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Vice Blog

Aufwachsen in Hietzing

Es gibt wirklich absolut keinen Grund, nicht im 13. Bezirk seine Zelte aufzuschlagen—solange man reich ist, kein Schamgefühl hat und ÖVP wählt.

Foto von Sebastian Huber

Das erste Mal, als ich mich bewusst außerhalb Hietzings bewegte, war ich überrascht, wie viele verschiedene Automarken es eigentlich abseits BMW und Mercedes gibt. Als mir vor kurzem auch noch eine Freundin erzählte, dass sie bereits im Kindergarten eine Geburtstagsparty hatte, bei der sogar eigene Köche zur Verfügung standen, wurde mir einmal bewusst, was für ein kranker Bezirk Hietzing teilweise eigentlich ist. Nicht, dass mir das nicht schon vorher gedämmert hätte—zum Beispiel anhand der Villen oder Mietpreise—, aber manchmal braucht man eine konkrete Anekdote, die den Stein ins Rollen bringt, damit man sich denkt: Fuck, ich lebe wirklich im versnobbtesten Teil dieser Stadt.

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Bis ins Jahr 1900 haben die Habsburger mit ihrem Hofstab im Sommer in Hietzing residiert und wenn wir in Österreich heute noch eine Monarchie hätten (was sich die Älteren hier teilweise nach wie vor wünschen), würden die kaiserlichen Arschkriech-Beamten wahrscheinlich immer noch mit ihren Perücken hier herumstolzieren und irgendwelche Bauern mit Steinen bewerfen.

Heute leben stattdessen ihre Nachfahren hier. Und ehrlich gesagt ist zwischen der K.u.K.-Hofgefolgschaft und den heutigen Hietzingern kaum ein Unterschied—außer, dass sie inzwischen statt Perücken genauso lächerliche Gürtelschnallen tragen und die Designer-Hemden in die Jeans gesteckt werden, um das Louis Vuitton- oder Hermés-Logo richtig zur Geltung zu bringen.

Vielleicht muss ich auch ein paar Worte zu mir selbst sagen, damit ihr meine Position richtig versteht. Erstens bin ich, wie ihr euch denken könnt, selbst nicht der typische Nobel-Hietzinger, sondern gehöre zu den wenigen, die in einer normalen Familie großgeworden sind (für Hietzing komplett unnormal). Zweitens bin ich selber noch Teenager und gehe gerade auf den Schulabschluss zu—was wahrscheinlich zu einem etwas anderen Bezirksbild führt, als bei älteren Menschen, die sich schulterzuckend damit abgefunden haben, dass sie selbst zu Snobs geworden sind. Und drittens habe ich seit meiner Volksschulzeit unbewusst alle Unterschiede zwischen mir und „denen" im Hinterkopf abgespeichert und werde alleine deshalb nicht dasselbe sagen, was Reiseführer ihren japanischen Touristen vor Schönbrunn über den Bezirk erzählen.

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Eine für mich sehr typische Sache, mit der ich schon in der Volksschule konfrontiert wurde, ist, dass der durchschnittliche Hietzinger Teen absolut undurchschnittlich versnobbt ist. Er zeigt dir mit seiner Designerkleidung, dass Durchschnitt für ihn bei Stangenware aus den Boutiquen am Bauernmarkt anfängt.

Aber sobald du deinen anfänglichen Neid-Reflex überwunden hast und dich nicht mehr für dein fehlendes Geblüt schämst, kannst du in Hietzing trotzdem schnell wieder mit deiner ASOS-Kleidung herumlaufen, ohne blöd angemacht zu werden.

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Das ist nämlich ein anderes typisches Merkmal dieses Bezirks: In Hietzing wirst du nur herablassend angegafft, aber so gut wie nie blöd angesprochen, geschweige denn berührt. Es gehört zu den Grundeigenschaften eines Hietzingers, Leute, die nur um einen Hauch anders aussehen als der gewohnte Schnösel, bereits aus einem Kilometer Entfernung mit dem herabwürdigensten Blick zu mustern, nur um dann erhobenen Hauptes (oder erhobener Nase) weiter zu stolzieren. Wahrscheinlich könntest du sogar nackt oder nur mit Fellen bekleidet den Hietzingern vor die Augen treten—sie würden es nicht kommentieren.

