"Bei Krebs einfach die Füße in Wasser halten" – Zu Besuch bei einer spirituellen Yoga-Gruppe
Symbolbild. Foto: D.C.Attyflickr | CCBY2.0

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esoterik

"Bei Krebs einfach die Füße in Wasser halten" – Zu Besuch bei einer spirituellen Yoga-Gruppe

Yoga kann mehr sein als ein paar Verrenkungen. Zum Beispiel eine esoterische Erfahrung, bei der der Heilige Geist aus dem Kreuzbein steigt.

Manche Menschen glauben an Engel, manche lassen ihre Hunde auspendeln und einige glauben, dass der Heilige Geist im Kreuzbein sitzt. Letzteres trifft unter anderem auf Anhänger der spirituellen Yoga-Gruppe Sahaja-Yoga zu. Yoga dient ihnen als Mittel, um diesen zu erwecken und anschließend erleuchtet zu werden. Der Heilige Geist wird als “mütterliche Urkraft“ – auch Kundalini genannt – verstanden.

Neben der Erweckung des Heiligen Geistes spielen sogenannte "Entitäten" eine große Rolle: Es wird davon ausgegangen, dass manche Seelen nicht mit dem Körper sterben, sondern sich auf noch lebende Menschen setzen und von ihnen Besitz ergreifen. Mit dieser Ansicht wird beispielsweise Homosexualität erklärt: Ein Mann wird schwul, wenn er von einer weiblichen Seele besessen ist.

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Dass Yoga für viele Menschen mehr als Sport ist, weiß auch die Psychologin Ulrike Schiesser von der Bundesstelle für Sektenfragen. Sie erhält viele Informationsanfragen bezüglich spiritueller und Guru-zentrierter Yogagruppen. Im Interview mit VICE erklärt sie, dass wir im Westen "einen sehr naiven Zugang zu Yoga haben. Die wenigsten sehen es als religiöse Tradition".

Gegründet wurde Sahaja-Yoga von Shri Mataji Nirmala Devi, die in "eingeweihten" Kreisen meist einfach nur "Mutter" genannt wird. Sie gilt, laut Eigenbeschreibung, als Erfinderin der Meditationsmethode Kundalini Yoga, die durch ihre Einfachheit vor allem auf Massen ausgerichtet ist. Ziel dabei ist, alle Menschen auf der Welt zu dieser Erleuchtung zu verhelfen, um Weltfrieden herzustellen. Versprochen werden zudem Selbstverwirklichung, Selbstfindung und Ausgeglichenheit.

Ich will verstehen, was Menschen dazu bewegt, zu solchen Gruppierungen zu gehen, und mache mich mit einem Freund auf den Weg zu einem ihrer kostenlosen Meditationskurse.


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Das Meditationsstudio ist ein einladendes Zimmer im 15. Bezirk. Sara*, die Meditationsleiterin, öffnet uns die Tür. Sie ist um die 50, zierlich, hat lange, braune Haare und wirkt sympathisch. Gleich zu Beginn bietet sie uns Fencheltee an.

Im Eingangsbereich hängen Plakate über Chakren, Energien und Entitäten. Der eigentliche Meditationsraum ist groß, mit Perserteppichen ausgelegt und riecht nach Räucherstäbchen. Ganz vorne steht ein Altar mit einem großen Bild von Shri Mataji, rechts und links daneben stehen brennende Kerzen und bunte Rosen. Ein Lichtstrahl auf ihren Fotos soll für ihre Göttlichkeit und besonderen Kräfte stehen.

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Mit der Zeit füllt sich der Raum. Zu meiner Überraschung sind die meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer jung – irgendwo zwischen 16 und 30. Laut der Psychologin Ulrike Schiesser werden verschiedene Altersgruppen von Bewegungen wie dieser angesprochen. Es reiche von 20-Jährigen, die sich von fernöstlichen Philosophien angezogen fühlen, über Geschäftsleute, die einen Ausgleich suchen, bis hin zu älteren Personen, die sich in einer Umorientierungsphase befinden, etwas erreicht haben und sich fragen, ob das schon das ganze Leben gewesen sein soll.

