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DIE SCHNITZEL UND STRUDEL AUSGABE

Wenn braune Wölfe heulen

Türkische Rechtsextremisten feiern an Adolf Hitlers Geburtstag.

Zwei junge Burschen posieren mit Wolfsgruß und Fan-Schal vor dem Wiener Gasometer. Foto von Michael Bonvalot.

Wien, 20. April. Es ist einiges los im Planet Music im Wiener Gasometer. Die Avusturya Türk Federasyon (ATF), die Türkisch-Österreichische Föderation, feiert den 40. Jahrestag ihres Bestehens. Die Besucher haben ihr bestes Gewand angezogen, auch viele Jugendliche strömen in die Halle. Trotz des bewölkten Himmels ist die Stimmung ausgelassen, es wird gelacht und geplaudert. Für unbedarfte Beobachter ein harmloses Fest. Doch hinter der ATF stehen die faschistischen Grauen Wölfe—und der 20. April ist der 125. Geburtstag von Adolf Hitler. Die Grauen Wölfe ziehen seit vielen Jahren eine blutige Geschichte des rechten Terrors durch die Türkei und ganz Europa. Tausende fielen den Morden ihrer Todesschwadronen zum Opfer. Erst 2013 wurden in Paris drei Aktivistinnen der kurdischen PKK erschossen. Die Spur führt zum türkischen Geheimdienst und in weiterer Folge zu den Grauen Wölfen.

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Als viele Staaten Westeuropas in den 1960ern im Zuge des Wirtschaftsaufschwungs Arbeiter in der Türkei anwarben, kauften sie nicht einfach Arbeitskraft. Es kamen Menschen mit ihren Vorstellungen, Wünschen und Ideen. Viele der neuen Arbeiter waren politisch links stehend, sie gründeten Vereine und Verbände und unterstützten aus der Ferne die sozialen Kämpfe in der Türkei. Doch es kamen auch andere Kräfte nach Europa, namentlich Anhänger der Milliyetçi Hareket Partisi (MHP), besser bekannt unter dem Namen ihrer paramilitärischen Verbände: „Bozkurt", die Grauen Wölfe. Bis Anfang der 1990er konnten die „Idealisten", wie sie sich selbst nennen, in Österreich kaum öffentlich auftreten. In Wien etwa war in der türkischen Community das Bekenntnis zu den Wölfen ein durchaus mutiges Unterfangen, zu stark war die Linke verankert. Mit dem Zusammenbruch der stalinistischen Staaten ab 1989 allerdings begann für die türkische Linke eine tiefe Krise und in dieses Vakuum stießen die Wölfe vor.

Die langjährige Tiroler Jugendarbeiterin Banu Çelik erzählt uns, dass die Grauen Wölfe heute hauptsächlich unter Jugendlichen der zweiten oder dritten Generation rekrutieren. Unter anderem über ihre Sportvereine gewinnen die Wölfe vor allem in Wien, Oberösterreich und im Westen des Landes massenhaft Einfluss. Ihre Symbole, den heulenden Wolf und die drei Halbmonde, tragen die Anhänger der Organisation auf T-Shirts, als Siegelring oder an Halsketten. Mit der rechten Hand formen sie ein Grußzeichen, das einen Wolf darstellen soll. Dieser Wolf soll der Legende nach die türkischen Stämme im 8. Jahrhundert unserer Zeitrechnung gerettet haben, indem er sie ins mythische Ergenekon-Tal nach Zentralasien führte.

