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Popkultur

Eine Expertin erzählt, was passieren würde, wenn russische U-Boote Internetkabel durchtrennen

Eine Expertin für Massenkommunikation erklärt, ob wir uns Sorgen machen müssen, dass Putin uns das Internet stehlen könnte.

Das russische Atom-U-Boot Juri Dolgoruki | Foto: Imago | ITAR-TASS

Wir vergessen schnell (wenn du es überhaupt wusstest), dass das Internet sich hauptsächlich in großen, am Meeresgrund vergrabenen Kabeln befindet. Kilometer über Kilometer von Glasfasern, die 95 Prozent unserer täglichen Kommunikation und weltweite Geschäftsumsätze im Wert von 10 Billionen Dollar transportieren. Wenn jemand genug von diesen Kabeln durchtrennen würde, wäre unsere moderne Welt verloren. Online-Banking würde der Vergangenheit angehören, dein Smartphone wäre nur ein Handy und Enzyklopädienverkäufe würden wieder in die Höhe schnellen. In anderen Worten, es wäre die Hölle auf Erden.

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Diese Sorgen sind meist nicht so unmittelbar, doch in letzter Zeit haben die Aktivitäten des russischen Militärs solche Ängste geschürt. Laut einem Artikel in der New York Times diesen Sonntag operieren russische Spionageflugzeuge und U-Boote „auf aggressive Weise in der Nähe der unerlässlichen Seekabel, die fast die gesamte Internetkommunikation der Welt transportieren". Amerikanische Nachrichtendienste befürchten laut dem Artikel, diese Aktivität könne darauf hindeuten, dass die Russen nach Schwachpunkten suchen, weil sie in Erwägung ziehen, die Kabel irgendwann in der Zukunft zu kappen.

Es beruhigt die Gemüter natürlich nicht, dass das Verhältnis zwischen dem Westen und Russland seit dem Kalten Krieg nicht mehr so angespannt war, wie jetzt. Mit seinen militärischen Plänen in der Ostukraine und Syrien hat Wladimir Putin den Vereinten Nationen getrotzt. Wie weit die Spannungen mit den USA reichen, hat das vorsichtige Treffen zwischen Putin und Obama Ende September gezeigt.

Wie wahrscheinlich ist es also, dass Russland die Seekabel durchtrennen würde, und was würde in diesem Fall passieren? Um diese Frage zu beantworten, haben wir Nicole Starosielski, Dozentin für Medien, Kultur und Kommunikation an der New York University befragt. Sie ist auch die Autorin des Buchs The Undersea Network (Duke University Press), zu dem ein interaktives digitales Kartenprojekt gehört, bei dem Leser Kabelrouten nachzeichnen, Fotos und Archivmaterial ansehen und Geschichten über die Kabelknotenpunkte lesen können. Frau Starosielski hat uns ein bisschen beruhigt.

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VICE: Russische U-Boote und Spionageschiffe führen laut New York Times „aggressiv" Einsätze in der Nähe der für die globale Internetkommunikation unerlässlichen Seekabel durch. Es gibt immer mehr Sorge, die Russen könnten die Kabel an schwer zugänglichen Orten kappen. Auf einer Skala von 1 bis 10, wie sehr sollten wir uns alle deswegen ins Hemd machen?
Nicole Starosielski: Ich glaube nicht, dass wir uns deswegen ins Hemd machen müssen. Zumindest sollten wir uns vorher ganz andere Sorgen machen, bevor wir an die russische Bedrohung des westlichen Internetverkehrs denken. Die Kabel verlaufen entlang gewisser Routen, die regelmäßig von Naturkatastrophen oder den Ankern von Fischerbooten gestört werden. Solche Dinge durchtrennen mehr Kabel, als es je Fälle absichtlicher Beschädigung gegeben hat.

Was bräuchte es, um Kabel in diesen „schwer zugänglichen" Orten zu kappen? Irgendwie glaube ich nicht, dass ein paar Taucher mit Bolzenschneidern ausreichen würden.
Es bräuchte nicht viel, um in der Tiefsee Kabel zu durchtrennen. Sie können genau so einfach und mit denselben Mitteln gekappt werden wie Kabel in seichteren Gewässern. Dazu reicht ein Anker, ein Enterhaken oder jeder große, scharfe Gegenstand, der über den Meeresboden gezogen wird. Das wäre eigentlich viel einfacher, als Taucher mit Bolzenschneidern hinunterzuschicken.

