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gottfried von cramm

Der schwule deutsche Tennis-Held, der sich den Nazis entgegenstellte

Gottfried von Cramm war der beste deutsche Tennisspieler im Dritten Reich. Als schwuler Sportsmann rettete er seinen jüdischen Partner vor den Nazis.
PA Images

Wenn Briten an das Wimbledon-Finale der Männer 1936 denken, denken sie vor allem an Fred Perry. Das Endspiel hat im kollektiven Gedächtnis auf der Insel einen bedeutsamen Platz, weil es—vor Andy Murrays Triumph 2013—das letzte Mal war, dass ein britischer Tennisspieler im All England Club gewinnen konnte. Gegen wen Perry damals im Finale gespielt hat, das wissen heute nur noch die wenigsten Briten. Als Perry nach seinem Dreisatzsieg ans Netz ging, schüttelte er die Hand eines großen, blonden Gentlemans. Ein zäher Bursche mit weichen Gesichtszügen: Dieser Mann war Gottfried Freiherr von Cramm, einer der besten deutschen Tennisspieler aller Zeiten. Er war ein überragender Athlet, der zu den besten Spielern zählt, die nie in Wimbledon gewinnen konnten, und der für seinen ungemein eleganten Spielstil berühmt war.

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Von Cramm gelang der Durchbruch in der internationalen Tennisszene, als er 1934 im Finale von Roland Garros den Australier Jack Crawford schlagen konnte. Er hatte zwar zuvor schon die deutsche Meisterschaft gewonnen, doch der Triumph in Paris war sein erster Grand-Slam-Titel. Die Tatsache, dass er Deutscher war—und dazu noch schwul (obwohl das damals nur die wenigsten wussten)—, machte seinen Sieg umso pikanter.

Hitler bei einem Nazi-Aufmarsch 1934. Foto: Via

Gottfried kam als drittältester Sohn von Burghard von Cramm und dessen Frau Jutta im Schloss Nettlingen auf die Welt. Die von Cramms waren ein südost-niedersächsisches Adelsgeschlecht. Gottfried war wohlhabend und umgänglich und in Deutschland äußerst populär. Er hatte eine gewinnende Persönlichkeit und war für seine guten Manieren und sein ausgesprochenes Fairplay bekannt. Auch wenn es zu Zeiten seines ersten French-Open-Sieges nur im Flüsterton kolportiert wurde: Von Cramm war schwul und führte eine diskrete Beziehung mit Manasse Herbst, einem jungen jüdischen Schauspieler.

Und genau diese Beziehung war in Deutschland anno 1934 ein echtes Problem. Adolf Hitler war bereits an der Macht und nur ein Jahr später sollte Homosexualität auch per Gesetz verboten werden. Jüdische Mitbürger wurden schon damals diskriminiert und waren Gewalt und Schikanierungen ausgesetzt. Es war also in diesem gesellschaftlich-politischen Kontext, dass Gottfried von Cramm einer der gefeiertsten Sportler Deutschlands wurde und ein Land, das immer mehr im totalitären Sumpf versank, im Ausland zu vertreten hatte.

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Blond, wohlgeformt und richtig „arisch": Gottfried wurde vom Regime als Person mit starkem Symbolcharakter angesehen. Doch aufgrund seiner Überzeugungen hat er sich geweigert, diese Rolle anzunehmen. Obwohl er gezwungen war, ein Hakenkreuz auf seinen Shirts zu tragen und vor jedem Match den Hitlergruß aufzuführen, hat er an anderer Stelle immer wieder unter Beweis gestellt, dass er kein Teil der Nazipropaganda sein und werden wollte. Andere Deutsche schlossen sich bereitwillig der Nazi-Sportobrigkeit an, Gottfried wollte einfach nur sein von Gentlemantum und Fairplay geprägtes Tennis spielen.