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Christian Schörkhuber, Geschäftsführer der Volkshilfe-Flüchtlingshilfe in Oberösterreich und Herausgeber des Buches Grauer Wolf im Schafspelz, ist besorgt, wie sehr die Wölfe es schaffen, sich vor allem unter Jugendlichen festzusetzen. Er berichtet, dass sie in der Rekrutierung sehr geschickt vorgehen: „Ihre Strategie ist es, das Bekenntnis zur türkischen Identität mit jenem zu den Wölfen gleichzusetzen." Er berichtet auch, dass sich unter Jugendlichen eine einschlägige Musik-Subkultur entwickelt habe. Im März 2014 etwa wurde ein Video aus Ried im Innkreis bekannt, in dem junge Graue Wölfe rappend mit Pistolen und Messern posieren. Hüseyin Akmaz, Sprecher von FEYKOM, dem Dachverband der kurdischen Vereine in Österreich, teilt diese Besorgnis, sollte die Entwicklung der MHP anhalten: „Die Wölfe können sehr gefährlich werden, wenn ihr Einfluss weiter wächst." Die Besorgnis von Akmaz ist verständlich. Die Grauen Wölfe attackieren auch in Österreich immer wieder politische Gegner.

Foto von Michael Bonvalot.

So griffen türkische Nationalisten im Oktober 2011 am Rande einer Demonstration gegen die kurdische PKK ein Geschäft der Restaurantkette Türkis auf der Wiener Mariahilfer Straße an—die Türkis-Besitzer waren als Kurden ins Visier der Nationalisten geraten. Dieser offene Hass wurde auch von den jugendlichen Besuchern der ATF betont. Als ich sie auf dem Weg zum Gasometer fragte, warum sie heute hier seien, war vor allem vom Widerstand „gegen Kurden" die Rede. Sehr viel mehr konnten oder wollten sie nicht erzählen. Akmaz berichtet auch von anderen Übergriffen: „Kurdische Vereine werden immer wieder Ziel von Attacken, dabei gibt es auch Verletzte. In Innsbruck etwa haben vor einiger Zeit dreißig bis vierzig Graue Wölfe unser Vereinslokal überfallen." Er erzählt auch, dass nach Beobachtung der FEYKOM enge Verbindungen der Wölfe zu den Konsulaten der Türkei in Österreich bestehen sollen.

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Auch in der Jugendarbeit wird die Problematik der Wölfe immer sichtbarer. Die Wiener Jugendarbeiterin Angelika Hipfinger erzählt: „In der offenen Jugendarbeit in Wien ist der Einfluss der Grauen Wölfe nicht zu übersehen. Vor allem der typische ‚Wolfsgruß' ist bei den Jugendlichen weitgehend bekannt." Ihr fällt auch auf, dass die Wölfe versuchen, sich in der Öffentlichkeit möglichst harmlos darzustellen: „Die Jugendlichen, die tatsächlich in die Kreise der Grauen Wölfe integriert sind, vermitteln eine einheitliche Botschaft, die eine offizielle Sprachregelung nahelegt: Es handle sich um keine politische Gruppierung, sondern um einen Kulturverein, der harmlose Traditionen pflege." Christian Schörkhuber erklärt die Hintergründe dieses Booms: „Wer andauernd hört und spürt, aufgrund der Herkunft der Eltern ein Mensch zweiter Klasse zu sein, wird anfällig für die Idee eines fernen idealisierten Vaterlandes." Darin ist er sich einig mit dem Rechtsextremismus-Experten Wolfgang Purtscheller: „Das Konzept der Faschisten ist nicht denkbar ohne den Rassismus der Mehrheitsgesellschaft."

