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Was wir von der US-Wahl für unsere Präsidentschaftswahl lernen können

Seit auch deine Mama einen Facebook-Account hat, hat sich für die Politik und auch für die Medien einiges geändert.

Oli Goldsmith | flickr | by CC 2.0

Eins vorweg: Weder das Internet noch die Medien im Allgemeinen sind hauptverantwortlich für einen Wahlausgang. Aber sie spielen beide eine Rolle. Welche, lässt sich nicht so leicht herausfinden, da bei der Wahlentscheidung eines Einzelnen zu viele andere Faktoren mitmischen. Aber weil Medien-Auftritte leichter zu analysieren sind als emotionale Regungen eines Einzelnen, sollten wir genau das auch versuchen.

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Der Wahlausgang war für alle ein Schock. Zumindest in meiner Blase. Einige forderten großmäulig mehr Bildung für die USA, andere gaben dem Journalismus die Schuld. An Hillarys Sieg haben die meisten geglaubt. Immerhin waren die US-Medien mit "Grab 'em by the pussy"-Artikeln und ähnlichem Content beschäftigt. Das sollte doch jedem Bürger zeigen, wie rassistisch, sexistisch und überhaupt uncool Trump war. Vor allem weil es ja Fakten waren: Videos, in denen Trump quasi jede Menschengruppe (außer seine Befürworter) beleidigt, gibt es wie Sand am Meer.

Medien werden im sozialen Netz zerstückelt und sollten sich dessen bewusst sein

Nicht nur Politiker selbst, sondern auch Medien sollten sich mehr mit dem Einfluss von Facebook und Co. auf Wahlergebnisse auseinandersetzen. Nicht aus der "Print stirbt"-Sicht, sondern in Bezug auf die Einflussnahme der neuen Kanäle. Vor 20 Jahren hätten solche negativen Berichte Trump sehr wahrscheinlich geschadet.

Medienmacher, haben von Trump ausführlich berichtet. Und zwar, indem sie seine Fehler hervorhoben, Portraits schrieben und ihm jede Vernunft absprachen. Versteht mich nicht falsch: Er ist scheiße und sie haben recht. Aber die meisten haben ein kritischeres Bild von ihm gemalt als von Hillary Clinton.

Wenn ein Medium auf "HC ist blöd" mehr Klicks bekommt als auf "Glawischnig ist blöd", dann wird es tendenziell eher den "HC ist blöd"-Artikel bewerben.

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Nur funktioniert der Facebook-Algorithmus so, dass er uns glücklich machen will. Weshalb wir die ganze Zeit nur Beiträge von Freunden sehen, mit denen wir besonders oft interagieren. Oder eben Artikel und Seiten-Beiträge, die unsere Ansichten bestätigen. Wenn wir glücklich sind, wirkt auch die Werbung auf uns besser. Wenn wir einmal einen negativen Artikel über Strache liken, werden wir noch weitere Artikel, die sich negativ über die FPÖ äußern, sehen. Hier könnt ihr beispielhaft sehen, wie sich die Feeds der Republikaner und Demokraten unterscheiden können.

Das heißt nicht, dass es keine ausgewogene Berichterstattung gibt. Aber soziale Medien interessieren sich für Werbung und klassische Medien interessieren sich für Klicks. Wenn ein Medium auf "HC ist blöd" mehr Klicks bekommt als auf "Glawischnig ist blöd", dann wird es tendenziell eher den "HC ist blöd"-Artikel bewerben. Und obwohl es beide Artikel gibt, die gleichermaßen auf Fakten beruhen, werden die meisten Menschen nur einen Artikel sehen.

Österreichische Medien sollten aus den Fehlern der US-Kollegen lernen und besonders politische Artikel nicht in zwei splitten—auch wenn die Klickzahlen vielleicht leiden. Der Begriff Objektivität sollte, in meiner Welt, unter dem Gesichtspunkt der sozialen Medien neu definiert werden. Besonders klassische Medien, die der Objektivität im Print verschrieben waren, müssen darauf achten, dass die sozialen Medien ihre Artikel nicht in subjektive Filterblasen-Bestätigung umwandeln.

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In den USA überwog die negative Berichterstattung zu Trump im Netz und gab seinem Argument "Die Medien sind gegen mich" zusätzliches Futter. Eine weitere journalistische Aufgabe sollte sein, Verschwörungstheorien nicht beiseite zu schieben, sondern aufzudecken und den Vorwürfen nachzugehen.