Von Cramm (links) gratuliert Fred Perry zu seinem Wimbledon-Sieg 1936. Foto: PA Images

Die Spannungen zwischen Gottfried und dem Regime wurden nach dem Davis-Cup-Finale 1935, das Deutschland gegen die USA gewann, immer größer. Er hatte im entscheidenden Moment des Entscheidungsspiels einen Matchball nicht annehmen wollen, weil er meinte, beim Ballwechsel einen technischen Fehler begangen zu haben—einen Fehler, den keiner außer ihm gesehen hatte. Von Cramm informierte den Schiedsrichter, dass der Punkt an Team USA gehen müsste. Deutschland sollte am Ende verlieren und die Schuld für die Niederlage wurde natürlich bei von Cramm festgemacht.

Nach dem Spiel soll der deutsche Kapitän, Heinrich Kleinschroth, vor Wut mit dem Kopf gegen die Wand der Umkleidekabine geschlagen haben. Kleinschroth nannte von Cramm einen Vaterlandsverräter. Dessen Antwort war ein Spiegelbild seines Charakters. „Im Gegenteil, ich finde nicht, dass ich das deutsche Volk verraten habe. Ich finde vielmehr, dass ich es geehrt habe." Das Regime sah das natürlich anders und der Druck von oben wurde nach der Niederlage noch größer.

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Gottfried hat sich wiederholt geweigert, der NSDAP beizutreten—trotz diverser Aufforderungen und Drohgebärden, unter anderem von Hermann Göring (die beiden verband übrigens die Tatsache, dass sie Vereinskameraden beim Tennisclub Rot-Weiß Berlin waren). Er verachtete die Nazis für ihre Rassenpolitik im Allgemeinen—und im Speziellen für die Tatsache, dass sie einem seiner früheren Teamkameraden, dem Juden Daniel Prenn, verboten, an internationalen Turnieren für Deutschland an den Start zu gehen, und ihn somit ins Exil zwangen.

Von Cramm (rechts) mit seinem Doppelpartner Heinrich Henkel. Foto: Via

Trotz aller Einflussnahmen von oben zeigte von Cramm weiterhin glänzende Leistungen auf dem Platz. Er triumphierte 1936 erneut in Roland Garros und gewann auch im Doppel an der Seite von Heinrich Henkel in Frankreich und bei den US Open im Jahr darauf. Seine größten Erfolge feierte er aber in Wimbledon—und das, obwohl er nie das Turnier gewinnen konnte. Doch seine Manieren auf und neben dem Platz machten ihn zum Publikumsliebling. Als er 1951—also nur wenige Jahre nach dem Krieg—nach Wimbledon zurückkehrte, wurde er—als Deutscher, wohlgemerkt—mit stehenden Ovationen bedacht.

Dreimal hintereinander zog Gottfried vor dem Krieg ins Wimbledon-Finale ein, dreimal sollte er das Endspiel verlieren—davon zweimal gegen Fred Perry (1935 und 1936) und das dritte Mal gegen die US-amerikanische Tennislegende Don Budge (1937). Auch wenn er alle drei Endspiele ohne eigenen Satzgewinn verlor, sollte man wissen, dass er gegen die unbestrittenen Superstars seiner Zeit antrat. Sein erstes Finale gegen Perry und sein Endspiel gegen Budge gingen—dank hervorragender und unterhaltsamer Ballwechsel—als echte Klassiker in die Turniergeschichte ein.

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Von Cramm beim Wimbledon-Finale 1935

Als sich die politische Situation in Europa verschlechterte und ein zweiter Weltkrieg immer näher rückte, wurde das Verhältnis zwischen von Cramm und den Nazis immer angespannter—bis das Fass endgültig überlief. Vor einem Davis-Cup-Match 1937 gegen Budge machte das Gerücht die Runde, dass von Cramm von Hitler angerufen wurde und dieser ihn aufgefordert hatte, sein Spiel um jeden Preis zu gewinnen. Trotz einer 4:1-Führung im entscheidenden Satz verlor von Cramm am Ende mit 6:8. Die Nazis waren not amused.

Am 5. März 1938 unterbrachen zwei Gestapobeamte ein Familiendinner bei den von Cramms. Gottfried wurde verhaftet und wegen Unzucht zwischen Männern und Fluchthilfe vor Gericht gestellt. Auch wenn die Beschuldigungen eindeutig politisch motiviert waren, konnte sie von Cramm nicht von der Hand weisen. Manasse Herbst war 1936 in Richtung Palästina geflüchtet und von Cramm hatte ihm bei der Flucht geholfen und diese finanziert.

