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Popkultur

„American Beauty“ hat mich beziehungsunfähig gemacht

Kevin Spaceys sexuelle Frustration, Ricky Fitz und eine Plastiktüte—kein Wunder, dass ich immer noch Single bin.
gongyusw | Flickr | CC BY-SA 2.0

​ Es gibt wahrscheinlich im Leben einer jeden Person einen Film, der einen zu einem anderen Menschen gemacht hat. Ich habe beispielsweise sowohl Scarface als auch ​Alle Hunde kommen in den ​Himmel öfter gesehen, als ich gerne zugeben möchte, eine wirkliche Lebenslektion habe ich davon allerdings nicht davongetragen. Außer vielleicht, dass man als Drogenboss kein allzu enges Verhältnis zu seiner Schwester aufbauen sollte und ich unbedingt einen Schäferhund brauche. Meine erste große filmische Erleuchtung hatte ich Anfang der 2000er Jahre, als im Abendprogramm irgendeines Privatsenders der Film lief, der mein Leben für immer verändern sollte: American Beauty.

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Schon damals, in meinem jugendlichen Hirn, sprossen die ersten Knospen zur Gewissheit, dass Kevin Spacey der beste Mensch der Welt ist. Gleichzeitig hat mir Sam Mendes' vollkommen zu Recht Oscar prämiertes Meisterwerk jegliche Illusionen im Bezug auf menschliche Beziehungen genommen. Die Geschichte als solche ist relativ simpel. Das Leben der Burnhams scheint perfekt. Vater, Mutter, ein Kind. Beide Eltern berufstätig, sie als Immobilienmaklerin, er als Werbetexter. Die Tochter in der Hochzeit ihrer Pubertät und mit allem—vor allen ihren Brüsten—unzufrieden, aber auch nicht schwieriger als andere Kinder. Nach außen hin wirkt die Familie mit ihrem Rosengarten und dem Haus mit der roten Tür, harmonisch. Makellos. Man versteht sich mit den Nachbarn, meistens, und die Spannungen beim gemeinsamen Abendessen, die Frustrationen beim täglichen Job, das deutlich abgenommene Sexleben zwischen den Eheleuten—alles im grünen Bereich, denn wer ist schon wirklich zu hundert Prozent mit seinem Leben zufrieden?

Mit dieser Szene begann auch meine ungesunde Obsession gegenüber Kevin Spacey.

Gerade hat man sich als Scheidungskind ein bisschen in dieser vermeintlichen Vorstadtidylle verloren, da bekommt sie schon die ersten Risse. Die Mutter (Carolyn) ist eine neurotische Karrierefrau, die mit ihrem Kontrollzwang die Familie eher auseinandertreibt, als sie zusammenzuhalten. Der Vater (Lester) ist ein ebenso sympathischer, wie zynisch-egomaner Typ, der seine Midlife-Crisis auf dem Rücken seiner Mitmenschen austrägt. Inklusive Job schmeißen, zur Musik seiner Jugend in der Garage kiffen und sich in Angela, die beste Freundin seiner Tochter Jane, verlieben. Deren Freundschaft geht neben der Faszination Angelas für Lester vor allem auch an Janes erster richtiger Beziehung zugrunde. An dieser Stelle kommt Ricky Fitz ins Spiel. (Es ist ziemlich wichtig, dass ihr jetzt  ​folgende​s Instrumental in Dauerschleife hört)

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Ricky Fitz und seine Eltern sind die neuen Nachbarn der Burnhams. Der Vater ist ein ebenso aggressiver wie traumatisierter ehemaliger Soldat, die Mutter wiederum scheint an irgendeiner psychischen Krankheit zu leiden und ist mehr Zombie als Erziehungsberechtigte. Ricky wiederum verkauft nicht nur Drogen an Lester, sondern verliebt sich auch unsterblich in die schüchterne Jane. Er formt aus Teelichtern ihren Namen und zündet sie direkt unter ihrem Fenster an und erzählt ihr von der Schönheit erfrorener Obdachloser. Während man in der Realität längst eine Unterlassungsklage eingereicht oder seinen Namen geändert und in ein anderes Land gezogen wäre, zerfließt man während dieser Szenen vor dem Bildschirm. Insbesondere dann, wenn Ricky Jane DAS Video zeigt.

