Drogen in Berliner Clubs: Menschen tanzen auf einer Tanzfläche in einem Berliner Technoclub in den 90ern
Foto: imago images | Christian Ditsch
Drogen

So drauf waren Raver in den 90er Jahren in Berliner Clubs

Dank einer simplen Idee kacken Leute heute seltener ab.

Ein Sonntagmittag im Berlin der 90er Jahre: Die Party ist eigentlich zu Ende. Der DJ packt seine Platten ein, die Barkeeperin will nach Hause gehen. Doch ein Dutzend extrem verpeilter Menschen steht noch im Club. Sie sind so drüber, dass man sie nicht auf die Straße schicken kann, weil sie nicht checken würden, wie sie nach Hause kommen oder ob eine U-Bahn kommt.

Zu solchen Szenen kam es häufig in dem Jahrzehnt, das berüchtigt ist für Techno, Tanzen, Teileschmeißen. So schildert es Hans Cousto. Er ist heute 71 Jahre alt und hat sie miterlebt, die 90er Jahre mit ihren Partys in verlassenen Gebäuden, der Euphorie des Mauerfalls, die bis auf die Tanzflächen reichte, und den nicht enden wollenden Wochenenden. Er erzählt davon an einem Montagabend bei einem Talk in Berlin.

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Viel Zeit seines Lebens hat Cousto tanzend verbracht, in Trance und in Ekstase. Aber: Er hat auch gesehen, wie viele Menschen in der Technoszene nicht auf ihren Konsum klarkamen. "Die Leute haben massiv konsumiert, hatten aber keine Ahnung, was sie machen", erzählt er. "Viele hatten ihr Wissen über Ecstasy aus Zeitungen. Und die schrieben, Raver würden an manchem Abend 10 Teile nehmen. Und das haben die dann auch gemacht, was für sie dann viel zu viel war."


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Ecstasy war damals nicht so hochdosiert wie heute. Schwere Notfälle habe es dadurch verhältnismäßig wenige gegeben. Aber eben oft Menschen, die noch so viele Drogen intus hatten, dass man sie nach dem Ende der Party nicht nach Hause schicken konnte.

Es gab in diesen Momenten zwei Möglichkeiten. Entweder, der DJ packte seine Platten wieder aus und machte Überstunden. Doch das war nicht immer möglich. Die zweite Möglichkeit war dann: weiterziehen.

"Ich erinnere mich noch gut: Tresor, Montagmorgen. Der Club will schließen, doch zu viele Leute sind noch drauf. Also haben wir die Leute vom KitKat angerufen, ob man da noch eine Party möglich sei. Und dann haben wir die Raver in Zweierreihen aufgestellt wie Schulkinder und sind so zum Bus gelaufen, um dann in der Glogauer Straße auszusteigen und noch weiterzufeiern", erzählt Cousto.

Doch das Problem war größer: Die Menschen hatten keine Ahnung von den Substanzen, die sie nahmen. Informationen gab es keine – außer den falschen Schilderungen in Zeitungen. Hans Cousto gründete deshalb 1994 zusammen mit anderen den Verein "eve&rave". Sie starteten Drogenaufklärung in Clubs, vor allem mit Infoständen. Sie legten Flyer mit Informationen aus, erklärten, wie Drogen wirken, wie man sie dosiert und womit man sie nicht kombinieren soll. Ein paar Jahre später gründeten sie auch ein Internet-Forum, in dem sich Konsumierende bis heute über Erfahrungen austauschen.

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Hans Cousto (links) am "eve&rave"-Drogeninfostand während der Loveparade 1996. Foto: Fotoarchiv Freie Arbeitsgemeinschaft DrogenGenussKultur

Der Verein startete auch – ohne Erlaubnis – ein Drugchecking-Projekt zusammen mit der Charité. "eve&rave" ließ die kursierenden Pillen in deren Labor testen und verteilte die Zettel mit den Ergebnissen. Vorbild dazu waren die Niederlande. Da gab es die Stiftung zur Drogenaufklärung, die schon 1988 begonnen hatte, solche Stände in Clubs aufzustellen.

