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#metoo

"Da gehören immer zwei dazu": Was Ski-Legende Moser-Pröll gesagt und was sie gemeint hat

"Das Interview ist sehr unvollständig gebracht worden und wurde zum Teil völlig aus dem Zusammenhang gerissen."
Fotocollage von VICE Media | Screenshots via Twitter, DerStandard.com, Kurier.at

Der Beginn von #metoo und die dazugehörige Debatte um sexuelle Übergriffe ist mittlerweile mehrere Wochen alt. Trotzdem kommen praktisch ununterbrochen neue Vorwürfe gegen Männer aus den unterschiedlichsten Bereichen des Lebens ans Tageslicht – sowohl international, als auch in Österreich.

Vor kurzem haben diese Vorwürfe auch das heiligste aller österreichischen Heiligtümer erreicht: den Skisport. Nicola Werdenigg, in den 70er-Jahren erfolgreiche ÖSV-Athletin, trat an die Öffentlichkeit und berichtete von sexualisierter Gewalt durch Trainer, Betreuer, Kollegen und Serviceleuten in ihrer aktiven Zeit beim ÖSV. Werdenigg, die heute 59 ist, sei mit 16 Jahren von einem Mannschaftskollegen sogar vergewaltigt worden.

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Am Dienstag berichtete Servus TV in den Abendnachrichten über diese Vorwürfe. Zu Wort kommt in dem Beitrag nicht nur Werdenigg selbst, sondern auch eine weitere ÖSV-Legende: Annemarie Moser-Pröll, ihres Zeichens die vielleicht beste Skifahrerin ihrer Zeit und in den 70er-Jahren Team-Kollegin von Werdenigg, erklärt in dem Interview ihre Sicht auf die Vorwürfe. Darüber die Schlagzeile: "Moser-Pröll verteidigt ÖSV".

In der knappen Minute, in der die Salzburgerin zu Wort kommt, erklärt sie, dass sie den Vorfall bedaure, aber von solchen Vorkommnissen selbst nichts mitbekommen hätte: "So lange ich im aktiven Rennsport mit dabei war, hat sich bei uns überhaupt nichts zugetragen, nicht das Geringste. Ich hätte mich zu wehren gewusst."

Darüber hinaus macht Moser-Pröll darauf aufmerksam, dass es ja nicht so aus der Welt sei, wenn sich im Skisport auch Pärchen fänden, und nennt Paare wie Marlies Schild und Benni Raich als Beispiele. "Die sind auch nicht vergewaltigt worden", sagt Moser-Pröll im Interview. Und danach: "Da gehören immer zwei dazu."

Am Ende des Interviews äußert Moser-Pröll noch Bedauern für die Trainer, Betreuer und Serviceleute ÖSV, da "Leute, die alles gegeben haben, damit wir Erfolge haben" durch die Vorwürfe "in ein schlechtes Licht gerückt werden".

Wer weiß, wie die Welt im Jahr 2017 so ungefähr funktioniert, ahnt, wie die Geschichte weitergeht: Innerhalb kürzester Zeit wurde Moser-Pröll in sozialen Netzwerken für das Interview, nett gesagt, auseinandergenommen. "Da gehören immer zwei dazu" wurde schnell zur eigenen Schlagzeile, Berichte in großen Tageszeitungen ließen nicht lange auf sich warten.

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Der Beitrag dürfte sich nicht nur für Opfer von sexueller Gewalt extrem unangenehm anhören. Irgendwie wird man beim Anschauen das Gefühl nicht los, dass Moser-Pröll selbst etwas anderes meint, als ihr mittlerweile unterstellt wird.

Anders als bei den mehr als fragwürdigen Statements von Schauspielerin Nina Proll, die auf Facebook im Original nachzulesen sind, wirken Moser-Prölls Aussagen in in erster Linie, als wären sie entweder ungeschickt formuliert oder vom Sender aus dem Zusammenhang gerissen worden. Wie so oft hilft es auch hier, einfach bei der Person selbst nachzufragen, wie sie den Satz (und das ganze Statement) gemeint hat. Also haben wir das Telefon in die Hand genommen und genau das getan.

VICE: Frau Moser-Pröll, danke für Ihre Zeit. Haben Sie die Reaktionen auf ihr Servus TV-Interview mitbekommen?
Ja. Das Interview ist sehr unvollständig gebracht und zum Teil völlig aus dem Zusammenhang gerissen worden. Darf ich Ihnen das sagen, was ich gesagt habe?

