Wir haben den Verein besucht, den die AfD für ihren Hauptfeind hält
Fotos, sofern nicht anders gekennzeichnet: Eva L. Hoppe

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Kampf gegen rechts

Wir haben den Verein besucht, den die AfD für ihren Hauptfeind hält

Miteinander e.V. setzt sich für Demokratie in Sachsen-Anhalt ein. Die AfD will ihn deshalb ruinieren. Eine Geschichte, die zeigt, wie die Partei versucht, das Land zu verändern.

29 Seiten Papier dick und 236 Fragen lang ist die Kriegserklärung der AfD-Fraktion von Sachsen-Anhalt. Die Drucksache 7/2247 ist eine der umfangreichsten parlamentarischen Anfragen, die je im Landtag gestellt wurden. Normalerweise dienen Anfragen dazu, die Regierung zu kontrollieren. Aber diese Anfrage hat ein anderes Ziel: Sie will den gemeinnützigen Verein Miteinander – Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit in Sachsen-Anhalt e.V ruinieren. Der Verein engagiert sich gegen Rechts und ist damit zum Hauptgegner einer Partei geworden, die nicht nur gegen Geflüchtete und Muslime hetzt, sondern offenbar die demokratische Kultur in dem ostdeutschen Bundesland auf den Stand der 90er zurücksetzen will. Der Kampf der AfD gegen den Verein zeigt, wie die Partei versucht, aus den Parlamenten das Land zu verändern – und wie sie dafür Unterstützer findet.

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Die 236 Fragen und zahlreichen Zwischenbemerkungen der AfD-Fraktion machen wenig Hehl daraus, dass die Abgeordneten Miteinander am liebsten aus der Welt schaffen würde. Die Fraktion fragt, wie die Landesregierung überprüft, ob der Verein seine Fördermittel sinnvoll einsetzt. Wie die Regierung es bewertet, dass Projekte des Vereins angeblich "rechte/konservative Ansichten" mit rechtsextremer Gewalt gleichsetzten und mit Linksextremisten zusammenarbeiteten. Vor allem will die Partei wissen: "Unter welchen Umständen könnte die Gemeinnützigkeit des Vereins aberkannt werden?" Das würde das Ende des Vereins bedeuten.

Das wäre wohl im Sinne des Landesvorsitzenden André Poggenburg. Beim Weihnachtsempfang der AfD-Fraktion nannte er die Mitarbeiter des Vereins "Linksganoven", die "aus der deutschen Geschichte einfach nichts gelernt" hätten. Poggenburg selbst hat wiederholt die Parole "Deutschland den Deutschen" verwendet und ist für Björn Höcke das, was Robin für Batman ist, nur eben in der Rechtsaußenvariante.

Was Miteinander macht, um die AfD zu nerven

Die geschichtsvergessenen Ganoven findet man in einem Haus mit grauem DDR-Putz im Süden Magdeburgs. Am Gartenzaun hängt das Werbebanner einer Versicherung, die Geschäftsstelle von Miteinander sitzt im ersten Stock. Der abgelaufene Parkettboden knarzt. Laptops mit einem angebissenen Apfel-Logo finden sich hier keine, dafür liegt auf dem Herrenklo eine Ausgabe der Wochenzeitung die andere, erschienen am 15. Januar 1992.

"Davon, dass wir hier 'residieren', wie die AfD in ihrer Anfrage schreibt, kann nicht die Rede sein", sagt Pascal Begrich. Der 43-jährige Historiker ist seit neun Jahren Geschäftsführer des Vereins. 1992 und 1993, als Rechtsextreme in Rostock-Lichtenhagen einen Pogrom gegen Vietnamesen veranstalteten und in Mölln und Solingen tödliche Brandsätze auf die Häuser türkischer Familien warfen, lebte Begrich als Austauschschüler in den USA. "Aus der Ferne nimmt man das noch mal verstärkt wahr", sagt er. Begrich beschloss, sein Leben dem Kampf gegen Rechts zu widmen.

