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Wie uns unsere Jugendlieben kaputtmachen

Manchmal fällt es schwer, auf den Herzschmerz und das Gefühlschaos von damals zurückzublicken. Genau dieser Schritt ist jedoch wichtig, um als Erwachsener nicht als emotionales Wrack zu enden.
Alle Fotos: bereitgestellt vom Autor

Jugendliebe ist ein knallhartes Geschäft. Erwachsene Frauen bekommen sie in Filmen wie Twilight, Wie ein einziger Tag oder William Shakespeares Romeo + Julia serviert und glauben zwei Stunden lang an das Märchen, das ihnen da aufgetischt wird. Sie wollen genau so sein wie Kristen Stewart, Rachel McAdams und Claire Danes (also die jungen Frauen, die sich Hals über Kopf in den jungen Mann verlieben, der ihnen jeden Wunsch erfüllen will) und dabei denken sie zu keinem Zeitpunkt an den meilenweiten Unterschied zwischen dem, was im Film passiert, und dem, was ihnen im echten Leben widerfahren ist. Männer sind da aber nicht anders. Wir schieben zwar oft Zynismus vor und tun so, als ob es so etwas wie Jugendliebe gar nicht wirklich geben würde, aber eigentlich verschließen auch wir nur die Augen vor dem, was uns damals passiert ist. Wir können einfach nicht reflektierend zurückblicken und uns die Wahrheit eingestehen.

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Während des Lebensabschnitts der Jugendlieben entstehen bei vielen von uns genau die Unsicherheiten und Wunden, die uns heute davon abhalten, eine Beziehung einzugehen und glücklich zu werden. Wenn es uns leichter fallen würde, aus der Vergangenheit zu lernen, wäre es vielleicht einfacher, diese Wunden zu heilen und hinter uns zu lassen. Genau davor haben wir jedoch Angst. Aber woran liegt das? An der Erinnerung an das, was uns von einem Jungen oder einem Mädchen angetan wurde? Oder doch eher an der Erinnerung daran, wie ernst wir es damals gemeint haben, als wir nicht nur diesem Jungen oder Mädchen das Blaue vom Himmel versprachen, sondern auch uns selbst—dann aber Arbeit, Geld und richtige Verpflichtungen alles zerstört haben?

Sind es diese Jugendlieben, vor denen wir Angst haben? Oder gar die einstige Jugend selbst? Um das herauszufinden, habe ich mich dazu entschlossen, meine ersten tollpatschigen Schritte in der Welt der Romantik Revue passieren zu lassen.

K — 1997 bis 1999, Alter: 10 bis 12

1997. Irland ist ein dampfender Haufen Scheiße. Unser Gesundheits- und Sozialwesen steht kurz vor dem Zusammenbruch, die Arbeitslosenquote liegt bei 10,3 Prozent und die Medien berichten quasi über nichts anderes als die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche. Bertie Ahern, der damalige Parteivorsitzende von Fianna Fáil, wird dank versprochener Steuerkürzungen und der Abschaffung der sogenannten Residential Property Tax zum Premierminister gewählt. Und schon sind Grundstücke und Häuser viel günstiger.

Ich bin ein fetter 10-Jähriger, der trotz seines Daseins als Klassenbester nicht die dominante Rolle einnimmt, die ihm seiner Meinung nach zusteht. In meiner Klasse haben eher die Hormone das Sagen. Jeder Junge ist auf der Suche nach einem Kumpel und will natürlich nur mit dem beliebtesten Mädchen zusammen sein. K ist dieses Mädchen und durch einen glücklichen Zufall sitze ich neben ihr. Leider wurde ich nicht gerade mit Schlagfertigkeit und Small-Talk-Fähigkeiten gesegnet und gleiche deswegen eher einem schwitzenden, stotternden Häufchen Elend. Und doch schaffe ich es manchmal, einen Witz zu reißen und sie zum Lachen zu bringen.

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Und ihr Lachen lässt mich zumindest kurz die oben erwähnte Rolle einnehmen, nach der ich strebe. Ich schaue mich dann um und sehe, wie mich alle anderen Jungs anstarren. Solche Augenblicke genieße ich. Was mir K gibt, ist das Gefühl von Hoffnung—Hoffnung darauf, dass meine Zukunft anders aussehen wird als meine Gegenwart und ich nicht mehr länger für mein Körpergewicht gehänselt werde. Deswegen rede ich mir ein, K zu lieben. Das Ganze ist sowohl ein Zeichen meiner Wertschätzung als auch ein Versprechen, das Gefühl niemals enden zu lassen, das K mir gibt.

