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Mein erster Freund hat mir mit geballter Faust ins Gesicht geschlagen

Ein einziger Schlag kann ein Leben aus der Bahn werfen—vor allem, wenn er von dem Menschen kommt, den man liebt und bei dem man sich gerade noch sicher gefühlt hat.

Foto: Jessica Saesue

"Ein Typ hat mich mal mit einem Messer in der Hand gejagt", erzählte mir vor kurzem eine Frau auf einer Party. Das Musikvideo zu dem K.Flay-Song "The Cops" war gerade angelaufen. In dem Song geht es vielleicht um häusliche Gewalt, oder um einen Partner, der mit Drogen dealt. Jedenfalls löste das ein sehr persönliches Gespräch mit zwei Frauen aus, die ich an dem Abend gerade erst kennengelernt hatte. Es ging um unsere eigenen Erfahrungen mit häuslicher Gewalt. "Mein Ex hat mich geschlagen und mir das Trommelfell zerstört", sagte die zweite Frau und deutete auf eine Kopfseite.

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Ich knirschte mit den Zähnen und überlegte, ob ich meine eigene Geschichte teilen sollte. Das ist nichts, was ich oft auspacke. Doch je mehr ich darüber rede, desto klarer wird mir, dass ich nicht alleine bin.

Laut einem Bericht, den die US-Gesundheitsschutzbehörde CDC 2014 veröffentlicht hat, hat fast jede dritte Frau in den USA (31,5 Prozent) im Laufe ihres Lebens körperliche Gewalt durch Partner erfahren, und fast jede Vierte (22,3 Prozent) hat mindestens eine schwere Gewalttat erlitten, zum Beispiel gegen etwas geschmettert werden, oder mit einem harten Gegenstand oder einer geballten Faust geschlagen werden. Im Jahr 2011, aus dem die neuesten Daten stammen, wurden laut diesem Bericht geschätzte 4,7 Millionen Frauen in den USA von ihren Partnern körperlich misshandelt. Wenn man noch sexualisierte Gewalt, Stalking und andere Formen der Partnergewalt wie psychische Aggression dazurechnet, steigen die Zahlen noch weiter. [Anm. d. Red.: Die Statistiken in Österreich und Europa sehen nicht anders aus: Jede fünfte Frau erlebt in Österreich körperliche und/oder sexuelle Gewalt. Europaweit betrachtet liegt der Wert mit 33 Prozent sogar etwas höher.]

Wie die meisten Frauen war ich noch sehr jung, als ich das erste Mal körperlich misshandelt wurde.

Ich begegnete Jack* bei einer Studentenparty in meiner Heimatstadt. Ich war 16. Er saß in Jeans und weißem T-Shirt auf der Ladefläche eines blauen Pickup-Trucks und rauchte. Er war fast 18, aber er war gerade erst auf meine Highschool versetzt worden.

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Er bot mir Feuer an, und wir tranken zusammen auf der Ladefläche seines Trucks Bier und unterhielten uns. Ich rechnete nicht damit, dass er sich für mich interessieren würde—keiner der coolen Jungs von der Schule schien das zu tun.

"Du bist hübsch", sagte er.

Ich bemerkte schon bald, dass Jack ein Mann weniger Worte war, von denen "Mh-hm", "Nope" und "Der Typ is'n Arschloch" vielleicht 80 Prozent ausmachten. Damals fand ich diese Reserviertheit attraktiv. Er interessierte sich nicht für die Dinge, die Highschool-Jungs normalerweise wichtig sind—Sport, Autos und Geld. Jack hatte Outlaw-Status. Er spielte nach seinen eigenen Regeln.

Bald erfuhr ich außerdem, dass seine Mutter Tammy*, Gras verkaufte, was mich beliebt machte, als ich im vorletzten Schuljahr seine Freundin wurde. Plötzlich hatte ich Zugang zu etwas, das alle wollten. "Kannst du mir von Jack was Grünes besorgen?", fragten die Jungs in der Schule, die Angst vor Jack hatten. "Kannst du mir was von Tammy mitbringen?", fragten diejenigen, die Jack kannten, wenn er nicht da war.

