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Menschen

10 Fragen an einen Transmann, die du dich niemals trauen würdest zu stellen

Wie hast du Sex? Ist deine Freundin hetero- oder homosexuell? Könntest du dir vorstellen, als Transmann schwanger zu werden?
Der Transmann Jay-Liam beantwortet uns Fragen über Sex, Beziehung und das Mann-Sein
Alle Fotos: Hakki Topcu

Jay-Liam, kurz Jay, ist ein Kind der Nuller Jahre. In einer Welt voller Britney Spears und Paris Hiltons, Baggy-Pants und Nike-Schweißbänder verbrachte er seine Kindheit damit rauszufinden, wer er ist. Jay wurde 1998 in Bottrop geboren – körperlich gesehen als Mädchen. Er sagt, er habe schon als Kind eher "Jungssachen" gemacht und sich nie wirklich mit anderen Mädchen identifizieren können. "Richtig einordnen konnte ich die Gefühle damals aber noch nicht", sagt er. Das änderte sich, als er mit 13 zufällig beim Durchzappen auf eine Dokumentation über Transsexualität stieß. Jay fing an, im Internet zu dem Thema zu recherchieren, und merkte: Das trifft alles auf mich zu. Ich wurde im falschen Körper geboren.

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In Deutschland haben laut dem Bundesjustizamt zwischen 1995 und 2016 knapp 21.000 Personen offiziell ihr Geschlecht geändert. "Wir gehen davon aus, dass die Dunkelziffer deutlich höher liegt", sagt Andrea Ottmer von der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität gegenüber VICE. Genaue Zahlen gibt es allerdings nicht.

Jay machte mit 17 seine erste Therapie. Zwölf Monate später überwies seine Therapeutin ihn zum Endokrinologen, bei dem er seine Hormontherapie begann. Mit 18 ließ er offiziell seinen Namen und sein Geschlecht ändern. Anschließend ließ er sich die Brüste entfernen. In seiner Berufsschulklasse – Jay wird Veranstaltungstechniker – weiß kaum jemand von seiner Transsexualität.

10 Fragen an einen Transmann, die du dich niemals trauen würdest zu stellen

Jay ist 1,87 m groß

VICE: Wie hast du deiner Familie gesagt: Ich möchte jetzt als Mann leben?
Jay: Ich habe es zuerst meinem kleinen Bruder gesagt. Da war ich ungefähr 13. Ich bin zu ihm hingegangen und habe mit ihm darüber gesprochen, dass er sicherlich schon gemerkt hat, dass ich anders als andere Mädchen bin und mich im falschen Körper geboren fühle. Er fand das total cool. Meinen Eltern habe ich erst davon erzählt, als ich 15 war. Die kamen leider nicht so gut damit klar. Mein Vater war sehr skeptisch und meine Mutter wollte es einfach nicht wahrhaben. Besonders die Reaktion meiner Mutter hat mich sehr enttäuscht. Immer wenn ich mit ihr reden wollte, hat sie total abgeblockt. Als ich nach meiner Brust-OP im Krankenhaus lag, ist sie nicht einmal vorbeigekommen. Das Verhältnis zu meinen Eltern war nie wirklich gut. Mittlerweile ist es aber besser geworden und sie akzeptieren mich, wie ich bin. Wer mich wirklich überrascht hat, war meine Oma. Ich hatte nie mit ihr über das Thema gesprochen und sie wusste auch nichts von meiner OP. Als ich im Krankenhaus lag, ging plötzlich die Tür auf und meine Oma stand da.

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Transmänner

Was war die schlimmste Diskriminierung, die du erlebt hast?
Auch bevor ich als Mann gelebt habe, hatte ich immer weite T-Shirts an und habe mich wie ein Junge verhalten. In der Schule musste ich mir dafür öfters Sprüche anhören. Als ich in der neunten Klasse war, bin ich auf meine Lehrer zugegangen und habe ihnen gesagt, dass ich mich im falschen Körper fühle. Nachdem ich mich vor meiner Klasse geoutet habe, hörten die dummen Sprüche auf. Als Transmann habe ich persönlich danach nie Diskriminierung erfahren. Ich hatte Glück. Auch meine Freunde kamen total gut damit klar. Für sie hat sich nicht wirklich viel verändert, außer die tiefere Stimme und die fehlende Brust. Dazu kommt, dass mein bester Freund ebenfalls transsexuell ist. Da er einen Schritt weiter als ich ist, konnte er mir viele Fragen beantworten und hat mir besonders in der ersten Zeit sehr geholfen.

