Was Polizisten zu Gewalttätern werden lässt
Still aus Lukacs' Film 'Void'

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Popkultur

Was Polizisten zu Gewalttätern werden lässt

Über Machtmissbrauch bei der Polizei haben wir mit dem österreichischen Regisseur Stefan Lukacs gesprochen. Sein neuer Film 'Cops' wurde in Deutschland mehrfach ausgezeichnet.

Die Polizei ist da, um die Bevölkerung zu schützen. Dass Polizistinnen und Polizisten aber nicht immer deine Freundinnen und Helfer sind und manche von ihnen ihr Gewaltmonopol immer wieder auch missbrauchen, wissen wir allerspätestens, seitdem Leute mit Handykameras Gewaltexzesse von Polizistinnen und Polizisten festhalten können. Der österreichische Filmemacher Stefan "Istvan" Lukacs widmet sich in seinem neuen Film Cops genau diesen Dynamiken, die aus Polizeibeamten und -beamtinnen auch in Österreich Sadisten, Gewalttäter und im schlimmsten Fall sogar Mörder machen können.

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Der Alltag von Polizisten der österreichischen Spezialeinheit WEGA, um die sich der Film dreht, wird von den Machern als eine "Mischung zwischen Testosteron, Revierkämpfen und Gruppendruck" beschrieben. Bevor Cops am 21. September überhaupt regulär in den Kinos anläuft, hat er sich bei den Kritikern bereits zum Erfolg entwickelt: In Deutschland wurde der Spielfilm kürzlich dreifach ausgezeichnet. Beim diesjährigen Diagonale-Festival in Wien erhielt der Thriller den Publikumspreis.

Es ist nicht das erste Mal, dass Istvan sich in einem Film mit dem Thema Polizeigewalt auseinandersetzt: In seinem letzten Streifen Void erzählte er den wahren Fall des gambischen Asylwerbers Bakary J., der von drei österreichischen WEGA-Beamten in einer Wiener Lagerhalle stundenlang brutalst gefoltert und beinahe getötet wurde.

Der halbstündige Film, der die Ereignisse mit allen grausigen Details darstellt und definitiv nichts für schwache Nerven ist, dient in der österreichischen Polizei-Grundausbildung mittlerweile als Lehrstoff: Im Rahmen des Menschenrechtsunterrichts wird er allen angehenden Polizistinnen und Polizisten in Österreich gezeigt – eine Tatsache, die der FPÖ so missfiel, dass sie 2015 eine parlamentarische Anfrage deswegen einbrachte.

Istvan hat für die Arbeit an seinen Filmprojekten viel Zeit mit Polizistinnen und Polizisten verbracht, Interviews mit ihnen Geführt und letztendlich sogar selbst eine Woche als Schüler an der Polizeiakademie absolviert. Am Telefon erzählt mir der Regisseur während eines New-York-Aufenthalts, was er im Laufe seiner Recherchen über die Psyche von Polizisten gelernt hat, die solche Gewalttaten begehen.

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VICE: Cops ist schon dein zweiter Film, der sich um Polizeigewalt dreht. Wie bist du in diese Thematik hineingeraten?
Istvan: Das hat 2006 oder 2007 begonnen, als der Fall von Bakary J. in die Medien gekommen ist – ich hab mich damals fürchterlich geärgert und geschämt, dass die Polizei in meinem Heimatland Menschen foltert. Und ich hab mir damals schon gedacht: OK, das will ich irgendwann verfilmen. Letztendlich hat es aber sechs Jahre gedauert, bis ich wirklich dazu in der Lage war, auch von meinem Wissensstand und meinem Know-How als Filmemacher her.

2012 habe dann ich diesen Kurzfilm über den Fall Bakary J. gemacht, Void. Damals ging es mir in erster Linie darum, einen Film über institutionellen Rassismus zu drehen und weniger darum, die Polizei zu thematisieren. Als der Film dann aber rauskam, ist das Innenministerium in die Offensive gegangen und hat den Film plötzlich sehr gelobt und ihn als Schulungsmaterial für die Polizeischule angekauft. Das war dann tatsächlich mein Ticket in die Welt der Polizei: Plötzlich hatte ich viel Kontakt und die Möglichkeit, Polizisten kennenzulernen und ausführlich mit ihnen zu reden; das Innenministerium hat mich eingeladen, letztendlich war ich sogar eine Woche als Rekrut auf der Polizeiakademie.

Diese Polizisten waren keinen einzigen Tag im Gefängnis. Es war sogar im Gegenteil so, dass einer von den Polizisten, die da involviert waren, befördert wurde.

