"Wir wollen die Toten sichtbar machen": Welche Proteste gegen den EU-Gipfel in Salzburg geplant sind
Alle Fotos, sofern nicht anders angegeben: Kay-Michael Dankl

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Soziale Bewegungen

"Wir wollen die Toten sichtbar machen": Welche Proteste gegen den EU-Gipfel in Salzburg geplant sind

Auch deutsche Aktivistinnen sind Angela Merkel nachgereist. Die Organisatoren des Protests erklären, was sie antreibt.

Die Namen von über 30.000 Toten, gestorben an den Grenzen der "Festung Europa", wurden am Mittwochabend durch die Salzburger Altstadt getragen. Mehrere Hundert Demonstrierende zogen mit dem "Marsch der Verantwortung" durch die Stadt. Ihr Ziel: die Felsenreitschule, wo die Staatschefs dinierten. "Wir wollen die Toten sichtbar machen", sagt Stephan Prokop von der "Plattform Radikale Linke". "Denn wir sind entsetzt darüber, was sich im Mittelmeer abspielt." Doch die Polizei hat den Bereich großräumig abgeriegelt.

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Seit Mittwoch treffen sich die Spitzen der EU zu einem zweitägigen Gipfel in Salzburg, begleitet von umfangreichen Protesten. Die Organisatorinnen und Organisatoren haben uns erzählt, was sie noch vorhaben und warum sie auf die Straße gehen.

"Eine bessere Zukunft für alle" lautet das Motto, wenn am Donnerstagnachmittag die Großdemonstration gegen den EU-Gipfel vor dem Salzburger Bahnhof startet. In der Innenstadt werden zu diesem Zeitpunkt die Spitzen der EU zu einer letzten Sitzungsrunde zusammenkommen. Das geplante Hauptthema des Gipfels kann kurz zusammengefasst werden: Abschottung gegen geflüchtete Menschen.

Seit Juli 2018 und bis zum Dezember hat Österreich den Vorsitz im Rat der Europäischen Union. Und die Regierungsparteien ÖVP und FPÖ haben seitdem vor allem die Themen Flucht, Migration und innere Aufrüstung in den Mittelpunkt gestellt. Der Slogan der österreichischen Ratspräsidentschaft, beschwört Gefahr hinauf: "Ein Europa, das schützt". Vor allem die Menschen innerhalb seiner Grenzen. Vor der Bedrohung von außen.

Eine Demonstrantin hält zwischen zwei Einsatzkräften ein Schild hoch:

Eine andere Art von Sicherheit wünscht sich Alina Kugler von der Plattform "Solidarisches Salzburg", einem Zusammenschluss von linken, zivilgesellschaftlichen und gewerkschaftlichen Organisationen. "Wir wollen über soziale Sicherheit reden und nicht über Abschottung. Beispielsweise über das Recht auf Wohnräume, wo nicht zwei Drittel des Geldes für die Miete draufgehen", sagt sie. "Wir wollen die Menschen in den Mittelpunkt stellen, nicht die Konzerne."

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"Solidarisches Salzburg" wird die Großdemonstration am Donnerstag gemeinsam mit der "Plattform Radikale Linke" organisieren. Auch Stephan Prokop fordert eine ganz andere Art von Sicherheit: "Wir wollen Sicherheit, aber nicht vor den Menschen, sondern für die Menschen. Soziale Sicherheit, aber auch die Sicherheit, dass niemand, der Hilfe braucht, zurückgelassen oder abgeschoben wird." Für den Sprecher der Plattform sagt es "viel über eine Gesellschaft aus, wenn wir dafür auf die Straße gehen müssen, damit Menschen vor dem Ertrinken gerettet werden".

Die Organisierenden kritisieren auch die Doppelmoral, die sich in der Debatte um Geflüchtete immer wieder zeige. "Wenn ein Haus brennt und Menschen am Löschen gehindert würden, wären wir entsetzt", sagt Stephan Prokop. "Wenn jemand in der Salzach einen Menschen rettet, ist er oder sie ein Held", sagt Alina Kugler. "Wenn es im Mittelmeer passiert, werden Menschen dafür kriminalisiert."

Auf der Großdemonstration am Donnerstag soll der erste Block des Protestzuges die Farbe Orange tragen, das Symbol der Seenotrettung. Daneben stehen viele soziale Themen im Zentrum, etwa "soziale Grundrechte oder Arbeitszeitverkürzung statt einem Zwölfstundentag", wie Kugler erzählt. Für Prokop geht es "ums Ganze", wie er sagt. "Es geht um den Kapitalismus, also um ein System, dass Menschen nur nach ihrer Verwertbarkeit sortiert und bewertet."

Die Demo startet um 14 Uhr vor dem Hauptbahnhof, die Auftaktkundgebung beginnt bereits um 11 Uhr. Dort werden Aktivistinnen und Aktivisten aus dem subsaharischen Afrika über "die Auslagerung des Grenzregimes nach Afrika" berichten, erzählt Prokop. "Anschließend demonstrieren wir dann entlang des Sperrzone durch die Salzburger Innenstadt."

