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Waffengewalt

Neun Kugeln haben meinen Körper durchsiebt

Derrick Strong kam als Unbeteiligter bei einer Schießerei fast ums Leben. Er erzählt, wie sein Leben heute aussieht und warum es nie wieder normal sein wird.
Foto: bereitgestellt von Derrick Strong

Dieser Artikel ist in Zusammenarbeit mit The Trace entstanden, einer Organisation, die gegen Waffengewalt in den USA kämpft.

Die neun Kugeln, die Derrick Strong fast das Leben kosteten, kamen wie aus dem Nichts. Er stand vergangenen November in einer Autogarage in New Orleans und redete mit einem Freund. Dann bohrten sich plötzlich die Geschosse in seinen Magen, seine Blase, sein Rektum, einen seiner Lungenflügel, seinen rechten Arm und seine Beine.

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In den USA überleben jährlich mehr als 80.000 Menschen einen Schusswaffenangriff. Anfang des Jahres veröffentlichte The Trace einen Fragebogen, um besser zu verstehen, wie sich diese Angriffe auf die Opfer, deren Familien und deren Gemeinden auswirken. Strong füllte den Fragebogen als einer der ersten aus. Das ist seine Geschichte.

Nach der Schießerei lag ich erstmal gut zwei Wochen im Krankenhaus. Aber auch nach meiner Entlassung musste ich mich immer wieder operieren lassen – sieben OPs sind es jetzt schon. Bald kommt die achte, denn ein Stent, ein medizinisches Implantat in meine Blase, muss wieder raus.

In den ersten Monaten nach dem Angriff saß ich noch im Rollstuhl. Seit Kurzem laufe ich aber wieder, mit Krücken oder einem Gehstock. An manchen Tagen fühle ich mich stark. An anderen Tagen habe ich unglaubliche Schmerzen in den Knien und kann ohne Hilfe nicht stehen. Laufen und Rennen ist schwierig für mich. Außerdem ist mein Arm noch nicht komplett bewegungsfähig. Wenn ich mich nach etwas runterbeuge, habe ich Rückenschmerzen. Wenn ich mein Knie zu stark anwinkle, tut es weh. Wenn ich zu lange sitze, schmerzt es. Ich kann mit meiner rechten Hand nicht an meine Schulter fassen. Und ich kann meinen Bizeps nicht anspannen.

Wenn ich wegen einer Operation im Krankenhaus bin, kümmert sich ein Physiotherapeut um mich. Außerhalb des Krankenhauses sieht es jedoch anders aus: Zwar hat man mir verschiedene Praxen empfohlen, aber keine akzeptiert meine Versicherung. Deshalb mache ich meine eigenen Übungen. Schon als kleiner Junge habe ich verschiedene Kampfsportarten trainiert. Ich möchte einen Martial-Arts-Experten fragen, ob er mir dabei helfen kann. Und ich plane, mich gelegentlich in einen abgelegeneren Park zurückzuziehen, um Atem-, Yoga- und Tai-Chi-Übungen zu machen. Ich laufe viel – obwohl es mir jetzt sogar schwer fällt, nur eine Runde um den Block zu drehen. Mein Bein tut weh und ich werde schneller müde.

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In den Monaten vor dem Zwischenfall lebte ich mit meiner damaligen Freundin zusammen. Bei einem Streit schlug ich ein Loch in die Wand, der Vermieter hat uns dann rausgeschmissen und ich wohnte in Hotels. Nach der Schießerei kam ich bei meiner Schwester unter, die in einer Kleinstadt rund 50 Minuten von New Orleans entfernt lebt. Ich wollte bewusst außerhalb der Großstadt wieder gesund werden, damit mich niemand in meinem Zustand sieht. Als ich mich etwas erholt hatte, zog ich bei meinem Bruder ein, der näher bei New Orleans lebt.


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Meine Eigenständigkeit zu verlieren, hat mich richtig runtergezogen. Zuvor bin ich noch alleine über die Runden gekommen. Jetzt lebe ich bei anderen Leuten, muss mich von anderen von A nach B bringen lassen und werde von anderen Menschen finanziell unterstützt. Zwar macht meine Familie das gerne, aber es ist dennoch sehr nervig. Normalerweise fährt mich mein Bruder oder meine Schwester zu einem Termin. Wenn die beiden arbeiten müssen oder etwas anderes vorhaben, dann schaue ich in die Röhre.

Weil neun Kugel meinen Körper durchsiebten, bin ich nicht mehr wirklich fähig, normal zu arbeiten. Früher war ich in einer Non-Profit-Organisation tätig – und zwar dort, wo auf mich geschossen wurde. Um jetzt etwas Geld zu verdienen, trete ich als Motivationscoach auf und verkaufe meine Musik und Kunst im French Quarter von New Orleans. Ich male vor allem Bilder von Superhelden, Landschaften oder Gesichtern, in letzter Zeit auch viele Blumen. Aber wenn ich meinen Arm zu lange anwinkle, tut er weh.

Mit 28 bin ich noch ziemlich jung. Ich fühle mich aber eher wie 50. Wie soll ich mit meinen Gebrechen wieder einen richtigen Job finden? Die Arbeitssuche macht mir Sorgen und ich warte immer noch auf Invalidenzuschüsse. Die überhaupt zu bekommen, war schon nicht leicht, denn mit Anfang 20 saß ich im Gefängnis – wegen verschiedener Delikte, zum Beispiel Drogenbesitz, Brandstiftung oder Einbruch. Jetzt bin ich ein körperlich eingeschränkter Verbrecher. Das lässt meine Chancen gewaltig schrumpfen. Wenn ich kein Einkommen habe, kann ich schnell in gefährliche Situationen geraten. Ich glaube, ich werde nie wieder komplett gesund. Aber ich kann noch laufen. Und ich bin noch am Leben. Mein Nachname lautet Strong – und daraus versuche ich, meine Kraft zu holen.

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