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Du hast dich ja sogar mit den drei Polizisten getroffen, die Bakary J. damals gefoltert und fast getötet haben. Wie war das?
Als ich für den Film ursprünglich recherchiert habe, hatte ich zu den Polizisten noch überhaupt keinen Kontakt. Ich hatte nur zu Bakary J. selbst Kontakt, habe mit ihm über die Tat gesprochen, seine ganzen Protokolle und Gerichtsunterlagen durchgeschaut.

Als der Film rauskam, sind diese drei Polizisten dann auf mich zugekommen. Sie hatten damals nochmal so einen Versuch gestartet, bei dem sie plötzlich behaupteten, dass sie zu Geständnissen genötigt wurden. Sie wollten mich davon überzeugen, dass alles eigentlich ganz anders war und dass ich mit meinem Film sozusagen ihr Leben ruiniert und überhaupt die ganze WEGA in den Schmutz gezogen hätte. Das war jedenfalls ein sehr interessantes Treffen.

Still aus Istvans FIlm Void, der mittlerweile in der Polizeiausbildung gezeigt wird.

Da war also keine Reue zu erkennen?
Kein Funken von Reue. Auf der einen Seite muss ich zwar sagen, dass es ihnen zu der Zeit offensichtlich psychisch nicht gut ging – wahrscheinlich in erster Linie deswegen, weil sie in der Öffentlichkeit massiv beschuldigt wurden und unter Druck geraten waren. Sie sind Jahre nach ihrer Tat ja Gott sei Dank endlich aus dem Dienst entlassen worden, saßen in Folge auch auf einem Schuldenberg.

Auf der anderen Seite: Soll man mit ihnen Mitleid haben? Diese Polizisten waren keinen einzigen Tag im Gefängnis und sind über Jahre hinweg nicht dafür belangt worden. Sie wurden polizeiintern weder diszipliniert, geschweige denn hat es eine Anklage gegeben. Es war sogar im Gegenteil so, dass einer von den Polizisten, die da involviert waren, befördert wurde.

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Polizisten glauben bei Gewalt gegen marginalisierte Menschen häufig, dass sie sicher sind, dass ihnen nichts passieren kann – und das stimmt ja leider auch. Ihnen passiert ja tatsächlich nichts.

Bakary J. ist ja nur einer von vielen bekannten Fällen, bei dem österreichische Polizisten Afrikaner misshandelt haben. Was sind deiner Meinung nach die Gründe, warum sich Polizisten gerade bei Schwarzen Menschen solchen Gewaltexzessen hingeben?
Ich glaube, dass da viele Faktoren mitspielen. Einer davon ist natürlich ganz klassischer Rassismus. Es hat aber auch sehr stark mit der Marginalisierung vieler Schwarzer Menschen zu tun, denke ich: Gruppen, die sich nicht wehren können, weil ihnen das Netzwerk fehlt, werden grundsätzlich leichter Opfer von Polizeigewalt – das können auch psychisch kranke Menschen, Obdachlose oder Drogenkranke sein. In Österreich trifft das oft auch Menschen mit offensichtlich anderer Hautfarbe – ganz besonders dann, wenn sie einen ungesicherten Status haben, zum Beispiel Schubhäftlinge oder Asylwerber sind, vielleicht mit einem Fuß schon selber im Kriminal stehen, etwa mit Drogen dealen – das war auch bei Bakary J. der Fall.
Polizisten glauben dann häufig, dass sie deshalb sicher sind, dass ihnen nichts passieren kann – und das stimmt ja leider auch. Ihnen passiert ja tatsächlich nichts.

Was Bakary letztendlich gerettet hat, ist die Tatsache, dass er mit einer Österreicherin verheiratet war, die extrem auf die Barrikaden gegangen ist, die verschiedene Zeitungen kontaktiert und das Ganze voll in die Medien gebracht hat. Dadurch ist der Fall überhaupt erst ans Tageslicht gekommen.

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Wie waren die Reaktionen der Polizeibeamten selbst auf den Film?
Eines der ärgsten Screenings, die ich je hatte, war, als der Kurzfilm zum ersten Mal vor der Polizei gezeigt wurde. Das Innenministerium hatte das Screening organisiert, der Saal war voll mit 300 Polizistinnen und Polizisten – hauptsächlich aus der Polizeischule, aber auch Ausbildner, Offiziere und so weiter. Als der Film vorbei war, hat niemand applaudiert. Das war richtig spooky.

