdete an Gleichgesinnte und diskutieren online ausgiebig über Methoden, Dauer und Schmerzen. Sie beraten sich, geben sich Tipps. Nach wie vor sterben in Österreich doppelt so viele Menschen durch Selbstmord wie durch Verkehrsunfälle—ganz zu schweigen von den Versuchen, deren Zahl auf 10 bis 30 Mal so hoch geschätzt werden.

Was dabei kaum jemandem bewusst ist: Bereits der Austausch über Suizid kann in Österreich im Einzelfall strafbar sein. In § 78 StGB „Mitwirkung am Selbstmord" heißt es zum Beispiel: „Wer einen anderen dazu verleitet, sich selbst zu töten, oder ihm dazu Hilfe leistet, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen."

Ich habe mich mit einer Juristin (die aufgrund des Themas nicht namentlich genannt werden möchte) darüber unterhalten, was das konkret bedeutet. „Wenn man anderen Tipps zu Selbstmordmethoden gibt, kann das als ,Verleiten' gelten", erklärte sie mir. „Eine Hilfeleistung würde voraussetzen, dass man eine konkrete Handlung unternimmt—zum Beispiel, indem man auf Bitten des Selbstmörders hin den Gashahn aufdreht oder entsprechende Medikamente für ihn besorgt. Auch der Versuch, jemanden zum Selbstmord zu verleiten, kann eine strafrechtliche Verfolgung nach sich ziehen. Das heißt, selbst wenn die Person überlebt oder ihr Vorhaben nicht durchzieht, könnte man dafür belangt werden."

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Noch kritischer wird die Situation, wenn es sich um einen Minderjährigen handeln sollte, mit dem man spricht. „Unsere Rechtsordnung spricht Unmündigen einen ernstzunehmenden Sterbewillen ab. Es geht davon aus, dass Minderjährige und zurechnungsunfähige Personen nicht abschätzen können, welche Tragweite ihre Handlung letztendlich hat." Die Folge wäre, dass der Täter sich womöglich für Mord verantworten müsse; denn bei Unterstützung unmündiger Selbstmörder käme nach der aktuellen Rechtsprechung § 75 StGB „Mord" zur Anwendung—auch, wenn der Beratende selbst noch minderjährig ist.

Ich erinnerte mich an diverse Online-Foren, die ich als Teenager besuchte. Natürlich waren die Seiten alle in schwarz mit roter Schrift und furchtbar theatralisch. Ich selbst las zwar nur und beteiligte mich nicht an Diskussionen. Trotzdem überrascht es mich, nun zu hören, dass man theoretisch für die eine oder andere Aussage vor Gericht landen könnte.

Der Fall Michelle Carter

In Massachusetts wird aktuell vor Gericht über Michelle Carter verhandelt, die 2014 ihren Freund zum Selbstmord verleitet haben soll. Die 17-Jährige hat dem ein Jahr älteren, volljährigen Conrad Roy hunderte Nachrichten geschrieben, in denen sie ihn dezidiert dazu auffordert, „es" endlich durchzuziehen. Schließlich überwand er seine Zweifel und wurde mit einer Kohlenmonoxidvergiftung tot in seinem Pick-Up-Truck auf einem Parkplatz aufgefunden.

Die Nachrichten, die im Prozess vorgelesen wurden, lassen Carter als kaltblütige Narzisstin erscheinen, die gerne die Rolle der zurückgelassenen, leidenden Geliebten spielen wollte. Ihr Anwalt rechtfertigte ihre Aussagen, in denen sie ihn regelrecht dazu drängte, sich das Leben zu nehmen, damit, dass der depressive Roy sie über die zwei Jahre andauernde Beziehung einer Gehirnwäsche unterzogen hat und sie am Ende tatsächlich davon ausging, es würde sich um die einzige Möglichkeit für ihn handeln. Als Beweis brachte er die anfänglichen Nachrichten vor, in denen Carter noch versuchte ihm zu helfen und davon abzuhalten.

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Fälle in Österreich

„Beim Fall Michelle Carter ist die große Schwierigkeit, dass es in Massachusetts, anders als in Österreich, kein Gesetz gibt, das die Mitwirkung am Selbstmord explizit unter Strafe stellt", sagte mir die in Wien tätige Juristin. In Österreich wäre die Sache eindeutiger, wobei hier nur selten derartige Fälle vor Gericht kommen. Zwischen 1935 und 2007 behandelte der Oberste Gerichtshof nur 13 Fälle, in denen es um „Mitwirkung am Selbstmord‟ ging. Im letzten Fall von 2007 verkaufte jemand online Medikamente, die zum Suizid geeignet waren und gab laut Entscheidungstext „detaillierte Anweisungen zur Durchführung‟. Laut österreichischem Recht kommt dem menschlichen Leben ein „besonderer Schutz- und Achtungsanspruch" zu, demnach sollte man sich wirklich überlegen, über welche Themen man sich austauscht und welche Folgen das nach sich ziehen kann - und ich rede hier nicht nur von den juristischen.

Hilfe

Bleibt noch die Frage zu klären, ob es nicht wirklich sein kann, dass jemand der Meinung ist, Selbstmord sei für sie oder ihn der letzte Ausweg. Um das herauszufinden, habe ich mit Marlies Matejka von der Telefonseelsorge 142 Kontakt aufgenommen und nachgefragt, wie es sich auf eine Person auswirkt, wenn jemand, der einem nahesteht, mit Suizid droht.

„Nicht nur für junge Menschen, aber natürlich für sie am allermeisten, ist das eine sehr große Herausforderung und oft eine Überforderung", teilte sie mir mit. „Ein wichtiger Punkt ist, dass man als Angehöriger oder Freund beziehungsweise Freundin mit den Suizidgedanken eines anderen nicht alleine bleibt. Eine erste Möglichkeit ist, dass sich die Helfer Hilfe bei anonymen Notrufdiensten oder Kriseninterventionszentren Unterstützung holen: Was kann ich tun? Wo sind meine Grenzen? Wofür bin ich verantwortlich? Wie kann ich den Betroffenen motivieren, Hilfe anzunehmen?"

Statt sich online Tipps zu geben oder zu holen, sollte professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden. Sowohl Menschen mit Selbstmordgedanken als auch Vertrauenspersonen, die mit solchen Andeutungen konfrontiert sind, können sich unter anderem auf www.kriseninterventionszentrum.at oder www.telefonseelsorge.at beraten und helfen lassen.