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Popkultur

Das Filmemacher-Paar, das von Kim Jong-il entführt wurde, um in Nordkorea zu arbeiten

Wir haben uns mit den Machern von 'The Lovers and the Despot' über ihre neue Doku unterhalten, in der es um Entführung, Kino und einen Diktator als Amor geht.
Kim Jong-il, Choi Eun-hee und Shin Sang-ok | Foto via Magnolia Pictures

Manche Geschichten werden allein deswegen bekannt, weil sie so seltsam sind. Zum Beispiel die Geschichte der berühmten Schauspielerin Choi Eun-hee und des Filmemachers Shin Sang-ok. Agenten des nordkoreanischen Diktators Kim Jong-il entführten die beiden Südkoreaner 1978.

In Korea ist die Geschichte den meisten bekannt. 2015 erschien ein Buch darüber mit dem Titel Das Traumpaar des Diktators und weltweit gab es Medienberichte darüber. Zum Zeitpunkt ihrer Entführung waren Choi und Shin geschieden und Shin befand sich in einer Beziehung mit einer jüngeren Schauspielerin. Die Entführer hatten Choi auf eine vermeintliche Geschäftsreise nach Hongkong gelockt, um sie so zu kidnappen. Ihr Verschwinden erregte großes Aufsehen, und als Shin ihr nachreiste, um nach ihr zu suchen, stellte sich einer seiner Kollegen als nordkoreanischer Agent heraus und verriet ihn.

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In Pjöngjang bescherte Kim Jong-il seiner Gefangenen einen relativ komfortablen Aufenthalt und führte sie stolz an seiner Seite auf Cocktailpartys vor. Doch Shin versuchte zu fliehen und wurde für vier Jahre in ein Gefangenenlager gesteckt, gefoltert und "umerzogen". Als das Paar endlich wiedervereint war, enthüllte Kim seinen Plan: Er wollte, dass die beiden Nordkorea zu einer großen Filmschmiede machten. Er gab ihnen einen Freifahrtschein, die Filme zu drehen, die sie schon immer hatten machen wollen.

Die neue Doku The Lovers and the Despot von den Filmemachern Robert Cannan und Ross Adam konzentriert sich auf Interviews mit Choi und geheime Aufnahmen, die das Paar von Kim Jong-il machte. Darin hört man ihn andeuten, dass er sie hat entführen lassen. In den Aufnahmen ist auch Shin zu hören, der von Flucht spricht. Visuell stellen Cannan und Adam die Geschichte mit körnigen Super-8-Re-Enactments und Szenen aus den Filmen des Paares dar.

Diese waren opulente, bahnbrechende Produktionen, darunter auch der allererste nordkoreanische Film über eine romantische Beziehung. Cannan und Adam beschreiben The Lovers and the Despot als einen Film übers Filmemachen und das Dilemma, fast alles zu bekommen, was man sich jemals gewünscht hat—außer Freiheit. Nach fast einem Jahrzehnt in Gefangenschaft gelang dem Paar 1986 endlich die Flucht. Während einer Reise nach Wien erhielten sie politisches Asyl von den USA. Letztendlich ließen sie sich in Los Angeles nieder, wo Shin unter einem Pseudonym in Hollywood arbeitete, bis er 2004 verstarb.

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Geschichten wie The Lovers and the Despot werden immer interessanten Gesprächsstoff für Partys liefern. Die Tatsachen über das Kim-Regime scheinen das Einsiedlerkönigreich nur noch mysteriöser zu machen. Der Film zeigt uns das Spektakel sowohl der Liebenden als auch des Despoten, doch er schwächelt bei der Erforschung der Konsequenzen ihres Zusammentreffens. Der Fokus verweilt zu sehr darauf, wie seltsam diese Ereignisse waren, und verwandelt das zu wenig in eine dramatische Erzählung dessen, was die Entführung mit Chois und Shins Leben, Kunst und Liebe anstellte.

Ich habe mich vor Kurzem mit Cannan und Adam über ihren Film unterhalten. Dabei habe ich sie über die Macht des Geschichtenerzählens ausgefragt und sie haben mir vor Augen gehalten, wie bizarr es ist, wenn ein Diktator Amor spielt.

Foto via Magnolia Pictures

VICE: Was hat euch persönlich an dieser Geschichte gereizt?
Robert Cannan: Es ist eine Geschichte über einen Regisseur. Natürlich gibt es auch in Hollywood wilde Geschichten, aber so etwas Außergewöhnliches wie das hier hatten wir zuvor noch nicht in der Filmwelt gesehen. Es ist auch einfach eine faustische Geschichte über Versuchung und darüber, wie schwer es ist, Filme zu machen und finanziert zu kriegen. Es war eine interessante moralische Frage, über die wir gerne nachgedacht haben: Wie weit würdest du gehen, um Filme zu drehen? Vor allem, wenn man glaubt, dass Shin freiwillig nach Nordkorea ging, und das haben wir anfangs noch nicht ausgeschlossen.