"Hillary ist eine Kriegstreiberin" und ähnliche Aussagen sind auch bei uns zu hören. Aufklärungsartikel über ihre Vergangenheit—die bestimmt interessant für viele Wähler wären—hätten Hillary Clinton mehr geholfen als jeder negative Artikel über die neueste Wortmeldung von Trump. Auch FPÖ-Wähler bedienen gerne das Klischee von der Lügenpresse, die kollektiv gegen sie ist—hier könnte man ansetzen.

Aber um nicht nur das Internet zu verteufeln: Anfang November kam Hillary in den USA auf 229 befürwortende Tageszeitungs-Artikel und 131 befürwortende Wochenzeitungs-Artikel. Trump kam hingegen nur auf 9 befürwortende Tageszeitungs-Artikel und 4 Wochenzeitungsartikel. Ergibt eine Quote von 27:1. "Die Medien sind gegen mich" sagte Donald und wer es glauben wollte, hatte in der Berichterstattung den Beweis und konnte zurecht das Vertrauen in die Medien verlieren—auch wenn sich Trump die negative Berichterstattung durch seine Aussagen wirklich verdient hat.

Bildung ist nur ein kleiner Faktor

Als der Sieg von Trump bekannt wurde, überschlugen sich in meinem Feed Wortmeldungen wie "Mehr Bildung braucht die USA" oder "Education is the key". Das machte mich zumindest stutzig. Ja, das öffentliche Bildungssystem der USA ist ziemlich im Arsch—aber von 2008 bis 2016 hat sich kaum jemand darüber aufgeregt.

Ganz ähnlich lief es, als Hofer beim zweiten Wahlgang so viele Stimmen erhielt. Mir wurde klar, dass es vielleicht gar nicht die Bildung ist. Menschen können nach anderen Faktoren wählen: zum Beispiel nach Kontroverse, nach Versprechen, oder nach der Sympathie.

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Links heißt nicht automatisch unreflektierter Systemgutmensch und rechts heißt nicht automatisch kritischer, aufgeklärter Bürger.

Wir verhärten nur die Positionen, wenn wir Anderswählende indirekt als dumm abstempeln. Die Wählerstromanalyse in den USA ergab, dass sehr wohl auch "gebildete" Menschen Trump wählten. Auch Frauen. Auch Lateinamerikaner.

Auch wenn es gerne vergessen wird: Links heißt nicht automatisch klug und menschenfreundlich und rechts heißt nicht automatisch dumm und rassistisch. Links heißt nicht automatisch unreflektierter Systemgutmensch und rechts heißt nicht automatisch kritischer, aufgeklärter Bürger. Wir sollten aufhören, so binär zu denken.

Wir dürfen auch nicht vergessen, dass Menschen, die Trump gewählt haben, nicht denken, dass sie einen Rassisten oder Sexisten als Staatschef bekommen werden. Sie haben jemanden gewählt, der Krieg aufhält und ihnen Jobs beschafft. Ein schwerwiegendes Argument für die eine Seite, kann der anderen scheißegal sein. Menschen leiden eben an selektiver Aufmerksamkeit.

Empathie wäre der erste Schritt, auch wenn das abgedroschen klingt. Nicht mit FPÖ-Wählern streiten, sie nicht bloßstellen, nicht auf sie mit dem Finger zeigen. Sondern auf Augenhöhe diskutieren. Ist schwieriger als es klingt, aber eben auch wichtiger. Sonst werden wir uns noch wundern, was alles möglich ist.

Social Media ist mehr als nur eine Plattform

Wie dieser Artikel berichtet, hatte Obama 2008 und auch 2012 einen enormen Vorsprung in seiner Social-Media-Kampagne. Er hatte mehr Retweets, mehr Follower, mehr Likes und mehr Content. Die FPÖ hat mit Heinz-Christian Sprache und Norbert Hofer auch einen großen Social-Media-Vorsprung.