Normalerweise gibt es immer Beifall, wenn der Regisseur oder jemand vom Team da ist. Ich dachte mir nur: Scheiße, warum applaudiert niemand? Es dauerte ein bisschen, bis ich checkte, dass sie selber nicht wussten, ob sie jetzt applaudieren sollten oder nicht, weil sie dachten, dass es komisch rüberkommen könnte. Aber ich muss sagen, alle, mit denen ich dann gesprochen habe, waren sehr berührt und denen ist das sehr nahe gegangen. Da waren die Reaktionen sehr positiv.

Es hat damals aber auch eine parlamentarische Anfrage von der FPÖ gegeben, weil dieser Film in der Ausbildung gezeigt wird.
Genau. Das Ganze ging von der FPÖ-Fraktion in der Personalvertretung der Polizei aus, der AUF. Die haben das natürlich schrecklich gefunden und über die FPÖ diese Anfrage im Parlament eingebracht. Sie wollten wissen, wer diesen Film finanziert hat und warum so ein Film gezeigt wird, denn in ihren Augen war das nur eine Diffamierung des Polizeiberufs.

Aber es gibt innerhalb der Polizei sehr viele Fraktionen, die auch miteinander konkurrieren und sich gegenseitig bekriegen und versuchen, ihre jeweiligen Interessen durchzukriegen. Innerhalb des Ministeriums gab es eben auch Leute, die großes Interesse daran hatten, dass dieser Fall von Bakary J. aufgeklärt wird und sich die Dinge verbessern. Und gleichzeitig gab es Leute, die das komplette Gegenteil wollten.

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Auch Istvans neuer Film Cops thematisiert Polizeigewalt bei der WEGA.

Im Film über Bakary ging es ja viel um diese Gruppendynamik innerhalb von Polizeieinheiten, die zu solchen Gewaltexzessen führen kann. Ist das bei deinem neuen Film Cops auch so?
Die Gruppendynamik spielt in beiden Filmen eine riesige Rolle. Die Geschichte von Cops beruht auf mehreren wahren Begebenheiten, aus denen ich mir eine Geschichte zusammengebastelt habe. Als Primärquelle für die Hauptfigur diente ein österreichischer Polizist, der einen Posträuber erschossen hatte und mir ein freizügiges Interview gegeben hat, in dem er mir erzählt hat, dass er sich jahrelang nicht eingestehen wollte, dass er ein Problem hat.

Gerade dieses Verstecken und Verschweigen von Traumata vor den Kollegen ist auf jeden Fall etwas, das bei der Polizei belegt ist. Es gibt in Österreich zwar freiwillige Angebote – es gibt den psychologischen Notfalldienst des Innenministeriums und es gibt den Peer-Support – das sind Kollegen, die füreinander da sind und psychologisch geschult sind. Aber niemand ist verpflichtet, diese Angebote in Anspruch zu nehmen.

Die WEGA ist tatsächlich eine Einheit, in der es bis dato keine einzige Frau gibt.

Glaubst du, dass ein überholtes Bild von Männlichkeit innerhalb der Polizei dazu beiträgt, dass es Polizeigewalt gibt?
Es geht in meinem Film speziell um eine extrem männlich geprägte Spezialeinheit: Die WEGA ist ja tatsächlich eine Einheit, in der es bis dato keine einzige Frau gibt. Theoretisch dürften natürlich auch Frauen dabei sein, aber angeblich hat bisher noch nie eine Frau die Aufnahmeprüfung geschafft.

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Was mir ein Mitglied der WEGA aber unter der Hand gesagt hat, ist, dass Frauen in ihren Augen eine gewisse Unruhe in so eine Truppe bringen. Sie denken, wenn eine Frau dabei wäre, wollen die Männer sie vielleicht beeindrucken, oder einer verknallt sich, oder es kommt zu irgendwelchen Eifersuchtsgeschichten. Das ist natürlich Höhlenmenschen-Denken: Wenn man in andere Länder wie etwa Israel schaut, ist es dort gang und gäbe, dass Frauen im Militär oder bei Spezialeinheiten sind und ich kann mir durchaus vorstellen, dass es für viele Frauen erstrebenswert wäre, bei so einer Spezialeinheit wie der WEGA zu sein. Aber sie wissen auch, dass sie dort einfach nicht erwünscht sind. Als erste Frau zur WEGA zu gehen – unter 200 Männern, die dich eigentlich nicht wollen – dazu musst du halt sehr motiviert sein.

