Die Autorin neben einem ausgestopften Fuchs
Fotos: Bernardo Martins
Menschen

Ich habe mich als Adelige ausgegeben, um mich durchs Leben zu schummeln

Bei einer Wohnungsbesichtigung stören den Verwalter weder mein Waffenschrank, noch die zwei Jagdhunde.

Lo hat seine grauen Haare zurückgegelt. Dazu ein hauchdünner Schnurrbart. Nadelstreifenanzug mit Fliege. Lo passt so gar nicht zum Dresscode des Berliner Nachtlebens. Wir sitzen an der Bar eines Clubs und er erzählt mir, warum er so aussieht, wie er aussieht. Lo hat sich einen Adelstitel zugelegt. Er drückt mir seine Visitenkarte mit selbst entworfenem Wappen in die Hand. "Seitdem ich Graf von Blickensdorf heiße, läuft alles besser. Ich bekomme wieder Aufträge und werde auf Feste eingeladen. Mir diesen Namen zuzulegen, war die beste Entscheidung."

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Wird man tatsächlich anders behandelt, wenn man ein "von" im Namen trägt? Lassen sich Menschen im Jahr 2019 noch von einem Titel beeindrucken?

Vor genau 100 Jahren wurden die Vorrechte des Adels abgeschafft. Es war das Ende des Ersten Weltkriegs und der Anfang der Weimarer Republik. Demokratie für alle, auch für den Adel. Auch Grafen und Prinzessinnen sind bürgerliche Menschen. Der einzige Glamour, den adelige Familien noch genießen können, ist ihr Titel als Bestandteil des bürgerlichen Namens. In Deutschland leben noch rund 80.000 Menschen mit einem Adelstitel

Und was hat man davon? Ich möchte es herausfinden.

Wie kommt man überhaupt an einen Adelstitel?

Ich könnte mich vom Hochadel adoptieren lassen. Der Big-Brother-Protz Prinz Marcus von Anhalt hat es vorgemacht. Um von Frederic Prinz von Anhalt adoptiert zu werden, soll der Bordellbesitzer mehrere Millionen Euro gezahlt haben. Die hab ich nicht. Es muss preiswertere Alternativen geben.

Ich stoße auf die Seite adelstitel-kaufen.com. Erstaunlicherweise kann ich mir aus einem Repertoire von Namen einen aussuchen. Ob Graf von Falkenstein, Baronin von Ortlieb oder Herzog zu Katharienburg. Zu jedem Titel gibt es eine Urkunde samt eigenem Familienwappen. Und das alles für fünfzig Euro. Dahinter steckt eine Firma namens Nobel Society GmbH. Ich werde stutzig. Was genau erkaufe ich mir mit diesen Urkunden? Das Recht, den neuen Namen im Personalausweis stehen zu haben?

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Während ich auf die Antworten warte, rufe ich Christina von Flotow an. Sie ist Chefredakteurin des Deutschen Adelsblatts. Im Heft geht es um Jagd, Kultur, Garten und Kunst. "Sich einen Adelstitel kaufen oder sich für Geld adoptieren zu lassen, das ist wirklich das Allerletzte", sagt sie. Eine Einladung zu echt-adligen Veranstaltungen wie Adel auf dem Radel bekommt man als eingekaufte oder adoptierte Adelige auch nicht. "Das kommt überhaupt nicht in Frage. Die Adelsverbände prüfen das."

Ich würde gerne eine Herzogin sein

Der Geschäftsführer der Nobel Society GmbH schreibt, die meisten Leute würden die Adelstitel auf seiner Seite als Gag verstehen. Als Geschenk zu Weihnachten, zur Hochzeit oder zur Geburt. Die angebotenen Titel seien entweder frei erfunden oder die Familien ausgestorben. Die Urkunden mit den Namen sind also reiner Spaß. Sie legitimieren mich nicht, sich den Namen in den Pass eintragen zu lassen. Einen adeligen Namenszusatz kann ich allerdings beim Standesamt beantragen – als Künstlernamen. Die 50-Euro-Urkunde brauche ich also gar nicht. Ich erstelle einfach meine eigene.