Sehr gerne.
Dass mir das irrsinnig leid tut, was Nicola Spieß (Werdeniggs Mädchenname, Anm. der Red) passiert ist. Ich kann aber nur von meiner Zeit, dem was ich erlebt habe, berichten. Dass ich das am eigenen Leib nie erlebt habe. Dann bin ich wegen Pärchenbildungen gefragt worden – also, ob es das gegeben hat. Da habe ich gesagt: Natürlich hat es das gegeben, aber das waren keine Vergewaltigungen. Der Christian Neureuther und die Rosie (Mittermaier) haben sich so kennengelernt, oder auch Benni Raich und Marlies Schild.

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Also gab es da zuerst eine Nachfrage des Reporters, ob es Pärchenbildung im ÖSV gegeben hat? Die ist im Beitrag nämlich nicht zu hören.
Ja genau, so war es! Das ist ja auch keine Vergewaltigung gewesen, sondern so, wie man sich eben kennenlernt. Und da gehören doch immer zwei Leute dazu. Letztendlich ist es rübergekommen, als hätte ich gesagt: "Zu Vergewaltigung gehören immer zwei dazu". So haben sie es dann rübergebracht – lesen sie im Standard nach, da steht das praktisch so. Das habe ich aber überhaupt nicht gesagt.

Das heißt, die Aussage "Da gehören immer zwei dazu" war in dem Beitrag einfach aus dem Zusammenhang gerissen?
Total aus dem Zusammenhang gerissen, ja!


Anmerkung der Redaktion

An dieser Stelle müssen wir unsere Abschrift des Telefonats kurz unterbrechen. Wir haben natürlich auch in der Redaktion von Servus TV nachgefragt, um eine Erklärung gebeten und folgende Antwort per Mail erhalten:

Das Interview mit Annemarie Moser-Pröll wurde in gekürzter Form in besagten Beitrag der Servus Nachrichten integriert, weil es ungekürzt über vier Minuten lang dauert. Annemarie Moser-Prölls Aussagen wurden nicht aus dem Zusammenhang gerissen und keineswegs sinnentfremdet, wie das Transkript belegt. Zudem wurde folgende Frage in dem Interview gestellt: "Was würden Sie einem jungen Mädchen oder Burschen raten, sollte ihm so etwas passieren?"

Hier gibt es das gesamte ungekürzte Interview zum Nachschauen. Auch in dem vollständigen Clip findet sich keine Frage des Reporters zum Thema Pärchenbildung im Skipsort oder beim ÖSV im Speziellen.

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Das muss noch nicht zwangsweise bedeuten, dass die Skifahrerin wissentlich die Unwahrheit sagt – es kann auch heißen, dass sie sich falsch an die Situation erinnert oder ihr Statement zu Beziehungen im ÖSV-Team, das nahtlos an ihren Sager zu sexuellen Übergriffen im Skisport anschließt, schlichtweg ungeschickt formuliert war. Manchmal passieren Überleitungen auch unausgesprochen im Kopf. Manchmal will man aber auch nachträglich etwas anderes gesagt haben als man tatsächlich gesagt hat.

Wir haben also im Nachhinein noch mal explizit bei Annemarie Moser-Pröll wegen dieser vermeintlich gestellten Frage nachgehakt. Die Skisportlerin erklärt dazu:

"Das ist im Vorfeld passiert, als wir über das Thema gesprochen haben. Man steht ja im Vorfeld des Interviews schon zusammen und spricht. Das mag vielleicht im Interview schlecht rüberkommen, da gebe ich Ihnen vollkommen recht. Aber gemeint habe ich, dass es solche Beziehungen immer gegeben hat, wie die von einem Neureuther Christian und einer Rosie Mittermaier. Und dass da immer zwei dazugehören."

Wieder zurück zum Interview:


Eine Aussage, an der sich viele Leute auch noch gestört haben, ist: "Ich hätte mich zu wehren gewusst." Weil es so wirkt, als wären die Opfer selbst schuld, weil sie sich eben nicht gewehrt haben.
Wenn man mich fragt, was ich gemacht hätte, dann muss ich natürlich sagen: Ich hätte mich zu wehren gewusst – das ist ja eine ehrliche Aussage. Dann hab ich eben noch gesagt, dass es mir leid tut, dass Trainer und Betreuer jetzt in ein schlechtes Licht gerückt werden. Aber ich verurteile jede Art von Gewalt und sexueller Belästigung. Ich kann nur sagen, dass mir das leid tut, was passiert ist.

Das heißt zusammengefasst, Sie haben die Aussage nicht so gemeint und sind mit dem Interview in der Form, wie es bei Servus TV gebracht wurde, nicht einverstanden?
Nein, ganz und gar nicht. Dass sie das so aus dem Zusammenhang reißen, ist meiner Meinung nach nicht in Ordnung. Ich hab gerade mit Servus TV telefoniert und gefragt: "Was habt ihr euch dabei gedacht?" Dann ist lange Zeit nichts gekommen. Lange Zeit.

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