Ein Hund
Symboldbild eines Hundes: Pexels

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Sex

Dieser Mann untersucht, warum sich manche Menschen zu Tieren hingezogen fühlen

"Zoophile argumentieren so: 'Wenn ich Sex mit diesem Hund habe und der nicht wegrennt, dann hat er wahrscheinlich nichts dagegen oder findet es gut'", sagt Dr. Damian Sendler.

Update vom 4. März, 11 Uhr: Wie das Magazin Gizmodo aufgedeckt hat, hat Dr. Damian Sendler zu seinen Studien und seinem Lebenslauf mehrfach falsche und irreführende Angaben gemacht – auch gegenüber Medien wie VICE.

Die wissenschaftliche Realität ist leider so: Mit Studien zu Menschen mit Furzfetisch lassen sich nur schwer Fördergelder beantragen. Das könnte einer der Gründe dafür sein, warum Paraphilien, also sexuelle Vorlieben abseits der gängigen Schlafzimmer-Gepflogenheiten, wissenschaftlich nicht besonders gut erschlossen sind. Jenseits von ein paar archivierten Domian-Sendungen und natürlich erstklassig recherchierten VICE-Artikeln wissen wir im Grunde wenig über das sexuelle "Andere".

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Der forensische Sexologe Damian Sendler möchte das ändern. Er hat wissenschaftliche Arbeiten darüber veröffentlicht, was passiert, wenn jemand durch Atemspiele beim Sex stirbt, und er hat die analen Verletzungen durch Fisting mit denen durch passiven Sex mit Tieren medizinisch verglichen. In seiner neuesten Arbeit beschäftigt sich der Forscher wieder mit Menschen, die Sex mit Tieren haben oder davon fantasieren: mit Zoophilen. "Warum Menschen, die Sex mit Tieren haben, glauben, dass es ihre sexuelle Orientierung ist – Eine Grounded-Theory-Studie zu Online-Gemeinschaften mit Zoophilen" lautet der sperrige Titel seines seiner Arbeit, die in der Fachzeitschrift Deviant Behaviour erschienen ist. Er forschte an dem einzigen Ort, an dem diese Menschen offen und ungestört miteinander reden können: in Internet-Foren.

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Dr. Damian Sendler | Foto bereitgestellt

"Es gibt Hilfe für posttraumatische Belastungsstörungen oder Depressionen, aber niemand beschäftigt sich mit dieser Störung", sagt Sendler. "Warum soll ich über etwas schreiben, über das täglich bereits Hunderte Artikel veröffentlicht werden?"

VICE hat sich mit ihm über Zoophilie, Online-Gemeinschaften und darüber unterhalten, wie es ist, kontroverse Themen wie Sexfantasien mit Hunden zu untersuchen.

VICE: Was ist die wichtigste Erkenntnis Ihrer Studie?
Dr. Damian Sendler: Unsere Studie hat gezeigt, dass Zoophile durchaus Bedenken bei Sex mit Tieren haben. Ob dieser einvernehmlich ist, ist bei ihnen ein großes Thema. Wir haben uns angeschaut, woran diese Menschen festmachen, dass die Tiere es wollen, und wie sie ihre Handlungen rechtfertigen. Darüber hinaus hat sich die Studie auch noch mit der grundlegenden Frage beschäftigt, ob man Zoophilie überhaupt als sexuelle Orientierung bezeichnen kann.

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Zoophile ziehen immer wieder Vergleiche dazu, wie Homosexualität lange Zeit behandelt wurde und nach vielen Jahren endlich ihr Stigma verlor. Alle Menschen, die von der Gesellschaft geächtetes sexuelles Verhalten praktizieren, stellen früher oder später die gleiche Frage: Wenn Schwule und Lesben heiraten und ein normales Leben führen können, warum dann nicht ich?

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Screenshot aus einem Zoophilie-Forum

Aber die entscheidende Frage ist: Wie willigen Tiere ein? Wie wird das in den Foren diskutiert?
Sehr intensiv. Im Grunde sagen sie, dass ein Tier wegrennt, wenn man ihm etwas antut. Das kennen wir auch aus der Biologie. Zoophile scheinen daraus eine Zustimmung abzuleiten. Ihre Argumentation geht in etwa so: "Wenn ich Sex mit diesem Hund habe und der beim nächsten Mal, wenn ich das mache, nicht wegrennt, dann hat er wahrscheinlich nichts dagegen oder findet es gut. Wenn er mir Spielsachen oder andere Lieblingsgegenstände bringt, dann ist das vielleicht seine Art, Einvernehmen zu signalisieren?."

Was fanden sie am bemerkenswertesten bei den Dialogen in Online-Foren für Zoophile?
Es ist interessant, dass sie sich dort jahrelang miteinander unterhalten, ohne jemals das Bedürfnis zu kommunizieren, sich persönlich zu treffen. Ich denke, dass das mit der Stigmatisierung und der möglichen Illegalität ihrer Aktivitäten zu tun hat. Es ist ähnlich wie bei Pädophilen. Sie kenne diese ganzen Menschen im Internet, aber sie werden sie niemals treffen. Also unterstützen sie sich gegenseitig mit Nachrichten, feiern Geburtstage und verhalten sich wie beste Freunde, aber eben nur online.