Ich würde gerne eine Herzogin sein. Das liegt hierarchisch noch über Freiherrin, Baronin und Gräfin. Jetzt ist endlich der Zeitpunkt meinen Heimatort, der für mich immer eher nach einer Hautkrankheit geklungen hat, sinnvoll zu nutzen. Herzogin Korschenbroich. Viele Adelstitel sind Doppelnamen, wie "Schaumburg-Lippe". Das klingt edler. Ich entscheide mich für "Stolpe" als Zusatz. Das ist ein Dorf in Brandenburg, aber das muss ja keiner wissen. Mein Vorname soll altdeutsch sein. Im Namen meiner alten Familientradition versteht sich. Betlinidis Herzogin Korschenbroich von Stolpe. Schön.

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Im Pass ändere ich den Namen nicht, zu großer Zeitaufwand. Stattdessen drucke ich Visitenkarten und lasse mir von einem Wappengenerator (true, gibt's wirklich) ein Familienwappen generieren. Ich entscheide mich für eines mit Ritterrüstung und Efeu.

Visitenkarte Wappen Herzogin

Meine Visitenkarte als Herzogin

Wohnungssuche als Herzogin: Die zwei englischen Setter stören den Verwalter nicht

Erster Auftritt: Wohnungsbesichtigung. Man sagt ja, Ottonormalmenschen würden dieser Tage keine Wohnung mehr bekommen. Werde ich trotz meiner Extrawünsche als Adelige auf dem hart umkämpften Wohnungsmarkt anders behandelt?

Ich sehe mir eine Zwei-Zimmer-Wohnung an. Frisch renoviert, im Herzen Kreuzbergs, direkt am Mehringdamm. Perfekt für Pärchen, die das zweite Zimmer fürs erste Kind nutzen möchten. Oder eben für Herzoginnen, die genügend Platz brauchen, um auch mal die Familie einzuladen, ohne sich schämen zu müssen. Der Verwalter wartet schon auf mich. Er ist Mitte zwanzig, klein, schlaksig. Es ist eine Einzelbesichtigung. Ich sehe noch, wie ein Pärchen vor mir verabschiedet wird. Als ich mich als Herzogin vorstelle, erwidert der Verwalter verwundert: "Ach, Sie waren das." Er mustert mich eingehend. Mein Name scheint in den E-Mails wohl hervorgestochen zu sein.

Ralph Lauren Jacke Adel Herzogin

Die Ralph-Lauren Jacke für zwölf Euro auf dem Flohmarkt gekauft. Das Outfit steht.

"Wie viel hält denn der Boden aus?", frage ich. Der Mann sieht mich verdutzt an. "Ich habe einen Gewehrschrank, der ist relativ schwer. Der ist ungefähr so…", ich laufe vom einen zum anderen Ende des Zimmers, um die Größe meines altertümlichen Möbelstücks zu demonstrieren. "Ähm. Also, vom Boden her ist das kein Problem", erwidert er. "Wie schwer ist der denn?" Ich sage: "Hm, ich kann das gar nicht einschätzen. Der steht noch bei uns zu Hause auf dem Gutshof."

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Offenbar reicht es noch nicht. Ich setze noch einen drauf.

"Wie sieht das denn aus mit Hunden? Ich habe noch zwei Jagdhunde." "Jagdhunde?!", seine Stimme wird lauter, der Ton schriller, er kneift die Augen zu und sieht mich entgeistert an. Seine Stirn legt sich in Falten. Er fragt nochmal nach, als ob er sich verhört hätte. "Ja, englische Setter." Gut, dass ich vorher gegoogelt habe, welche Hunde eine erfahrene Jägerin mit zur Jagd nimmt. "Ich weiß nicht, muss ich mal nachfragen." Der Verwalter hat sich wieder gefasst.

Zusätzlich frage ich noch, wie die Klientel von Bewohnern sei, ob ich den Bodenbelag der Küche mit Marmor austauschen könne und ob ich im Wohnzimmer ein drei mal drei Meter großes Ahnenportrait meines Großvaters aufhängen könne. Jede Frage wird mir höflich beantwortet. Am Ende verabschiedet mich der Verwalter freundlich und sagt, ich solle ihm bitte alle erforderlichen Unterlagen zuschicken. Der Vermieter entscheide dann darüber, wer die Wohnung bekommt. Dass ich keine Einkommensbescheinigung habe, aber der Forstverwalter meines Vaters ein Schreiben über unser Familienvermögen aufsetzen könne, sei in Ordnung, wenn mein Vater bürge. Ob ich die Wohnung eher bekommen hätte aufgrund meines Namens kann ich nicht sagen. Die Entscheidung wäre erst nach der Prüfung der Unterlagen gefallen. Aber ich hatte ein gutes Gefühl.

