Die große VICE-Umfrage zur Zukunft der Arbeit: Hier sind die ersten Ergebnisse
Illustration von Janinski

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Hackler, Jobber, Karrieristen

Die große VICE-Umfrage zur Zukunft der Arbeit: Hier sind die ersten Ergebnisse

​Wir haben 400 Menschen zwischen 20 und 30 von Vorarlberg bis ins Burgenland über ihre Jobs, die Zukunft und das Thema Arbeit befragt. Das sind die Ergebnisse.

Dieser Artikel ist in Zusammenarbeit mit der Arbeiterkammer Wien entstanden.


"Um heutzutage gegen andere Bewerber bestehen zu können, braucht es Durchsetzungsvermögen", sagt Jacqueline. Die aus Italien stammende Marie meint: "In Österreich ist Vitamin B sehr wichtig. Wenn man bestimmte Personen kennt oder mit jemanden befreundet ist, hilft es beim Jobeinstieg". Fehlendes Vitamin B, einschüchternde Jobausschreibungen und ein Überangebot an Möglichkeiten: Die Hürden, die sich schon vor dem ersten richtigen Job für junge Menschen auftauchen, sind vielfältig, komplex und führen unter anderem zu einer ordentlichen Quarterlife-Crisis. Und das trotz ziemlich guter Startvoraussetzungen.

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Wer heute eine Ausbildung oder ein Studium abgeschlossen hat, muss sich oft mit schlecht bezahlten Praktika zufrieden geben und kann sich glücklich schätzen, überhaupt einen Vollzeitjob mit fixer Anstellung zu finden, der zu den eigenen Qualifikationen passt. Während die einen argumentieren, dass Flexibilität und Eigeninitiative immer wichtiger werden und sogar die individuelle Selbstverwirklichung befeuern würden, fühlen sich andere von den rasanten Veränderungen überfordert und aufs Abstellgleis gestellt.

Die Arbeitswelt befindet sich im Wandel. Und keine Generation ist so hautnah mit den Neuerungen, der Beschleunigung und den Nachteilen wie auch Chancen, die die Digitalisierung mit sich bringt, konfrontiert. Klassische Muster verschwinden, immer neue hybride Arbeitsformen entstehen – und betroffen sind alle, von Studienabsolventen über angehende Arbeiter bis hin zu Lehrlingen. Sie alle beschäftigen ähnliche Fragen nach finanzieller Sicherheit, dem Sinn ihrer Arbeit und der Zukunft ihres Berufs.

Wer sind die jungen Berufstätigen in Österreich?

Zunächst einmal die Basics: Zwei Drittel der in unserer Studie befragten jungen Menschen haben einen Job. Die Hälfte davon in einem regulärem Anstellungsverhältnis – also Vollzeit und unbefristet. Die andere Hälfte arbeitet entweder in unbefristeten Teilzeitstellen oder hat einen befristeten Arbeitsvertrag.

Unterschiede gibt es beim Bildungshintergrund: Während jene mit niedrigem oder mittlerem Bildungsgrad zu drei Viertel arbeiten, sind es bei den höheren Abschlüssen ab Matura nur 60 Prozent. Das lässt sich dadurch erklären, dass Erstere in der Regel mit ihrer Ausbildung fertig sind und Zweitere noch studieren oder sich in einer anderer Form einer Weiterbildung befinden.

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"Aus der Perspektive der Berufseinsteiger wird die Arbeitswelt ein immer unkomfortablerer Ort für den motivierten Einzelkämpfer."

Für alle von uns befragten jungen Menschen sind Sicherheit beziehungsweise Unsicherheit ganz zentrale Themen. Nur 17 Prozent sind zum Beispiel voll und ganz davon überzeugt, dass sie sich über ihre Pension keine Gedanken machen müssen.

Im Durchschnitt denken die Befragten, dass sie in ihrem Berufsleben insgesamt fünf Jobs in fünf verschiedenen Unternehmen haben werden. Die Zeiten, in denen etwa die Generation der Babyboomer nach abgeschlossener Ausbildung ein Leben lang den gleichen Job beim gleichen Unternehmen ausübte und schließlich mit finanziellen Boni in Pension gehen konnte, sind in den Augen junger Menschen definitiv vorbei.

Stattdessen ist laut den Befragten Eigeninitiative und auch ein gewisser Grad an Ellenbogenmentalität gefragt. Studienleiter Philipp Ikrath vom Wiener Meinungsforschungsinstitut tfactory spricht sogar von einer "Arena der Einzelkämpfer". Im Gespräch mit uns erklärt er: "Aus der Perspektive der Berufseinsteiger wird die Arbeitswelt ein immer unkomfortablerer Ort, in dem sich für den motivierten Einzelkämpfer Möglichkeiten auftun, sich seine Nischen zu schaffen und sich durchzusetzen."

Dieser Befund lässt sich beispielsweise damit untermauern, dass drei Viertel der Befragten angaben, dass sie für den sozialen Aufstieg in Österreich selbst verantwortlich seien.

