Warum immer mehr Berliner Studenten in teuren "Luxus-Apartments" wohnen
Den Minibackofen hat Robert mitgebracht, der Rest war schon da || Alle Fotos von Hanko Ye

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Studieren in Berlin

Warum immer mehr Berliner Studenten in teuren "Luxus-Apartments" wohnen

Sie geben über 600 Euro aus – für 20 Quadratmeter.

Das Berghain bekommt Konkurrenz: 800 Leute standen Anfang Oktober für eine Wohnungsbesichtigung in Berlin an. Für Studenten ist es mittlerweile einfacher, sich zur Stoßzeit einen Sitzplatz in der notorisch überfüllten Grimm-Bibliothek der Humboldt Uni zu ergattern, als mit Sack und Bong in die eigenen vier Wände einzuziehen. Auf dem überhitzten Berliner Wohnungsmarkt stehen sie am Ende der Nahrungskette. Da helfen auch Seiten wie WG-Gesucht wenig: Manche Leute haben schlicht nicht den Nerv oder die Zeit, den zwanzigsten veganen Schoko-Bananen-Kuchen zum WG-Casting zu schleppen und dann über ihre Putzgewohnheiten zu lügen. Andere haben auch einfach nicht den richtigen Pass und bürgende Eltern, um am Ende bürokratischen Wahnsinns als Sieger hervorzugehen.

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Die Antwort großer Immobilienunternehmen: "Luxus-Wohnheime". Den Betonneubau The Fizz hat die International Campus AG vor drei Jahren eröffnet. 2016 kam ein Apartment-Wohnheim von VIVA Campus am Gesundbrunnen hinzu. Und in diesen Wochen zogen die ersten Studenten in das YouniQ und in das Studio House Berlin. Ersteres gehört der luxemburgischen Corestate Capital Group, letzteres ist ein Projekt der Groth Gruppe und Investa Immobilien. Stadtteilaktivisten wie "Hände Weg Vom Wedding" sprechen von "Verdrängung" und einem "Ausverkauf der Stadt".

Die Häuser mit ihren großen Glasfenstern sind zentral gelegen, die Apartments und Studios sehen aus wie von einem schwedischen Möbelhaus ausgestattet – Hotelatmosphäre statt Schimmeldusche. Es gibt einen Pförtnerdienst und Gemeinschaftsräume. Wer hier wohnt, zahlt warm bis zu 1.000 Euro im Monat, definitiv aber über 500 Euro. Wer sind die Studenten, die hier einziehen? Wir haben Bewohner getroffen.

Vicky, 18

Vicky (links) mit einer Freundin

Die Portugiesin war zu Hause auf einer deutschen Schule und studiert jetzt Biotechnologie auf Bachelor an der TU Berlin. Ihr neuer Lebensmittelpunkt ist das YouniQ im Wedding.

VICE: Wie hast du das Apartment gefunden?
Vicky: Ich wollte in Berlin studieren, aber ich habe keine Wohnung gefunden. Die Studentenwohnheime waren eh schon voll. Das hier war die letzte Möglichkeit, noch einen Platz zu finden. Hattest du es auch mit WGs probiert?
Ja, aber ich bin aus dem Ausland, das hat es erschwert. Niemand wollte mir eine Zusage geben, ohne mich vorher getroffen zu haben. Ich bin dann zwar zu WG-Castings gegangen, aber niemand hat sich danach bei mir gemeldet und dann wurde die Zeit knapp.

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Wie viel zahlst du jetzt?
Ich zahle 600 Euro warm für ein kleines Studio-Apartment. Da muss ich mir mit niemandem Bad oder Küche teilen, aber es ist nur rund 20 Quadratmeter groß. Eigentlich sollte meine Wohnung viel weniger kosten, aber ich hatte keine andere Chance.

Willst du länger bleiben?
Fürs Erste ist das hier die beste Lösung. In den Gemeinschaftsräumen unten treffen sich alle und gucken zusammen Filme oder machen Partys. So habe ich neue Freunde gefunden. Im Haus leben andere Portugiesen, Spanier, Italiener, Franzosen und sogar Georgier. Die Deutschen sind in der Minderheit. Im nächsten Jahr will ich mir aber definitiv eine Wohnung suchen.

Hind

Die Irakerin ist nach Berlin gekommen, um ihren Master in International Management zu machen. Ihr Bruder bürgt für sie und ihr Apartment im YouniQ, ihre Hochschule ist um die Ecke.

