Österreich

Österreich beweist, dass es wirklich eine dumme Idee ist, sich mit Rechtsextremen einzulassen

Niemand kann überrascht sein, über das, was Heinz-Christian Strache im Ibiza-Video sagt. Wer jetzt noch über eine Zusammenarbeit mit AfD und anderen Rechten nachdenkt, setzt die Demokratie aufs Spiel.
Sebastian Kurz und Christian Strache
Seit Samstag Ex-Regierungspartner: Kurz und Strache || Foto: imago images | photonews.at

Es ist schwer zu verarbeiten, was in den letzten Tagen in Österreich passiert ist. So eine politische Erschütterung hat die Zweite Republik, die mit Haider und der FPÖ oder dem Fall Strasser politische Erschütterungen durchaus gewohnt ist, selten erlebt. Aber der Fall geht weit über Österreich hinaus. Was hier passiert ist, ist für ganz Europa eine wichtige Lektion: Wer sich mit Rechtspopulisten einlässt, riskiert dabei, seine eigene Seele zu verlieren. Das wichtigste Beispiel: die erbärmliche Reaktion des österreichischen Kanzlers, Sebastian Kurz.

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Die Krise, kurz zusammengefasst: Am Freitag veröffentlichten der Spiegel und Süddeutsche Zeitung in Kooperation mit der österreichischen Wochenzeitung Falter Ausschnitte eines Videos, das Vizekanzler Heinz-Christian Strache von der FPÖ (zum Zeitpunkt der Aufnahme noch Oppositionsführer) und seinen engsten Vertrauten Johann Gudenus beim feuchtfröhlichen Umtrunk mit einer vermeintlichen russischen Oligarchin zeigt. Dabei werden munter die Vergabe von Staatsverträgen, die Übernahme der größten Zeitung des Landes sowie die Privatisierung des Wassers besprochen, wenn die FPÖ in Regierungsverantwortung kommt. Als Gegenleistung winken Parteispenden, die am Rechnungshof vorbeigehen – und geheim bleiben.

Keine Überraschung: Rechtspopulisten haben Korruption in ihrer DNA

Diese Bilder sind politisch und moralisch indiskutabel und mitunter wohl strafrechtlich relevant. Gleichzeitig werden sie niemanden überraschen, der sich auch nur ein bisschen mit der FPÖ beschäftigt hat. Die Rechten präsentieren sich gerne als Sauberpartei, die Österreich und "den kleinen Mann" gegen die korrupten Eliten verteidigt. Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass genau Strache, der dieses Bild bis zum Erbrechen bemüht hat, nun darüber stolpert, dass er österreichische Interessen nach Russland verkaufen will.

Jetzt, wo er aufgeflogen ist, präsentiert sich Strache als Opfer einer finsteren Verschwörung. Er suggeriert, dass die SPÖ und ihr Wahlkampfberater von 2017, der Israeli Tal Silberstein, etwas mit der Sache zu tun haben könnten. Das ist ein altbekanntes Muster. Schuld sind die Anderen. Vor allem, wenn sie aus dem Ausland kommen. Der Name Silberstein ist längst in der Rhetorik der FPÖ (und der ÖVP) zur Chiffre für alles Schlechte geworden. Strache inszeniert sich bei seinem Rücktritt als einmalig charakterschwach, aber prinzipiell mit dem Herz am rechten Fleck. Gegen die ihm präsentierten Versuchungen habe er nicht ankämpfen können. Er, will Strache uns glauben machen, sei also auch ein wenig Opfer der Umstände.

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Dabei ist die FPÖ immer wieder in Korruptionsskandale beziehungsweise zweifelhafte Finanzgeschäfte verwickelt. Korruption und bedenkliche finanzielle Geschäfte zum persönlichen Vorteil sind strukturelle Probleme solcher Parteien. Sie hängen an der hierarchischen und auf Führungspersonen zugespitzten Verfasstheit der Parteistruktur, in der demokratische Kontrolle und Widerspruch unerwünscht sind. Die FPÖ ist damit nicht die Ausnahme unter den rechtsextremen Parteien in Europa. Auch die AfD hat ihre Spendenaffäre und auch der (damalige) Front National (heute: Rassemblement National) kam in Erklärungsnot über dubiose Deals mit russischem Geld.

Viel bedenklicher: Die Prinzipienlosigkeit von Kanzler Kurz

ÖVP-Chef Kurz ließ lange auf sein Statement warten, um es dann am Samstagabend zur besten Sendezeit live der Nation vorzutragen. Spannend an seiner Inszenierung ist der weitestgehende Gleichschritt mit Strache. Auch er sieht sich als Opfer ausländischer Mächte. Auch er erwähnt den Namen Silberstein.