Und so laufe ich K zwei Jahre lang hinterher. Am allerletzten Tag der Grundschule gehen wir schließlich alle zusammen ins Kino, um richtig zu feiern. Ich habe alles in meiner Macht stehende getan, um K von mir zu überzeugen, und bin der Meinung, dass mir dafür ein Kuss zusteht. Ich muss an dieser Stelle wohl kaum erwähnen, dass ich diesen Kuss niemals bekomme. Stattdessen knutscht K mit einem dünneren Klassenkameraden herum und sitze einsam und mit gebrochenem Herzen im dunklen Kinosaal.

Das ist der bis dato schlimmste Moment meines Lebens.

M — 2001, Alter: 14

Selbst in jungen Jahren sehnen wir uns nicht nur wegen ihrer transformativen Macht nach Liebe, sondern auch, weil sie eine Erweiterung unseres chemischen Haushalts sowie einen Ersatz für die körperliche Nähe zu unseren Müttern darstellt. Nach der Geburt suchen wir genau diese körperliche Nähe, um die Ausschüttung des wohltuenden Hormons Oxytocin auszulösen. Wenn wir dann älter werden, wollen wir diesen Auslöser mit etwas anderem ersetzen. Und genau hier kommt Liebe ins Spiel. Bedeutungsloser Sex löst die Ausschüttung des besagten Hormons zum Beispiel nicht aus. „Romantischer" Sex mit vielen Gefühlen und Umarmungen jedoch schon.

Als ich 14 Jahre alt bin, tritt M in meinen Freundeskreis. Sie nimmt sich erst drei oder vier meiner Kumpels vor, bevor sie schließlich bei mir angelangt ist. Warum sie sich überhaupt für mich interessiert, ist mir nicht ganz klar, denn ich bin immer noch so dick wie früher und habe auch in Sachen Redegewandtheit nichts dazugelernt. Wir schreiben uns jedoch ständig SMS, denn dabei kann ich mich endlich frei ausdrücken, ohne dass mir dabei meine Schüchternheit im Weg steht. Wenn wir uns allerdings im echten Leben treffen, bin ich wieder der gleiche stotternde Idiot wie sonst auch. Diese ganze Situation frustriert mich ohne Ende. Irgendwie kann ich mir zwar schon vorstellen, mehr Selbstvertrauen an den Tag zu legen, aber irgendeine mir nicht verständliche Kraft hält mich immer davon ab.

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Meine Mutter gibt mir jede Woche 10 Pfund Taschengeld, die ich natürlich sofort für Telefon-Guthaben ausgebe. Da SMS 2001 noch richtig teuer sind, ist dieses Guthaben nach wenigen Stunden schon wieder aufgebraucht. M ist ein hübsches Mädchen und sie weiß genau, welche Macht sie über mich hat. Diese Macht nutzt sie dazu, um zur Selbstbestätigung nach Komplimenten zu fischen. Mir macht sie hingegen keine Komplimente und kommt von sich aus auch nie auf die Idee, sich mit mir zu treffen. Das lässt mich vermuten, dass ihr mein Körpergewicht insgeheim doch peinlich ist.

Ich sage M, dass ich sie liebe, aber irgendwie fühlt sich das Ganze mehr wie eine Art Erpressung an. Eigentlich spreche ich die drei Worte nur aus, um sie davon abzubringen, fremdzugehen. Leider ist meine Taktik nicht sehr erfolgreich und schließlich schiebt sie mir den schwarzen Peter zu, weil ich so komisch und „kein normaler Freund" bin. Ich bin froh, dass die ganze Sache vorbei ist, aber nach einer Weile füge ich in meinem Kopf ein neues Bild zusammen: M ist die Schuldige ohne Herz, denn ich war ein guter Freund und sie hat meine Liebenswürdigkeit schamlos ausgenutzt.

