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Drogen

Wie ich das erste Mal in meiner Beinprothese Kokain schmuggelte

"Verdammte Scheiße! Wer besitzt die Frechheit, mich jetzt aufzuwecken?"
Foto: Wellcome Images | Wikimedia Commons | CC BY 4.0

"Verdammte Scheiße! Wer besitzt die Frechheit, mich jetzt aufzuwecken?", war der erste Gedanke, der mir durch den dröhnenden Kopf ging. Die Situation war mir zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst. Ich befand mich in einem Zug aus Holland, mit über 100 Gramm Kokain im "Gepäck". Geweckt hatten mich zwei Beamte von der deutschen Grenzkontrolle.

Alles hatte durch eine Wohltat in Wien begonnen. Ein Freund hatte unwissentlich einen obdachlosen Drogendealer aus einer Wiener U-Bahn aufgelesen. Sein großes Herz, seine größeren Schulden und mein falscher Ehrgeiz sollten uns den Kontakt für unsere erste Schmuggelfahrt verschaffen. Wir mussten nur noch die 3.000 Euro für die 100 Gramm weißes Pulver auftreiben und eine meiner alten Beinprothesen entsprechend präparieren.

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Eigentlich hatten wir hauptsächlich Interesse an Weed – dafür hatte ich viel mehr Abnehmer. Aber wie viel Gras konnte man schon in einen ausgefrästen Hohlraum stopfen, der von der Mitte des Schienbeins bis zum Knöchel reicht? Außerdem wurden uns spätere Frei-Haus-Lieferungen von massenhaft Gras versprochen, wenn wir uns nur ausreichend beweisen würden. Wir steckten also das letzte Kapital eines 19-jährigen Maturanten und eines 30-jährigen Schuldners in das Vorhaben und befanden uns kurz darauf in einem Zug nach Utrecht.


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An unserem Ziel wurden wir von einem wahren Riesen mit Mondgesicht und runden Brillen abgeholt. Er dürfte ebenfalls um die 30 Jahre gewesen sein. Zu unserer Überraschung fuhren wir zu ihm nach Hause. Er wohnte in einem verdreckten Bungalow. Überall lagen Porno-DVDs herum; laut den bunten Hüllen ging es hauptsächlich Massen-Gangbangs und Transvestiten. Irgendwie fühlte es sich falsch an, sich hier hinzusetzen. Ich dachte mir nur, das Fensterbrett hatte vielleicht noch nichts von seinen Fantasien abbekommen, also nahm ich dort Platz.

Wir montierten meine Schmuggelprothese und die improvisierte Bodenplatte zwischen Fuß und Bein ab. Ein dick in Verpackungsfolie eingewickeltes Paket wurde hineingestopft und alles wieder angeschraubt. Schon bei den ersten Schritten war klar, dass die laienhafte Konstruktion nicht halten würde. Das Werkzeug in dem Porno-Bungalow reichte einfach nicht für eine ordentliche Remontage. Improvisation mit Klebeband war nötig. Aus meiner Sicht wären die Drogen in meiner Hosentasche besser versteckt gewesen. Der Knöchel der Prothese war so dick mit Klebeband umwickelt, dass das Ding eher einem Klumpfuß als einem Drogenversteck glich.

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Trotzdem redeten wir uns aus, zu Kneifen. Wir machten uns auf den Rückweg zum Bahnhof. All das Improvisieren hatte unseren Zeitplan durcheinander gebracht. Der Zug aus Utrecht war schon abgefahren. Mit dem weißen Audi unseres Dealers versuchten wir noch unsere letzte Rückfahrtgelegenheit für diesen Tag in Arnhem zu erwischen. Das Sitzen in seinem Auto fühlte sich nun auch nicht mehr so gut an.

Schnell hatten wir uns ein paar spendierfreudige Freunde angesoffen.