Im Kontrast dazu sorgt dein Verhalten beim gesellschaftlichen Highlight des Bezirks, dem Alt-Hietzinger-Ball im Jänner, sehr wohl für Gesprächsstoff. Für mich ist es einfach mein Schulball. Für andere ist es eine Gelegenheit, um zum Vorglühen ein Zimmer im Parkhotel zu mieten, wo das Ganze stattfindet, und sich mit anderen Schülern einen Wettbewerb mit nur einer Zielfrage zu liefern: Nämlich, wer schafft es, sich schon als Teenager am besten wie der arroganteste Koks-Celebrity aufzuführen und aus dem Hotel geworfen zu werden?

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Außerdem triffst du auf dem Ball viele Hietzinger Housewives, die ihr Kind mehr aus Pflichtbewusstsein bekommen haben und jetzt ihre Tage damit füllen, aus Langeweile eine weitere, kurzlebige Modeboutique zu eröffnen, wo Luxusmarken noch teurer als am Bauernmarkt verkauft werden. Die Kinder sind im Zweifelsfall sich selbst oder einem Internat überlassen.

Wie jeder andere Bezirk hat auch Hietzing seine „härteren" Gegenden und Plätze, auf denen sich Snobbismus mit anderen Formen von Traurigkeit vermischt. Sollte jemals ein Internats-Sprössling mit der U-Bahn nachhause fahren, würde er bei der Station Hietzing eine merkwürdige Mischung aus angewiderten Cabriofahrern, hektischen Touristenmassen und Obdachlosen mit Eristoff-Flaschen sehen. Zum Glück für sie ist das aber ein völlig hypothetisches Szenario, weil das einzig wahre Öffi für Hietzinger das Taxi ist.

Was das Fortgehen angeht, spielt sich für Leute in meinem Alter eigentlich alles im Reigen, dem Schaumweinhäuschen oder auf Homepartys ab. Erstere sind für Leute, die noch keine Schamhaare haben, zweiteres ist für Leute, die sich ihre Schamhaare ausnahmslos abrasieren und dritteres ist für Leute aller Schamhaar-Stadien, die gerne im Vollrausch Möbel zerstören—also eigentlich genau wie in anderen Bezirken, nur dass die Möbel hier ein bisschen teurer sind.

Falls du nach einer besonders gelungenen Party jemals eine Harnprobe abgeben musst—egal, ob du Probleme mit einer Krankheit, Drogen oder generell der Polizei hast—, empfehle ich dir übrigens ein Amtshaus in einem anderen Bezirk. In Hietzing wirst du schnell von empörten Empfangsdamen mit den Worten „Hier heiraten Leute, da sollten keine Drogensüchtigen anwesend sein" abgewiesen. Diese Anekdote ist tatsächlich passiert, aber natürlich nicht mir, sondern, ähm, „einem Freund".

Trotzdem hat Hietzing auch gute Seiten. Es gibt viele große Grünlachen, wie den Lainzer Tiergarten, Schönbrunn, den Hörndlwald oder den Roten Berg. In die Stadt brauchst du öffentlich auch nicht lange. Außerdem ist die Wahrscheinlichkeit, in Hietzing auf der Straße wahllos zusammengeschlagen zu werden, sehr gering—was aber vermutlich auch daran liegt, dass es hier sowieso keine Menschenansammlungen außerhalb von Cabrios oder Rooftop-Partys gibt. Zusammengefasst gibt es wirklich absolut keinen Grund, nicht im 13. Bezirk seine Zelte aufzuschlagen—solange man reich ist, kein Schamgefühl hat und ÖVP wählt.