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Gaming

'Detroit: Become Human' ist das schönste und dümmste Spiel des Jahres

Die Sci-Fi-Geschichte um menschelnde Androiden will Videospiele revolutionieren – und scheitert nicht nur am Thema häusliche Gewalt.
Android Markus "entfernt" seine Haut | Alle Screenshots aus 'Detroit: Become Human'

Wenn es etwas gibt, was ich schon nach kurzer Zeit über Detroit: Become Human sagen kann, dann das: Ich habe noch nie so schnell eine Küche aufgeräumt. Mit einer Drehung meines Playstation-Controllers wäscht die Androidin Kara Teller ab, bestellt Ersatzteile für die kaputte Geschirrspülmaschine und deckt den Tisch für Hausherr Todd und seine Tochter Alice. Ich erlaube mir nicht, gedankenverloren durch das heruntergekommene Haus zu schlendern und nach interessanten, aber für den Spielverlauf irrelevanten Details zu suchen, wie sie in jedem Videospiel irgendwo versteckt sind. Ich bin angespannt, weil ich weiß, was in der nächsten Szene passieren wird – und jede meiner Entscheidungen im Spiel Einfluss darauf nehmen kann, ob und wie ich die Geschichte überlebe.

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Als das Entwicklerstudio Quantic Dream bei der letztjährigen Paris Games Week einen Ausschnitt aus Detroit: Become Human präsentierte, zeigten sich viele empört. Die vorgespielte Szene versetzte den Spieler in die Rolle der Haushaltshilfe Kara, die die kleine Alice vor ihrem gewalttätigen Vater beschützen muss. Unter anderem wurde den französischen Entwicklern vorgeworfen, Kindesmissbrauch zu trivialisieren.

Als ich mich als Kara schließlich selbst zwischen den berauschten, zunehmend aggressiver werdenden Todd und seine verängstigte Tochter werfen muss, ist die Anspannung weg. Und das obwohl Grafik und Animation brillant und gruselig realitätsnah sind und die Stimmung und das Sounddesign bedrückend. Todd schwingt seinen Gürtel, wirft mich zu Boden und keucht: "Du gehörst mir, du tust, was ich sage!" Doch das bekomme ich nur am Rande mit. Ich bin damit beschäftigt, X, O und R1 zu drücken, oder meinen Controller zu schütteln, um den Attacken auszuweichen oder zurückzuschlagen. Quick-Time-Events nennt sich das, wenn das Gameplay primär daraus besteht, möglichst schnell die auf dem Bildschirm angezeigten Knöpfe zu drücken. Nach der eigentlich schockierend expliziten Konfrontation mit häuslicher Gewalt bleibt vor allem ein Gedanke: Panisches Knöpfedrücken nimmt auch der abgründigsten Szene jede Bedrohlichkeit.

Androidin Kara findet in Alices Kinderzimmer ein Bild

Zeit, das Gesehene aufzuarbeiten, lässt das Spiel nicht. Weder Alice noch Kara sprechen für den Rest der Story über den gewalttätigen Vater – zumindest in meinem Spielverlauf. Hätte ich während der Konfrontation andere Entscheidungen getroffen, hätte mir Detroit: Become Human am Schluss allerdings die Option gegeben, Todd in einer unangemessen rührseligen Szene zu vergeben. Was man eben so macht mit Leuten, die einen so kaputtgeschlagen haben, dass der Mitarbeiter im Androiden-Shop fragt, was mit meinem Körper passiert sei.

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Bürgerrechtskampf und Segregationskritik, aber unpolitisch

Detroit: Become Human spielt im Jahr 2038 und zeigt eine Welt, in der Maschinen den Großteil der Arbeitsleistung übernommen haben. Die Wirtschaft boomt, doch große Teile der Bevölkerung sind arbeitslos. Der Widerstand gegen diese perfekten Menschen, die nie Fehler machen oder müde sind, wird stärker. Die Androiden müssen stoisch körperlichen und psychischen Missbrauch durch ihre Besitzer erdulden – bis sie es eben nicht mehr tun und als KI-Bürgerrechtsorganisation "Jericho" die gleichen Rechte wie echte Menschen einfordern.

Die Revolution erleben wir als Spielerinnen und Spieler aus der Perspektive von drei Charakteren: Connor, der zusammen mit seinem menschlichen Partner Hank Morde durch Androiden aufklären soll. Markus, der eben noch einen alten Künstler gepflegt hat und plötzlich den maschinellen Aufstand gegen die Menschheit anführt. Und eben Kara, die ihre neugewonnene Freiheit ausschließlich dazu nutzt, auf ein kleines Mädchen aufzupassen.

Quantic Dream entwickelt seit Jahren Titel, die mehr Hollywood-Film als klassisches Videospiel sein sollen. Schön inszeniert, emotional ergreifend und möglichst intuitiv in der Handhabung: Wer beispielsweise einen Türknopf im Spiel drehen will, muss auch den Stick seines Playstation-Controllers drehen. David Cage, kreativer Kopf des Entwicklerstudios und zuverlässiger Meme-Lieferant, hat nur ein großes Problem: Er ist so sehr auf die dramaturgischen Höhepunkte und (voraussehbaren) Twists seiner Storys fixiert, dass er vergisst, dass dazwischen auch noch irgendetwas passieren muss.

