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Reisen

Ein Feiertag in der Notaufnahme

B
von Bruno

Dublin ist gnadenlos langweilig. Sobald es zwei Uhr morgens wird, macht alles zu und das einzige, was noch auf der Straße unterwegs ist, sind Taxis und Krankenwagen. Die Taxis fahren alle aus der Stadt raus, aber die Krankenwagen bewegen sich auf direktem Weg zur makabersten Afterhour der Stadt: dem St. James Hospital.

Ich habe dort mal einen Samstag, der auf einem Feiertag lag, verbracht. Wenn du dich also jemals in Dublin befindest und total gelangweilt bist, dann dürfte das hier der richtige Ort für dich sein.

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Das Krankenhaus ist das größte und traditionellerweise schlimmste in ganz Dublin. Es ist so schlimm, dass die Krankenschwestern in der Abteilung für Haut- und Geschlechtskrankheiten mal zu mir gesagt haben, „Wenn dein Schwanz nicht gerade vor Tripperschmerzen verbrennt, dann geh zu einem Privatarzt.“

Das hat er damals jedenfalls nicht.

Diese Notaufnahme ist die geschäftigste des Landes und verarztet gut 40.000 Leute pro Jahr. Nachts ist so gut wie jeder, der durch die Tür kommt betrunken und trotz ihrer in der Regel schlimm verwundeten Körper, sind sie immer noch auf der Suche nach einem weiteren Schluck Fusel oder versuchen bei irgendeinem jungen Dinge zu landen.

John Paul ist das erste Opfer, dem wir drinnen begegnen. Er hat ein paar Schnittwunden abgekriegt, als er in Coco’s Nightclub die Tanzfläche gerockt hat. Er spricht gerade mit diesem Mädchen im kanarienvogelbunten Kostüm, die offensichtlich nicht verletzt ist und vielleicht nur zum Glotzen gekommen ist, so wie ich.

„Ich war alleine am Tanzen, als dieses Mädchen an meinem Kiefer ein Glas zerbrochen hat“, sagt Paul. „Dann ist ihr Macker angekommen und hat mich mit dem Messer durch den ganzen Laden gejagt.“ Er ist am zittern und überall tropft das Blut von ihm herunter, aber er kann es trotzdem nicht abwarten, dass die Krankenschwestern ihn wieder zusammenflicken, damit er zurück ins Coco’s kann. Er hat seine Jacke hier vergessen.

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„Sie war noch ganz neu“, sagt er.

Die nächste Gruppe, die durch die Tür kommt sind ein ägyptische Fischer. Einer hat in einem Netz seinen Finger verloren. Verloren im Sinne von „nicht mehr mit dem Fingergelenk verbunden, aber sicher verstaut in seiner Hemdtasche.“ Seine Name ist Ahmed. Sie haben Ahmed gerade erzählt, dass er sieben Stunden auf eine Krankenschwester warten müssen wird.

„Keep my hand in air they say me,“ erklärt er in gebrochenem Englisch, während ihm kleine Blutbäche unter der Toilettenpapier-Bandage hervor seinen Arm runterlaufen.

An der Ecke leben ein paar Penner. Warum auch nicht? Es gibt zwei Fernseher und funktionierende, wenn auch nicht gerade saubere, Toiletten. Das hält sie aber auch nicht wirklich davon ab, sich selbst vollzupissen. Die Sicherheitsleute kommen raus, halten ihnen einen Vortrag und decken den Boden um sie herum mit Zeitungspapier ab.

Danach hängen wir für eine Zigarette draußen mit Ahmed, John Paul und dem Mädchen in dem Kanarienvogel-Kostüm ab, die jetzt John Pauls Hand hält. Ahmed redet die ganze Zeit davon, wie er „kein Bang-Bang“ kriegt, weil er Muslim ist. Plötzlich fährt wieder ein Krankenwagen vor. Die Türen gehen auf und es kommt ein alter Typ im Schlafanzug zum Vorschein, der zu fett für die Bahre ist und hinten in der Ecke zwischen all die medizinischen Ausrüstung gequetscht wurde.

Innerhalb von Sekunden liegen unsere Zigaretten auf dem Boden und wir packen alle mit an, um den Kerl in die Notaufnahme zu wuchten. Ahmeds Klopapierverband geht ab und John Pauls Nähte platzen auf. Ein alter Guinness-verseuchter Typ kann nicht anders, als sich vor Aufregung vollzupissen. Er grinst, wir grinsen. Vielleicht ist das der berühmte Esprit de Corps der Notaufnahme, dieses Zusammenhaltsgefühl, das du sonst nur im Schützengraben oder einem Panzer findest. Was macht ein bisschen Pisse und Blut schon aus, wenn es ums Überleben geht? Die Krankenschwestern danken uns und übernehmen ab der Tür die Mission.

John Paul entschließt sich dagegen, seine Nähte erneuern zu lassen und geht mit dem Kanarienmädchen nach Hause. Ahmed sitzt in der Ecke und fällt mit einer Hand über seinem Kopf in einen Tiefschlaf. Einer der Penner hat ein John Le Carré-Buch gefunden. Als wir gehen räuspert er sich, als würde er rotzen wollen und kotzt dann einen riesigen Schwall direkt zwischen die Seiten. Dann wischt er die Seiten mit seinem Ärmel wieder ab und liest weiter.

Vielleicht liegt darin die Lektion.

Du kannst dein ganzes Leben lang vergeblich nach etwas suchen, das diese Leere, die sich jedes Wochenende zwischen zwei und sechs Uhr morgen einschleicht, füllen soll, aber nichts ergänzt dein Leben so prima, wie ein gutes Buch und ein frisch gesäuberter Magen.

CONOR CREIGHTON