"Ich schau mal, was ich tun kann", sagte ich dann immer.

Da ich nicht wirklich zur In-Crowd gehörte, sah ich meine Position als vertrauenswürdige Mitarbeiterin in Jacks "Familienunternehmen" als Fortschritt—auch wenn Tammy in einem Trailerpark am Stadtrand wohnte. Ich saß oft bei ihr, während sie in ihrem Schaukelstuhl einen Joint drehte und ihn weiterreichte. Dann rauchte sie ununterbrochen Zigaretten und sah fern. Sie hatte eine tiefe, heisere Stimme und wenn sie nicht fassen konnte, was ihr jemand erzählte, dann bellte sie laut "Jeeeeesssussss!"

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Etwa zu der Zeit als ich Jack kennenlernte, hatte ich einen großen Streit mit meinen Eltern. Sie gehörten zur oberen Mittelschicht und wir wohnten auf der anderen Seite der Stadt. Meine Eltern waren extrem streng—die ersten zwei Highschool-Jahre musste ich mein Dasein unter Hausarrest fristen. Mit 16 war ich bereits entschlossen, ihnen in jedem Punkt die Stirn zu bieten.

Mein Dad spülte mein Gras im Klo runter und schrie mich an. Ich nahm mir aus seinem Geldbeutel als Entschädigung Zwanziger. Meine Mom schmiss meine Zigaretten weg. Ich zog sie dann wieder aus der Mülltonne, während sie durchs Fenster zusah.

Doch Jack behandelte mich wie die erwachsene Frau, für die ich mich hielt. Er brachte mir Poker bei und ich hatte meinen ersten Orgasmus. Er war 1,85 Meter groß, wog 90 Kilo und sprach ständig Wörter falsch aus, während ich eine Einserschülerin war, die erst angefangen hatte, Zweien zu schreiben, als sie häufiger mal schwänzte oder sich vor der Schule bekiffte. Niemand kam mir blöd, während ich mit Jack zusammen war, und das gefiel mir.

Endlich respektierten mich die Leute, die mich zuvor ignoriert—oder über mich gelästert hatten. Und Tammys Trailer gehörte nicht zum Hoheitsgebiet meiner Eltern. Ich kann mir nur schwer vorstellen, wie mein Vater, ein nerdiger Arzt mit sanfter Stimme, versucht, mit Jacks Mutter zu reden, die immer in bauchfreiem Top und abgeschnittenen Jeans die Tür aufmachte und alle 20 Minuten ihre Lieblingsphrase, "Was für'n Scheißdreck", raushaute.

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Meine Eltern mochten Jack nicht, und das lag nicht an seinem sozialen Status. Es war eher die Tatsache, dass er ein verurteilter Verbrecher war. Ich fragte nie genauer nach, aber ich wusste, dass er sich des Einbruchs schuldig bekannt hatte, nachdem er betrunken ein Fenster eingeschlagen hatte. Vor unserer Zeit. In meinen Ohren klang das alles nicht so schlimm—eher wie eine aufgebauschte Vandalismus-Anklage.

Während wir zusammen waren, musste er drei Monate lang in ein Bootcamp, um nicht ins Gefängnis zu müssen. Von dort schickte er mir Briefe, in denen er versprach, sein Leben in den Griff zu kriegen, sobald er wieder frei sei.

"Ich weiß ja nicht, ob ich sie dir überhaupt geben soll", sagte meine Mutter, doch wenn ich die Briefe nicht bekommen hätte, dann wäre die Hölle los gewesen, und das wusste sie.

Die meiste Zeit wirkte Jack auf mich wie ein großer Teddybär. Auch wenn er Gras verkaufte, rauchte er es nicht selbst. Seine bevorzugte Droge war Budweiser.

