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DIE LITERATURAUSGABE 2014

Ein E für die Liebe

Güzin Kar hat das Drehbuch zum Schweizer Kinokassenschlager Achtung, fertig, WK! geschrieben und verfasst eine Kolumne im Tagesanzeiger. In unserer Literaturausgabe findet ihr ihren neuen Text.

Bevor er loslegte, nahm er einen Schluck Rotwein und lockerte seine Schultern, als müsste er gleich ein Gewicht stemmen. „Liebe Vera“, schrieb er, „dass ich dir plötzlich und nach Jahren wieder etwas schreibe, das über unsere Post-it-Notizen hinausgeht, mag dich erstaunen. Du wolltest doch immer, dass ich etwas Unerwartetes tue, etwas Grosses, Überraschendes. Vielleicht wäre dies ein guter Anfang, wenn es nicht das Ende wäre, denn ich verlasse dich. Zwar hatte ich erwogen, erst nach unserem Fest zu gehen, dort nochmals tüchtig einen draufzumachen, der Blondierten, die ihr alle so schön findet, zu sagen, dass sie mich nicht an Grace Kelly, sondern an Tofu erinnert. Wegen ihrer grau-beigen Hautfarbe.

Und der anderen, der neulich Zugelaufenen, die aussieht, als hätte sie anstelle eines Mundes einen Darmverschluss, hätte ich obszöne Witze erzählt, um zu sehen, ob sie lachen kann mit diesem Arschgesicht. Entschuldige, ich werde vulgär. Nicht, dass du mich missverstehst, ich habe nichts gegen ältere Frauen. Ich nicht. Ich liebte jedes deiner Fältchen, bis du mit den Behandlungen anfingst. Wer Botox schlimm findet, der soll auch keine Wurst mehr essen, sagtest du, schliesslich sei da mehr Chemie drin, all die E’s, Konservierungsmittel! Ich habe auch nichts gegen Botox und Würste, aber ich kann nicht mit Fitnessstudios. Ich habe dich belogen, ich war nie dort, sondern setzte mich jeweils in eine stickige Kneipe beim Münster. Vielleicht hätte ich es wenigstens einmal versuchen sollen.

Dass du dir einen Liebhaber genommen hast, war mir nicht egal, auch wenn du das so sahst. Ein anderer hätte wenigstens auf den Tisch gehauen, meintest du, ich aber sei eierlos. Weil ich die Details nicht wissen wollte? Weil ich mich nicht mit dem anderen um dich geprügelt habe? Ich fühlte mich so einsam wie nie zuvor in meinem Leben, aber ich hatte keine Kraft, die Nüstern zu blähen. Ich bin kein Stier, eher ein müder Gaul. Wirst du es überhaupt merken, dass ich an unserem Hochzeitstag gar nicht anwesend bin?

Es ist dein Fest, nicht meines. Ich hätte den fünfundzwanzigsten gefeiert wie alle anderen, mit Essen und Champagner und vielleicht einigen Freunden. Immer nur runde Jubiläen!, hast du gesagt, und für uns den sechsundzwanzigsten ausgesucht. Deinen Kampf gegen das Spiessertum habe ich früher bewundert, in den letzten Jahren wurde er mir unheimlich. Erinnerst du dich an den Disput um die Handtasche in der Galerie in München? Vera, ich kann Leder nicht von Kunstleder unterscheiden, und wenn ich mich nicht gleichermassen über die Besitzerin der Handtasche lustig machte, heisst das nicht, dass ich mit ihr ins Bett wollte. Ich fand die junge Frau einfach nett, vielleicht auch, weil sie Bernds neue Freundin ist. Danach warfst du mir vor, insgeheim auf unterlegene Frauen zu stehen und mit deiner Stärke und Klasse ein Problem zu haben. Ich habe dich ein einziges Mal betrogen. In einem Bordell.

Es gab keinen äusseren Anlass dafür, weder hatten wir Streit, noch lebten wir abstinent. Ich nahm nach der Arbeit für einmal einen Umweg, einfach so. Es war angenehm, rief aber nicht nach Wiederholung. Verliebt war ich öfter, aber es hielt nie lange an. Zuletzt war’s die Sommervertretung in der Bibliothek, die mich verwirrte, so dass ich anstelle des Streitratgebers versehentlich ein Buch über alte Sankt Galler Handschriften einpackte. Ich dachte beim Masturbieren an sie—an die Frau, nicht die Handschriften—und es fühlte sich gut an. Manchmal, wenn du schläfst, sehe ich dich an. Du bist immer noch so schön, und es tut mir leid, dass ich dir nicht mehr sein kann als der Spiesser, der alt wird und der sich nicht dagegen wehrt. Du hast dir mehr erhofft vom Leben mit mir. Darum ist es besser, wenn ich gehe.“ Er sah seinen Brief noch einmal durch, nahm einen Schluck Rotwein und zerknüllte ihn. Dann riss er einen gelben Post-it- Zettel vom Block und kritzelte darauf: „Bin im Fitness. Kuss, Karl.” Güzin Kar hat das Drehbuch zum Schweizer Kinokassenschlager Achtung, fertig, WK! geschrieben und verfasst eine Kolumne im Tagesanzeiger.