Wir verpassten aber auch dort den Anschluss. Angesichts unserer prekären Fracht blieb uns nur ein Warten auf den ersten Zug am nächsten Morgen übrig. Wie verbringt man so eine Nacht, mit nur mehr wenigen Euros in der Tasche? An unsere wertvolle Fracht in meinem Bein kamen wir ohne Werkzeug gar nicht ran. Zurück in den Porno-Bungalow wollten wir auch nicht – das Mondgesicht schien uns ohnehin loswerden zu wollen.

Wir entschieden uns also, uns den Frust und den Stress im Nachtleben von Arnhem von der Seele zu saufen. Im Nachhinein war das tatsächlich die beste Entscheidung, die wir in dieser Situation hätten treffen können. Nachdem unser Geld zu Ende war, hatten wir uns schon spendierfreudige neue Freunde angesoffen. Einen Filmriss später, der uns unter eine Brücke beförderte, legten wir uns dann im rettenden Zug in die Heimat endlich schlafen.

Genau dort wurde ich auch von der besagten Grenzkontrolle geweckt. "Kontrolle, Ausweis bitte!", kam die Aufforderung. Ich musste mit meiner Alkoholfahne, den langen, zerzausten Haaren und meinen Baggy-Jeans absolut in ihr Täterprofil passen. Nach einem katerbedingten "Scheiße, ich will schlafen!" begann ich ganz automatisch in meinem Rucksack nach meinem Ausweis zu wühlen. "Woher kommen Sie?!", ging die Befragung weiter.

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Erst an diesem Punkt begann ich die Situation zu begreifen. Ich kam aus Holland, hatte harte Drogen stümperhaft in meiner Beinprothese versteckt und wurde gerade gefilzt. Ich war geliefert. Glücklicherweise wurde mir auch eine andere Sichtweise bewusst. Ich war hier das Opfer. Ich hatte einen mordsmäßigen Kater, hatte die Nacht unter einer Brücke verbracht und diese Typen haben mir meinen Schlaf gestohlen. Ich entschied mich, an die zweite Version zu glauben.

"Aus Holland und dort feiert man und ich hab einen verdammten Kater! Was soll das?" Einer der Beamten begann die Durchsuchung meines Rucksacks. Ich warf ihm einen feindseligen Blick zu, nahm meine Gürteltasche ab und warf sie seinem Kollegen hin. "Hier du Penner, wenn ich danach wieder schlafen kann!" Er blickte nur kurz hinein, danach kam die Leibesvisitation.

"Wenn sie mich nach einem Strip wieder schlafen lassen, dann von mir aus!"

Ich musste meine Taschen ausleeren und plötzlich kam die erstaunte Frage: "Was ist das?" "Eine Prothese – oder nach was sieht es für Sie aus?"

"Heraustreten, die müssen wir uns ebenfalls ansehen!" Jetzt war der entscheidende Punkt meines unbewusst gefassten Planes gekommen. Ich trat auf den Gang des offenen Zugwagons, öffnete meinen Gürtel und ließ die Hose runter: "Wenn sie mich nach einem Strip wieder schlafen lassen, dann von mir aus!" Die Kontrolleure tasteten den oberen Teil meiner Prothese ab, aber sahen auf diese Weise nicht die dicke Klebebandbandage am Knöchel. Vielleicht war es das Unbehagen über die Beinprothese. Vielleicht war es meine offensive Art, die sagte, dass ich nichts zu verlieren oder zu verbergen hatte.

Auf jeden Fall gaben die Grenzbeamten an dieser Stelle auf. Ich jubelte innerlich. Ich hatte mein Ziel erreicht. Ich konnte meinem dröhnenden Kopf noch etwas Schlaf schenken. Und ganz nebenbei brachte ich auch noch das Kokain sicher nach Österreich.

Und weil das Leben ein verdammter Moralapostel ist, blieb es natürlich nicht bei diesem Happy End. Zirka ein Jahr später wurde ich nämlich leider doch noch für genau diese erste Drogenfahrt verurteilt. Der obdachlose Holländer wurde nämlich irgendwann verhaftet und legte eine Lebensbeichte ab.

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