Wie die meisten Teenager-Romanzen fing auch unsere im letzten Schuljahr an, sich im Sande zu verlaufen. Wir hatten uns nicht offiziell getrennt, also ging ich an einem Freitagabend auf die Party, die er bei sich zu Hause schmiss. Eine Freundin und ich hatten auf dem Weg dorthin noch bei ein paar anderen Leuten vorbeigeschaut. Ich stand auf dem rissigen Beton seiner Auffahrt und rauchte eine Zigarette, als Jack rauskam.

"Wo warst du so lange?", fragte er.

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"Nur auf einer anderen Party", antwortete ich schulterzuckend.

Und dann passierte etwas Überraschendes. Es war sogar so überraschend, dass ich mich daran in Zeitlupe erinnere. Sein Gesicht verzog sich, seine rechte Schulter kugelte zurück und er schlug mir mit der geballten Faust ins Gesicht.

Alles wurde von Schwarz zu Weiß, bis auf den grünen Gartenschlauch, der neben der Auffahrt aufgerollt lag. Als das Weiß sich wieder zurückzog, blieben in meinem Kopf nur Schmerzen zurück.

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Sobald ich in der Lage war zu sprechen, schrie ich nach meiner Freundin, die drinnen war. Jack war kurz weg—genau lange genug, damit meine Freundin rauskommen und meine Autoschlüssel nehmen konnte.

"Wir müssen weg hier", sagte ich.

Ich weiß nicht, wo er war, als ich auf die Rückbank meines Autos kroch. Ich hielt mir den Schädel. Doch dann sah ich Jack durch die Windschutzscheibe, wie er aus der Dunkelheit ins Scheinwerferlicht trat.

Als meine Freundin zurücksetzte, sprintete er auf uns zu und donnerte mit den Fäusten auf die Windschutzscheibe. Sie splitterte wie ein Spinnennetz, doch sie hielt. Dann jagte er uns auf der Straße hinterher, als wir davonheizten, und warf seine halbvolle Bierdose, die mit einem dumpfen Knall vom Auto abprallte.

Am nächsten Tag wachte ich mit schrecklichen Kopfschmerzen auf und fühlte mich völlig verwirrt. Ich liebte jemanden, und dann schlug er mich. Es ergab einfach keinen Sinn.

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Rückblickend schon. Ich war dabei, mich aus der Beziehung zurückzuziehen, und er glaubte, einen Besitzanspruch auf mich zu haben. Damals wollte ich nicht zur Polizei gehen—wegen seiner Vorstrafen hätten sie ihn durchaus ins Gefängnis stecken können. Doch meine Mutter warf einen Blick auf mein Auto und schleifte mich zum Polizeirevier. Es wurde Anklage erhoben, eine einstweilige Verfügung erlassen und ein Gerichtstermin festgelegt.

In Illinois war es nicht die Entscheidung des Opfers, ob wegen häuslicher Gewalt Anklage erhoben wurde, sondern die des Bundesstaats. Wenn das nicht der Fall gewesen wäre, hätte ich wahrscheinlich zu viel Angst gehabt, um etwas zu unternehmen. Ich stand unter Schock. Der Junge, mit dem ich die letzten anderthalb Jahre verbracht hatte, war plötzlich ausgerastet und hatte mich und mein Auto attackiert.

"Er ist ein Gewalttäter", versicherte mir der Detective. "Wenn du vor Gericht erscheinst, wird er sich schuldig bekennen müssen. Du wirst nicht einmal aussagen müssen."

Ich fühlte mich so dumm—er hatte überhaupt nicht gewalttätig gewirkt. Und doch hatte man mein Gesicht fotografiert und zu den Beweismitteln getan.

Monate später erschien ich als Zeugin im Fall des Staates Illinois gegen Jack. Ein Staatsanwalt wies mich an, das kleine Zeugenzimmer nicht zu verlassen, doch ich ging auf den Korridor und sah durch ein rechteckiges Fenster in den Gerichtssaal. Dort sah ich einen Jungen, der meistens nett zu mir gewesen war, in einem orangen Overall. Ich konnte mir nicht helfen; ich fühlte mich irgendwie dafür verantwortlich, dass er dort saß.