Wie aber kamen Hans Cousto und "eve&rave" an die Infos zu den Substanzen, die illegal sind? "Viele Substanzen waren früher einmal Medikamente", erzählt Cousto. "2CB, Methamphetamin oder Speed zum Beispiel. Zu ihnen gab es also auch wissenschaftliche Untersuchungen, in denen man etwas über die Wirkungen und Dosierungen erfahren konnte."

Als die Substanzen dann verboten wurden, wurde auch die Forschung eingestellt. Zumindest die wissenschaftliche. Auf den Tanzflächen forschten Konsumierende weiter. Zwar nicht unter wissenschaftlichen Bedingungen – aber mit interessanten Ergebnissen. "Wir schreiben unsere Flyer mit dem Feedback der Konsumierenden", erzählt Cousto. "Wo kriegt man die Informationen denn besser her als von den Leuten, die seit Jahren und bewusst konsumieren?"

Cousto erzählt von einem Festival. Er war an dem Stand, als ein junger Mann auf ihn zukam. Dieser hatte ein besonderes Anliegen. Er wollte Cousto auf einen gemeinsamen LSD-Trip einladen, um gemeinsam mit ihm über den Flyer zu jener Substanz zu diskutieren. "Und ich dachte mir: Die Stimmung ist gut, der Mann nett – wieso also nicht?" Eine halbe Stunde später, die Wirkung der Pappe hatte eingesetzt, saßen sie gemeinsam mit drei weiteren Personen auf LSD zusammen und diskutierten über den Flyer.

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Flyer mit Infos zu Ecstasy, Speed, LSD und Kokain

Einer der ersten Flyern mit Infos zu Drogenkonsum von "eve&rave". Foto: Fotoarchiv Freie Arbeitsgemeinschaft DrogenGenussKultur

Heute stehen viele der Substanzen wieder im Fokus der Wissenschaft. Zum Beispiel wird zu MDMA in Zusammenhang mit Posttraumatischen Belastungsstörungen oder zu Ketamin, LSD und Psilocybin bei Depressionen geforscht.

Hans Cousto verfolgt diese Forschungen. Immer wieder aktualisiert er seine Texte. Während auf den Infoständen anderer Anbieter vor allem kleine gefaltete Flyer mit den Basic-Informationen ausliegen, bietet Coustos Stand eher wissenschaftliche Handouts an. "Fachinformation" heißen sie. 17 DIN-A-4-Seiten lang ist etwa der Text zu Ecstasy, inklusive Inhaltsverzeichnis, neun Seiten Infos und vier Seiten Quellenangaben.

"Wir haben mit unseren Ständen bewirkt, dass die Leute ihren eigenen Konsum reflektieren, dass sie sich intensiver informieren", sagt Cousto. Heute sei der Umgang mit Drogen ein anderer, weil Menschen leichter an Informationen kommen, sagt er – nicht nur durch die Stände, sondern auch durch das Internet.

Aber der Verein hatte auch ziemlichen Ärger mit Politik und Justiz, vor allem wegen des Drugcheckings. Das mussten sie beenden und ihre Infos zu den Pillen danach aus der Schweiz beziehen. Und auch für die Infostände mussten sie kämpfen. Im Prinzip sind es die gleichen Ängste, die viele Politiker auch heute noch umtreiben: dass die Informationen die Drogen verharmlosen und Menschen dazu anreizen, sie zu nehmen.

Immerhin: Erfahrungen und Studien zeigen, dass die Sorge unbegründet ist und Aufklärung einen positiven Effekt auf den Konsum der Leute hat. Vieles, was die Aktivisten in den 90ern angefangen haben, wird heute nach und nach umgesetzt. Drogeninfostände etwa gibt es mittlerweile in vielen Städten, in vielen Clubs und von verschiedenen Anbietern. Teilweise werden sie auch staatlich unterstützt. Das Projekt "Sonar" in Berlin wird vom Senat gefördert. Und auch Drugchecking soll in Berlin 2020 legal und offiziell starten.

Hans Cousto steht auch mit 71 Jahren noch hinter den Ständen, auf Festivals und auf Partys. "Ich habe das so oft gemacht, jeder Handgriff sitzt." Egal, in welchem tranceartigen Zustand er sei: Aufbauen könne er diesen Stand jederzeit.

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