Wer ist eigentlich Felix Baumgartner? – Eine Facebook-Spurensuche
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Wer ist eigentlich Felix Baumgartner? – Eine Facebook-Spurensuche

Felix Baumgartner verwandelte sich in den letzten Jahren vom gefeierten Sportler zum Wut-Poster Nummer eins. Wie kam es dazu?

Felix Baumgartner wurde am 20. April 1969 in Salzburg geboren. Vieles, was dann geschah, ist bereits Geschichte, sowohl im positiven als auch im negativen Sinne—und in jedem Sinn dazwischen. Der gelernte Schlosser und Mechaniker ließ sich mit 18 fünf Jahre beim Bundesheer verpflichten, bis er letzten Endes rausgeschmissen wurde, da er Probleme dabei hatte, sich unterzuordnen und dumme Befehle zu befolgen, wie er selbst gesagt haben soll.

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Denkt man an das von ihm selbst gebastelte und inszenierte Bild des "unbequemen Querdenkers", verwundert einen diese Geschichte aus seiner Jugend kaum. Schon damals war er übrigens Fallschirmspringer und auf dem besten Weg zum "World's Fastest Man".

1996 sprang er schließlich das erste Mal von einem Objekt und seither über 2500 Mal irgendwo runter—einmal davon aus der Stratosphäre, was ihn schließlich unumkehrbar berühmt machte und in die breite Öffentlichkeit rückte. Immerhin überschritt Baumgartner damit als erster Mensch im freien Fall die Schallgeschwindigkeit. Seit 1997 wird Felix Baumgartner von Red Bull gesponsert. Nach seinem Sprung aus der Stratosphäre hat sich Baumgartner allerdings aus dem Extremsport zurückgezogen und will nun Rettungshubschrauberpilot werden.

In seiner Freizeit veröffentlicht Baumgartner gerne lange, meinungsstarke Postings auf Facebook. Martin Thür, Journalist bei ATV, schrieb im September dieses Jahres auf Twitter: "Der Facebook-Account von Felix Baumgartner ist keine Nachricht". Dennoch hat er die volle Aufmerksamkeit der Medien, sobald sich "All-Felix", wie er vom Boulevard gerne bezeichnet wird, zu etwas (Gesellschafts-)Politischem äußert oder einfach nur ein anderweitig provokantes Posting verfasst. Auch unsere, wie dieser, dieser und dieser Artikel zeigen.

Lange Zeit schwebte Felix Baumgartner unter dem Radar der breiten Öffentlichkeit. Natürlich, nach seinem Sprung war Baumgartner ein Star—und noch dazu endlich mal wieder einer, der aus Österreich kam und auf den wir kollektiv stolz sein konnten. Aber er war die bequemste Art von Promi: Jene Gattung, die man auf genau eine Leistung reduzieren konnte, die sich mit einem griffigen Namen umschreiben ließ—nicht umsonst nennt ihn der Boulevard gerne auch "Austro-Felix"—und die abseits davon nicht unangenehm auffiel. Und das bedeutet auch: nichts Politisches von sich gab. Daran war sein erstes größeres Facebook-Posting aus 2013 wohl nicht ganz unschuldig.

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Damals postete er auf seiner Facebook-Seite ein Bild von sich und Gene Simmons und kommentierte es mit "Hey check that out! I am in Cannes and guess who I just met!!? Ozzy Osbourne! Such a cool guy! I love his music!! Rock on". Im Nachhinein bezeichnete er das Posting als Scherz. "Humor ist, wenn man trotzdem lacht", schrieb Felix, nachdem er unzählige spöttische Kommentare geerntet hatte. Gelacht haben letzten Endes vor allem die anderen über ihn.

Wir würden eine gemäßigte Diktatur brauchen, wo es ein paar Leute aus der Privatwirtschaft gibt, sie sich wirklich auskennen.

Dass All-Felix vielleicht doch nicht nur der Salzburger Sunny-Boy ist, den sich Österreich so sehr wünscht, zeichnete sich jedoch schon im Oktober 2012 ab. Zu diesem Zeitpunkt erklärt er in einem Interview mit der Kleinen Zeitung auf die Frage "Ist ein Wechsel in die Politik eine Option für Ihre Zukunft?", dass man in einer Demokratie nichts bewegen könne und sprach sich für eine "gemäßigte Diktatur" unter der Führung von ein "paar Leuten aus der Privatwirtschaft" aus. Das Interview sorgte damals für viel Aufsehen aber wirkt aus heutiger Sicht auch ein bisschen beruhigend, weil Felix Baumgartner darin sagte, dass er nie in die Politik gehen werde.

Seit einigen wenigen Jahren verfasst Felix Baumgartner auf seiner ziemlich erfolgreichen Facebook-Page nun Postings, die immer wieder auch rechten Einschlag zeigen. Auf seiner Page äußerte er sich zum Beispiel bewundernd über den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán und meinte, dieser hätte aufgrund der Flüchtlingspolitik seines Landes den Friedensnobelpreis verdient. Zur Erinnerung: Ungarn ist das Land, bei dem zur Diskussion stand, es aufgrund seines Umganges mit Flüchtlingen aus der EU auszuschließen.