VICE: Wie lebst du?
Hind: Allein. 20 Quadratmeter. 619 Euro. Da sind Internet und Nebenkosten bereits drin. Mein Limit waren 400 Euro, aber für den Preis konnte ich nichts Vernünftiges finden, obwohl ich viel und lange gesucht habe. Davor habe ich in Bochum gelebt – 27 Quadratmeter für 290 Euro warm.

Stört es dich, dass du dich nicht selbst einrichten konntest?
Nein, mir gefällt, dass das Apartment samt Badezimmer wie ein Hotelzimmer aussieht, das fühlt sich luxuriös an. Ein paar meiner Freunde sind nach Neukölln oder hier in den Wedding gezogen, die zahlen zwar weniger, aber ehrlich gesagt sind ihre Wohnungen nicht so toll.

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Bist du also zufrieden mit deiner Entscheidung?
Die Leute hier sind sehr nett. Vielleicht liegt es daran, dass alle noch neu sind. Mich stört nur, dass man für die Waschmaschinen extra bezahlen muss: 5 Euro pro Ladung.

Robert, 19

Die Küchenzeile von Robert (Foto oben)

In seinem Zimmer hat Robert bereits Erinnerungsfotos seiner Freunde aufgehängt. Im YouniQ gibt es dafür extra Pinnwände, damit niemand die Wände anbohrt. Auf dem Backofen, den Robert mitgebracht hat, stehen braune Fastfoodtüten.

VICE: Wie bist du nach Berlin gekommen?
Robert: Ich bin aus Offenbach und wollte unbedingt Naturwissenschaften in der Informationsgesellschaft studieren. Das geht nur an der TU Berlin. Als ich mir die Beschreibung auf der Webseite durchgelesen habe, wusste ich, dass das zu mir passt. Also dachte ich: Riskier es!

Wie bist du dann hier gelandet?
Meine Mutter hat das im Internet gefunden. Ich hatte vorher zwei Monate lang nach Wohnungen geguckt, aber es war sehr schwer, überhaupt irgendetwas zu finden, das nicht so krass teuer ist. Und ich hatte keine Lust auf WG-Castings und es war mir auch zu weit weg, um aus Offenbach jedes Mal rüberzufahren. Ich wollte erstmal was Festes finden.

Dafür ist es teuer.
Ja, aber das geht noch. Die 619 Euro im Monat stemme ich zur Hälfte durch BAföG, Kindergeld und Jobben – meine Eltern geben die andere Hälfte dazu. Es ist wirklich wie im Hotel. Ich finde das cool. Man denkt immer ein bisschen, man wäre im Urlaub.

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Wie denkt deine Mutter über deine neue Bleibe?
Sie findet es cool, dass ich hier nicht allein bin, sondern unter anderen Studenten lebe. Wenn ich in ein Mietshaus wie hier gegenüber gezogen wäre, dann würde ich da vielleicht allein zwischen alten Menschen leben. Hier kann ich mit jungen Leuten feiern gehen. Für den Kochabend neulich hatte ich allerdings keine Zeit.


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Manuel, 26

Im Eingangsbereich des Wohnheims hat das Management zahlreiche Spruchbilder aufhängen lassen

Der Psychologiestudent ist an diesem Tag frisch eingezogen, am nächsten Tag beginnt sein Masterstudium. Er sagt, er zahle "600 Euro und ein bisschen" für seine Bleibe im YouniQ.

VICE: Mit wie viel zieht man um, wenn das Apartment bereits möbliert ist?
Manuel: Ich bin das erste Mal mit einem vollgepackten Kleinwagen gekommen und heute dann nochmal mit einem Reiserucksack und zwei großen Taschen. Ein paar Sachen fehlen jetzt zwar noch, aber das meiste ist da.

Hast du vorher schon mal in einem Studentenwohnheim gewohnt?
Ja, in Amsterdam. Das war viel günstiger, aber man bekam deutlich weniger geboten. Bei den 350 Euro waren zwar Internet und Strom mit drin, aber es war kleiner als hier, nicht neuwertig – eher heruntergekommen – und vor allem lag das Haus auch nicht so zentral wie das hier.

Hast du dich vorher nach Alternativen in Berlin umgesehen?
Ich habe zwei Wochen lang gesucht, aber auch nicht wirklich aktiv. Die meiste Zeit habe ich mich um den Umzug meiner Freundin gekümmert. Da wäre es dann gar nicht mehr möglich gewesen, auch noch eine neue Wohnung in Berlin voll zu möblieren. Wann hast du das erste Mal gemerkt, wie angespannt der Berliner Wohnungsmarkt ist?
Als ich mein Vorstellungsgespräch an der Uni hatte, meinte der Professor direkt zu mir: Hier findet man nichts, fang besser direkt an, dir was zu suchen! Vor fünf bis zehn Jahren hatte ich immer noch gehört, dass man ziemlich einfach und günstig eine Wohnung in Berlin finden kann. Das hat sich geändert.