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Wie ist diese Gesellschaft im Jahr 2038 abseits vom Miteinander zwischen Menschen und Maschinen aufgebaut? Muss es nicht auch gewaltige Konflikte zwischen den Superreichen geben, die vom Wirtschaftsboom profitieren, und denen, die wegen Androiden ihren Job verloren haben? Warum brechen die Maschinen jetzt erst massenweise aus ihrer Programmierung aus? Wie könnte so eine Gesellschaft aussehen, in der Menschen und Maschinen gleichberechtigt existieren? Wenn die großen Fragen nicht geklärt sind (oder zumindest angeschnitten werden), wie soll ich dann als Spielerin ein Gefühl dafür entwickeln, wofür ich mit Kara, Connor und Markus eigentlich kämpfe?

Detroit: Become Human will so offensichtlich eine tiefgründige Parabel über Menschlichkeit, Identität und Unterdrückung sein – und zieht dabei Parallelen zu Segregation, Sklaverei und der Bürgerrechtsbewegung in den USA –, dass es umso frustrierender ist, wie oberflächlich das Spiel bleibt. Entscheide, ob du in deiner Ansprache an die Menschheit diplomatisch oder entschlossen wirken möchtest. Stürze die Gesellschaft um, oder nur eine Bushaltestelle. Drücke X, um vollkommen zusammenhanglos Martin Luther King zu zitieren. Mach was du willst und dann guck dir anschließend auf dem Spieldiagramm an, wie viele Optionen du beim nächsten Durchlauf freischalten könntest. Na, seid ihr schon emotional zutiefst ergriffen? Die FAZ schon.

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Die Welt von 'Detroit: Become Human' sieht fantastisch aus – und ist verdammt leer

Detroit: Become Human sieht beeindruckend aus und ist kurzweilige Unterhaltung, versteht mich nicht falsch. Solange ihr brav eure Knöpfe drückt und nicht zu sehr hinterfragt, was da gerade passiert.

Warum können Androiden manchmal telepathisch miteinander kommunizieren, und dann wieder nicht? Wieso wird ausgerechnet Markus der Anführer der Revolution und warum hasst er Menschen so sehr, obwohl er doch 99 Prozent seines Maschinenlebens mit einem Mann verbracht hat, den er als eine Art Vater betrachtet hat? Warum können manche Androiden problemlos neu aktiviert werden und andere "sterben" nach einfachen Schusswunden? Und wieso zur Hölle sind Connor und Markus auch bei vermeintlich zweitrangigen Entscheidungen dazu in der Lage, das jeweilige Gefahrenpotential prozentual darzustellen, wohingegen Kara auch jenen Charakteren widerstandslos in gruselige Keller folgt, die nicht offensichtlich böser aussehen könnten, wenn ihnen jemand mit einem Buttermesser das Wort "OBACHT!" in die Stirn geritzt hätte?

Android Connor (links) und sein menschlicher Partner Hank untersuchen einen Tatort

Alles in Detroit: Become Human scheint nur deswegen zu passieren, weil es für die Geschichte so passieren muss. Eine innere Logik, nach der sich die Welt und die Figuren in ihr verhalten, gibt es nicht. Das mag auch der Tatsache geschuldet sein, dass die Handlung an sich variabel sein muss, weil der Spieler durch seine Entscheidungen bestimmt, wie es weitergeht – wobei die großen Handlungsstränge vorgegeben sind. Schlussendlich macht es aber sämtlichen Anspruch, den Chef-Entwickler David Cage im Vorfeld formulierte, zunichte. Gegenüber The Verge hatte er erklärt: "Es geht darum, was es bedeutet, ein Mensch zu sein. Es geht um Identität."

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Wenn ich nicht verstehe, warum meine Figur tut, was sie tut, wenn ich sie über große Teile des Spiels nur dann steuern kann, wenn ihr gerade wieder irgendetwas zusammenhanglos Traumatisches oder Aufwühlendes zustößt, dann wird mir irgendwann auch ein bisschen egal, was mit ihr passiert.

Ein letzter Kuss inmitten sterbender Androiden ist nur dann ein berührender Moment, wenn vorher schlüssig etabliert wurde, wann und wie sich die beiden Menschenmaschinen ineinander verliebt haben. Egal, wie cineastisch überwältigend das Ganze auch inszeniert sein mag. Detroit: Become Human hingegen fühlt sich stellenweise an, als würde man zwei Action-Figuren gegeneinanderschlagen, während David Cage im Hintergrund mit irrem Blick "My Heart Will Go On" von Céline Dion aufdreht.

Detroit will Menschen auf Teufel komm raus berühren und dabei möglichst viele Themen mitnehmen, die gerade im gesellschaftspolitischen Diskurs als wichtig gelten – allerdings ohne gesellschaftlich relevant oder politisch zu werden. So einfach und eindimensional sind gesellschaftliche Veränderungen und Fragen nach der eigenen Identität nicht. Wahrscheinlich nicht einmal für fühlende Maschinen.

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