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Außerdem kritisierte er so ziemlich jedes etablierte österreichische Medium (oder wie er es nennt, "die Systemmedien") für seine Berichterstattung—von oe24 bis zum ORF. Medien wie den Wochenblick, dem ein Nahverhältnis zur FPÖ nachgesagt wird und der behauptet, "Massenvergewaltigungen würden von den Medien totgeschwiegen", lobt er hingegen: "Hier ein Lehrbeispiel sachlicher und objektiver Berichterstattung!", schrieb er auf Facebook. "Es gibt ihn also noch—den Qualitätsjournalismus—das lässt uns hoffen. DANKE an den Wochenblick und euch ALLEN da draussen für eure aufrichtige Unterstützung!"

Und diese "Unterstützung" bekommt Baumgartner auch; zumindest, wenn man die Anzahl an Likes und Interaktionen auf seiner Page als solche werten will. Seine offizielle Fanpage weist ganz erstaunliche Zahlen auf: Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels hat Felix Baumgartner knapp 1,5 Millionen Likes auf Facebook. Das sind (auch, wenn man von internationalen Likes ausgehen darf) weit mehr als doppelt so viele Fans wie Armin Wolf (286.241), den Baumgartner einmal als "teuersten Lohnsprecher am Küniglberg" bezeichnete, und Heinz-Christian Strache (458.269), der die größte österreichische Politiker-Fanpage betreibt, zusammen haben.

Was die Interaktionen mit seinen im Jahr 2016 bisher verfassten 370 Postings angeht, liegt Baumgartner zwischen Armin Wolf und Strache, wie die Betreiber des Echtzeit-Monitoring-Tools Storyclash für uns herausgefunden haben. So kommen bei Wolf knappe 1417 Interactions (also Likes, Kommentare, Shares etc.) auf ein Posting, während es bei Baumgartner knappe 1789 und bei Strache 2528 sind. Wie viele User Baumgartner mit seiner Page genau erreicht, lässt sich nur schwer sagen. Sein Video über Alexander van der Bellen sahen sich beispielsweise über 350.000 Menschen an, viele mehr werden es in ihre Timelines gespült bekommen haben.

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Du durchbrichst nicht nur die Stratosphäre, sondern immer wieder auch die Mauer des Schweigens und der Angst, die die 'Political Correctness' in Österreich aufgebaut hat.

Einen weiteren Höhepunkt erreichten Baumgartners Äußerungen in der Debatte um die Einladung von Martin Sellner, Co-Leiter der rechtsextremen Identitären, in eine Diskussionssendung auf Servus TV. "Martin Sellner hat mich in dieser Sendung MEHR überzeugt als die meisten Politiker zusammen in den vergangenen Jahren", schreibt Baumgartner. "Ein junger intelligenter Gesprächspartner, der durch Eloquenz, Höflichkeit und guten Argumenten besticht—vom Rechtsradikalen KEINE Spur!"

Die sogenannten Identitären lobten Baumgartner daraufhin via Facebook-Posting und schrieben, dass jede Wahrheit Mutige brauche, die sie aussprechen: "Felix ist einer dieser wenigen und dafür danken wir ihm, im Namen aller unserer Mitglieder. Du durchbrichst nicht nur die Stratosphäre, sondern immer wieder auch die Mauer des Schweigens und der Angst, die die 'Political Correctness' in Österreich aufgebaut hat."

Aber nicht nur seine im engeren Sinne (gesellschafts)politischen Statements sorgten für Aufsehen. Im August 2015 postete er ein Bild, das zeigt, wie er seine Freundin Mihaela als Esstisch benutzte. Ein anderes Mal bezeichnete er einen goldenen Helm als "gay helmet".

Beim Durchlesen seiner Postings lässt sich schnell ein Prinzip erkennen, das man auch von der FPÖ kennt: Nämlich die Selbstinszenierung als Underdog, der es gegen die Übermacht der Überkorrekten wagt, die Wahrheit auszusprechen und dafür natürlich zum Schweigen gebracht werden soll. Wie zum Beispiel von Mark Zuckerberg und von anderen nicht näher definierten Unterdrückern.

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Als sein Facebook-Account im Juli 2016 aus unbekannten Gründen deaktiviert wurde, vermutete Baumgartner dahinter "politische Eliten" und nannte die vermutlich irrtümliche Sperrung eine "Schande für die Meinungsfreiheit".

Es sieht so, aus als ob wir den politischen Eliten da draussen zu unbequem geworden sind.

