FYI.

This story is over 5 years old.

Festival Guide

Wie unser Körper ein Festival aushält – erklärt von einem Chemiker

Schlafentzug, Alkohol, Drogen: So arbeitet dein Körper im Überlebensmodus.

Dieser Artikel ist Teil des VICE Guides für Festivals, alle Texte findet ihr hier.

"Der Leib ist der Tempel des Heiligen Geistes", sagt der Apostel Paulus im ersten Brief an die Korinther 6:19. Warum also gehen wir zu Festivals und behandeln unsere Tempel wie den letzten Dreck? Wir trinken warmes Dosenbier zum Frühstück und nehmen unbekümmert weiter Drogen, selbst wenn wir wissen, dass wir gar nicht mehr high werden, weil wir die letzten drei Tage damit verbracht haben, jedes letzte Tröpfchen Serotonin in unserem Gehirn zu verbrauchen. All das paaren wir mit Schlafmangel, Dauertanzen, Haribo zum Abendessen und einer Laissez-faire-Einstellung zum Händewaschen nach der Benutzung der Dixi-Klos, in die vorher wortwörtlich Tausende von Leuten ihre chemikalienverseuchten Ausscheidungen ausgeleert haben.

Anzeige

Und trotzdem: Unsere Tempel stehen noch. Wir wachen zwar benebelt und mit Schmerzen im ganzen Körper auf, aber nach ein paar Stunden Gejammer und einer leisen Diskussion mit sich selbst, ob man nicht einen Tag früher nach Hause fahren sollte, machen wir einfach weiter. Wie passiert das eigentlich genau? Wie halten wir drei, vier, oder sogar sieben Tage auf einem Festival aus, ohne zu sterben oder wenigstens im Krankenhaus zu landen? Darüber habe ich mit dem Chemiker Guy Jones gesprochen. Er ist der Technische Direktor von Reagents Testing UK. Die Firma stellt Tests her, mit denen man die Zusammensetzung chemischer Drogen herausfinden kann.


Auch bei VICE: Hinter den Kulissen eines Stinktier-Festivals


VICE: Was passiert auf Festivals mit unserem Körper? Schaltet er in den Überlebensmodus? Guy Jones: Das könnte man so sagen. Der Körper produziert das Stresshormon Kortisol, erkennt, dass ungewöhnliche Bedingungen vorliegen und versucht, die Prozesse dementsprechend anzupassen. Er erkennt also, dass er nicht geschlafen hat, dass er physische Anstrengungen geleistet hat und dass er Substanzen ausgesetzt war, die er wahrscheinlich als Gift ansieht. Deswegen aktiviert er sein Reparatursystem, um all das zu verarbeiten.

Wie sehen diese Reparatursysteme aus?
Nehmen wir das Beispiel MDMA: Wenn das Gehirn ein Neuron entdeckt, das durch ein Stoffwechselprodukt von MDMA beschädigt wurde, schickt es ein Signal an der Körper und der repariert oder ersetzt die Zelle.

Anzeige

Nach einem ein- oder zweitägigen Festival fühle ich mich manchmal schlechter als nach drei Tagen Party. Denkt der Körper am dritten Tag: "So sieht mein Leben jetzt also aus"?
Das Gehirn empfängt Signale aller externen Faktoren eines Festivals, also lange aufbleiben, Alkohol trinken und so weiter, aber der Körper weiß nicht, dass nach vier Tagen wieder alles vorbei ist. Sein Job ist es, die Systeme den Gegebenheiten so gut wie möglich anzupassen und er ist sehr geschickt darin. Wenn er also das externe Signal bekommt, dass du jetzt um fünf Uhr morgens ins Bett gehst, wird er sich daran gewöhnen.

Foto: Jake Lewis

Also verbessert sich die Schlafqualität und man fühlt sich erfrischter?
Das ist möglich. Natürlich schläfst du immer noch in einem Zelt mit einer Menge sensorischer Störungen um dich herum. Aber dein Körper wird aufhören, dich um neun Uhr morgens aufwecken zu wollen.

Übertüncht der Alkohol nicht einfach, wie schrecklich man sich fühlt?
Das kann natürlich sein. Wenn man drei Tage lang getrunken hat und dann wieder anfängt, kann das den Kater überdecken. Das bedeutet zwar, dass es einem am nächsten Tag noch schlechter gehen wird, aber das ist einem ja meistens egal, weil man dann wieder zu Hause ist.

Wie wichtig ist die Festivalstimmung, wenn es darum geht, deinen Körper am Laufen zu halten?
Man muss den sozialen Aspekt berücksichtigen. Das Gefühl der Kameradschaft, dass sich am letzten Tag jeder etwas ausgelaugt fühlt und trotzdem noch einmal alles gibt, ist sehr stark. Stell dir einfach einmal vor, dass jemand dich vom Festival nach Hause teleportieren würde. Wenn dich dann jemand fragen würde, ob du noch clubben gehen willst, würdest du es einfach nicht machen. Natürlich nicht.

Was ist mit Gruppenzwang? Wenn man beispielsweise früh schlafen möchte, aber nicht immer "der Langweiler" sein will?
Wenn es der Plan deiner Gruppe war, drei Tage lang durchzufeiern, dann spielt das natürlich eine Rolle. Du musst dir auch überlegen, was zu länger anhaltenden Erinnerungen führt. Wenn du abends um elf ins Bett gehst und morgens um neun aufstehst, wirst du am Ende eine ganz andere Geschichte erzählen. Es hängt alles davon ab, was deine Motivation ist. Diese Motivation beeinflusst ungemein die Fähigkeit deines Körpers, immer weiter zu feiern. Selbst wenn er müde ist.

Folge VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.