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Sofia, 25

Die Mexikanerin ist die erste Bewohnerin, die wir vor dem Fizz in Kreuzberg treffen. Sie studiert jetzt Psychologie mit Schwerpunkt Klinischer Psychologie auf Master.

VICE: Warum das Fizz und keine Psychologen-WG?
Sofia: Ich habe nicht nach WGs gesucht, denn ich wusste, was ich wollte. Das Konzept hier gefällt mir. Ich habe vorher schon fast ein Jahr lang in Hannover gelebt und ein paar Freunde haben in dem dortigen Fizz gewohnt. Außerdem wusste ich bereits, wie angespannt der Wohnungsmarkt hier ist. Darauf wollte ich mich erst gar nicht einlassen.

Was erwartest du von einer Unterkunft?
Für mich sind meine Privatsphäre und ein eigenes, abschließbares Schlafzimmer am wichtigsten. Das habe ich beides hier.

Kann man hier denn richtig heimisch werden?
Ich fühle mich nicht so, als ob ich in einem Hotel wäre. Das hängt auch davon ab, wie du dein Zimmer dekorierst. Für mich ist mein Apartment einfach eine moderne, kleine Wohnung. Dafür zahle ich 675 Euro pro Monat. Das entsprach auch meinem Budget.

Martin

Der Pariser studiert daheim an der Paris School of Business und macht gerade ein Auslandsjahr in Berlin.

VICE: Als Pariser hast du sicherlich eine ganz andere Sicht auf die Berliner Preise als Deutsche, oder?
Martin: Für mich ist es sehr billig, obwohl ich 680 Euro warm zahle. Aber in Paris müsste ich dafür 1.000 Euro berappen.

Wo bist du auf das Angebot gestoßen?
Von Frankreich aus über das Internet. Für mich war wichtig, dass ich sehr zentral und mit anderen Studenten aus verschiedenen Kulturen zusammenlebe. Hier bin ich nicht allein und lerne viele Leute kennen. Vier meiner Kommilitonen leben auch hier. Und abends ist immer Party.

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Wie passt das Wohnheim deiner Meinung nach in die Gegend hier?
Nachts ist es sehr ruhig, von dem besetzten Haus [Anm.d.R.: die Köpi] oder dem Hostel bekommen wir nichts mit. Es gibt hier auch eine Security.

Fauzy, 21

Der Student der Informatik und BWL hat vor Berlin in Koblenz gewohnt. Als Jordanier hatte er nicht die besten Chancen, als er ein Zimmer in der Hauptstadt suchte.

VICE: Was ist deine Geschichte zum Berliner Wohnungsmarkt?
Fauzy: Ich bin vor zwei Jahren in die Stadt gezogen. Vorher hatte ich sechs Monate lang gesucht – ohne Erfolg. Als Migrant ist es nicht wirklich einfach, eine Wohnung oder selbst einen Wohnheimplatz in Berlin zu bekommen. Hier wollten sie nur meinen Pass und Kontoauszüge haben.

Kritiker sehen "Luxus-Wohnheime" wie das Fizz als Teil von Verdrängung und Gentrifizierung.
Ich kann das nachvollziehen. Die Preise, gerade in Kreuzberg, sind enorm angezogen. Studenten oder Leute mit geringeren Einkommen können es sich praktisch nicht mehr leisten, nahe der Unis und den Berliner Hotspots zu leben. Deshalb rücken sie weiter heraus, nach Steglitz etwa. Das verändert auch die Bezirke. Kreuzberg galt ja lange als eine Art "Start-up": Die Wohnungen waren billig und das Bier in den Kneipen auch. Junge Leute wie du und ich konnten ihren Spaß haben, ohne auf ihren Geldbeutel achten zu müssen.

Wie viel zahlst du jetzt?
600 Euro für ein kleines Apartment. Das ist schon sehr teuer, aber dafür sind die Leute großartig. Die meisten meiner Freunde habe ich hier kennengelernt. Wir haben Berlin zusammen entdeckt. Wirklich luxuriös finde ich es hier allerdings nicht, die machen hier definitiv Geld mit uns. Aber ich muss auch irgendwo leben.

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