Anlässlich der vorübergehenden Profillöschung schrieb Baumgartner damals: "Es sieht so aus, als ob wir den politischen Eliten da draussen zu unbequem geworden sind." Dass sich ausgerechnet Baumgartner, ein eher wohlhabender Mann, der in der Schweiz wohnt und zu einem großen Teil Postings verfasst, in denen er mit seinem Lifestyle, Sportwägen, Helikoptern, Bekanntschaften mit Prominenten und seiner hübschen Freundin prahlt, gegen die "Eliten" ausspricht, kann da auf den ersten Blick schon irritieren. Aber das Narrativ an sich ist nicht neu und in Hinblick auf Trump und die politischen Entwicklungen in Österreich aktueller denn je. Baumgartner nutzt seinen Status in der Öffentlichkeit, um fragwürdige Thesen über die "Lügenpresse" zu verbreiten und drischt dabei die altbekannten Phasen.

Ein bisschen verhält es sich mit Baumgartner wie mit Roland Düringer. Düringers Status als österreichische Institution half ihm dabei, nach seiner Parteigründung nicht als vollkommen verrückt da zu stehen: Er war für alle in erster Linie der Ex-Kabarettist, der eine fragwürdige Partei gründete, aber nicht der Verschwörungstheoretiker mit abstrusen Theorien, der früher zufällig einmal Kabarettist war. Und genauso wie bei Düringer gibt es auch genug Gründe, um Baumgartner nicht mehr bloß als einen sehr erfolgreichen Extremsportler zu sehen.

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Prominente wie Düringer, Felix Baumgartner oder auch Mario Barth wurden von den Medien lange nicht ernst genommen. Vielleicht wurden sie alle aus Reaktion darauf politisch, um dem Image als Spaßmacher, Dummkopf und aufgepumpten Sportler zu trotzen. Vielleicht kann man die Entwicklungen dieser Promis ein bisschen mit Pegida vergleichen: Die Menschen, die sich vergessen und unterschätzt fühlen, werden plötzlich politisch. Sie wollen zeigen, dass sie auch da und wichtig für unsere Gesellschaft sind.

Seit seinem Sprung aus der Stratosphäre hat sich bei Felix Baumgartner also wenig Greifbares getan—und trotzdem ist viel passiert. Er hat den Extremsport auf den Nagel gehängt und sich vor allem als gelegentlicher It-Poster der österreichischen Facebook-Landschaft betätigt. Seinen unglaublichen Höhenrekord hat inzwischen jemand anders gebrochen.

Felix Baumgartner setzt in seinen Postings mehr auf Gefühl und Ideologie als auf Fakten und Diskurs.

Vor kurzem wurde "post-truth"—also auf Deutsch Postfaktizität—zum internationalen Wort des Jahres 2016 gewählt. Gemeint ist der Umstand, dass die öffentliche Meinung mehr durch Emotionen als durch Fakten geprägt sein soll, wie es im Oxford Dictionary heißt.

Aktuell werden viele Personen des öffentlichen Lebens mit dem Stempel "postfaktisch" versehen: Donald Trump, Heinz-Christian Strache, Norbert Hofer und die gesamte FPÖ samt der ihr nahe stehenden Onlineplattform unzensuriert.at—um nur ein paar prominente Beispiele zu nennen. Auch Felix Baumgartner setzt in seinen Postings mehr auf Gefühl und Ideologie als auf Fakten und Diskurs. Ihn hier einzureihen, würde ihm vermutlich nicht viel ausmachen. Trump gratulierte er auf Facebook zu seinem Wahlsieg, mit Heinz-Christian Strache unternahm er einen Helikopter-Ausflug und Norbert Hofer ist für ihn der richtige Präsident für Österreich.

Gerne hätten wir auch Felix Baumgartner zu alldem selbst zu Wort kommen lassen—ihn gefragt, ob er sich seiner Außenwirkung bewusst ist, warum ihn das politische Geschehen in Österreich so beunruhigt und weshalb er Gruppierungen wie die selbsternannten Identitären und Medien wie den Wochenblick unterstützt, indem er ihnen eine unglaubliche Reichweite verschafft und sie—trotz Faktenresistenz—in den Himmel lobt.

Leider war uns das nicht möglich, ohne auf die Bedingungen von Felix Baumgartner einzugehen, der darauf bestand, den gesamten Artikel (und nicht nur wie üblich seine Statements und die ihn betreffenden Zahlen und Fakten) zu autorisieren. Im Mail-Verkehr mit VICE erklärte er, dass er seit seinem Sprung tausende Interviews gegeben und jeder seriöse Redakteur ihm anschließend den fertigen Artikel zur Freigabe vorgelegt habe. Das sei, so Baumgartner, in unserem Business ganz normale und professionelle Vorgehensweise. Auf unseren Hinweis, dass wir Zitate und Zahlen gerne vorab übermitteln, aber für die restliche redaktionelle Gestaltung des Textes keine Freigabe von ihm einholen würden, kam keine Antwort mehr. Verständlich—letzten Endes sind wir ja auch nur Teil der Systempresse.

Verena auf Twitter: @verenabgnr