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Ohne solche Foren hätten sie kaum eine Möglichkeit, miteinander zu sprechen. Wir wollen herausfinden, wie man diesen Menschen in ihrer natürlichen Umgebung, also diesen Foren, helfen kann.

Sie glauben also, diese Online-Plattformen können Leben zum Positiven verändern?
Absolut. Stellen Sie sich vor, Ihre Ansichten, Ihre Sehnsüchte gelten als dermaßen krankhaft, dass Sie darüber mit niemandem reden können. Die Online-Community wird dann ihr Zuhause. Ich muss dann automatisch daran denken, wie es vor 20 oder 30 Jahren gewesen sein muss, als Menschen noch keinen solchen Ort hatten.

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Screenshot aus einem Zoophilie-Forum

Wir haben uns angeschaut, wie junge Menschen über ihre ungewöhnliche Sexualität sprechen und wie ältere, die ohne Internet aufgewachsen sind. Besonders interessant war, dass die älteren Zoophilen sich mehr um Gleichgesinnte kümmern und manche von ihnen sogar in ähnliche Gegenden ziehen. Deswegen haben wir zum Beispiel in den Vereinigten Staaten diese ländlichen Gebiete, in denen sich Zoophile zusammentun. Sie leben abgeschieden auf dem Land, wo es keine Polizeiüberwachung gibt. Und sie scheinen sehr zufrieden zu sein – nicht nur sexuell, sondern auch mental. Sie sind jetzt nämlich nicht mehr allein.

Sie nannten als Grund für die Studie, dass sie Ärzten und Therapeuten dabei helfen kann, das Phänomen besser zu verstehen. Warum?
Bislang ist unser Wissen zur Zoophilie beschränkt. Es gibt nicht besonders viele wissenschaftliche Untersuchungen dazu. Vor 15 Jahren sind ein paar Arbeiten zum Thema erschienen, aber seitdem ist nicht mehr viel passiert. Bislang waren die allermeisten Zoophilen, die wir untersucht haben, Menschen im klinischen Kontext. Sie waren an uns herangetreten, weil sie Hilfe brauchten oder weil ihnen Verbrechen zur Last gelegt wurden.

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Wenn man nur mit Patienten arbeitet, ist die Stichprobe allerdings unausgewogen. Wir verwenden diese Foren und Social-Media-Plattformen, weil es vor allem schwer ist, die Menschen dazu zu bringen, sich für die Forschung bereitzustellen. Sie müssten dann zu mir in die Klinik kommen, Papierkram unterschreiben und Patient werden. Im Internet können wir deviante, also von der empirischen Norm abweichende, Verhaltensweisen in ihrem natürlichsten Kontext studieren und beschreiben.


Auch von VICE: Zoophilie und Sodomie in Europa


Wie sollten Zoophile Ihrer Meinung nach behandelt werden?
Wenn jemand aufgrund seiner sexuellen Triebe das Gefühl hat, nicht er oder sie selbst sein zu können, dann sollte sich diese Person Hilfe suchen. Es gibt natürlich auch Probleme, weil das Ausüben dieser Neigung strafbar sein kann – und je nach Land sehr heftig sanktioniert wird. Wahrscheinlich hält das auch viele Menschen davon ab, sich Hilfe zu suchen. Wenn du anonym per E-Mail Fragen stellen kannst, ist die Hemmschwelle viel geringer.

Jedem Menschen, der mich kontaktiert, stelle ich die einfache Frage: "Schadet Ihnen Ihr Dasein als Zoophiler beruflich oder in Ihren zwischenmenschlichen Beziehungen?" Wenn es sich auf Fantasien beschränkt, braucht die Person vielleicht gar keine Behandlung. Man muss sorgsam abwägen, wer behandelt werden sollte. So eine Therapie kann schwierig sein. Außerdem wissen nicht viele Therapeuten und Ärzte, wie man damit am besten umgeht.

Warum ist es wichtig, derartiges Verhalten zu untersuchen?
Ein Problem im Wissenschaftsbetrieb ist, dass sich ungern mit Themen befasst wird, die umstritten und kompliziert sind. Das liegt auch daran, dass uns oft die richtigen akademischen Werkzeuge fehlen. Forschung und die Verbreitung von Wissen, können allerdings dabei helfen, Stigmata aufzuheben, mit denen bestimmte Sexualpraktiken zum Teil seit Jahrhunderten behaftet sind.

Meine Forschung wird das Stigma wahrscheinlich nicht unbedingt aufheben, aber sie wird zeigen, dass nicht jedes Sexualverhalten und jeder Trieb ungewöhnlich sind – oder nur bestimmte Schichten betreffen. Wir wissen zum Beispiel, dass Teenager ständig damit experimentieren, die Grenzen ihrer sexuellen Lust auszutesten. Meine Aufgabe ist es, umstrittenes Sexualverhalten offenzulegen.

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