Am 14. Mai fand der Prozess statt und von Cramm wurde zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Sein Anwalt erreichte eine vorzeitige Haftentlassung, indem er argumentierte, Herbst hätte seinen Mandaten erpresst. Das Ganze war natürlich nur ein Trick gegen das von ihm so verhasste Regime und nach dem Krieg setzten von Cramm und Herbst ihre Freundschaft fort. Ohne von Cramms Geld hätte das Leben von Herbst womöglich von Nazihand tragisch enden können.

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Don Budge war einer von zahlreichen Tennisspielern, die sich für von Cramm einsetzten. Foto: Via

Als ein Mann mit vielen Freunden in der Tenniswelt dauerte es nicht lange, bis ihm zahlreiche prominente Spieler zur Seite sprangen. Beschwerden gingen bei den deutschen Nazi-Behörden ein und Don Budge startete eine Unterschriftensammlung unter Profis und schickte ein Protestschreiben an Hitler. Leider war die britische Tennisobrigkeit alles andere als verständnisvoll. Nach von Von Cramms vorzeitiger Entlassung 1939 wurde er vom All England Club geächtet. Das politische Klima der Zeit war zweifelsohne der Hauptgrund für den Wimbledon-Ausschluss, doch die offizielle Begründung lautete, dass er als Vorbestrafter nicht mehr zu den Werten Wimbledons passen würde.

Wimbledon hatte von Cramm den Rücken gekehrt, obwohl er selbst Opfer der Nazi-Ideologie geworden war und sich gegen diese aufgelehnt hatte. Auch bei den US Open durfte er wegen seiner Vorstrafe nicht mehr antreten. Der Zweite Weltkrieg setzte von Cramms Tenniskarriere dann endgültig ein Ende—und kostete ihm fast das Leben. Im Mai 1940 wurde er eingezogen und musste an die Ostfront, wo er schwere Erfrierungen an beiden Beinen erlitt. Die meisten Mitglieder in seiner Kompanie wurden getötet. Und nicht weit entfernt, in der Schlacht von Stalingrad, wurde auch sein ehemaliger Doppelpartner Heinrich Henkel erschossen.

Gottfried überlebte die Ostfront, sein Protégé Heinrich Henkel leider nicht // Foto: Via

Gottfried von Cramm überlebte den Krieg. Er griff sogar wieder zum Tennisschläger und gewann 1948 und 1949 erneut die deutsche Meisterschaft. Da war er schon 40 Jahre alt. Zur selben Zeit war er auch Mitbegründer des Deutschen Tennis Bundes und sein Engagement—gepaart mit seinem hervorragenden Ruf im Ausland—trug maßgeblich dazu bei, dass der DTB in den Internationalen Tennisverband aufgenommen wurde. Später gründete er eine Firma und wurde ein erfolgreicher Geschäftsmann. Es war auch auf einer Geschäftsreise in Ägypten, dass Gottfried von Cramm 1976 bei einem Autounfall ums Leben kam.

Auf dem Court gewann von Cramm einige der wichtigsten Tennisturniere der Welt. Abseits davon bot er den Nazis die Stirn und lehnte ab, sich für die Zwecke eines totalitären Regimes einspannen zu lassen. Gleichzeitig hatte er als schwuler Athlet mit enormem psychischem Druck zu kämpfen.

Der All England Club hat von Cramm zwar vor dem Krieg die Teilnahme verweigert, trotzdem bleibt er ein wichtiger und unauslöschlicher Teil der Wimbledon-Geschichte. Er spielte einige seiner denkwürdigsten Matches in London—und das gegen Spieler, die zu den Besten aller Zeiten gehören. Er hat zwar Fred Perry oder Don Budge nicht besiegen können, aber er hinterließ ein ehrenwertes Vermächtnis geprägt von Mut, Liebe und Fairplay. Wenn wir an die großen Champions im Tennis denken, die ihrem Sport Ehre gemacht haben, sollten wir auch an Gottfried von Cramm denken.