Wir haben Stockholms Vororte in Flammen aufgehen sehen

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Wir haben Stockholms Vororte in Flammen aufgehen sehen

Jetzt brennen auch in Schweden Autos! Aber die Frage ist, sind das echte Rebellen oder einfach nur hirnlose Brandstifter? Wir sind da hingefahren und haben ein paar rebellierende Vorstadtkinder gefunden, aber keine Revolution.

Diese Woche schien es, als ob sich die britischen Ausschreitungen von 2011 im Stockholmer Vorort Husby wiederholten. Nachdem ein Mann von der Polizei vor ein paar Tagen erschossen wurde, kam es zu Demonstrationen, die komplett außer Kontrolle gerieten. Aufstände und Brandstiftung verbreiteten sich rasch in etlichen Stockholmer Vororten. Am Freitag sind es schon sechs Tage, die die Unruhen nun anhalten, und sie haben sich auf 15 verschiedene Vororte ausgeweitet.

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Gelangweilt von den immer gleichen sensationsgeilen Nachrichten darüber, wie verrückt und gefährlich die Vorstädte mittlerweile seien, schnappten wir uns eine Kamera und begaben uns ins berühmt-berüchtigte Husby.

Zu Allererst fuhren wir durch Husby, Jakobsberg, Akalla und Tensta, die allesamt gespenstisch ruhig waren. Das Einzige was wir fanden, waren irgendwelche Typen mit Kapuzenpullovern, die ziellos umher irrten. Aber alles in allem waren die Vororte recht verlassen.

Beweise für die Gewalt der letzten Nacht fanden wir in Form ausgebrannter Autowracks.

Nach ein paar Stunden sichteten wir eine gigantische Rauchwolke am Horizont. Es war nicht ganz einfach, aber wir haben es geschafft, sie bis auf einen Parkplatz, mitten im Vorort Rinkeby zurückverfolgen.

Hier hatten sich mehrere hundert Anwohner um fünf brennenden Autos versammelt. Als wir uns zu der Menge dazugesellten um die Feuerwehrmänner beim Löschen der Wracks zu beobachten, fragten uns ein paar der Kinder warum wir denn Fotos machen.

„Das ist absolut nicht lustig,“ sagt mir einer von ihnen.

„Ich will nur herausfinden warum das passiert und wer das war,“, versuche ich ihm zu erklären.

„OK, aber egal was du tust, schreib bitte nicht das das hier irgendwelche Aufstände sind. Das ist es nämlich ganz und gar nicht.“

Ich fragte ihn, ob er weiß, wer das war. Seine Freunde fingen an zu lachen.

„Hier geht nur das weiter, was davor in Husby los war. Ich glaube nicht, dass irgendjemand aus Rinkeby damit was zu tun hat.“

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Als sie gehen, nähert sich uns eine andere Gruppe Kinder. Auch sie sagten mir, dass ich nichts Negatives über das schreiben soll, was hier gerade passiert. Die Anwohner würden sich niemals gegenseitig die Autos anzünden. Ich fragte die Truppe, was sie denn von der ganzen Situation halten.

„Das Feuer ist ziemlich cool. Aber natürlich auch ziemlich furchtbar“, erzählt mir einer.

Dann treffe ich Max, einen 16-jährigen, der im Nachbarvorort Tensta wohnt. Er erzählt mir, dass er gerade Fußball spielte, als er den Rauch am Himmel sah.

„Ich finde das alles scheiße, weil meine Freunde die Polizei hassen, aber ich eigentlich sehr gerne irgendwann selber Polizist werden will, wenn ich groß bin,“ sagt er, „aber wegen solchen Sachen könnte das vielleicht schwer werden.“ Neben ihm steht ein 11-Jähriger aus Rinkeby. Er meinte, dass er schon zum vierten Mal neben irgendwelchen brennenden Autos steht.

„So was passiert hier ziemlich oft, aber aus irgendeinem Grund berichten die Zeitungen jetzt darüber.“

Eine Polizistin versuchte die Leute vom Feuer fernzuhalten. Plötzlich fing irgendein Typ an, sie anzuschreien. Sie sagt ihm, dass was auch immer er gerade gesagt hat (und wir nicht verstanden haben), illegal ist. Das half nicht wirklich ihn zu beruhigen.

„Du verdammte schwedische Hure!“ ruft er ihr zu, während die Anderen versuchen, ihn zu beruhigen.

„Ich bin hier, um sie vor dem Feuer zu schützen!“ antwortet sie. Als der Typ sich weiterhin wie ein Arschloch benimmt, müssen die anderen Passanten ihn wegzerren.

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Ich gehe zu der Polizistin und frage sie, ob so etwas öfter passiert.

„Ständig“, sagt sie mir und sieht dabei so aus, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen.

„Warum verhaften sie ihn nicht einfach?“, frage ich.

„Ich glaube der Mann ist krank. Vielleicht geht es ihm nicht gut. Solche Sachen müssen wir dann einfach ignorieren. Gerade jetzt, wenn ganz Stockholm in Flammen steht.“

Sie erzählt mir weiterhin, dass sie rund um die Uhr im Einsatz ist, seit die ersten Ausschreitungen gemeldet wurden und das sie mittlerweile ziemlich fertig ist.