Nachdem Sara alle begrüßt hat, fängt die Meditation an. Probleme entstehen nach Sahaja-Yoga einzig aus einem Ungleichgewicht zwischen rechter und linker Körperhälfte. Um den Körper wieder in ein Gleichgewicht zu bringen, werde ich angewiesen, meine Augen zu schließen und mich im Schneidersitz hinzusetzen. Meine linke Hand liegt geöffnet auf dem Schoß, damit die Energien besser aufgefangen werden können.

"Mutter, bin ich der Geist?"

Die Leiterin wiederholt mit monotoner Stimme mehrmals die Frage: "Mutter, bin ich der Geist?" Im Hintergrund läuft indische Musik, die zeitweise ekstatisch ansteigt, nur um gleich wieder abzuflauen. Im nächsten Schritt legen wir die Hand auf die linke Seite des Bauches und fragen: "Mutter, bin ich mein eigener Guru?" Der am Anfang noch penetrante Räucherstäbchen-Geruch wird auf einmal angenehm – ich fühle mich auf eine seltsame Art wohl und merke, wie ich mich selbst wiederholt frage: "Mutter, bin ich mein eigener Guru?"

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Für die Beantwortung gibt es ebenfalls ein Ritual: Die Hand wandert auf die Hüfte, dann wieder zum Bauch und schlussendlich zum Herz, wo man "Ja Mutter, ich bin mein eigener Geist" sagt.

"Jetzt richtet eure Augen auf das Bindi der großen Meisterin, um eure Gedanken besser loszulassen", fordert uns Sara auf. "Reibt dabei eure Handfläche im Uhrzeigersinn auf dem Kopf". Zwölf Menschen starren für fünf Minuten auf das Bild einer durchaus gruselig aussehenden Frau. Ich spiele das Spiel einige Minuten mit, bis mir auf einmal bewusst wird, was ich da eigentlich tue. Ich sitze in einem spirituellen Kreis, starre eine fremde Frau an und versuche, durch Meditation den Heiligen Geist aus meinem Kreuzbein zu locken. Zumindest ist das das Ziel aller anderen in diesem Raum.

Nachdem ich meinen Vorderkopf in meine Handflächen beugen musste, um "Ich vergebe mir und liebe mich selbst" zu sagen, fängt ein zirka 18-jähriges Mädchen an, meine Chakren zu reinigen. Schon wieder soll ich meine Augen schließen, schon wieder soll ich meine Hände in irgendwelche Richtungen bewegen und sagen, ob ich etwas spüre.

Das Mädchen steht währenddessen hinter mir und tut mir ihren Händen so, als ob sie Weihwasser über mich sprenkeln würde. Nur ohne Wasser. Anschließend wandern ihre Hände in kreisenden Bewegungen über meinen restlichen Körper. Irgendwann sage ich, dass ich den Heiligen Geist in mir spüren würde. Das alles dauert mir zur lange und ich habe einfach keine Lust mehr.

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"Krebs ist eine psychosomatische Krankheit."

Nachdem die Reinigung vorbei ist, höre ich, wie ein Gruppenmitglied einem interessierten Mann erklärt, dass Krebs eine psychosomatische Krankheit sei, die aus dem Ungleichgewicht zwischen rechter und linker Körperhälfte entstehe.

Sara fängt auf einmal an, über das menschliche Gehirn zu reden: Es bestehe nur aus Fett und bekomme seine Energie aus der Leber, weshalb es wichtig sei, morgens Zuckerwasser zu trinken. Das helfe der Leber, Energie zu bekommen. Zwar besteht das Gehirn zu 60 Prozent aus Fett, "ernährt" sich allerdings nicht von der Leber, sondern vor allem von den täglich aufgenommenen Kohlenhydraten.

Die Leiterin schaut in die Runde, sieht mich etwas länger an, legt ihren Kopf zur Seite, zeigt auf mich und sagt: "Du benötigst kein Zuckerwasser mehr". Anschließend zeigt sie auf eine dünnere Frau und ergänzt: "Sie braucht Zuckerwasser, oder ich, ich brauche Zuckerwasser. Aber du, nein, du brauchst keins mehr." Meine Motivation, hier noch weiter rumzusitzen, sinkt immer tiefer. Jetzt fängt die Diskussionsrunde an.