Ich frage mich auch, ob alle Mädchen so grausam sind, denn es hat langsam wirklich den Anschein. Ich will doch eigentlich nur, dass ich die Liebe zurückbekomme, die ich ihnen gebe.

Motherboard: Liebe geht durch die Gene

S — 2002 bis 2006, Alter: 15 bis 19

S schläft mit vielen Männern. Mich mit einem Menschen konfrontiert zu sehen, der schon eine solche sexuelle Energie an den Tag legt, macht mir zwar Angst, aber gleichzeitig fühle ich mich auch zu S hingezogen. Sie verkörpert meine größte Furcht, aber weil sie jeden anderen Mann fickt, verlangt mein Geltungssinn, dass sie auch mich ranlässt.

Zwischen uns entwickelt sich eine Freundschaft und selbst nach fünf oder sechs fehlgeschlagenen Avancen bleibt meine Vorstellung von „uns" aufgrund ihres herzlichen Umgangs mit mir auch weiterhin bestehen. Aber die Jahre ziehen ins Land und außer Herzschmerz passiert zwischen uns nichts. Ich werde älter und mein Verlangen nach ihr immer größer, aber es nützt nichts. Die traurige Realität sieht nämlich folgendermaßen aus: Sie gehört zu den wenigen Mädchen, die ich kenne, und nimmt in meinem Kopf eine Sonderstellung ein, weil ich offensichtlich der einzige Typ bin, den sie abweist. Und dieser Umstand bringt mich richtig auf die Palme. Ist es wahr, wenn sie sagt, dass sie unsere Freundschaft nicht kaputt machen will, oder liegen die Fehler womöglich bei mir?

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Da ich noch nie wirklich ein Mensch gewesen bin, der mit dem Strom schwimmt, schmeiße ich wegen eines damals nicht diagnostizierten Nervenzusammenbruchs die Schule hin. Ich verbringe meine Tage damit, mit S zu schreiben, und gestehe ihr dabei nicht nur (mal wieder) meine Liebe, sondern auch meine Depressionen—so als ob ich zu ihren Gunsten den Märtyrer spielen würde. Ich mache alles an ihr fest. Obwohl ich ein Schulabbrecher ohne wirkliche Interessen bin, glaube ich dennoch fest daran, dass sich alles zum Guten wenden wird, denn ihre Liebe (wenn ich sie denn irgendwann spüre) wird mich selbst durch die schwersten Zeiten bringen.

S hört mir zwar immer geduldig zu, aber bei meinen Liebesproblemen und Depressionen kann sie mir auch nicht weiterhelfen. Selbst mit 19 ist sie noch zu jung, um mich zu verstehen, und meine erdrückende Unsicherheit wird ihr schon bald zu viel. Und so beginnen wir, getrennte Wege zu gehen: ich in Richtung Selbstmordgedanken und sie aufgrund ihrer sexuellen Eskapaden in Richtung miserables Leben. Und trotzdem wird es ihr wohl niemals so schlecht gehen, dass nur ich sie noch retten kann.

F — 2007, Alter: 20

Ich nehme ab, jogge jede Nacht mit Musik im Ohr durch die Stadt und verliere mich dabei in den 4/4-Takten. Der kalte Wind bläst mir ins Gesicht und der Schweiß läuft mir den Rücken herunter. Durch einen Freund lerne ich F kennen. Sie ist quasi das genaue Gegenteil von S: ein respektiertes Mitglied der Gesellschaft mit höheren Aspirationen.

Da sie die Woche über am anderen Ende Irlands studiert, sehen wir uns nur an den Wochenenden. Über mehrere Monate hinweg lernen wir uns aber immer besser kennen und ich versuche, mich dabei von meiner besten Seite zu zeigen, obwohl ich immer noch nicht wirklich gut mit Menschen umgehen kann. Schließlich mache ich mich auf, um sie zu besuchen—eine Reise, für die ich den Honda meiner Mutter beschlagnahme und mich in der verblendeten Romantik meines damaligen Helden Jack Kerouac suhle. Ich habe das Gefühl, dass es mein Schicksal ist, an diesem heißen Tag im Mai durchs Land zu fahren.