Wladimir Putin in einem Mini-U-Boot bei der Erkundung eines vor der Krim gesunkenen alten Handelsschiffs im August 2015 | Foto: Imago | ZUMA Press

Kannst du uns im Detail erklären, was passieren würde, wenn wir zum Beispiel morgen aufwachen würden und diese unerlässlichen Kabel wären durchtrennt? Wird das Internet verschwinden? Werden wir uns mit anderen Menschen auseinandersetzen müssen, anstatt auf unsere Smartphones zu starren?
Das hängt wirklich davon ab, wo diese Kabel sind und wie viele von ihnen durchtrennt wurden. Kabelbrüche sind eigentlich ziemlich normal—im Durchschnitt kommt alle drei Tage einer vor. Doch in den meisten Fällen kann der Traffic umgeleitet werden. Als der Tsunami 2011 einige Seekabel in Japan durchtrennte, blieb das Land online, zum Teil, weil es dort so unglaublich viele internationale Verbindungen gibt. In anderen Fällen, zum Beispiel bei Ländern, die nur ein paar Kabel haben, könnte ein einziger Durchbruch katastrophal sein. Es hat ein paar Fälle gegeben, in denen wegen durchtrennter Kabel das Internet ausgefallen ist. Das Erdbeben von Hengchun hat 2006 einige Kabel in der Nähe von Taiwan durchtrennt und damit vielen den Anschluss ans Internet genommen, finanzielle Transaktionen gestört und andere wichtige Systeme zum Erliegen gebracht. In den USA müsste man aber zum Beispiel sehr viele Kabel durchtrennen, bevor sich jemand deswegen mit Fremden unterhalten müsste.

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MOTHERBOARD: Massenüberwachung als Geschäftsmodell

In dem Artikel in der Times heißt es, diese Kabel würden „täglich globale Geschäftsumsätze im Wert von 10 Billionen Dollar transportieren, darunter Aktivität von Finanzinstituten, die in jeder Sekunde über sie Transaktionen durchführen." Was bedeutet ein Durchtrennen dieser Kabel für uns in finanzieller Hinsicht? Sollten wir alle unser Geld unter der Matratze aufbewahren? Werden unsere EC-Karten nutzlos sein?
Stephen Malphrus, der Personaldirektor des Rats der US-Zentralbank, hat gesagt, wenn die Kabelnetzwerke gestört werden, dann „kommt der Finanzdienstleistungssektor nicht langsam zum Stillstand, sondern er steht sofort". Wenn das Seekabelnetzwerk aufhören würde zu funktionieren, dann würde das nicht nur die Verbindungen zwischen großen Finanzinstituten stören, sondern auch viele unserer alltäglichen finanziellen Transaktionen. EC-Karten eingeschlossen. Online-Banking käme gar nicht in Frage. Doch wie gesagt, diese Durchtrennungen gibt es bereits regelmäßig und die Auswirkungen sind in Regionen mit wenigen Kabeln viel häufiger spürbar.

Abgesehen von Spionageflugzeugen, wie überwachen die USA diese Art von Aktivität?
Die Kabel werden zum Großteil nicht überwacht. Sie erstrecken sich über Tausende Kilometer im Ozean, und das ist einfach zu viel, um es zu überwachen. Kabelfirmen versuchen schon seit mehr als einem Jahrhundert mit allen möglichen Methoden, ihre Kabel zu überwachen, zum Beispiel mit Hubschraubern, patrouillierenden Booten, und so weiter. Doch das hat nicht verhindert, dass Boote in Küstengebieten sie immer wieder durchtrennen.

Wenn die Russen das täten, würden sie damit nicht ihre eigene Internetkommunikation stören? Was hätten sie davon?
Ja, das ist definitiv ein Problem. Jemand aus der Branche hat mir einmal gesagt, heutzutage Kabel zu durchtrennen, sei, wie wenn man den Ast absägt, auf dem man sitzt—die eigenen Netzwerke werden ebenfalls gestört. Wenn ein russisches U-Boot mehrere Kabel durchtrennen würde, die in die USA verlaufen, dann würde das nicht nur die USA betreffen. Die Staaten sind ein riesiger Knotenpunkt im globalen Kommunikationssystem, also wären die Auswirkungen global spürbar. Wenn ein Land, ob Russland oder ein anderes, einfach nur vorhätte, den weltweiten Einsatz digitaler Medien zu stören, dann wäre das vielleicht eine effektive Methode. Aber es ist keine gezielte.

Ist es nicht ein bisschen altmodisch, dass unsere gesamte Dateninfrastruktur durch riesige Unterwasserkabel verläuft?
Ja, es ist schon altmodisch, denn Seekabel gehören zu den ältesten globalen Kommunikationstechnologien. Zwar sind die Telegrafenleitungen aus Kupfer gegen schnelle Glasfaser ausgetauscht worden, doch die Verlegung erfolgt noch fast genau so wie vor 150 Jahren. Oft verlaufen sie auch entlang derselben Routen. Kabel transportieren Datenverkehr schneller und günstiger als Satelliten, also ist es unwahrscheinlich, dass wir sie so bald hinter uns lassen.

Warum werden die Routen der Kabel nicht besser bewacht oder geheim gehalten?
Die größte menschliche Bedrohung des Kabelsystems ist noch nie internationale Sabotage gewesen; sie stellt eine Anomalie in der Geschichte der Kabelstörungen dar. Die größte Bedrohung kommt von Booten, die unabsichtlich Anker oder Netze auf die Kabelsysteme fallen lassen. Manche Kabelfirmen geben jährlich Hunderttausende Dollar aus, nur um diese Störungen zu beheben. Der beste Schutz gegen diese Bedrohung ist die Veröffentlichung der Kabelrouten, sodass Fischer und andere Boote sie nicht versehentlich beschädigen. Militärkabelrouten hingegen werden geheim gehalten.