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Im Kampf gegen Rechts heftet Pascal Begrich auch ordentlich ab

Hinter seinem Schreibtisch hängt ein Plakat des Films Kriegerin. Darin versucht eine junge Neonazifrau aus der Szene auszusteigen, Miteinander hat das Filmteam beraten. Vor allem wenden sich an den Verein aber Polizisten, die zu Neonazidemonstrationen müssen, Gemeindeverwaltungen, die Probleme mit Rechtsrockkonzerten haben; und Sozialarbeiter oder Lehrer, wenn Cliquen rechtes Lied- und Gedankengut unter Mitschülern verbreiten. Die 22 hauptamtlichen Mitarbeiter von Miteinander beraten sie, erarbeiten Handlungsstrategien, leiten Diskussionen. Und sie beobachten und analysieren die rechte und rechtsextreme Szene Sachsen-Anhalts, geben jährlich mehrere Infobroschüren heraus. In denen listet der Verein nicht nur Gewalttaten von Rechten und Handlungsvorschläge zum Umgang mit Neonazis auf, sondern auch alle öffentlichen nationalistischen und rassistischen Äußerungen der AfD. Es ist die Art von Aufmerksamkeit, über die sich die sonst so interview- und postingfreudige Partei nicht so sehr freut.

Der Verein gründete sich 1998, der Grund war damals der Erfolg einer anderen Partei. Die rechtsextreme DVU zog völlig unerwartet mit 12 Prozent der Stimmen in den Landtag Sachsen-Anhalts ein. Vier Jahre später flog die Partei wieder aus dem Parlament, Miteinander blieb. Das Jahresbudget beläuft sich auf rund 1,6 Millionen Euro, das Geld kommt fast ausschließlich vom Land und dem Bund. Dass die Bundesregierung heute Programme gegen Rechts auflegt und sich nicht mehr nur allein die Antifa Rechtsextremen in den Weg stellt, ist auch ein Verdienst von Vereinen wie Miteinander.

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Wie die AfD schon jetzt das Land verändert hat

Bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt 2016 wählte dennoch fast jeder Vierte AfD, die Partei bekam mehr Stimmen als bei jeder anderen Landtagswahl. Das Ergebnis habe Sachsen-Anhalt verändert, sagt Pascal Begrich: "Unsere Positionen sind nicht mehr selbstverständlich, wir werden verstärkt verbal und körperlich angegriffen." Kurz nach der Wahl, erzählt Begrich, habe ihn ein stadtbekannter AfD-Anhänger minutenlang in aller Öffentlichkeit verfolgt und auf ihn eingeredet, obwohl Begrich sein Kind im Kinderwagen vor sich herschob. In Halle, sagt Begrich, belästige ein rechter Blogger Mitarbeiter des Vereins regelmäßig vor ihren Häusern. Der Mann bezeichnet Miteinander auf seinem Blog als "Vereinsmafia". Er betreibt einen Onlineversand, in dem er ein T-Shirt mit dem Schriftzug "Diesmal kommen wir im Sommer!" anbietet. Darüber sind zwei Wehrmachtssoldaten und die Termine der Fußball-Herren-WM in Russland abgedruckt.


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Wenn Menschen, die solche T-Shirts in Ordnung finden, gewalttätig werden, schaltet sich die Mobile Beratung für Opfer rechter Gewalt (MOB) ein – ebenfalls ein Projekt von Miteinander. Die MOB dokumentiert Attacken, unterstützt Betroffene und begleitet sie zu Gerichtsterminen. 2016 registrierte das Team 265 rechtsmotivierte Gewalttaten in Sachsen-Anhalt, fast 50 mehr als im Vorjahr und so viele wie noch nie seit Beginn der Erfassung 2003.

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Aktuelle Fälle publiziert MOB regelmäßig auf Facebook, so wie diese:

In Halle bewarf ein Kind auf einem Spielplatz eine 26-jährige schwarze Frau mit Sand, darauf hin beleidigten sie andere Mütter rassistisch, ein Unbekannter verprügelt sie schließlich vor den Augen ihrer Kinder. Von den zahlreichen Anwesenden will später niemand etwas gesehen zu haben. Oder diesen Vorfall in Magdeburg: Eine Gruppe deutscher Jugendlicher überfiel drei minderjährige Geflüchtete in ihrer Wohnung, verprügelte die Geflüchteten, zertrümmerte Teile der Einrichtung und stahl ihnen ein Handy. Ein weiterer Vorfall aus der Landeshauptstadt: Ein Unbekannter beleidigte eine 23-jährige Syrerin und ihre drei Kinder rassistisch, bevor er ein Holzstück in den Kinderwagen auf das darin liegende Baby warf. Das sieben Monate alte Kind überlebte, die Polizei ermittelt wegen gefährlicher Körperverletzung.