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Kaum bei ihr angekommen, fließt schon der Alkohol und wir dringen bis in die tiefsten Tiefen unserer Persönlichkeiten vor. Ich muss voller Scham gestehen, dass ich dabei auch viel lüge. Ich habe jedoch das Gefühl, dass ich dazu gezwungen bin—denn ich bin ein Tunichtgut mit dem unausgereiften Ziel zu schreiben, und sie ist eine erfolgreiche Studentin, die mal Dinge erreichen wird, von denen ich nur träumen kann. Als die Dunkelheit hereinbricht, sind wir sternhagelvoll. Wir ziehen los, um in der Stadt die Clubs unsicher zu machen, aber dort sitze ich dann nur gähnend herum und wünsche mir verzweifelt, dass wir wieder zu ihr gehen. In dieser Nacht schlafen wir auch miteinander. Als die unbarmherzige Morgensonne mein verkatertes Gesicht streift, wache ich auf und wandere ziellos durch Fs Wohnung—eine Art Ehrenrunde, bei der ich mich ganz in meinen Gefühlen verliere. Als sie schließlich ebenfalls wach ist, schmieden wir Pläne, uns bald wiederzusehen. Und schon sitze ich wieder im Honda meiner Mutter und brause lächelnd zurück in Richtung Heimat.

F ist eine gute Ablenkung von der Diagnose, die meiner Mutter gestellt wurde. Sie ist unheilbar an Krebs erkrankt und ihr Tod scheint unmittelbar bevorzustehen. Als die Ärzte dann aber ihre gebrochene Hüfte operieren und die Tumore in ihrer Wirbelsäule dank der Chemotherapie ebenfalls zurückgehen, erscheint sie fast wieder komplett gesund. Sie ist sichtlich erfreut, als ich ihr von F erzähle—ich habe mit meiner Mutter ja vorher auch noch nie über ein Mädchen gesprochen. Sie glaubt wohl, dass für mich doch noch Hoffnung besteht, und meint scherzhaft, dass ich wohl bald „weg" sein werde.

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Es kommt jedoch alles anders. Plötzlich beantwortet F meine Nachrichten nicht mehr und wenn sie am Wochenende nach Hause zurückkehrt, dann nicht wegen mir. Durch einen Kumpel höre ich etwas von einem Ex-Freund. Ich tue so, als würde ich das Ganze mit Fassung tragen, verschweige meiner Mutter aber gleichzeitig die niederschmetternden Situation. Sie macht weiterhin Witze, was mir nur noch mehr zusetzt. Mit ist bewusst, dass sie bald sterben wird. Ich weiß aber auch, dass ich meine Hoffnungen, sie jemals stolz zu machen, schon längst begraben habe.

Ich stürze mich in intensiver denn je in die Welt der Bücher und Jack Kerouacs düsterste Stunden sowie seine bemitleidenswerte Selbstbestätigung in Big Sur und Satori in Paris sind dabei mein Heimathafen. Schließlich beschäftige ich mich eingehend mit den Werken von Zola, Celine und Dostoyevsky. Ich fühle mich elend, bin gelangweilt und stehe kurz davor, Suizid zu begehen. Währenddessen geht es Irland so gut wie nie zuvor. Es gibt genügend Jobs, die Zahl der Studenten erreicht eine neue Rekordhöhe und eine Zeitlang hat Irland die sechstbeste Abschlussrate der Welt (44 Prozent). Für mich fühlt es sich aber immer noch so an wie damals: Ich bin arbeitslos, strebe nicht nach Höherem und meine Tage bestehen nur aus einem Schleier aus Alkohol und dem Bekritzeln von Papier, das ich danach gleich wieder zerreiße und wegschmeiße.

Und trotzdem gehe ich ausnahmslos jede Nacht raus und laufe. Ich verlasse meine Wohnung und spule Kilometer für Kilometer herunter. Ich jogge auch immer an Fs Haus vorbei und hoffe, dass sie mich sieht und es sich noch mal überlegt. Ich laufe sogar, wenn ich betrunken bin—dann schlägt mein Herz so heftig, dass es mir fast die Brust sprengt, und mir kommen manchmal Tränen, die sich mit meinem Schweiß vermischen. Ob ich F liebe? Nicht mehr und nicht weniger als alle anderen Frauen vor ihr. Eigentlich bin ich nur in die Zukunft verliebt, die ich mir mit ihnen ausgemalt habe.

