Eine (vorsichtige) Verteidigung der Homöopathie-Fraktion

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Eine (vorsichtige) Verteidigung der Homöopathie-Fraktion

Homöopathie ist eine Pseudowissenschaft des potenzierten Nichts. Warum es trotzdem sinnvoll ist, ihre Benutzer nicht vorschnell ins Esoterik-Eck zu stellen.

Ich mag bei dem Thema befangen sein, aber ich halte meine Mutter grundsätzlich für eine relativ kluge Frau. Sie interessiert sich für neue Erkenntnisse der Forschung, ist mit Wissenschaftlern befreundet und hat vor ihrer Pension Kinder in Mathematik unterrichtet. Soweit ich das beurteilen kann, steht sie mit beiden Beinen in der Realität. Und doch lässt meine Mutter von einer Sache nicht ab, die ihrem Sinn für Wissenschaft und Realität eigentlich diametral entgegensteht. Und das ist Homöopathie.

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Die von Samuel Hahnemann begründete „Heilslehre" ist zweifelsfrei Bullshit. Das weiß jeder, der sich mit dem Thema auch nur 10 Minuten beschäftigt. Ihre Prinzipien widersprechen gültigen Naturgesetzen. Es gibt keine Studie mit einem seriösen Design, die ihr eine über den Placeboeffekt hinausgehende Wirkung bescheinigt. Und nur bevor jetzt jemand etwas sagt: Ja, den Placeboeffekt gibt es auch bei Tieren und Kindern. Nach aktuellem wissenschaftlichen Stand sind Globuli Zuckerkugeln. Und es deutet wenig darauf hin, dass sich diese Erkenntnis ändern könnte.

Homöopathie ist das Unkraut unter den Pseudowissenschaften. Sie ist einfach nicht totzukriegen, und man begegnet ihr fast überall ein bisschen. Sie ist wahrscheinlich auch die Scheinwissenschaft mit der größten Verbreitung unter Menschen, von denen man eigentlich annehmen würden, dass sie es besser wissen müssten. Unter denjenigen, die zu homöopathischen Mitteln greifen, gibt es zwei Arten von Menschen—jeder, der mal auf einer Familienfeier versucht hat, bei seinen Nächsten eine Verhaltensänderung zu bewirken, weiß was ich meine. Die einen sind überzeugte Homöopathen, die mit den üblichen Schwachsinnsargumente daherkommen. Ja, eh, jeder Mensch ist unbestritten „speziell und eigen". Dass die zeitintensive und teure Homöopathie diese Tatsache stärker berücksichtigt als der Hausarzt mit der überfüllten Ordination, ist kein Argument dafür, sie nicht in Doppelblindstudien zu überprüfen. Verbunden ist das Ganze dann oft noch mit skeptischen Statements gegen „die Schulmedizin" oder die Pharmaindustrie.

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Die andere Sorte Menschen, die zu homöopathischen Mitteln greifen, ist da schon schwieriger einzuordnen. Diese Menschens akzeptieren alle Punkte, die man gegen die Scheinwissenschaft des potenzierten Nichts anbringt. Ihr Punkt ist aber ein anderer: „Wer heilt, hat Recht." Und das berührt Fragen, die so alt wie die Medizinphilosophie und die medizinische Ethik selbst sind.

Homöopathie ist eine Scheinwissenschaft des potenzierten Nichts, aber manche nutzen sie trotzdem nach dem Motto: „Wer heilt, hat Recht".

Es gibt unter selbsternannten Aufklärern den Trend, jeden, der bei einer Verkühlung mal ein homöopathisches Mittel einwirft, in dasselbe Eck wie Impfgegner und Wünschelrutengänger zu stellen. Da ergibt sich aber ein Problem: Globuli haben keine Wirkung, helfen aber trotzdem. Menschen, die keine überzeugten Homöopathen sind, nehmen diese Mittel meist ein, weil sie eben diese Erfahrung gemacht haben: dass ihre Krankheit besser wird, wenn sie diese Mittel einnehmen. Dass das auf dem Placeboeffekt und auf dem Phänomen der Regression zur Mitte beruht, ist da erst mal zweitrangig. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, und die Gewöhnung ist mächtig.

Die meisten Menschen schlucken Globuli bei Krankheiten, die ohne Medikamente eine Woche und mit Medikamenten sieben Tage dauern. Das ist eigentlich gar nicht so dramatisch. Und genau um diese Menschen soll es hier natürlich gehen, nicht um eine Verteidigung von Leuten, die ihren Kindern Globuli gegen Lungenentzündungen geben. Oder glauben, Krebs oder Ebola ließen sich mit Homöopathie heilen. Diese kruden Behauptungen sind gefährlicher Irrsinn. Aber nicht jeder, der mal Globuli gegen Kopfschmerzen schluckt, lehnt deshalb eine Behandlung im AKH ab. Das Problem beginnt nicht mit der Akzeptanz von Homöopathie, sondern erst mit der Ablehnung der Schulmedizin.