50 Oscars, drei Bambis und einen Wurstkorb für die Plastiktüte

Danach küssen sie sich zum ersten Mal und haben Sex. Wer nicht spätestens bei „Es gibt manchmal so viel Schönheit auf der Welt, dass ich sie fast nicht ertragen kann. Und mein Herz droht dann, daran zu zerbrechen." Tränen in den Augen hat, ist ein Monster. Damals wie heute muss ich bei dieser Szene sehr viel blinzeln und schlucken. Eine Zeit lang habe ich es als ultimativen zwischenmenschlichen Test eingeführt, American Beauty mit Menschen zu schauen, bei denen ich mir noch nicht so richtig sicher war. Haben sie während der Plastiktütenszene gesprochen, waren sie meine Zeit nicht wert.

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Ich bin mir nach wie vor nicht ganz sicher, warum mich dieser Teil des Films so unfassbar bewegt. Ich glaube, es ist die Illusion, dass jemand, der innehalten kann, um minutenlang einer fliegenden Plastiktüte zuzugucken, und in ihr mehr sieht als Abfall, auch hinter Make-up, aufgesetzte Souveränität und all die anderen Spielchen blicken kann, die man aufführt, um möglichst gesellschaftsfähig zu erscheinen. Ricky Fitz schert es nicht, ob ich Pickel habe oder meine Haare nach dem Föhnen aussehen wie ein schlecht geschnittener Afro, dachte ich mir damals in meiner jugendlichen Unsicherheit. Ricky Fitz sieht das Besondere in mir, akzeptiert meine Schwächen und beobachtet mich mit verträumtem Lächeln beim Schlafen—eine Tatsache, die jedes Mädchen in einem bestimmten Alter irgendwann mal wahnsinnig romantisch fand. Neben all meiner Schwärmerei war mir eine Sache gleichzeitig aber absolut bewusst: Selbst wenn es da draußen irgendeinen Mann geben würde, der Videoaufnahmen von Plastiktüten und toten Obdachlose macht—wo und wie findet man so jemanden? Geht man auf gruselige-hobbys.com und fragt sich durch?

In diesem Moment stand für mich fest, dass ich mich niemals mit jemandem zufrieden geben würde, der einen auf Tinder nach einem Date fragt oder Selfies mit seinem Lieblingsbier macht. Ich wollte jemanden, der besonders ist. Jemanden, der die Schönheit in den kleinen Dingen sieht. Jemand, dessen Herz manchmal so schwer wird, dass es fast zerreißt. Jemand, der gottverdammte Plastiktüten filmt. Damals wusste ich noch nicht, dass das meinen Eltern nicht als Erklärung dafür reichen würde, dass ich sie Jahr für Jahr aufs Neue enttäuschen muss und immer noch keinen Lebensabschnittspartner an den Feiertagen mitbringe.

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Ach, ich liebe dich trotzdem, American Beauty.

Auch wenn diese Szene—neben Angela inmitten von Rosenblüten—zur wohl bekanntesten des ganzen Films gehört, ist es gerade zum Schluss hin die Beziehung zwischen den Eltern, die einem emotional eine richtige Watschen gibt und die komplett illusorische Ricky-Euphorie ins Wanken bringt. Zumindest ist das die Lektion, die mir der Film nach meiner Pubertät mitgegeben hat. Irgendwann, so erfährt man in den letzten Minuten des Films, waren auch Lester und Caroyln mal jung, wild und besonders. Anders und aufregender als die anderen Paare um sie herum. Irgendwann hatten auch die beiden Mal einen Plastiktütenmoment. Untermalt von der traurig-wunderschönsten Melodie nach dem Soundtrack zu  ​Requiem for​ a Dream zieht Lester ein Fazit zu seinem Leben mit allen Höhen und Tiefen. Die bittere Erkenntnis trotz vermeintlich versöhnlichem Ende: Nichts bleibt. Sei dankbar für jeden schönen Moment. Es ist egal, wie glücklich du und die Liebe deines Lebens mal waren, irgendwann werdet ihr euch hassen und du holst dir zu der minderjährigen Freundin deiner Tochter einen runter. Es gibt kein ideales Familienleben, und selbst wenn die Rosen im Vorgarten blühen, seid ihr schon Mitte 40 innerlich längst tot.

Der Bildschirm wird schwarz und zum unkontrollierten Schluchzen des Zuschauers läuft der Abspann. Danke, Sam Mendes, Kevin Spacey und wie ihr alle heißt. Es gibt keine Plastiktüte der Welt, die das gewaltige Loch in meinem Herzen füllen kann, das euer Film hinterlassen hat. Und wenn ich mir American Beauty in ein paar Jahren mit all meinen Katzen zusammen anschauen muss, weil ich immer noch nicht den Ricky Fitz meines Lebens gefunden habe, seid nur ihr daran schuld.

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Header-Foto:  ​gongyusw | ​Flickr | ​CC BY-SA 2.0