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Im Herbst 2007 komme ich schließlich am absoluten Tiefpunkt an. Meine Mutter stirbt.

B — 2008 bis heute, Alter: 21 bis 28

Selbst ich als schlimmer Prokrastinator muss zugeben, dass eine Veränderung dringend nötig ist. Ich kann so einfach nicht mehr weitermachen. Ich fange an, Frauen in Bars anzusprechen, und obwohl ich mich dabei oft zum Idioten mache und dabei nichts rumkommt, fühlt es sich doch gut an, mal meine Grenzen auszuloten und mich an etwas Konstruktivem zu versuchen.

Irland geht währenddessen wieder den Bach runter und bald ist hier wieder alles so wie früher. Nach elf verrückten Jahren platzt schließlich auch die Immobilienblase. Die Arbeitslosigkeit grassiert erneut und die ganzen Wohnkomplexe, die in jeder noch so kleinen Stadt aus dem Boden gestampft wurden, müssen wieder abgerissen werden. In den Fußgängerzonen reiht sich vernagelte Schaufensterfront an vernagelte Schaufensterfront und auch die „Zu vermieten"-Schilder sind überall zu sehen. Hunderttausende Iren suchen in Kanada oder Australien nach einem besseren Leben.

Und trotzdem interessiert mich der Niedergang meines Heimatlandes genauso wenig wie damals sein Aufstieg. Das, was ich will—und ich habe eigentlich noch nie viel gewollt—, kann man nicht mit Geld kaufen. Ich lerne B am 23. Dezember 2008 kennen. Sie erinnert mich an eine noch ehrgeizigere und erfolgreichere Version von F. Allerdings hat mich Fs Zurückweisung (und die Zurückweisung aller anderen Frauen) innerlich so kaputt gemacht, dass ich ihr komischerweise widerstehe, obwohl ich ihr nicht widerstehen müsste, und Spielchen mit ihr spiele, obwohl keine Spielchen gespielt werden müssen. Ich gehe davon aus, schon zu wissen, was passiert: Sie wird mich ebenfalls verlassen und mir unglaubliche Schmerzen zufügen—eben genauso wie jede andere Frau in meinem Leben auch, inklusive meiner Mutter.

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Der Beweis für Bs Göttlichkeit ist der Umstand, dass sie trotzdem bleibt. Sie sieht anscheinend etwas in mir und versucht, genau das aus mir herauszuholen. Sie drängt mich dazu, über meine Vergangenheit zu reden—über meine Mutter, über meinen Herzschmerz, über meine Depressionen. Nach Monaten des Widerstands knicke ich schließlich ein. Ich gebe mehr von mir preis, als ich es jemals für möglich gehalten hätte. Aber auch sie öffnet sich mir gegenüber. Die Liebe, nach der ich mich schon mein ganzes Leben lang gesehnt habe, befindet sich plötzlich direkt vor meiner Nase.

Ich schlage tatsächlich ein neues Lebenskapitel auf, lerne Bs Freunde und Familie kennen und ziehe mit ihr sogar in ein fremdes Land, wo ich einen Job annehme, den ich hasse. Ich weiß, dass eigentlich nur meine Gedanken etwas wert sind—wenn überhaupt—und nutze deshalb jede freie Minute zum Schreiben. So sammelt sich seitenweise gequirlte Scheiße an, die mich aber eines Tages auch irgendwo hinbringen wird—denn B ist fest davon überzeugt. Natürlich haben wir manchmal auch zu kämpfen und das Leben zieht uns in solchen Momenten so sehr runter, dass wir uns gegenseitig nicht mehr hochhelfen können, aber auf unsere Beziehung ist trotzdem Verlass. Der jeweils andere ist immer da, um uns nach vorne zu treiben—vorbei an dem ganzen oberflächlichen und belanglosen Bullshit, der zum Leben leider dazugehört.

