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Popkultur

'Der Nachtmahr' ist Bodyhorror mit Techno, Drogen und viel Interpretationsspielraum

Dieser ungewöhnliche Gruselfilm löst Assoziationen rund um Bulimie, Genre-Traditionen und den kleinen Ochsenknecht aus.
"Der Nachtmahr" (c) Filmladen

Der Nachtmahr ist viel. Er ist kafkaesquer Teenager-Horror mit ordentlich Drogen und Techno als Hintergrund, vor dem wir einem jungen Mädchen beim Durchdrehen zusehen. Er ist ein ästhetischer Hardcore-Rave, bei dem Hardcore-Raves als ästhetischer Rahmen funktionieren, ohne wirklich im Mittelpunkt zu stehen. Und er ist (und funktioniert) vor allem erstaunlich gut.

Und gerade weil wir alle irgendwelche Erfahrungen haben mit Fortgeh-Abstürzen,Clubs aus der Hölle und vielleicht auch mit fiesen Marschierpulvern, die das Hirn zu Matsch machen, fühlt sich der Wahnsinn dieses Films so herrlich beziehungsweise unangenehm vertraut an. Freut euch auf einen verschwitzten Abend voller Strobo und schlechten Trips.

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Genau wie die Epilepsie-Warnung und der Hinweis auf extreme Audiofrequenzen am Anfang des Films—gefolgt von der Ansage, dass er trotzdem "laut" konsumiert werden sollte—konfrontiert uns der Multikunst-Regisseur Akiz auch stilistisch direkt und plakativ mit klaren Motiven: Partys, Freundinnen, Eltern, Eifersucht, Unsicherheit, Angst. Der Film versteckt aber auch einiges hinter den Schaden der Nebelmaschine und blendenden Party-Lichtern.

Alle Filmstills von "Der Nachtmahr" (c) Filmladen

Tina ist saujung, apathisch, besucht neonfarbene Hardtek-Partys und hat eine gestörte, also typisch pubertäre Obsession mit einem Schulkollegen, gespielt von Wilson Gonzales Ochsenknecht. Dieser passt übrigens erschreckend gut in das Umfeld der verlorenen Techno-Jugend, obwohl er gleichzeitig auch ein bisschen wie das dicke Bandmitglied von Kraftwerk wirkt, das gerne Imperator Furiosa wäre. Tina muss jedenfalls auf etwas ganz Fiesem hängengeblieben sein, weil Der Nachtmahr recht unvermittelt mit so unschönen Dingen wie ihren Todesvisionen, Bodyhorror, Wahnvorstellungen und Zwangsmedikamentierung auffährt.

Nachdem ich mir den Film fertig angeschaut hatte und ins Schlafzimmer schlurfte, kam ein Gefühl in mir auf, das ich sicher schon seit über 10 Jahren nicht mehr hatte. Mir war tatsächlich ein wenig unheimlich in der Dunkelheit meiner leeren, stillen Wohnung. Der Nachtmahr bricht zwar mit seiner eigenen Stilistik des Suspense-Horrors noch bevor die zweite Hälfte der Spielzeit überschritten ist, aber die ersten alptraumhaften Szenen gehen echt tief unter die Haut. Ja, jeder hat sein kleines Monster—im Kopf.

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Nach dem erwähnten Genre-Bruch, der keineswegs ungeschickt oder störend, sondern mehr beabsichtigt unkonventionell und ein bisschen wie bei From Dusk Till Dawn erscheint, herrscht ein ruhigerer, ungewisser und dabei immer noch angespannter Surrealismus. Ist das "Viech" jetzt echt oder nicht? Ist alles nur ein böser Trip oder eine Form der Verdammnis, weil Drogen ja böse sind? Letztere unterschwellige Moral wäre lustig, halte ich in diesem Fall aber für unwahrscheinlich.

Dieser Film wirkt wie ein Fiebertraum von David Cronenberg, nachdem er Spring Breakers und E.T. geschaut hat. Der Vergleich mit Spielbergs außerirdischem Abenteuer liegt relativ klar auf der Hand und wird in Form eines Requisits in Tinas zugemüllten Zimmer sogar buchstäblich ausgewiesen. Aber ich habe auch eine etwas weiter hergeholte Interpretation von Der Nachtmahr.

Dieser Film wirkt wie ein Fiebertraum von David Cronenberg, nachdem er Spring Breakers und E.T. geschaut hat.

Der Film besteht quasi ausschließlich aus dünnen Schulmädchen, die Hot Pants tragen und alles Mögliche durch die Nase ziehen. Drogenkultur, Sexualität und auch das modische Bewusstsein sind an dieser unverorteten deutschen Schule rigoroser als auf jeder klischeehaften VIP-Strand-Party in Kalifornien. Irgendwie scheinen Tinas sich entwickelnde Außenseiterrolle, die psychischen Probleme, die Tabletten, der tote Teint und die "monströsen Fressanfällen" auch anders interpretierbar: Das muss doch fast metaphorisch für Bulimie stehen.

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Gut, sie kotzt einmal, als die verwachsene Manifestation ihres Selbst den Inhalt des Kühlschranks leerräumt und sie es dann berührt. Vielleicht ist die Symbolik gar nicht so subtil. Oder es steht einfach alles für Teenage-Angst und die deformierte Existenz einer Person während der Pubertät. Diese Zeit ist schließlich auch ziemlich zum Kotzen.

Die Hauptdarstellerin ist vielleicht keine große Meisterin ihres Fachs, aber mit ihrer manchmal trashigen Darbietung hat sie es trotzdem irgendwie geschafft, dass ich mich beim Schlafengehen gefürchtet habe. Der Nachtmahr hat sich eingebrannt—mit seinen brutalen elektronischen Tracks, den psychotropen Kameraeinstellungen, der kurzen Brennweite, Ochsenknechts Haarfarbe und der Frage nach der scheiß Bedeutung hinter dem Ganzen.

Und ja, "Nachtmahr" ist das deutsche Wort für "Nightmare" und beschreibt eigentlich auch am besten, wie sich der Film anfühlt—ich hätte es mir bei diesem Beitrag also auch um einiges einfacher machen können.

Josef auf Twitter: @theZeffo