2017 haben sich mehr als 500 Menschen von MOB beraten lassen. In ihrer parlamentarischen Anfrage stellt die AfD den Sinn dieses und anderer Miteinander-Projekte trotzdem grundsätzlich infrage.

Wo die AfD versucht, die Demokraten zu spalten

Es ist nicht der erste Versuch der Rechtspopulisten, diejenigen zu schwächen, die sich gegen Neonazis aber eben auch gegen die AfD stellen. Im März legte die AfD-Fraktion einen "Alternativen Haushaltsplan" vor, in dem sie 4,5 Millionen Euro zusammenstreichen wollte, bei Miteinander, weiteren Projekten, die gegen Rechts kämpfen, und bei Unterstützungsprojekten für Geflüchtete. Der Antrag wurde abgelehnt, genauso wie der Versuch der AfD, die linken Recherchenetzwerke "rechercheMD" und "Sachsen-Anhalt rechtsaußen" verbieten zu lassen. Beide Plattformen hatten Verbindungen öffentlich gemacht, die Parteimitglieder zu NPD-Organisationen, Burschenschaften und der Identitären Bewegung unterhielten und teils bis heute unterhalten.

Mehr Erfolg hatte die AfD, als es ihrer Fraktion gelang, eine neue Enquete-Kommission einzusetzen. Die soll vorschlagen, wie das Bundesland zukünftig Linksextremisten bekämpft. Mehr als die Hälfte der 31 CDU-Abgeordnete stimmte mit der AfD für die Einsetzung der Kommission, der CDU-Fraktionschef Siegfried Borgwardt erklärte später, seine Partei habe die parlamentarischen Minderheitenrechte der AfD wahren wollen. Allerdings verfügt die AfD-Fraktion auch selbst schon über genügend Abgeordnete, um auf die nötige Anzahl von einem Viertel aller Stimmen zu kommen.

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Die AfDler belassen es nicht dabei, immer neue Anträge in ihre Office-Software zu tippen. Als am 7. Januar dieses Jahres rund 4.000 Menschen in Dessau dem in einer Polizeizelle verbrannten Asylbewerber Oury Jalloh gedachten, veranstaltete die AfD eine Gegendemo. Die Begründung: "Linksautonome" würden das Gedenken missbrauchen, "um Justiz und Polizei zu diskreditieren". Für diesen Samstag hat sich die Partei nun bei der Meile der Demokratie in Magdeburg angemeldet – sehr zur Irritation von Miteinander und anderen Teilnehmern der Veranstaltung. Denn die Meile entstand aus dem Kampf gegen Rechts: Sie soll seit 2009 ein Gegengewicht zu Hunderten Neonazis schaffen, die rund um den Jahrestag der Bombardierung Magdeburgs im Zweiten Weltkrieg durch die Stadt ziehen.

Bei ihren Aufmärschen in Magdeburg setzten die Neonazis auch 2013 auf einheitliche Kleidung || Foto: imago | imagebroker

"Die Aufzüge waren martialisch, mit Uniformen, Fahnen und Fackeln", sagt Begrich. Zwischenzeitlich war es einer der größten Neonazi-Aufmärsche Deutschlands. Die Meile der Demokratie blockierte die Neonazis zwar nicht direkt, belegte aber die Magdeburger Innenstadt. Bis 2015 wuchs die Teilnehmerzahl auf 15.000 Menschen an: Vereine, Beamte, Lokalpolitiker, Sportfunktionäre, Wirtschaftsvertreter und Studenten feierten ein Volksfest. Dieses Jahr wird die AfD einen Stand auf die Meile stellen – und Miteinander deshalb erstmals nicht an ihr teilnehmen. Der Verein zog sich im November von der Veranstaltung zurück. Während die AfD in der Mitte der Gesellschaft aufgenommen wird.