Die angekündigte Diskussionsrunde entwickelt sich zu einer Runde, in der sich über Persönliches ausgetauscht und über Freud gelästert wird. So habe dieser, laut Sara, "allerhand Absurdes" gesagt. Aus Scham, direkt über Sexualität zu sprechen, kommen ihr nur mit viel Mühe die Worte "Er hat Kinder als sexuelle Wesen dargestellt. Das ist kompletter Schwachsinn. Kinder sind unschuldig" über ihre Lippen.

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Kinder haben einen besonderen Stellenwert bei Sahaja-Yoga: Sie werden als Nachkommen Shri Matajis und nicht als Nachkommen der leiblichen Eltern betrachtet. Kinder sollten am Besten von der ganzen Gruppe erzogen und ab dem frühsten Kindesalter auf die eigens errichteten Schulen in Italien, Indien und Tschechien geschickt werden.

Aufgebaut sind diese Schulen wie Internate, der Kontakt zur Außenwelt wird gering gehalten. Wichtig ist in diesen Schulen die Meditation, wobei aber auch der allgemeine Lehrplan des jeweiligen Landes eingehalten wird. Kritik an den Schulen gibt es dennoch, was auch dazu führte, dass sowohl das Verfassungsgericht, als auch der Bund Sahaja-Yoga den Status als eingetragene religiösen Bekenntnisgemeinschaft verwehrte.

An österreichischen Schulen bieten Sahaja-Mitglieder kostenlos Meditationsstunden an. Unter dem Namen innerpeaceday , einem von Sahaja-Mitgliedern gegründeten Projekt, geben sie online an, Partner von UNICEF, der UNO, der Caritas und der UNESCO zu sein. In Niederösterreich werden von innerpeaceday Mails an Schulen verschickt, dass die niederösterreichische Schulpolitik das Projekt unterstütze.

Der Haken daran: Weder kooperieren die UNO oder die Caritas mit Sahaja, noch werden sie von den niederösterreichischen Schulbehörden unterstützt. "Meistens hatten solche 'Partner' irgendwann, irgendwo auf der Welt ein gemeinsames kleines Projekt. Danach erscheinen sie weltweit als gemeinsamer Partner auf Internetseiten", erklärt die Psychologin Ulrike Schiesser.

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"Was solche Gruppen faszinierend macht, ist ihr simples Weltbild. Struktur und Erklärung ist ein menschliches Bedürfnis. Wir hätten gerne kausale Zusammenhänge."

Dass innerpeaceday zu Sahaja gehört, liegt durch die verwendeten Techniken und Materialien nahe. "Ein Körper mit den verschiedenen eingezeichneten Chakren und Energieflüssen wird von Sahaja-Yoga verwendet. Dieselbe Grafik benutzt auch innerpeaceday. Außerdem kann man auf manchen von innerpeaceday veröffentlichten Fotos, ein Bild von Shri Mataji im Hintergrund erkennen", erklärt Ulrike Schiesser.

Das alles hört sich schräg an, aber die Gruppe scheint genug Menschen anzuziehen, um drei Meditationsstudios in Wien betreiben zu können, in denen wöchentlich mehrere Kurse angeboten werden. Bei meinem Besuch sitze ich mit 12 anderen Menschen im Raum. Was solche Gruppen faszinierend mache, so Ulrike Schiesser, sei das simple Weltbild, in dem Ungerechtes, wie etwa eine schwere Krankheit, wieder gerecht wird.

"Struktur und Erklärung ist ein menschliches Bedürfnis. Wir hätten gerne kausale Zusammenhänge", sagt Schiesser. Dass alle Krankheiten psychische Ursachen hätten, habe beispielsweise mit der spirituellen Idee zu tun, dass alles mit den richtigen Gebeten, Ritualen und dem richtigen Lebensstil beeinflussbar wäre. Hinzu komme die verbreitete Angst vor dem Tod, auf die Religion, Spiritualität und Esoterik ebenfalls einfache Antworten liefern.

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Dabei ist natürlich nicht gesagt, dass der Kontakt mit solchen Gruppierungen generell negativ sein muss. Für die Sektenbeauftragte Schiesser gibt sowohl positive als auch negative Berichte. Beides könne laut der Psychologin nebeneinander stehen. Dies läge vor allem an dem Aufbau von Yogagruppen, der einer Zwiebelschale ähnle: Es existiere ein äußerer Kreis, der nur ab und zu zu Meditationsabenden geht. Für manche Menschen sei dies der einzige Kontakt mit der Gruppe.