Donald Trump hat auf Twitter 14,2 Millionen Follower, Hillary Clinton 10,8 Millionen. Ähnlich sieht es auf Facebook aus: Trump führt mit 13,8 Millionen, Clinton kommt nicht mal auf 10 Millionen. Natürlich gibt es die Möglichkeit, Likes und Follower zu kaufen. Und kontroversen Persönlichkeiten wie Trump folgt man nicht unbedingt, weil man sie unterstützt. Allerdings geben die vielen Kommentare und Reaktionen unter den Posts von Strache, Hofer, Le Pen oder Trump ihrer Strategie recht:

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Wenn man auf Facebook kommentiert oder reagiert, zeigt sich das im Newsfeed deiner engsten Facebook-Freunde. Unter kontroversen Beiträgen findet man zwar immer auch kritische Gegenstimmen, aber auch oft Befürworter-Argumente. Unentschlossene Wähler, die öfter Strache-Postings zu sehen bekommen, werden sich notgedrungen mit ihnen auseinandersetzen—und auch, wenn sie deshalb nicht automatisch zustimmen müssen, werden sie irgendwann zumindest den Eindruck bekommen, dass niemand sonst Straches Themen so intensiv belegt wie Strache das eben tut.

Soziale Medien sind eine der größten Veränderungen der letzten Jahre. Politikern und Parteien ist inzwischen zum Glück großteils bewusst, dass ein aktiver Auftritt im Internet nicht länger ein modernes, nettes Extra für Kids ist, sondern die richtige Nutzung ausschlaggebend für den Erfolg der Partei oder des Politikers sein kann.

Allerdings zählt nicht nur das Was, sondern auch das Wie. Einen Kanal zu haben ist noch lange nicht genug. Wenn man in seinem Newsfeed irgendwo zwischen Christians Selfie und Lisas YouTube-Link auch Meinungen von Trump oder Strache sieht, dann ist es eben besonders wichtig, wie authentisch diese im Umfeld von privater Kommunikation wirken—auch wenn, genauso wie bei Reden, ein Team dahintersteht.

Lügen ist heute anscheinend OK

Es wurde wohl schon immer gelogen. Aber im Zeitalter des schnellen Internet-Checks halte ich es für eine freche Verarsche. Und machen wir uns nichts vor: Es sind Lügen und nicht einfach nur Umwissen; gezielte PR-Strategie und nicht einfach nur vergessene Fakten. Hier ein paar Lügen aus allen Lagern:

The concept of global warming was created by and for the Chinese in order to make U.S. manufacturing non-competitive.
— Donald J. Trump (@realDonaldTrump) 6. November 2012

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Wir haben hier bereits schön zusammengetragen, wie die FPÖ rechte Lügen verbreitet.

Aber nicht nur die rechte beziehungsweise konservative Seite lügt. Auch Clinton hat im Wahlkampf nachweislich gelogen. Sie behauptete in einer Debatte mit Trump, dass die Morde in New York rückläufig und das den Bürgermeistern zu verdanken wäre. Trump widersprach ihr, sie beharrte darauf. Trump hatte Recht und sie hat gelogen. Aber die Zahlen zeigen natürlich eindeutig, wer mehr gelogen hat.

New York murders in 2014: 328. New York murders in 2015: 352. So Trump wins that fact check, too.
— Mollie (@MZHemingway) 27. September 2016

Im Herbst 2015 brachte Der Standard ein Interview mit Alexander Van der Bellen, in dem der Präsidentschaftskandidat mit der Aussage "Notfalls darf man lügen" zitiert wurde—und hob den Satz sogar in die Schlagzeile.

In seinem Buch deutet Van der Bellen an, dass Lügen für die Stabilität der EU in manchen Fällen OK wären. Unmoralisch zu handeln, um ein moralisches Ergebnis zu bekommen, nennt man Folgenethik oder auch Utilitarismus. Ob das eine moralische Vorgehensweise ist, ist zu diskutieren. Andererseits neigen wir als Gesellschaft generell dazu, manchmal ein bisschen utilitaristisch zu sein, wie das Ergebnis von Terror – mein Urteil zeigte.

Doch die linke Seite lügt nicht nur utilitaristisch—Eva Glawischnig hat in einer TV-Diskussion mit Heinz-Christian Strache behauptet, ein Video in seiner Gänze gesehen zu haben. Auf diesem Video sei zu sehen, wie ein Flüchtling von ungarischen Polizisten angegriffen wird. Sie hat es auch so beschrieben. Tatsache ist, dass das gesamte Video eine andere Vorgehensweise zeigt—und Heinz-Christian Strache in diesem Fall recht hatte.

Fredi hat Twitter: @schla_wienerin