Jays bester Freund ist ebenfalls transsexuell

Warum begehen so viele Transpersonen Suizid?
Ich kann nur von mir sprechen, und ich selbst habe nie über Selbstmord nachgedacht. Ich denke, es kommt stark auf die eigenen Lebensverhältnisse an. Wenn jemand keine Familie oder Freunde hat, mit denen er reden kann und die ihn unterstützen, stelle ich mir den Weg sehr schwierig vor. Viele Menschen können am Anfang nicht einordnen, was mit ihrem Körper passiert. Deshalb ist es wichtig, jemanden zum Reden zu haben, auch unabhängig von der Therapie. Ich bin in zwei Facebook-Gruppen für Transsexuelle. Da kann man alle Fragen stellen und fühlt sich nicht mehr alleine. Ich empfehle dort auch gerne meinen Arzt. Wenn jemand Bilder von dem Ergebnis sehen möchte, verschicke ich die auch.

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Welchen Teil deines Körpers lehnst du am meisten ab?
Das waren meine Brüste. Tagsüber konnte ich sie zwar durch weite Klamotten verstecken, aber es war immer wahnsinnig kompliziert, schwimmen zu gehen. Ich hätte natürlich trotzdem meine Badehose anziehen können, aber dann hätte mich wirklich jeder angeguckt. Darauf hatte ich einfach keine Lust, deswegen habe ich solche Situationen vermieden.

Du hast keine geschlechtsangleichende OP durchführen lassen. Wieso nicht?
Momentan finde ich die Ergebnisse einfach noch zu schlecht, um so einen großen Eingriff an meinem Körper durchführen zu lassen. Ich denke schon, dass ich den Schritt irgendwann gehen werde, aber nicht in den nächsten fünf Jahren. Die Operation ist ziemlich riskant. Es kommt immer darauf an, wie gut der Körper die Operation wegsteckt und das zusätzliche Körperteil annimmt. Vor der Operation wird ein Stück Haut aus dem Unterarm entnommen. Daraus wird der Penis geformt. Auch wenn ein Orgasmus möglich ist, fühlen viele Transmänner lange Zeit gar nichts. Es dauert, bis Kopf und Körper das Gefühl zuordnen können.


Auch bei VICE: "Nouveau She" hilft Transpersonen dabei, ihre Identität zu finden


Ist deine Freundin homosexuell oder heterosexuell?
Heterosexuell. Wir haben uns vor zweieinhalb Jahren bei unserem Nebenjob kennengelernt, da war ich körperlich noch eine Frau. Näher gekommen sind wir uns erst vor sieben Monaten, da war meine Brust-OP knapp ein Jahr her. Es war gut, dass sie den Prozess mitbekommen hat und wusste, dass ich transsexuell bin.

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Als Jays Brust entfernt wurde, wurde rund um die Brustwarze geschnitten.

Als Jays Brust entfernt wurde, wurde rund um die Brustwarze geschnitten. "Heute sieht man kaum mehr etwas von der OP – nur wenn jemand Bescheid weiß und genau hinsieht", sagt er

Wie hast du Sex?
Für die meisten Transmänner ist vaginaler Sex nicht vorstellbar. Da ich aber noch keine geschlechtsangleichende OP hinter mir habe und Strap-ons nicht brauche, ist er für mich völlig in Ordnung. Durch die Hormontherapie habe ich eine gesteigerte Libido. Ich kann und will deswegen nicht auf Sex verzichten. Für meine Freundin war es natürlich eine Umstellung, aber kein Problem.

Könntest du dir vorstellen, als Transmann schwanger zu werden?
Nein, auf gar keinen Fall. Das liegt gar nicht unbedingt daran, dass ich eine Schwangerschaft als typisch weiblich empfinde. Ich möchte dieses Gefühl einfach nicht fühlen. Damit schließe ich natürlich aus, leibliche Kinder zu bekommen. Das ist aber kein Problem für mich.

Beleidigt es dich, wenn man sagt, du warst früher eine Frau oder wurdest "als Frau geboren"?
Nein. Das ist meine Geschichte. Die kann ich nicht ändern. Wenn ein Journalist also schreiben würde, dass aus einer Frau ein Mann wurde, wäre das Fakt. Schwieriger fände ich es, wenn mein alter Name genannt werden würde. Den habe ich aber auch niemandem mehr verraten, seitdem es ihn für mich nicht mehr gibt. Für mein Umfeld war die Namensänderung natürlich eine kleine Umstellung. Besonders meine Fußballmannschaft hat es am Anfang nicht immer hinbekommen, mich Jay zu nennen. Ich habe damals in einer reinen Frauenmannschaft gespielt. Als ich dann angefangen habe, die Hormone zu nehmen, musste ich sie allerdings verlassen. Testosteron fällt unter Doping. Heute soll mein alter Name endgültig aus meinem Leben wegbleiben.

Wie reagieren Leute auf dich, die dich das letzte Mal als Frau gesehen haben und nicht von deiner Geschlechtsangleichung wussten?
Viele Leute, die mich das letzte Mal vor der Hormonbehandlung und vor den körperlichen Veränderungen gesehen haben, haben mich tatsächlich gar nicht erkannt. Das war im ersten Moment natürlich eine Überraschung für die, mich so zu sehen. Trotzdem waren die meisten Reaktionen positiv.

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