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Popkultur

Schlecky Silberstein hat uns erklärt, warum er das Internet abschalten will

Und ja, der meint das ernst.
Foto: Schlecky Silberstein

Wenn du in den letzten Jahren irgendwann mal im Internet vorbeigeschaut hast, dann weißt du wahrscheinlich, wer Schlecky Silberstein ist. Auf seinem Blog versorgt Silberstein, der eigentlich Christian Brandes heißt, schon seit 2010 jeden Tag Tausende (wenn nicht Hunderttausende) dankbare Deutsche mit skurrilen Fundstücken aus dem Internet – egal, ob das stimmungsvolle Hühner-Porträtfotografien, Leitfäden zum gesetzestreuen Drohnenflug oder komplett aus Furbys gebaute Orgeln sind. Seit 2016 wird Brandes sogar von ARD und ZDF dafür bezahlt, das wehrlose Publikum mit direkt fürs Internet produzierten Videos zu bombardieren. Herausgekommen sind dabei so großartige Machwerke wie die "Masters of Germany Action-Figuren", "Der Outfluencer" oder das Video, in dem er aus dem islamistischen Amokläufer von Würzburg einfach mal einen unzufriedenen Messer-Käufer machte.

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Wenn ihr jetzt auf ein paar dieser Links geklickt und euch gefreut habt – merkt euch das Gefühl. Denn wenn es nach Brandes geht, wird es bald keine Links und kein Internet mehr geben. "Dem Internet verdanke ich alles", sagt Brandes, "aber das Internet muss weg." Um zu beweisen, dass er das wirklich ernst meint, hat er ein ganzes Buch darüber geschrieben. Das Buch müsst ihr natürlich trotzdem kaufen (beim Buchhändler, nicht auf Amazon), aber Brandes hat uns netterweise auch in einem Interview erklärt, was das soll.

VICE: Warum willst du das Internet abschalten? Was hat das Internet dir getan?
Christian Brandes: Ich hatte immer schon den hartnäckigen Verdacht, dass alle größeren Probleme, die wir gerade haben, immer direkt auf das Internet zurückzuführen sind: die Rückkehr des Nationalismus zum Beispiel, aber auch gesteigerte Depressionsraten. Und dann bin ich dem Verdacht nachgegangen und zu dem Schluss gekommen, dass das Internet wirklich an allem schuld ist – und deshalb weg muss.

Was hast du denn herausgefunden?
Zum Beispiel, dass sich in den letzten zwei Jahren sehr viele Leute aus dem Silicon Valley verabschieden. Unter anderem auch die zwei Leute, die den Like-Button bei Facebook entwickelt haben. Die sagen: Wir verdienen damit zwar einen Arsch voll Geld, aber was wir da gerade treiben, macht Leute bewusst fertig. Weil ganz klar ist, dass diese Abhängigkeit von Social Media oder dem Internet zentral gesteuert wird.

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Von wem denn?
Vor allem von Google und Facebook. Es geht dabei um den wertvollsten Rohstoff der Welt, unsere Daten. Google und Facebook sind in einem hartnäckigen Wettbewerb, wer diesen Rohstoff schneller abbauen kann, und dabei gehen sie sehr skrupellos und professionell vor. Sie pumpen die Daten im Prinzip direkt aus unseren Belohnungssystemen. Rohstoffe wie Öl und seltene Metalle wurden aus der Erde abgebaut und für Daten werden eben direkt unsere Gehirne angezapft.

Wie machen die das?
Es gibt dafür im Silicon Valley ein Schlagwort: Die nennen das ganz offen "Addictive Design" – also Design, das süchtig macht. Facebook und Instagram funktionieren genauso wie diese alten Spielautomaten. Ziel ist, so viel Aufmerksamkeit wie möglich und maximal viele Interaktionen zu produzieren. Das kann man auch neurologisch erklären: Ob ich jetzt am Automaten Geld in der Hoffnung auf noch mehr Geld einsetze oder auf Facebook Daten in der Hoffnung auf soziales Feedback, das kann das Gehirn nicht unterscheiden. Und das kann den User am Ende abhängig machen. Also muss das weg.

Was ist mit den ganzen Jobs, die am Internet hängen? Allein bei Google und Facebook arbeiten zusammen rund 100.000 Menschen, indirekt beeinflussen die Firmen Millionen Jobs global, auch meinen als Online-Journalist.
Ich sage den Leuten, dass das früher oder später eh kommen wird – die Automatisierung schreitet ja auch voran. Ich will jetzt nicht sagen, ist doch egal, ob ihr jetzt eure Jobs verliert oder später. Aber natürlich würden Jobs wegsterben – da muss man sich halt neu orientieren. Aber am Ende heiligt der Zweck die Mittel. Mir ist es wichtiger, dass Leute bei mentaler Gesundheit bleiben. Und dafür kann ich auch in Kauf nehmen, dass sich ein paar Leute bei Google oder in den Social-Media-Redaktionen umorientieren.