„Wir sind hier um den Menschen zu helfen und sie zu beschützen. Dann kommt es zu Situationen, wo sich solche Kerle einfach nur furchtbar aufführen. Das macht einen schon fertig.“

Nachdem das Feuer gelöscht war, versammelten sich die Leute um die Autowracks. Ich fragte ein paar Kinder, ob sie irgendetwas gesehen hätte oder wüssten, wer das getan hat. Eines der Kinder sagte mir, dass ursprünglich nur ein Auto brannte und das Feuer dann auf die anderen übergriff. Sein Freund unterbrach mich: „Weiß nichts, sage nichts, höre nichts.“ Und dann gingen sie.

Wir machten gerade ein paar Fotos, als eine Frau auf uns zukam und uns anschrie, wir sollten keine Fotos von den Anwohnern machen, weil sie schon so viel Mist von den Medien aushalten müssten. Sie sagte uns, dass das Feuer nichts mit den Aufständen zu tun hat.

Die Leute veerschwanden kurz nachdem das Feuer gelöscht war. Als wir zu unserem Auto zurück liefen—in der Hoffnung, dass es noch da und nicht in Brand gesteckt wurde—fragte eine alte Frau lautstark die Kinder: „Ist jetzt alles in Ordnung?“ Ein paar der Mädchen antworteten: „Es war schon immer alles in Ordnung. Das ist im Vergleich zu anderen Ländern ja gar nichts.“

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Wir setzten uns ins Auto, aber als wir gerade losfahren wollten, hörten wir, dass eine Schule in Tensta brannte.

Wir kamen zur gleichen Zeit wie ein paar andere Reporter an. Ein Polizist sagte uns, wir sollten vorsichtig sein, denn die Hügel um der Schule herum seien perfekt, um Steine herunter zu werfen. Es war mittlerweile dunkel und die Polizisten hatten ihre Kampfausrüstung an. Wir sahen zu, wie die Feuerwehrmänner in die Schule einbrachen und das Feuer löschten. Es war ein bisschen schwierig, Luft zu kriegen.

Plötzlich verschwanden alle Journalisten. Sie waren alle mit Polizeifunk ausgetstattet. Wir schauten in Online-Foren und auf Twitter nach, was passierte. Es wurde langsam spät und als wir gerade zum Auto gingen, fanden wir heraus, dass die Brandstifter jetzt im südlichen Vorort Älvjö ihr Unwesen getrieben hatten.

Auf dem Weg nach Älvjö kam uns ein Feuerwehrwagen entgegen. Wir folgten ihm bis nach Hagsätra, wo zwei weitere Autos brannten. Wir lasen online von Gerüchten, laut denen die Feuerwehrleute keine Feuer mehr löschen sollten, weil es nicht mehr sicher für sie sei.

Einige Anwohner standen um die brennenden Autos herum und wunderten sich, warum niemand das Feuer löschte. Ein Mann hatte seinen eigenen Feuerlöscher mitgebracht. Er sah richtig aufgebracht aus, aber wollte nicht mit uns reden. Wir hatten langsam das Gefühl, dass wir nicht erwünscht waren und unsere Kamera die Leute provozierte, also fuhren wir stattdessen nach Älsvjö.

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Hier waren die Feuerwehrleute damit beschäftigt, ein Gebäude, dass sowohl eine Bibliothek als auch eine Polizeiwache beherbergte, zu löschen. Auch die Fenster der benachbarten Bank waren eingeschlagen.

Als wir ins Auto sprangen, verhörten Polizisten gerade ein paar Typen. Die Polizei hatte zwei Baseballschläger beschlagnahmt. Es war mittlerweile kurz nach Mitternacht und als wir wegfuhren, sahen wir mindestens zehn Polizeiwagen auf einem Parkplatz. Wir stiegen aus dem Auto und fanden heraus, dass zwei Leute wegen dem Feuer in der Bibliothek und der Polizeiwache festgenommen worden waren.

Die nächste brennende Sache, die wir in dieser Nacht bewundern sollten, war eine Grundschule im nordwestlichen Bezirk Kista. Wir brauchten ein bisschen länger, um hinzukommen und rammten auf dem Weg fast sowohl einen Hirsch als auch einen Fuchs. Wir sahen im Internet, dass zwei Schildkröten, die den Schulkindern gehörten, in dem Feuer umgekommen waren.

Als wir ankamen war das Feuer unter Kontrolle gebracht worden. Ein paar Anwohner sahen es angewidert an. Ein Feuerwehrmann sagte uns, dass das sein erstes Feuer heute Nacht war. Seine Schicht hatte gerade erst angefangen. Ein Typ, der neben der Schule wohnt, erzählte uns, wie sehr ihn das alles nervt. „Hier geht es nicht um einen Typen, der von der Polizei erschossen wurde. Das hier sind rebellierende Vorstadtkinder. Nur ein paar Leute, die Leuten das Leben schwer machen, denen es sowieso schon schlecht geht.“

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Es war fast drei Uhr morgens und wir entschieden, dass es Zeit war, nach Hause zu gehen. Wir sahen Rauch am Horizont, aber konnten die Quelle nicht ausmachen. Die Straßen waren leer. Die Autobahn war dunkel. Wir hatten viel gesehen in den letzten paar Stunden, nur nicht die Aufstände. Die randalierenden Vorstadtkinder mussten uns entweder immer einen Schritt voraus gewesen sein oder vielleicht gab es gar keine Aufstände, sondern nur ein paar gelangweilte und produktive Brandstifter.