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Der Aussage "Wir Jungen müssen für uns selbst sorgen, uns hilft keiner mehr" wurde zu 61 Prozent zugestimmt, nur 10 Prozent meinen, dass dies überhaupt nicht zutrifft. Außerdem finden ganze 71 Prozent der Befragten, dass junge Menschen früh damit beginnen sollten, sich um eine private Altersversorgung zu kümmern. Lediglich 5 Prozent lehnten diese Aussage ab.

"Klar ist, dass jede Form der Altersvorsorge Geld kostet. Die Wirtschafts- und Finanzkrise hat wieder einmal gezeigt, dass die Privatisierung in diesem Bereich ein riskanter und letztlich teurer Weg ist", sagt Wolfgang Panhölzl von der Arbeiterkammer Wien. "In Österreich haben wir mit dem Pensionskonto ein einheitliches Pensionssystem für alle Berufsgruppen, das gerade auch für junge Menschen vorsorgt und gute Pensionen für sie gewährleistet. Aber auch hier ist die Pensionshöhe vom Einkommen und den Versicherungsjahren abhängig. Deshalb ist es wichtig, prekäre Beschäftigungsformen einzudämmen und Bildungsphasen im Pensionskonto besser anzurechnen."

Allerdings zeigt sich in der Studie auch, dass es nicht nur Sorgen um sozialen Auf- und Abstieg und vor allem das Alter gibt, sondern es auch strukturelle Hürden beim Arbeitsantritt zu geben scheint.

Jobausschreibungen und Bewerbungsgespräche

In unserer Umfrage und auch in den Videointerviews hat sich gezeigt, dass junge Menschen den Bewerbungsprozess sowohl als Hürde aber auch als Chance sehen. So wird etwa ein Bewerbungsgespräch als Möglichkeit wahrgenommen, um den potentiellen Arbeitgeber näher kennen zu lernen und vorzufühlen, ob die Chemie stimmt oder nicht. Deshalb überwiegt auch eher die Neugier auf neue Herausforderungen und der Möglichkeit, sich persönlich und beruflich weiterentwickeln zu können. Generell sind Dinge wie ein angenehmes Arbeitsklima und ein gutes Verhältnis zu Kolleginnen und Kollegen ganz entscheidende Faktoren für Spaß beim Arbeiten. "Arbeitskollegen" sind deshalb auch der zweithäufigste Grund – neben dem Erstplatzierten "Geld" – warum junge Menschen arbeiten.

Gleichzeitig sind manche Jobausschreiben für viele aber auch etwas, das einem als jungen Menschen mit keiner oder wenig Berufserfahrung den Mut raubt. Vor allem weil man fachlich oft eine "eierlegende Wollmichsau" sein sollte und demnach alles können müsse, sowie bereits direkt nach der Ausbildung Berufserfahrung mitbringen sollte. Den 21-jährigen Mindestzeitstudenten mit 5-Jähriger Berufserfahrung, Programmierkenntnissen, perfekten Softskills und Native-Speaker-Qualitäten hatten wir in der Umfrage überraschenderweise nicht dabei.

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Etwas mehr als die Hälfte der Befragten gab an, dass viele Jobausschreibungen auf sie einschüchternd wirken würden. Noch deutlicher fällt das Urteil bei der Frage aus, ob in Jobausschreibungen zu viel verlangt werde: 65 Prozent gaben an, dass dies ihrer Meinung nach "voll und ganz" (31 Prozent) oder "eher" (34 Prozent) zutreffen würde.

Was für manche Betroffenen Vorteile bietet, wie etwa die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder eine selbstbestimmte Flexibilität, beinhaltet für viele Menschen aber vor allem Nachteile.

Oft wird auch in Einstiegspositionen jahrelange Berufserfahrung verlangt, man selbst kann aber nur Praktika und geringfügige Tätigkeiten vorweisen. Mit diesen prekären Formen der Beschäftigung haben die meisten der befragten jungen Menschen Erfahrung. Im Schnitt hat jeder schon rund zwei Mal geringfügig gearbeitet und war einmal als freier Dienstnehmer beschäftigt. Hier zeigt sich aber ein Unterschied beim Bildungsgrad: Während Befragte ohne Matura durchschnittlich 1,4 Mal geringfügig gearbeitet haben, kommen junge Menschen mit Matura im Schnitt bereits auf 3,1 solcher Tätigkeiten.

"Die Zahl der atypisch Beschäftigten nimmt seit Jahren zu", sagt AK-Expertin Charlotte Reiff. "Der Beschäftigungsanstieg seit dem Jahr 2000 ist fast zur Gänze aus Arbeitsverhältnissen abseits stabiler Vollzeitbeschäftigung entstanden, wobei der Großteil dieser neuen Beschäftigungen Teilzeitbeschäftigungen sind. Was für manche Betroffenen Vorteile bietet, wie etwa die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder eine selbstbestimmte Flexibilität, beinhaltet für viele Menschen aber vor allem Nachteile. Befristet Beschäftigte oder Leiharbeitskräfte haben eine geringe Arbeitsplatzsicherheit, freier DienstnehmerInnen keinen Anspruch auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld, geringfügig Beschäftigte wenig soziale Absicherung und in der Folge keinen oder nur einen niedrigen Pensionsanspruch im Alter. Die Beiträge atypisch Beschäftigter in die Sozialversicherung sind langfristig deutlich geringer als jene der Normalbeschäftigten."