Kurz geht aber noch weiter: Er inszeniert sich auch noch als Opfer der FPÖ. Er musste, erinnert uns der Kanzler mit traurigem Blick, die vielen rassistischen und rechtsextremen Ausfälle der FPÖ still im Sinne der Sachpolitik erdulden, um Österreich voranzubringen. Das wahre Opfer der menschenverachtenden Ideologie der FPÖ, so erfahren wir, sind nicht die betroffenen Menschen – sondern Sebastian Kurz selbst.

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Das sind Töne, die man so bis jetzt nicht gehört hat von Kurz. Vielmehr hat er sich im Wahlkampf und in der Regierung als weniger schmuddelige Variante der FPÖ präsentiert. Auch bei ihm war der Themenkomplex "Islam, Terror, Kopftuch, Flüchtlinge" stets ein zentraler Punkt. Jetzt auf einmal sollen wir ihm aber glauben, dass ihm diese Art der Politik stets zuwider war. Das zeigt: Kurz ist wendig, Kurz lässt sich nicht von Prinzipien ausbremsen. Das mag für seine politische Karriere gut sein – für die Republik ist es katastrophal.

Das ist das Bemerkenswerte an dem Statement des Kanzlers: Er hat fast ausschließlich darüber geredet, was die Krise mit Kurz gemacht hat. Auf die wirklich bedenklichen Passagen des Videos – den Frontalangriff auf die freie Presse und die kritische Öffentlichkeit, die der von Alkohol, Geldgier und Größenwahn besoffene Strache da plant – geht Kurz dabei kaum ein. Er verliert kein Wort zur Stärkung der freien und unabhängigen Presse. Kurz geht es in seinem Statement ausschließlich darum, sich als Saubermann und Heilsbringer zu inszenieren, der von den vielen Verfehlungen der FPÖ nichts wissen konnte. Trotz zahlreicher Warnungen, auch von Parteifreunden und -freundinnen.

Das Versuchslabor Österreich ist explodiert

In der Staatskrise zeigt sich, wie ähnlich die beiden Parteien bzw. ihre Führungspersonen einander sind. Sie beide sind Opfer der Umstände und übernehmen nur widerwillig oder gar nicht persönliche Verantwortung. Die Angleichung einer bürgerlichen und einer rechtsextremen Partei sollte als Warnung für ganz Europa dienen. Denn wer funktionieren und wirken will wie eine rechtsextreme Partei, der muss auch die Konsequenzen dieser Inszenierung tragen.

Das ist nicht nur eine Stilfrage, sondern auch eine der politischen Verfasstheit. Wenn es kein sachliches Agieren, auch im Sinne der Republik, mehr gibt, sondern alles Inszenierung ist, was bleibt dann vom demokratischen-politischen Feld noch übrig?

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Österreich ist das Versuchslabor für diese Art der rechtspopulistischen und rechtsextremen Politik. Das gilt auf Sachebene, wie zahlreiche Gesetze zur Bevorzugung Reicher und zu Ungunsten der weniger Vermögenden zeigen.

Das gilt, wenn es um Skandale geht, wo Ibiza nur der Tropfen ist, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.

Das gilt aber vor allem, wenn es um politische Inszenierung geht, wo FPÖ und ÖVP in den letzten zwei Jahren und jetzt im Auseinanderbrechen der Koalition einen Paarlauf hingelegt haben. Das ist noch ein deutlicher Unterschied zu anderen bürgerlichen Parteien in Europa, die die Distanz zu rechtsextremen Parteien suchen. Die Distanz bröckelt aber schon deutlich, wenn man etwa auf die CDU und den immer wiederkehrenden Ruf nach einer Koalition mit der AfD schaut – etwa nach den Landtagswahlen in Sachsen im Herbst. Getarnt wird das als "taktische Überlegung". Dahinter steckt aber auch immer der Wunsch, die linken und liberalen Kräften einmal so richtig in die Schranken zu weisen.

Österreich ist ein warnendes Beispiel, wenn diesem Drang nachgegeben wird und bürgerliche Parteien sich Rechtsextremen annähern. Auf dem Spiel stehen hier jetzt nicht weniger als die Institutionen der Republik – und die Demokratie als solches.

Natascha Strobl ist Politikwissenschaftlerin aus Wien mit dem Schwerpunkt Neue Rechte und Identitäre. Sie schreibt auf Twitter unter @Natascha_Strobl und #NatsAnalyse aktuelle Analysen zu rechtsextremer Rhetorik.

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