Diesem Neonazi-Sender wird endlich der Prozess gemacht
Montage: VICE (Screenshot, Volksempfänger: imago)

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Diesem Neonazi-Sender wird endlich der Prozess gemacht

Obwohl es schon vor fünf Jahren eine Razzia gab, war das "Volk und Heimat Radio" noch bis vor Kurzem auf Sendung. Wir haben uns das Programm angeschaut.

"Rockt das Reich" lautet das Motto des Volk und Heimat Radios. Doch statt über einen Volksempfänger im Großdeutschen Reich konnte man den Radiosender jahrelang im Internet hören. Er sendete aus der Kleinstadt Braunsbedra im Süden Sachsen-Anhalts. Bis zu 65.000 Hörer sollen sich die rechte Welle angehört haben, schreibt die Mitteldeutsche Zeitung . Zum Vergleich: Das Jugendradio MDR SPUTNIK aus derselben Region erreicht täglich 208.000 Menschen – und das ohne volksverhetzende Inhalte.

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Wegen Volksverhetzung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung muss sich der mutmaßliche Administrator des Volk und Heimat Radios nun nämlich am Landgericht Halle verantworten. Die erste Sitzung soll im November stattfinden. Der 31-jähriger Beschuldigte soll ein Team von insgesamt neun Personen geleitet haben, das Netzwerk hinter dem braunen Radio erstreckte sich angeblich bis in die Schweiz.


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Das LKA Sachsen-Anhalt war "im Rahmen einer Internetrecherche" auf die Möchtegern-Volksstimme gestoßen – so steht es im Verfassungsschutzbericht des Landes aus dem Jahr 2012. Demnach hatte der Sender spätestens 2010 den Betrieb aufgenommen. Am 3. April 2012 und 17. Juli 2012 rückte dann die Polizei aus, um in Braunsbedra, Lüdenscheid, Chemnitz sowie an weiteren Orten in Deutschland und der Schweiz Häuser und Wohnungen der Verdächtigen zu durchsuchen. "Die Kommentare der Moderatoren und die Musikauswahl erfüllten Straftatbestände, unter anderem Verstöße gemäß §§ 86a, 130, 131 StGB", heißt es im Bericht. Konkret: Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Volksverhetzung und Gewaltverherrlichung. Der jüngste Verdächtige soll damals 16 Jahre alt gewesen sein.

Warum dem mutmaßlichen Sendechef erst jetzt – fünf Jahre später – der Prozess gemacht wird, konnte die Staatsanwaltschaft laut Mitteldeutscher Zeitung bislang nicht erklären.

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Jedenfalls ist das Angebot des rechten Senders online weiter auffindbar. Als VICE am Donnerstag die Radio-Webseite besucht, werden wir von animierten Reichskriegsflaggen begrüßt. Es finden sich außerdem ein vermeintliches Schild der NS-Reichskulturkammer, panzerfahrende Soldatenkatzen und Flammen, die im Hintergrund lodern. Generell sieht die Seite aus wie Mitte der 90er programmiert.

Screenshot: Volk und Heimat Radio

Klickt man sich durch die Unterseiten, stößt man auf drei Interviews, die man sich in voller Länge anhören kann: mit der völkischen Partei National Orientierter Schweizer und der Heimatbewegung, welche einen alemannischen Staat in den Grenzen der Deutschschweiz fordert – beide Interviews sind von 2011. Außerdem ein Gespräch von 2015 mit "russischen Kameraden", die sich selbst als nationalsozialistisch bezeichnen, über den Ukrainekonflikt. Die Moderatoren des Radios haben Namen wie Kraftschlag, Terrorwolf88 und FSuN, was für frei, sozial und national steht.

Im Bereich Unterhaltung findet sich ein Bericht darüber, dass die Alliierten angeblich Millionen Deutsche nach den Krieg verhungern ließen. "Vieles machte der deutschen Zivilbevölkerung während des zweiten Weltkrieges das Leben schwer", steht dort. "An einem aber litten die Deutschen nicht: an Hunger." Besser recherchierte Informationen zum Hunger nach dem Krieg findet ihr unter anderem beim Spiegel. Wem das aber nicht genug "Unterhaltung" ist, der kann "Weltnetzspiele" zocken – Münzwürfe, Kniffel und Liebes-Tarot.

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Screenshot: Volk und Heimat Radio

Einzig das Feld für den Stream bleibt grau und – auch nachdem man draufklickt. Ein Hinweis, warum keine Sendung mehr stattfindet, findet sich in der Rubrik "Stammtisch". Unter dem Stichwort "Wichtige Information!" heißt es in einer Nachricht vom August 2016: "Wir entschuldigen uns für den zweimonatigen Musikausfall in aller Höflichkeit." Man habe Streit mit dem Hoster der Seite gehabt, dieser hätte sie "über Nacht" plötzlich abgeschaltet. Das Radio muss dennoch darüber hinaus weiter aktiv gewesen sein. Der letzte Sendeplan ist von der Woche vom 1. bis zum 7. Mai 2017. Er besteht nur aus zwei Sendungen: der moderationslosen "Musik vom rechten Band", offenbar eine computergenerierte Playlist, und zur Primetime am Freitagabend "Saufen und rocken bis der Arzt kommt".

Wenig später konnte aber auch der Internetarzt dem Radio nicht mehr helfen. Einträge von regelmäßig aktiven Nutzern im "Stammtisch" legen nahe, dass im Mai Schluss war. Neben dem Stream ist mittlerweile auch die Funktion "Wunschbox" nicht mehr verfügbar, wo sich Nutzer Songs wünschen konnten.

Ein Impressum gibt es nicht, aber zumindest eine Telefonnummer. Laut Vorwahl gehört sie zu einem Festnetzanschluss im Raum Aachen. Als VICE am Donnerstag dort anruft, meldet sich allerdings niemand. "Wir verbinden dich jetzt mit dem Radioprogramm", heißt es stattdessen von einer Bandansage. Es folgt eine Werbung für einen Festnetzanbieter und dann kommt: nichts.

In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Probleme mit rechten Radiosendern. Schon 2010 musste das Widerstandsradio aus Bamberg seinen Betrieb einstellen, zwei Jahre später erhielten die elf Mitarbeiter Bewährungsstrafen. Nationale Radios senden heute kaum noch von "deutschem Boden" aus. Der "Nazi-Hipster" und NPD-Funktionär Patrick Schröder betreibt Radio FSN. Hinter Netzradio Germania wiederum steckt laut Impressum der Wuppertaler Marc Jodl. Auch Henryk Reinke aus Mecklenburg-Vorpommern, laut Antifa-Informationen Mitglied beim Verein "Deutschland muss leben", wird auf der Radioseite als Moderator gelistet. Als VICE den Sender am Donnerstag einschaltet, laufen Lieder wie "Bürgerwehr" von Kraftschlag – die Band hat Verbindungen zum Neonazi-Netzwerk "Blood & Honour".

Der ehemalige Betreiber des Volk und Heimat Radios hat unterdessen noch vor Beginn des Prozesses am Landgericht Halle die ihm vorgeworfenen 17 Fälle von Volksverhetzung weitgehend gestanden, schreibt die Mitteldeutsche Zeitung. Ihm droht nun eine Haftstrafe von mindestens sechs Monaten.

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