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Die homöopathische Behandlung von Allerwelts-Wehwehchen hat—bei allem Facepalm-Potential—sogar ihre Vorteile. Dass Globuli keine Wirkung haben, heißt eben auch, dass sie—anders als Aspirin, Neocitran & Co.—keine Nebenwirkungen haben. In einer grundsätzlich relativ übertherapierten Gesellschaft ist es vielfach gar nicht so blöd, wenn schwach kranke Menschen ein paar Zuckerkugeln einwerfen, statt die volle Breitseite der Pharmaindustrie auszupacken. Und dass manche Krankenkassen die Kosten für homöopathische Medikamente übernehmen, hat auch mehr Gründe, als dass dort nur Ahnungslose sitzen: Globuli sind teuer, wenn man sie mit Zucker vergleicht. Aber günstiger als die echten, nicht zwingend notwenigen Medikamente, die man ansonsten verschrieben bekäme, sind sie trotzdem.

Gelegenheits-Homöopathen von oben herab zu behandeln, bringt wenig. Und wenn wir ehrlich sind, spielt man da auch eher Fußball im Glashaus. Jeder Mensch hat Lebensbereiche, bei denen die gefühlte Erfahrung zumindest mitregiert. Ich bin zum Beispiel der fixen Überzeugung, dass mich ein großes Glas Wasser beruhigt und meinen Blutdruck senkt. Und wahrscheinlich tut es das eben aus diesem Grund auch, selbst wenn ich vorher überhaupt nicht dehydriert war.

Jeder Mensch hat Bereiche, in denen das gefühlte Wissen regiert. Ich glaube zum Beispiel, dass ein großes Glas Wasser meinen Blutdruck senkt.

Andere Beispiele: Noch heute glauben viele Social-Media-Manager bei größeren und kleineren Medienhäusern, dass der späte Donnerstagnachmittag der beste Moment sei, um potentiell zugriffsstarke Artikel auf Facebook zu posten. Und denken dabei nicht daran, dass das in den letzten Jahren primär eine selffulfilling prophecy war: Wenn viele Medien ihre starken Geschichten auf diesen Moment planen, ist es klar, dass dort ein Peak entsteht.

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Oder nehmen wir den Ort her, wo am meisten gefühltes Wissen herrscht: die Küche. Es können noch Tausend Artikel erscheinen, die wissenschaftlich erklären, dass es sogar einen leichten Vorteil bringt, das kalte Nudelwasser zu salzen—der Mythos, Salz müsse ins kochende Wasser, lässt sich dadurch nicht aus der Welt schaffen. Genauso wenig wie die fast magische Überzeugung, Pilze dürften nicht gewaschen werden. Pilze bestehen fast vollständig aus Wasser, können also kaum welches aufsaugen. Und sie wachsen auf Substrat aus Pferdescheiße.

Das Problem an der ganzen Sache—inklusive meiner Argumentation—ist, dass Homöopathie eine Industrie ist. Der Marktanteil von homöopathischen Mitteln wird allerdings allgemein grob überschätzt—weltweit beträgt er nur ungefähr 1 Prozent. Im deutschsprachigen Raum ist er höher, überhaupt ist Mitteleuropa einer der Hauptabsatzmärkte. Doch auch hier gilt: Homöopathie ist viel präsenter als es ihrem Marktanteil entspricht. Das hat vor allem den Hintergrund, dass homöopathische Mittel zu den frei verkäuflichen Mitteln gehört. Auf diesen Bereich konzentriert sich traditionell die Werbung—allerdings fallen die umsatzstarken Mittel gegen chronische Krankheiten nicht darunter.

Trotzdem bleibt: Auch, wenn Homöopathie „nur" zwei Milliarden Euro im Jahr umsetzt, setzt sie diesen Betrag mit falschen Versprechungen um. Im Grunde ist sie nichts anderes als moderne Scharlatanerie. Sogar, wenn im Kapitalismus jeder Mensch das Recht hat, sein sauer verdientes Geld aus dem Fenster zu werfen, ist das natürlich etwas, das man schlecht wegdiskutieren kann. Der Wunsch, Homöopathie auszurotten, ist daher verständlich. Aber eben auch illusorisch. Wer glaubt, die menschliche Entwicklung würde solche Irrationalitäten auslöschen, ist im besten Fall Hegelianer, im schlechtesten Fall naiv. Was sich allerdings hoffentlich ausrotten lässt, ist ihre Legitimierung durch die Ärztekammer über Diplome. Die Initiative für wissenschaftliche Medizin kritisiert übrigens genau diese Unterstützung.

Wie so oft schadet aber auch hier ein bisschen Gelassenheit nicht. Ein bisschen Homöopathie macht noch keine Gegen-Aufklärung. Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar. Aber es ist den Menschen genauso zumutbar, damit leben zu können, dass ihre Mitbürger ein paar schrulligen Annahmen haben, die weder groß schaden, noch wirklich nutzen.

Ihr könnt Jonas auf Twitter einen Verharmloser nennen: @L4ndvogt