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Bundestagswahl 2017

Wir haben die NPD gefragt, wie schwer es ist, noch beschissener als die AfD zu sein

"Man muss über zugespitzte Plakataussagen provozieren, damit wir überhaupt noch stattfinden", sagt NPD-Chef Frank Franz.
Der NPD-Vorsitzende Frank Franz bei seiner Rede in Königs Wusterhausen | Alle Fotos: Benedikt Niessen

Königs Wusterhausen in Brandenburg, eine Woche vor der Bundestagswahl, Spätsommerlicht über dem Platz zwischen Bahnhof und einem asiatischen Restaurant. Die NPD-Elite um den Vorsitzenden Frank Franz und den letzten verbliebenen Abgeordneten der Partei, EU-Parlamentarier Udo Voigt, ist für den Wahlendspurt zusammengekommen. Das Motto: "Westdeutsche Verhältnisse verhindern – Asylbetrüger und kriminelle Ausländer raus!" Nur etwa ein Dutzend NPD-Mitglieder sind angereist.

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"Uns geht es darum, dass auch nationalistische Meinungen durchaus salonfähig sein können", sagt Franz Frank, bevor er das Mikro in die Hand nimmt. Nicht einmal eine Bühne oder ein Rednerpult gibt es. Der ehemalige Oberfeldwebel aus dem Saarland stieg 2014 zum Bundesvorsitzenden der NPD auf. Seither versucht er, den Untergang der Partei zu verhindern. "Die Aussagen bei uns bleiben die gleichen wie zuvor, wir versuchen eben nur, sie so rüberzubringen, dass man uns nicht als Aussätzige wahrnimmt", sagt Franz. Dafür will er nicht mehr nur prügelnde Kameraden und mürrische Altnazis in braunen Cordsakkos ansprechen, sondern auch die, die er "die Unzufriedenen" nennt.

Sein Problem ist, dass genau die mittlerweile ihr Kreuz bei der AfD machen. "In Deutschland ist der Bereich 'rechte Politik' ein schwieriges Feld", sagt Franz. Wenn er über die AfD redet, wirkt der normalerweise selbstsichere Rhetoriker mit der Marken-Steppjacke geradezu wehmütig. "Erst die Flüchtlingskrise hat der AfD einen Aufschwung gegeben – mit unseren Themen", sagt er. "Ansonsten gäbe es den Verein heute vielleicht gar nicht mehr." Immer wieder betont Franz dabei, dass sich die NPD von der AfD aber sehr wohl unterscheide. Statt weniger Flüchtlinge will sie gar keine. Statt eines gleichberechtigten Bündnisses mit den USA will sie den Austritt aus der NATO. "Möglicherweise sind wir die ehrlicheren Nationalisten", sagt er.

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Zur Kundgebung am Samstag kamen nur ein Dutzend Anhänger der rechten Partei – und der NPD-Fuchs

Inhaltlich unterscheiden sich die Wahlparolen von NPD und AfD kaum. Die AfD geht auf ihren Wahlplakaten mit Sprüchen wie "Burka? Ich steh' mehr auf Burgunder!" auf Stimmenfang, die NPD hetzt mit "Geld für die Oma statt für Sinti und Roma" gegen Minderheiten. Beide versuchen, Gefühle wie Angst und Neid aufzugreifen und die Protestwähler anzusprechen, indem sie die Grenzen von Moral und Mitmenschlichkeit überschreiten. "Man muss über zugespitzte Plakataussagen provozieren, damit wir überhaupt noch stattfinden – das hat die AfD erschwert", sagt Franz. Wegen der AfD gäben sie sich noch rechter, gingen an die Grenze zur Rechtswidrigkeit. "Wir versuchen die Gratwanderung, aber wir achten sehr darauf, dass wir uns nicht strafbar machen." Trotzdem erstattete die Stadtverwaltung von Ingolstadt inzwischen Strafanzeige gegen die NPD – wegen des Sinti-und-Roma-Plakats.

Die einst so stolze deutsche Partei, die 1969 noch 28.000 Mitglieder hatte, ist nur noch ein kleiner brauner Fleck auf dem Feinripp-Unterhemd der deutschen Parteienlandschaft. Die NPD sitzt in keinem Landtag mehr, die Mitgliederzahl ist auf rund 5.000 gefallen. Die Berliner NPD darf nicht einmal mit einer Landesliste zur Bundestagswahl antreten. Anfang des Jahres hatte das Bundesverfassungsgericht die Partei als verfassungsfeindlich eingestuft, aber ein Verbot abgelehnt. Die Begründung: Die NPD ist zu klein und zu irrelevant, um wirklich gefährlich zu sein.

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Das Tattoo eines Wehrmachtssoldaten auf dem Bein eines NPD-Anhängers

"Wir haben uns viel zu spät in der Außendarstellung gewandelt", sagt der 38-Jährige, der als nationaler Posterboy auch bei Instagram um die bürgerlichen Rechten buhlt. "Die Lücke, die die NPD gelassen hat, hat die AfD besetzt. Da ist die AfD beim Stimmenfang ein Konkurrent, weil sie natürlich auch bei uns fischen."

Gefangen wird auf dem Bahnhofsvorplatz in Königs Wusterhausen an diesem Samstag nichts. Bahnreisende und Wochenendtouristen schlängeln sich eilig durch die gelangweilten Polizisten, als seien sie auf der Flucht vor Schlagwörtern wie "Asylschmarotzer", die über das Kopfsteinpflaster schallen. Die wenigen Parteikameraden recken die schwarz-weiß-roten Fahnen ihrer Partei gen Himmel, stehen in Reih und Glied mit ihren ausgelatschten New-Balance-Tretern. "Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten", krächzt die aggressive Stimme von Neonazi-Sänger Daniel "Gigi" Giese aus einer Musikbox. Einige Glatzen nicken zum Beat. Es ist genau das Bild der alten NPD, das Franz verhindern wollte.