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Hast du dir das gut überlegt? Du lebst doch selbst vom Internet.
Das ist richtig [lacht], ich müsste umschulen. Aber das wäre es mir wert. Schau mal: Ich habe mittlerweile mein zweites Kind bekommen. Und ich stelle mir eben die Frage, wie diese Interaktions-Bombardements das Gehirn gerade von jungen Menschen verändern. Natürlich haben die Alten von jedem neuen Medium behauptet, dass es unsere Kinder kaputt macht. Aber für mich ist das Internet nicht einfach nur eine Weiterentwicklung wie das Radio oder das Fernsehen, sondern ein Quantensprung. Ein Ultra-Mörder-Hardcore-Medium. Das gab es einfach noch nie, dass wir psychologisch so nah an einem Medium dran waren.

OK. Aber was hat das mit Nationalismus zu tun?
Bei Facebook geht es ja vor allem um Anreize zur Interaktion. Und wie werden die am besten geschürt? Über Emotionen. Und da hat man eben gemerkt, dass Wut ein viraler Vollturbo ist. Google und Facebook haben deshalb auch eigentlich gar kein Interesse, so etwas wie Hate Speech einzudämmen – weil Wut die Leute dazu bringt, viel zu kommentieren und sich zu vernetzen.

Meine These ist: Die Leute, von denen wir dachten, die 68er hätten sie verjagt – Patriarchen, Frauenfeinde, Ultra-Nationalisten –, die mussten vor dem Internet ja denken, dass sie allein waren. Aber durch das Internet konnten sich alle diese rückständigen Wutnickel vernetzen. Da wächst gerade ein rechter Mob heran, der Wut und Hass als Schmiermittel für soziale Integration nutzt. Und so explodiert dann der Nationalismus.

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Die sozialen Medien können aber auch positive Vernetzungen schaffen – der Arabische Frühling zum Beispiel wäre ohne Twitter vielleicht nicht möglich gewesen.
Das ist richtig, ich will das auch nicht pauschal verteufeln. Grundsätzlich ist das positiv, wenn man in solchen Diktaturen die Möglichkeit bekommt, sich zu vernetzen. Andererseits hat sich der Arabische Frühling ja auch nicht so entwickelt, wie westliche Medien das vorhersehen wollten. Man glaubte ja teilweise, dass diese "Twitter-Revolution" jetzt komplette Landstriche durchdemokratisiert und da alle zu strammliberalen Amerikanern werden – so ist es ja dann auch nicht gekommen.

OK, das Internet macht und süchtig, krank und faschistisch.
Genau.

Aber selbst wenn das stimmt – wie willst du das abschalten? Das können wir nicht mehr.
Nein, richtig abschaffen geht leider nicht. Das Buch heißt Das Internet muss weg, aber das ist eher so ein Gefühl. Konkret sollte dieses von sozialen Medien geprägte Internet, das als Oberkontext den Datenkapitalismus kennt, sich verändern oder verschwinden. Das kann aber nur passieren, wenn die Leute skeptisch werden und die Zusammenhänge verstehen. Dann entsteht öffentlicher Druck, und dann könnte es auch passieren, dass Facebook und Google ihre Algorithmen nicht mehr als Betriebsgeheimnisse schützen – und wir könnten dieses "Addictive Design" der Algorithmen auch als Gesellschaft verstehen. Das würde ich mir wünschen.

Also, du sagt, der Staat muss intervenieren?
Ja, genau. Die Firmen müssen zur Verantwortung gezwungen werden. Aber dazu muss die Gesellschaft erstmal darauf aufmerksam werden. Wenn die Leute erst merken, warum sie dauernd gestresst sind, obwohl sie viel weniger schaffen als vor zehn Jahren, weil sie permanent mit Interaktions-Anreizen bombadiert werden, dann werden sie hoffentlich wütend. Und wenn Leute wütend sind, kommt es zu Veränderungen. Maximal sind es noch zwei Jahre, bevor das eine Riesendebatte wird.

Und was, wenn du dich irrst? Wenn das alles nur Panikmache ist und die Welt auch mit Internet einfach weitergeht?
Gut, im schlimmsten Falle passiert gar nichts. Vielleicht pendelt sich das auch irgendwann ein. Aber im Moment denke ich, dass wir da noch viel zu optimistisch sind.

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