Natürlich kann man das nicht auf die ganze Polizei auslegen – in der österreichischen Polizei allgemein gibt es ja mittlerweile sehr viele Frauen, auch in hohen Positionen. Generell hat man auch erkannt, dass Frauen das Klima tatsächlich verbessern, weil die männlichen Polizisten sich durch ihre Anwesenheit besser benehmen. Überhaupt können Frauen in vielen Situationen sehr deeskalierend wirken.


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Wie sehr hat dir das Training in der Polizeischule geholfen, dich in die Köpfe von Polizisten hineinzuversetzen?
Das war schon sehr aufschlussreich. Als ich mit meinen Recherchen angefangen habe, hatte ich schon noch ein deutlich einseitigeres Bild von der Polizei – mittlerweile sind meine Ansichten differenzierter geworden. Unter anderem auch wegen dieser Zeit in der Polizeischule und weil ich sehen konnte, wie unterschiedlich die Leute sind, die zur Polizei gehen und diese Ausbildung machen. Das ging von ganz jungen Leuten, die gerade aus dem Bundesheer kamen, bis hin zu Leuten über 50. Es waren viele Leute dabei, die über 30 waren, schon einmal in anderen Berufen gearbeitet hatten, studiert hatten und sich dann entschieden haben, umzusteigen.

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Dieses Gefühl, Gewalt über einen anderen Menschen ausüben zu können, ihn in Handschellen legen, verhaften, gegen seinen Willen zwingen können, Dinge zu tun – das ist schon sehr verlockend. Das kann richtig berauschend sein.

Glaubst du, dass der Polizeiberuf grundsätzlich Leute anzieht, die gerne Macht oder Autorität auf andere ausüben?
Das ist schwer zu sagen, aber ich glaube, dass das sicher ein Faktor ist. Wenn du es nicht genießt, Autorität auszuüben, darfst du zumindest kein Problem damit haben. Dieser Macht-Faktor ist schon etwas, das ich und die Schauspieler in der Vorbereitung auf die Filme gemerkt haben: Dieses Gefühl, jetzt Gewalt über einen anderen Menschen ausüben zu können, ihn in Handschellen legen, verhaften, gegen seinen Willen zwingen können, Dinge zu tun – das ist schon sehr verlockend. Das kann richtig berauschend sein.

Außerdem ändert sich die Wahrnehmung der Gesellschaft auf dich komplett, wenn du diese Uniform anhast. Es gab ganz viele Situationen, in denen meine Schauspieler beim Dreh in Uniform auf der Straße standen und von Leuten angequatscht wurden, die dachten, dass das echte Polizisten sind. Es war irrsinnig spannend zu merken, wie viel Respekt Leute plötzlich haben, wie sie einen ansprechen, wie sie mit dir umgehen. Das ging soweit, dass bei McDonalds der Chef persönlich rausgekommen ist und uns auf etwas zu essen einladen wollte.

Aber egal, mit wem du bei der Polizei redest: Was sie alle sagen, ist, dass sie etwas verbessern wollen – für die Welt und für die Gesellschaft. Nur reicht das alleine natürlich nicht – wir wollen alle die Welt verbessern, das kann teilweise aber auch zu ganz schrecklichen Konsequenzen führen.

Ich weiß, dass viele Leute aus dem Innenministerium, die sich für die Aufklärung solcher Gewaltfälle eingesetzt haben, durch den Regierungswechsel nicht mehr im Ministerium sind.

Probleme mit Polizeigewalt gibt es in allen möglichen Ländern. Wie siehst du die Entwicklung bei der österreichischen Polizei im Speziellen? Bessert sich etwas?
Dass die Polizei meinen Film tatsächlich als Ausbildungsmaterial verwendet, kann ich auf jeden Fall als Zeichen des guten Willens und als mutigen Schritt anerkennen, denn das ist schon ein krasser Film, der die Polizei wirklich nicht gut darstellt.

Aber ich würde auf jeden Fall davon ausgehen, dass die Situation mit dem Regierungswechsel nicht besser wird – und davor war es schon ziemlich schlimm. Der Fall Bakary J. ist ja wirklich das perfekte Beispiel: Wenn du als Polizist in Österreich gewalttätig bist, kannst du dir ziemlich sicher sein, dass dir nichts passieren wird. Polizeiintern werden solche Fälle einfach nicht verfolgt. Ich weiß, dass viele Leute aus dem Innenministerium, die sich für die Aufklärung solcher Gewaltfälle eingesetzt haben, durch den Regierungswechsel eben nicht mehr im Ministerium sind. Ich befürchte, es wird eher schlimmer werden, noch mehr in Richtung Militarisierung der Polizeiarbeit gehen, es wird mehr Law-and-Order-Politik betrieben werden.

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