Nur eine Handvoll interessierter Einwohner ist gekommen. Ein junger Mann Anfang 20 und seine Freundin lauschen etwas schüchtern dem Beitrag des NPD-Europaabgeordneten Udo Voigt über die "Flut der Asylbewerber". Der Auszubildende wirkt enttäuscht. "Ich würde die NPD wählen, aber wenn das niemand tut, bringt das ja nichts", sagt er und zeigt auf den leeren Bahnhofsvorplatz. "Ich habe mir von allen Parteien mal was angehört." Was er wähle, wisse er noch nicht, auch nicht, was für ihn am wichtigsten sei. "Deutschland muss deutsch bleiben", wirft seine Freundin ein.

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Eine kleine Gruppe wartet auf die Rede von NPD-Chef Frank Franz

"Die AfD, das sind Heuchler, das ist eine Partei der Eliten", sagt ein Frührentner, der mit dem Fahrrad zum Bahnhofsvorplatz gefahren ist und viel lieber über die Herrschaft der amerikanischen Pharmakonzerne sprechen würde. "Ich wähle die NPD, die Jungs stehen wenigstens noch zu ihrem Wort."

Die Kundgebung in Königs Wusterhausen soll der NPD noch mal Stimmen einbringen im aussichtslosen Kampf mit der Fünf-Prozent-Hürde. Auf den Straßenzügen des Brandenburger Örtchens zwischen Schlosspark, See und Wasserturm hängen die NPD-Wahlplakate auf Brusthöhe – und weit über ihnen die der CDU. Bei der Kommunalwahl 2014 holte die NPD hier 3,1 Prozent und damit einen Sitz in der Stadtverordnetenversammlung von Königs Wusterhausen. Die AfD bekam zwei Sitze.

Aber warum tourt der NPD-Vorsitzende nicht durch Westdeutschland, wo die Menschen die von der NPD verhasste Welt mit Zuwanderern nicht nur teilweise fürchten, sondern tatsächlich kennen? "In Westdeutschland hat sich eine gewisse Ignoranz eingeschlichen, weil man sich an die Gastarbeiter seit Jahrzehnten gewöhnt hat", sagt Franz. "Im Osten ist es einfacher, den Landtag zu knacken. Die Ostdeutschen sind nicht rechter, sondern heimatbewusster."

Ängste nennt Franz "Befürchtungen". Der Mann, der die stramme Körperhaltung der Bundeswehr nie abgelegt hat, gilt für NPD-Verhältnisse als gemäßigt – so weit das bei der NPD überhaupt möglich ist. Franz ist gekonnter Polit-Athlet, der den verbalen Spagat zwischen tiefem Rassismus und hoffnungsvoller Rhetorik beherrscht. Im Gespräch mit Journalisten gibt er sich eloquent, sozial und bürgernah. In seiner Rede vor seinen Kameraden hetzt er über Asylbewerber "in der sozialen Hängematte".

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Schon der deutsche Philosoph Theodor W. Adorno soll gesagt haben: "Ich habe keine Angst vor der Rückkehr der Faschisten in der Maske der Faschisten, sondern vor der Rückkehr der Faschisten in der Maske der Demokraten." Mit der AfD scheint diese Befürchtung nun Realität zu werden.

"Dann haben wir zum ersten Mal nach Ende des Zweiten Weltkriegs im deutschen Reichstag wieder echte Nazis", sagte Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) in einem Interview mit t-online. Die NPD scheint diese Aussicht auch ein bisschen zu freuen. "Die AfD hat dazu beigetragen, dass gewisse Aussagen wieder salonfähig sind", sagt Franz. Er meint damit das neue Zeitalter, in dem gewählte Abgeordnete beinahe täglich über Flüchtlinge hetzen, ein Holocaust-Mahnmal als "Denkmal der Schande" bezeichnen oder "das Recht, stolz auf Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen zu sein" propagieren.

Die NPD hofft, zumindest noch auf einen kleinen Erfolg. "Wir wollen auf jeden Fall versuchen, wieder in die Parteienfinanzierung zu kommen", sagt Franz. Im vergangenen Jahr standen der NPD durch Wählerstimmen in Bund und Ländern sowie durch die Stimmen bei der Wahl des EU-Parlaments insgesamt gut 1,1 Millionen Euro zu. Ohne die Staatsgelder könnte die Partei, die immer wieder mit Geldproblemen kämpft, wohl nicht überleben.

Eine Koalition mit der AfD könne er sich unter speziellen Umständen natürlich vorstellen, sagt Franz. "Ich halte viele Aussagen von Höcke und Gauland für richtig." Man kenne sich auch unter rechten Politikern: "Es gibt natürlich Kontakte zwischen der AfD und der NPD. Die laufen aber auf personeller Ebene und nicht auf Organisationsebene. Wir betteln um niemanden, aber die Tür für Herrn Gauland steht offen."

Nur hat der AfD-Spitzenkandidat es eben gar nicht nötig, durch diese zu gehen. So voll mit rassistischer Hetze das NPD-Programm auch ist – um Stimmen bei Hassenden, Verängstigten und Frustrierten zu sammeln, scheint das AfD-Programm beschissen genug.

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