Ich habe über mein Selbstexperiment mit einer adeligen Freundin gesprochen. Sie sagt, die Vorzüge des Adels seien das große Netzwerk. Man sieht sich auf Veranstaltungen, wo nur Menschen mit einem "von" im Namen auftauchen. "Dort triffst du nicht den Durchschnittsmenschen. Viele haben Familienvermögen, wohnen auf Gutshöfen oder in Schlössern", erzählt sie mir. Wenn sie ein Praktikum in einer Unternehmensberatung machen möchte, wisse ihre Familie direkt ein, zwei Kontakte, die weiterhelfen können.

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Na gut. Vielleicht muss ich noch einen draufsetzen. Den Leuten klarmachen, dass ich in der Adelsszene eine große Nummer bin. Frau von Flotow vom Deutschen Adelsblatt ist jedenfalls überzeugt davon, dass der Adel noch ein gutes Renommee hat. "Wenn ich ein Hotelzimmer als Graf bestelle, dann kriege ich sicher ein besseres Zimmer als Herr Meier."

Erst mein Paparazzi macht mich glaubhaft

Ich entscheide mich für ein mittelklassiges Restaurant. Nichts Nobles, damit die Herzogin aus der Masse heraussticht.

Adel Herzogin Mantel Urkunde

Wieso einen Adelstitel kaufen? Hier meine selbst entworfene Urkunde.

Womit verbindet man noch Adel, abgesehen von Jagd, Geld und schicken Klamotten? Richtig, mit der Klatschpresse. Irgendwie scheint eine adelige Hochzeit Menschen immer noch zu Tränen zu rühren. Die Bunte ist voll mit Klatschnachrichten über den Kopfschmuck von Caroline von Hannover, das Outfit von Charlène von Monaco oder das Schloss von Fürst Schaumburg-Lippe. Um mir auch diesen öffentlichen Glamour zu verleihen, braucht es einen Paparazzi.

Freitagabend in Berlin. Ein Mann betritt die Kneipe. Er hält seine blitzende Kamera auf mich und schießt ein Foto nach dem anderen. "Es ist die Herzogin Korschenbroich von Stolpe!", ruft er. Ich spiele verärgert. Genervt. Nicht schon wieder die Presse. Eine Kellnerin schiebt sich zwischen mich und die Kamera. Ihre Arme bilden ein schützendes U, ihre Augen sagen "sorry". Mein Kumpel, den ich als "Cousin" mitgenommen habe, versucht den Paparazzi abzuwimmeln. "Lass sie doch einfach mal in Ruhe…"

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In diesem Restaurant wird mir meine Rolle komplett abgenommen. Sobald ich eine Frage habe oder etwas bestelle, kommen zwei Kellner, um ja nicht zu verpassen, was ich Wichtiges zu verkünden habe. Als ich den bestellten Prosecco kritisiere, schüttet sich der Barkeeper einen Schluck ein, um zu kosten, was ich auszusetzen habe.

Man kann also in jede Rolle schlüpfen, wenn man sie nur mit einer Selbstverständlichkeit nach außen trägt. Selbst die Rolle der Herzogin. Aber die wahren Adelskreise werde ich so nicht eindringen können. Denn was den Adel auszeichnet, ist seine Exklusivität. Geburtsrecht. Das wird auch heute noch gewahrt. Zumindest habe ich mich als Herzogin wichtiger gefühlt. Als eine Person, vor der man besonderen Respekt haben muss.

Ach, was soll's. Bestell ich halt einen Hamburger. "Könnten Sie mir sagen, aus welchem Wald das Rind kommt?", frage ich den Kellner. "Ähm. Ich glaube von Edeka", sagt er nüchtern. "Unser Onkel, der Freiherr, versucht auch gerade, sein Wild an die großen Supermarktketten zu liefern", behaupte ich. "Das gibt es ja jetzt immer mehr."

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