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Die Geschichte, die ich in Korea hörte, schien sich sehr darauf zu konzentrieren, wie besessen Kim Jong-il von der Schauspielerin Choi war. Euer Film wirkt, als würde er sich mehr auf Shin konzentrieren.
Cannan: Ich denke, vielleicht kommt das daher, dass Choi als Schauspielerin viel berühmter war als Shin. Shin war sehr berühmt, aber weil Choi vor der Kamera stand, ist ihre Geschichte die, die alle kennen. Mit Choi war es, als sei Marilyn Monroe oder Elizabeth Taylor ins Ausland entführt worden. Vermutlich ist das der Grund. Wir haben darin eigentlich eine Geschichte über drei Figuren gesehen. Der große Aufhänger war für uns anfangs die Schauspielerin und der Regisseur, aber bald wurde uns klar, dass Shin gestorben war, während Choi noch lebte—also würde sie die Geschichte erzählen. Dann ging es für uns eigentlich um dieses Dreieck von Personen, deren Leben sich gekreuzt hatten.

Wie seid ihr an die Aufnahmen gekommen?
Ross Adam: Wir wussten schon, dass es eine Aufnahme von einem Geständnis gab, aber anfangs wussten wir eben nur von einer. Erst ziemlich spät im Produktionsprozess haben wir geschafft, volle Übersetzungen der restlichen Aufnahmen zu bekommen. Dann ging uns auf, dass wir zwar viele triviale Gespräche über Geschäfte und Filmproduktion zwischen Kim und Choi hatten, aber auch manchmal sehr interessante Aspekte von Kim Jong-ils Charakter und den Spielchen, die Shin und Kim spielten. Doch was noch wichtiger war, wir fanden gleichzeitig eine geheime Aufnahme von Shin, der auf Japanisch flüstert. Er erzählt darin die ganze Geschichte von Anfang bis Ende, darunter der Augenblick, in dem er abwägt, ob er Kim Jong-il verraten soll. Dieser Moment wurde zu einem Schlüsselbestandteil der Geschichte.

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Es klingt, als hättet ihr euch besonders dafür interessiert, ob er aktiv und willentlich bei der ganzen Geschichte mitgespielt haben könnte?
Cannan: Es gibt definitiv Stellen in den Aufnahmen, wo Shin klingt, als habe man ihn einem gewissen Maß an Gehirnwäsche unterzogen. Er klingt, als würde die Gehirnwäsche ihn zunehmend beeinflussen, aber gleichzeitig war er auch selbst ein sehr cleverer, berechnender Kerl. Adam hat eben die Spielchen erwähnt—es war eine Behauptung von Shin, er habe von Anfang an vorgehabt, sich Kim anzunähern, um so besser entkommen zu können. Das klingt natürlich nach einer praktischen Ausrede und genau dem, was jemand an Shins Stelle hinterher sagen würde, aber bei einer Person wie Shin war die Aussage auch nicht ganz unglaubwürdig. Es ist also sehr schwer zu sagen, inwiefern Shin außerhalb der Filmproduktion willentlich kooperiert hat.

In eurem Film wirkte er auf mich aber schon eher deutlich unwillig.
Adam: Wir wollten die ganze Zeit über gerne mit einbeziehen, dass diese Quellen vielleicht nicht ganz zuverlässig sind. Choi ist Schauspielerin—sollen wir ihr vertrauen, oder werden wir gerade Zeugen einer Darbietung? Kim Jong-il ist natürlich ein Diktator, Oberpropagandist Nordkoreas—ihm kann man kein bisschen trauen. Und Shin ist ein Meister des Geschichtenerzählens, dessen gesamte Karriere darauf beruht. Beim Anhören der Aufnahmen hat sich unsere Haltung durchaus verändert. Wir präsentieren das Material so objektiv, wie wir können. [Das Publikum] muss selbst entscheiden, aber die Aufnahme, in der Kim Jong-il anscheinend eingesteht oder zumindest impliziert, dass er sie aus diesen Gründen hat entführen lassen, und dass er sie nun gefangen hält—tja, das ist ziemlich deutlich.

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Die Filmemacher Robert Cannan und Ross Adam | Foto mit freundlicher Genehmigung von Magnolia Pictures

Am Anfang des Films gibt es ein sehr interessantes Dreiecksverhältnis, das aber natürlich nicht fortbestehen kann, nachdem Choi und Shin entführt werden. Dann scheint die Geschichte auf Kim Jong-il umzuschwenken. Habt ihr bewusst den Fokus geändert, oder kam die Umstellung aufgrund der Informationen, die ihr aus den Interviews hattet?
Cannan: Es war wirklich eine Herausforderung, die Geschichte in mehreren Genres zu erzählen—wir wollten nämlich einen Thriller erzählen, aber gleichzeitig wollten wir auch diesen romantischen Strang in der Geschichte haben. Für uns war dieses Element zu großartig, um es herauszulassen. Immerhin endete ihre Beziehung auf sehr melodramatische Art, und dann wurden sie auf eine derart seltsame Art wiedervereint, weil ein Diktator Amor gespielt hat. Wäre Kim Jong-il nicht gewesen, wären die beiden vielleicht nie wieder zusammengekommen, und wenn Shin nicht all diese grauenvollen Erfahrungen im Gefangenenlager gemacht hätte, während er nach Choi suchte, hätte sie ihm vielleicht nie seine vergangenen Seitensprünge verziehen. Wir wollten diesen romantischen Moment haben, in dem sie wiedervereint werden, und dann zeigen, wie sie von da an wieder die Alten waren, oder sogar noch besser, und dieses großartige Filmemacher-Team bildeten. Den Aufbau des Finales wollten wir dann mehr wie einen Thriller gestalten, denn hier geht es um ihre Flucht.