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Leider endet die Geschichte nicht mit der Strafjustiz. Nicht nur haben Opfer solcher Gewalttaten mit höherer Wahrscheinlichkeit posttraumatische Belastungsstörungen und Depressionen, sondern es gibt auch Beweise für einen Zusammenhang zwischen dieser Art von Gewalt und anderen psychischen Krankheiten. Dazu gehören Drogensucht, Selbstverletzung, Selbstmordgedanken, Essstörungen, Angststörungen, affektive Störungen und Schlafprobleme.

In den Monaten danach versuchte ich, mir das Trauma vom Hals zu halten, indem ich meinen ohnehin schon beachtlichen Graskonsum mit Ecstasy ergänzte. Die Rave-Szene hatte unsere Stadt mit der Droge überflutet. Eine Nacht lang konnte ich all meine traurigen Gefühle in einem House-Beat verlieren.

Tagsüber war ich ein Zombie. Meine Eltern schickten mich zu einem Psychiater, der mir einen Antidepressiva-Cocktail verschrieb. Egal um was es ging, seine Lösung lautete immer: "Lass uns die Dosis erhöhen." Doch das half nicht. Ich war sogar zu deprimiert, um zu meiner eigenen Highschool-Abschlussfeier zu gehen.

Zum Glück hatte meine Familie die nötigen Ressourcen, um mich auf die Uni zu schicken. Mein Dad füllte die Bewerbungen für mich aus, und als mein Studium bevorstand, fand ich irgendwie die Kraft, die Scherben meines Lebens wieder zusammenzusuchen. Ich ließ nach und nach von den Drogen ab, machte mein Studium und zog so weit wie möglich von meiner Heimatstadt weg, um nichts mehr sehen zu müssen, das mich an Jack erinnerte. Doch ich hatte immer noch Angst vor ihm. Ich hielt mich sogar von Social Media fern, bis das aus beruflichen Gründen unhaltbar wurde.

Mehr als ein Jahrzehnt lang nahm ich phasenweise Antidepressiva, Mittel gegen Angstzustände und Schlafmittel. In dieser ganzen Zeit hatte ich wiederkehrende Albträume über Jack. In einem jagte er mir mit seinem Truck hinterher, während ich versuchte, auf Rollerskates zu entkommen. In einem anderen hatte er eine Pistole und ich musste mich durch Treibsand kämpfen, um zu fliehen. Ich wachte schweißüberströmt auf und brauchte einen Moment, um zu realisieren, dass ich keine panische 17-Jährige, sondern eine panische 30-Jährige war.

Erst als ich Anfang 30 war, fing ich an, offen darüber zu sprechen, dass ein Partner mir gegenüber gewalttätig gewesen ist. Erst mit einer Therapeutin, dann mit guten Freunden, manchen Kolleginnen, und schließlich mit den zwei Frauen, die ich auf der Party traf. Vorher hielt ich es für die Lösung, der Erinnerung aus dem Weg zu gehen und nach vorne zu sehen. Doch dem war nicht so. Indem ich die Geschichten anderer Frauen hörte, wurde mir klar, dass ich nichts dafür konnte, dass mein Partner ein gefährlicher Mann gewesen war, und dass mich auch keine Schuld an seiner Gewalt traf. Ich war einfach nur ein Opfer in einem Muster der Gewalt, die jedes Jahr Millionen von Frauen trifft.

Im letzten Traum, den ich über Jack hatte, folgte er mir still durch die Gegend wie ein Haustier an der Leine. In dem Traum spürte ich, dass er mir nicht länger wehtun konnte. Seine Anwesenheit war noch immer verstörend, aber etwas hatte sich bei mir endlich geändert. Ich wachte auf, drehte mich um und schlief sofort wieder ein.

Wenn du als Frau oder Mädchen Opfer von häuslicher Gewalt bist, kannst du dich rund um die Uhr unter 0800 222 555 bei der Frauenhelpline gegen Gewalt melden.

*Namen geändert