Zu sagen, dass ich heutzutage besser weiß, was wahre Liebe ist, wäre irgendwie schon recht anmaßend. Aber ihr Sinn und Zweck ist im Vergleich zu alten Zeiten auf jeden Fall ganz anders. Damals, als ich wegen meiner Körperfülle, der Hänseleien und des langsamen Tods meiner Mutter sehr zu leiden hatte, fühlte ich mich zu Frauen hingezogen, die mich auf jeden Fall abweisen würden. Das Ganze wurde sogar zu einer richtigen Obsession. Aber was sollten diese Frauen mit einem so kaputten und komischen Typen wie mir denn auch anderes machen? Aus diesem Grund sah ich in ihnen eine Art Magnet für meinen Schmerz: Sie ließen mich sitzen, woraufhin ich ihnen nachtrauerte, obwohl ich sie eigentlich kaum gekannt hatte. Ich war mir jedoch sicher, dass ich mit dieser Trauer—egal wie schlimm sie auch sein mochte—irgendwie besser umgehen konnte als mit dem, was mich bei der schonungslosen Konfrontation mit meinem traurigen Leben erwartet hätte.

Ich bestrafte mich quasi mit diesen Frauen, denn ich war faul (Vorankommen passte einfach nicht zu mir) und nicht der Junge bzw. Mann, der ich eigentlich sein wollte. Ich wusste, dass ich abnehmen, mehr Selbstvertrauen ausstrahlen und meine dummen Obsessionen ablegen könnte, aber ich schaffte es letzten Endes nie, den letzten Schritt zu gehen und diese Vorhaben auch wirklich in die Tat umzusetzen. Ich hasste diese Frauen, weil sie mich nicht wollten, aber in Wahrheit hasste ich mich noch mehr, weil ich mein Leben nicht wollte.

Hat der Tod meiner Mutter meine Vorstellung von Liebe beeinflusst? Wahrscheinlich schon. Denn als sie starb, hatte es den Anschein, als ob sie schon eine ganze Weile tot gewesen wäre. Ich war so sehr mit meinem eigenen lachhaften Leiden beschäftigt, dass ich ihrem Leiden nicht genügend Aufmerksamkeit schenkte. Ihr Tod ließ mich—leider zu spät—erkennen, dass ich die Leute, die mich lieben (selbst Familie und Freunde), nicht einfach so ignorieren darf, nur weil ihre Liebe meinem Ego nichts bringt. Das klingt jetzt vielleicht klischeehaft, aber ich habe wirklich gelernt, dass diese Menschen und ihre Liebe eines Tages nicht mehr da sein werden.

Seine Jugendlieben zu romantisieren oder sie zynisch zu analysieren, ist auch eine Art des Selbstschutzes. Wir schützen uns vor der schrecklichen (und manchmal auch aufregenden) Wahrheit über das, was damals passiert ist. Dem liegt zugrunde, dass wir es uns tief in uns drin nicht gönnen, etwas aus diesem Lebensabschnitt zu lernen und die ganzen Wunden und Unsicherheiten hinter uns zu lassen. Wir bestrafen uns selbst, weil wir unserer Meinung nach unser Potenzial nicht ausgeschöpft und die Versprechen nicht eingehalten haben, die wir uns in jungen Jahren gaben. Wie konnte ich damals nur davon ausgehen, wahre Liebe zu finden, wenn ich nicht mal wusste, was das überhaupt ist? Wie können wir bei unseren heutigen Beziehungen mit etwas anderem als Enttäuschung rechnen, wenn wir vor unserem damaligen Leiden und den daraus gezogene Lehren die Augen verschließen?

Ich litt, weil ich das musste, befreite mich dann aber aus diesem Muster, weil ich das wollte. Ich hätte aber auch einfach so weitermachen können. Ich hätte B auch weiterhin verschmähen und die ganze Sache mit ihr an die Wand fahren können. Ich hätte diese Verhaltensweise auch bei allen anderen noch kommenden Frauen anwenden können, bis ich irgendwann so am Boden gewesen wäre, dass ich mich entweder mit meiner Einsamkeit zufrieden gegeben oder mich mit einer nicht zufriedenstellenden Beziehung abgefunden hätte. Ich frage mich, ob dieses Schema für euch vertraut klingt.

Falls ja, dann versucht euch, an eure Vergangenheit zu erinnern. Zwingt euch dazu, darüber nachzudenken, wie erbärmlich und schmerzhaft die Liebe in jungen Jahren war. Erst dann könnt ihr mit Sicherheit sagen, ob diese Reflexion eurem Leben wirklich nichts bringt. Denn was ist schlimmer: der Schmerz des Rückblicks beim Vorankommen oder der Schmerz des Stillstands?