"Wird versprochen, ein innerliches Bedürfnis durch die Gruppe befriedigen zu können, kann bei anderen eine Abhängigkeit entstehen", erklärt Schiesser weiter. Hinzu kommen dann Regeln und Vorschriften, die verstärkt eingehalten werden, wenn ein Guru besonders verehrt wird. Dies könne zu erheblichen Einschränkungen führen. Frau Schiesser erzählt etwa von einem Fallbeispiel, in dem eine Frau aus Angst vor schlechtem Karma niemandem mehr die Hand geben konnte.


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In guru-zentrierten Yogagruppen kann es neben psychischen Begleiterscheinungen bei Einzelnen aber auch zu emotionalem, finanziellem und sexuellem Missbrauch kommen. "Gurus suchen sich Personen aus", sagt Ulrike Schiesser. "Sie wissen ganz genau, bei wem sie was machen können." Das wurde beispielsweise von Mitgliedern der in Österreich gegründeten Gruppe Yoga im täglichen Leben berichtet. Während einige Frauen auf der ganzen Welt Missbrauch miterleben mussten, wussten die anderen von nichts. Über einen längeren Zeitraum soll es wiederholt zu sexuellem Missbrauch gekommen sein. Schließlich berichteten Frauen auf diversen Blogs darüber.

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In Österreich existieren viele verschiedene guru-zentrierte und spirituelle Yogagruppierungen. Sahaja-Yoga ist nur eine von vielen und hat den Ruf, vor allem medizinkritisch zu sein. Bei Krebs einfach die Füße ins Wasser halten und man wird geheilt – das schreibt zumindest Gründerin Shri Mataji in einem Brief.

Auch bei Notfällen oder chronischen Krankheiten wird mitunter davon abgeraten, ins Spital zu gehen. Kritik gibt es von Seite der Bundesstelle für Sektenfragen auch für das offensive Anwerben an Schulen per Mail, da durch das Projekt innerpeaceday auf den ersten Blick nicht ersichtlich sei, dass es sich um eine spirituelle Gruppe handle. Problematisch sei auch, dass die Meditation nicht von Pädagogen, sondern von Sahaja-Mitgliedern durchgeführt wird und es keinen wissenschaftlich Beleg für die Wirksamkeit der Kundalinimethode gibt.

Bei der abschließenden Diskussionsrunde sind nur noch Neulinge anwesend, unter anderem ein Lehrer. Sara rät ihm, seinen aufgedrehten SchülerInnen Meditationsübungen zu zeigen. Sie schlägt eine Übung vor, in der man imaginäre Schleifen über dem Kopf binden soll und zeigt, wie es möglich ist, ein persönliches Schutzschild zu bauen. Die Veranstaltung nähert sich zum Glück dem Ende.

"Wenn ihr die Kundalini-Energie heute nicht gespürt habt, ist das nicht schlimm. Es braucht Übung und Glauben. Das Kundalini kommt auch nur, wenn ihr wirklich glaubt", sind die letzten Worte von Sara, bevor ich das Meditationszentrum endlich verlasse.

Spiritualität ist, ob wir es wollen oder nicht, Bestandteil unserer Gesellschaft. Das VICE-Frauenportal Broadly hat sein "Daily Horoscope" und sogar das pop-feministische MissyMagazin veröffentlichte vor einigen Tagen einen Artikel mit der Unterschrift: "Weiße Typen können vieles zerstören, nicht aber die Heilung, die Femmes of Color in Spiritualität finden".

Dabei kann der Trend weg vom Rationalen hin zu mehr Emotionalität und Irrationalität nicht nur befremdlich (und Geschmacksache), sondern auch gefährlich werden. Nämlich dann, wenn man zum Beispiel Krankheiten und andere Schicksalsschläge als gerechte Ausprägungen von Karma und deswegen als als unveränderlich sieht – oder sich für das "größere Ganze" finanziell oder emotional ausnehmen lässt.

* Namen wurden geändert

Wenn du dich mehr über spirituelle Bewegungen oder Sekten informieren willst, oder selbst in einer bist und raus willst, kannst du dich an die Bundesstelle für Sektenfragen wenden.

Solltest du sexuellen Missbrauch erlebt haben, findest du hier eine Übersicht mit allen Beratungszentren in Österreich.

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