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Wie viele Menschen an der Demo teilnehmen werden, ist schwer einzuschätzen. "Zeit und Termin, also tagsüber an einem Wochentag, machen die Mobilisierung natürlich schwierig", sagt Prokop. Aber die Organisierenden wollen während des Gipfels auf der Straße präsent sein.

Angekündigt sind Demonstrierende aus ganz Österreich, Deutschland, der Schweiz, Italien und Tschechien. Die Polizei wird nach eigenen Angaben während des Gipfels mit einem Großaufgebot präsent sein. 1.750 Polizisten und Polizistinnen und 850 Soldatinnen und Soldaten sollen eingesetzt werden, dazu Kampfflugzeuge, bewaffnete Hubschrauber und sogar die deutsche Luftwaffe.

"Wir erwarten, dass wir unsere Demonstration dennoch in Ruhe und ohne Repression durchführen können", sagt Kugler. Sie fordert, dass "die Versammlungsfreiheit respektiert wird" und wünscht sich einen "bunten, lauten und breiten Protest".

Die Protestierenden machen einfach ihren eigenen Alternativ-Gipfel

Bereits seit vergangener Woche organisiert "Solidarisches Salzburg" einen Alternativ-Gipfel in der "TriBühne" in Salzburg-Lehen. "Wir diskutieren dort über soziale Rechte, Flucht und Seenotrettung, die Situation von Frauen, das Recht auf vernünftige Ernährung oder über die Aufrüstung der EU", erzählt Kugler.

Organisiert wird der Alternativ-Gipfel von Aufbruch Salzburg, einer antikapitalistischen und ökosozialistischen Organisation. "Der Gipfel, den ich für wichtig halte, wäre ein Zusammentreffen der sozialen Bewegungen aus ganz Europa ", sagt Christian Zeller.

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Und wer soll sich dort treffen?

"Der Natur ist es egal, wenn es drei oder vier Grad mehr hat. Aber den Menschen nicht", sagt Christian Zeller.

"Die Frauenbewegung aus Irland, die antirassistische Bewegung aus Italien, die Demokratiebewegungen aus Osteuropa, die Krankenhaus-Streikenden aus Deutschland oder die AktivistInnen gegen den Zwölfstundentag aus Österreich", sagt Zeller. Auch ökologische Probleme werden beim Alternativ-Gipfel debattiert.

"Der Natur ist es egal, wenn es drei oder vier Grad mehr hat. Aber den Menschen nicht", sagt Christian Zeller. Für ihn ist "die ökologische Frage deshalb immer gleichzeitig auch eine soziale Frage". Er ist der Überzeugung, "dass die neoliberale Politik nur auf internationaler Ebene bekämpft werden kann".

Am Sonntag entrollen Aktivistinnen ein Banner an der Festung Hohensalzburg | Foto: Anna Berger

Deshalb ist es für ihn so wichtig, dass Aktivistinnen und Aktivisten aus vielen Ländern in Salzburg zusammenkommen. "Wir müssen von sozialen Kämpfen, Bewegungen und Streiks in anderen Ländern lernen und uns austauschen. Es geht darum, ein Europa von unten aufzubauen gegen das Europa der Mächtigen."

Bereits im Vorfeld des Alternativ-Gipfels machte die FPÖ Stress. Die Salzburger Freiheitlichen stellten im Gemeinderat eine Anfrage, warum die stadteigene TriBühne an die "gewaltbereite" "radikale Linke" vermietet werde. "Das war einerseits ein Angriff auf demokratische Rechte, andererseits war es auch reichlich lächerlich", sagt Zeller. "Vermutlich hatte die FPÖ einfach Solidarisches Salzburg mit der Plattform Radikale Linke verwechselt", vermutet Kugler. "Oder es war ihnen egal."

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Und welche Ziele haben die OrganisatorInnen der Proteste? "Wir wollen nicht in einem Europa leben, wo Menschen an der Grenze verrecken. Wir wollen ein Europa, das soziale Themen in den Vordergrund stellt", sagt Alina Kugler.

"Wir müssen gemeinsam den Widerstand aufbauen und entwickeln. Auf der Straße, im Betrieb, in den Stadtteilen, im Alltag", meint Christian Zeller. "Das geht nicht mit der EU, sondern nur gegen die EU."

Für Stephan Prokop geht es um eine "solidarische Gesellschaft, die frei ist von Ausbeutung, Konkurrenz und Unterdrückung".

Von der österreichischen Bundesregierung halten alle drei nichts. Für Stephan Prokop ist "die österreichische Regierung eine Blaupause für neoliberale Kräfte in ganz Europa". Christian Zeller kritisiert, dass "aktuell grundlegende soziale Errungenschaften in Österreich über den Haufen geworfen werden".

Auch Alina Kugler ist empört: "Hunderttausende Menschen leiden unter dem Sozialabbau der Regierung. ÖVP und FPÖ wollen davon ablenken, indem sie Flüchtlinge zu Sündenböcken machen. Da werden wir dagegen halten."

Am Donnerstagabend, wenn die Proteste vorbei sind, werden sie alle zusammen feiern – das Motto der Abschlussparty: "Die Festung feiern, wenn sie fällt."

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