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Wer der AfD bewusst oder unbewusst hilft

Es ist wie so oft mit der AfD: Fast alle Beteiligten lehnen ihr Personal und ihre Positionen ab – auch unter den Organisatoren der Meile, sagt Pascal Begrich. Dennoch ist man sich uneins darüber, wie man mit der Partei umgehen soll. Schließen Medien und Institutionen sie aus, suhlt sich die AfD in der Opferrolle. Ignoriert die Gesellschaft hingegen die zahlreichen rassistischen, homophoben und antisemitischen Äußerungen und Positionen der AfD und bietet ihr ein Forum, normalisiert sie Ausländerfeindlichkeit und Geschichtsrevisionismus. Begrich findet Letzteres schlimmer: "Die Leute könnten fragen: Wenn die AfD hier mitmachen darf, wie kann sie dann problematisch sein? Hätte sich die NPD angemeldet, hätte jeder unseren Rückzug unterstützt."

Nun aber droht der Generalsekretär der CDU Sachsen-Anhalt, Sven Schulze, dem Verein offen mit einem Entzug der Fördermittel. Der Vorwurf: Miteinander verhält sich nicht neutral. Denn rein rechtlich kann man der AfD die Teilnahme nicht verbieten, so die Magdeburger Verwaltung. Ein Teil der Sachsen-Anhalter hat sie schließlich demokratisch in Land- und Bundestag gewählt, die Partei hat zudem den Aufruf zur Meile unterschrieben. Darin heißt es: "Rassismus, Hass und Gewalt haben bei uns keinen Platz". Wie das mit den Vorfällen aus der Vergangenheit zusammengeht, musste die Partei nicht erklären.

Auf dem Breiten Weg zeigt sich am Samstag auch ein breites Parteienspektrum: Erstmals macht die AfD bei der Meile der Demokratie mit

Vor drei Jahren hängten Unbekannte über 700 Plakate zur "Magdeburger Bombennacht" in der Stadt auf, Fotos zeigen, dass mindestens zwei davon auf alte AfD-Pappen geklebt waren. In der AfD Sachsen-Anhalt gibt es mindestens sechs AfDler – unter ihnen ein Kandidat von der Landesliste zur Bundestagswahl, ein Kreisvorsitzender und drei Mitarbeiter eines Landtagsabgeordneten –, von denen Fotos existieren, die sie entweder auf oder am Rande von Veranstaltungen von Neonazis abbilden, darunter auch die Januar-Demonstrationen der Magdeburger Neonazis, derentwegen die Meile überhaupt erst ins Leben gerufen wurde.

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Warum Sachsen-Anhalt ein AfD-Versuchslabor für ganz Deutschland ist

Beim Bundesparteitag im November schaffte es André Poggenburg trotz Unterstützung des nationalen Höcke-Flügels nicht in den Bundesvorstand. Zu klein und leichtgewichtig ist Sachsen-Anhalt im Vergleich zu anderen Bundesländern, zu viele Skandale hat Poggenburg angehäuft. Doch die anderen Landesverbände nehmen sich durchaus auch ein Beispiel an den Sachsen-Anhaltern. Der Landesverband ist sowas wie der Kanaltaucher der Partei.

Kein anderer AfD-Landesverband konnte bislang so viel Unterstützung aus der CDU erzielen und er war der erste, dem es gelang, eine eigene Landesstiftung einzurichten. Die AfD hofft, so weitere staatliche Gelder einzustreichen. Berliner AfD-Abgeordnete folgten dem Magdeburger Beispiel und versuchten, die bundesweit aktive Amadeu Antonio Stiftung zu diskreditieren, indem sie sie in die Nähe zu Linksextremisten rückten und damit in das Licht der Verfassungsfeindlichkeit. Ohne solche Organisationen und deren Dokumentation rechter und rechtsextremer Gewalt und Bewegungen könnten nicht nur Deutschlands Neonazis ungestörter leben. Auch die AfD hätte zwei Gegner weniger, die der Gesellschaft klarmachen, was es am Ende bedeutet, wenn die AfD "ihr Land zurückholen" und Politiker "jagen" will.

Dass die allerdings Ruhe geben werden, ist nicht zu erwarten. Pascal Begrich wird am am Samstag bei 3 Grad Celsius auf dem Magdeburger Domplatz stehen. Auf einer gemeinsamen Kundgebung wollen Miteinander und das Bündnis gegen rechts "kritisch beleuchten", wie sich die Partei der Gaulands, Höckes und Poggenburgs mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzt. Nur wenige Minuten zu Fuß entfernt vom Stand der AfD – auf der Meile der Demokratie.

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