Hat es koreanische Reaktionen auf den Film gegeben?
Cannan: Meinst du sowohl aus dem Norden als auch aus dem Süden?

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Ich nehme an, niemand in Nordkorea wird diesen Film anschauen können, also nur den Süden.
Cannan: In Südkorea erscheint der Film einen Tag vor dem Filmstart in den USA und Großbritannien, also erfahren wir das dann. Der Film hat dort definitiv schon einiges an Wirbel erzeugt, denn die Geschichte ist ziemlich kontrovers. Viele Menschen zweifeln noch immer an Shins Geschichte. Ich glaube, die Doku wurde zur Primetime in den Nachrichten aller großen TV-Sender erwähnt. In Südkorea geht es also ziemlich ab.

Welche Botschaft sollen die Zuschauer am besten aus dem Film mitnehmen?
Adam: Es ist ein Film über Geschichtenerzähler. Es ist ein Film, der zeigt, dass Geschichten wirkliche Macht besitzen. Warum sollte Kim Jong-il sonst überhaupt einen Regisseur entführen? Ja, er mag ein sehr seltsames Individuum sein. [Aber in der Geschichte geht es auch] darum, wie Filme Herzen und Gedanken formen können—darum geht es Kim schließlich auch. So bietet die Doku ein sehr außergewöhnliches Beispiel für die Macht des Films. Aber wir wollten auch einen Aspekt der schrecklichen Schönheit Nordkoreas zeigen. Es ist nicht einfach ein abgefahrenes, seltsames Land. Der Film endet mit weinenden Menschen, und der ganze Ton ist sehr seltsam. Warum weinen sie? Zum Teil, weil sie leiden—sie vollziehen eine Art Übertragung. Andererseits weinen sie, weil sie dazu gezwungen werden. Diese Bilder besitzen eine Macht, die in den westlichen Medien oft nicht kommuniziert wird, weil es stattdessen nur darum geht, Nordkorea zu karikieren. Das hier sind echte Menschen, auch wenn sie gerade eine Darbietung vollführen.

Cannan: Es war uns äußerst wichtig, diese Szenen am Ende des Films zu haben. Das allerletzte Bild ist Kim Jong-un. Wir wollen, dass den Menschen klar wird, dass sie hier zwar eine faszinierende, verrückte Geschichte aus der Vergangenheit genießen durften, aber dass die Geschichte Nordkoreas noch lange nicht vorbei ist. Menschen erleiden dort noch immer dieselben Gräuel wie damals in der Zeit, zu der unsere Geschichte spielt.

Und wie Ross schon erwähnt hat: die Macht des Geschichtenerzählens. Ich denke, das ist eine recht nützliche Art zu verstehen, wie Nordkorea so lange so erfolgreich bleiben kann und wie die Regierung dort schon so viele Jahrzehnte die Bevölkerung kontrolliert, während die Macht von Vater auf Sohn, von Sohn auf Enkel übergeht. Wir möchten zeigen, dass es wundervoll sein kann, wenn man Menschen davon überzeugt, an eine Geschichte zu glauben, ob im Kino oder in der Kunst oder als Text, aber es kann auch gefährlich und beängstigend sein. Und davon sind wir in der modernen Politik des Westens auch nicht so weit entfernt. Es gibt hier einige relevante Denkanstöße für die heutige Zeit.

Als westliche Filmemacher, die einen Film über Korea machen, habt ihr da eine andere Herangehensweise, weil sich eure Geschichte in einer fremden Kultur abspielt? Seht ihr den Film anders, weil eure eigene Kultur davon kaum beeinflusst wird?
Cannan: Vielleicht. Manche Südkoreaner sehen vielleicht den Film und finden, wir seien zu wenig auf die südkoreanische Politik der 70er eingegangen, in die Shin verwickelt war. Für sie ist dieser Aspekt extrem wichtig, weil er Teil ihrer Geschichte ist. Wir haben schon überlegt, ob wir hier mehr ins Detail gehen sollen, aber das wäre eigentlich nur für diese Zuschauer gewesen. Für das Publikum außerhalb von Südkorea würden diese Dinge wie überflüssige Informationen wirken. Und damit würden wir dem Rest der Geschichte Unrecht tun, obwohl wir diese Story doch in Bewegung halten und die Leute hineinziehen wollen. Ich schätze, man muss sich entscheiden, welches der wichtigste Teil der Geschichte ist, die man gerade erzählt. Dabei muss man zwangsläufig alle möglichen Dinge und Details herauslassen, und man kann unmöglich alle zufriedenstellen.