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Grafik von VICE Media

Wie bekommt man den Job, den man haben will?

Die alte Weisheit, dass in Österreich Vitamin B, also gute Beziehungen, beim Jobeinstieg mehr zählen würden als irgendetwas anderes, hat sich in unserer Umfrage bewahrheitet. Für die meisten der Befragten sind "Beziehungen und Netzwerke" das Wichtigste beim Berufseinstieg. Gleich dahinter folgt aber "eine gute Ausbildung". Betrachtet man Männer und Frauen getrennt, zeigt sich allerdings, dass für Frauen die Ausbildung der wichtigste Faktor ist, bei Männern hingegen Berufserfahrung gleichauf mit Beziehungen. Weniger wichtig ist für alle Geschlechter aber der Faktor Glück, der jeweils an letzter Stelle gereiht wurde.

Welche Dinge sind deiner Meinung nach für den Berufseinstieg am wichtigsten? (Gereiht nach Wichtigkeit von oben nach unten)

  • Beziehungen und Netzwerke
  • Eine gute Ausbildung
  • Die Fähigkeit, sich gut zu verkaufen
  • Berufserfahrung
  • Glück

Abseits von Beziehungen, Ausbildung und Glück kann aber laut Umfrage auch ein anderer Faktor bei der Jobsuche nicht schaden: 66 Prozent der Befragten gaben beispielsweise an, dass schöne Menschen ihrer Meinung nach leichter einen Job finden. 64 Prozent der Befragten denken, dass in Österreich Frauen im Job immer noch benachteiligt werden. Aufgeteilt nach Geschlecht zeigt sich, dass dies Frauen deutlich stärker (78 Prozent) wahrnehmen als Männer (51 Prozent).

Grafik von VICE Media

Bei der Frage, ob junge Menschen mit Migrationshintergrund im Berufsleben benachteiligt werden, gibt es ebenfalls interessante Ergebnisse: 60 Prozent der Befragten, die angaben einen Migrationshintergrund zu haben, führten an, dass es eine Benachteiligung gäbe. Von den Befragten ohne Migrationshintergrund sind – immerhin – auch noch 49 Prozent dieser Meinung.

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Grafik von VICE Media

"Worauf es ankommt, ist die Fähigkeit sich selbst zu motivieren, sich zu vernetzen und Gelegenheiten zu nutzen", so Studienleiter Philipp Ikrath. "Wobei man vor allem als Mann und ohne Migrationshintergrund mit einem Startvorteil ins Rennen geht".

Positiv sehen die Befragten ihre Ausbildung. So sind insgesamt 77 Prozent der Befragten mit ihrer Ausbildung zufrieden – einen Unterschied zwischen Geschlechtern gibt es so gut wie nicht. Allerdings klafft das Ergebnis beim Bildungsgrad auseinander: Von den Befragten ohne Matura sind 37 Prozent mit ihrer Ausbildung weniger und 8 Prozent gar nicht zufrieden. Zum Vergleich dazu sind Befragte mit abgeschlossener Matura nur zu 11 Prozent weniger zufrieden und zu 0 Prozent gar nicht zufrieden.

Das deckt sich auch damit, dass junge Berufstätige ohne Matura nicht nur häufiger mit ihrer Ausbildung unzufrieden sind, sondern sie finden auch häufiger, dass sie Ausbildung nicht gut auf das Berufsleben vorbereitet hat. Gleichzeitig zeigt sich aber, dass sie rückblickend ihre Ausbildung in etwa genauso häufig noch einmal machen würden, als Menschen mit mindestens Matura.

"Das zeigt, dass Befragte ohne Matura nicht öfter eine falsche Wahl treffen als andere. Sondern eher, dass ihnen keine deutlich bessere Alternative offen gestanden hätte – und auch heute ihrer Meinung nicht offen steht", so Studienleiter Philipp Ikrath.

"Ob jemand die Matura macht und danach ein Studium beginnt, hängt sehr stark von der Bildung, dem Beruf, dem Einkommen und dem Wohnort der Eltern ab. Derzeit kommen etwa 40 Prozent der StudienanfängerInnen an Unis und Fachhochschulen aus Familien, in denen beide Eltern keine Matura haben. Die höchste Studienwahrscheinlichkeit haben immer noch jene, die aus einem AkademikerInnenhaushalt stammen. Unser Rat für jene, die als Erste in ihrer Familie studieren: Vom akademischen Umfeld nicht abschrecken lassen, Kontakte knüpfen sowie Studium und Finanzen rechtzeitig planen", empfiehlt die AK-Bildungsexpertin Martha Eckl.

Im zweiten Teil unseres in Kooperation mit der Arbeiterkammer Wien gestarteten Schwerpunktes zum Thema Arbeit beschäftigen wir uns mit der Frage "Arschhacke oder Traumjob".