Ganz anders sieht diese gesamte Problematik der Veranstaltungsort Planet Music, als wir auf den faschistischen Hintergrund der Wölfe hinweisen. Josef Sopper, CEO des Planet Music, schickte uns folgende Stellungnahme: „Ursprünglich wollte die Türkische Föderation den 12. oder 19. 4. anmieten. Ein Zusammenhang mit Hitlers Geburtstag—von wem auch immer aufgebracht—ist daher eine glatte Unterstellung, die wir als Vermieter nicht unwidersprochen lassen können, denn—auch wenn wir „nur" Vermieter für kulturelle Veranstaltungen sind, ist uns dieses Datum sehr wohl bekannt und haben wir—wann immer notwendig—ein besonderes Auge darauf." Was tatsächlich vor Ort passiert ist, können wir nicht sagen—der Zugang zur Veranstaltung wurde uns vom Ordnungsdienst der Wölfe untersagt. Auf die weit wichtigere Problematik, dass die Wölfe als faschistische Organisation überhaupt eine Veranstaltung im Gasometer machen können, ging Sopper nicht näher ein. Dazu schrieb er nur: „Es handelt sich um eine kulturelle Veranstaltung, die vom Verfassungschutz (Rainer Kucera) als unbedenklich eingestuft wurde." Das verwundert kaum, ist doch der Verfassungsschutz zumeist eher mit dem Jagen von Tierschützern oder Anti-Burschenschafter-Demonstranten beschäftigt—da bleibt eben keine Zeit mehr für faschistische Großveranstaltungen.

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Auch ein Polizist vor Ort erklärte uns in bestem Alltagsrassistisch, dass seine Antwort auf diese Veranstaltung sei, einfach alle nach Hause zu schicken, aber ihn frage ja keiner. Der Autor Christian Schörkhuber erwähnt, dass es den Wölfen immer wieder gelinge, hochoffizielle Unterstützung zu bekommen. Er spricht davon, dass für viele Politiker der etablierten Parteien Türke gleich Türke sei und es mehr um das „Zählvolk bei Wahlen" ginge. Politiker lassen sich auch immer wieder mit Jugendlichen ablichten, die auf dem Foto den Wolfsgruß zeigen. Sie haben keine Ahnung, dass es sich um ein rechtsextremes Zeichen handelt—und auf der Suche nach neuen Wählern ist das wohl auch oft nicht so wichtig. So mussten die Wölfe in der sozialdemokratischen Hochburg Linz für ihre Veranstaltungen erst nach Protesten vom Rathaus auf private Räume ausweichen. In Linz wurden sie sogar bei der Maifeier der SPÖ begrüßt.

Empfehlungsschreiben des ÖVP-Politikers Ing. Mustafa Iscel an das Gasometer

Auch die ÖVP dürfte Verbindungen zu den Wölfen haben. So präsentierte uns Planet Music für die Veranstaltung der Wölfe im Gasometer ein Empfehlungsschreiben des Organisationsreferenten der ÖVP Wien-Favoriten, Mustafa Iscel. Iscel war 2006 einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden, als er türkische Plakate drucken ließ, auf denen stand: „Falls Sie nicht wollen, dass der Völkermord an den Armeniern anerkannt wird … wählen Sie ÖVP!"

Dieses Plakat des ÖVP-Politikers Iscel ist sehr bezeichnend. Der Völkermord an der armenischen Minderheit während des Ersten Weltkriegs ist in der Türkei ein klassisches Thema nationalistischer und faschistischer Kreise. Literarisch wurde dieser Massenmord übrigens vom österreichischen Schriftsteller Franz Werfel in seinem Werk Die vierzig Tage des Musa Dagh eindrucksvoll beschrieben. Die Geschichte der Wölfe liest sich wie das vollständige Skript von Game of Thrones und hat neben Verbindungen ins kriminelle Milieu, zu Attentaten und tragischen Unfällen auch mit dem politischen Aufstieg der Organisation zu tun, die heute in der Türkei zu einer Großpartei gewachsen ist. Bei den Regionalwahlen Anfang April 2014 bekam sie rund 18 % der Stimmen.

Die Fäden der Vereinigung reichen bis ins Establishment, ins Militär und zu anderen Parteien. In Ankara kandidierte sogar ein MHP-Mann als Bürgermeister auf dem Ticket der CHP, der sozialdemokratischen Republikanischen Volkspartei. Die CHP versucht bereits seit einiger Zeit eine informelle Koalition mit den Faschisten, um so die konservativ-religiöse AKP an der Regierungsspitze abzulösen. Aber es gibt auch andere Zeichen. Während sich wie jedes Jahr im April braune Schatten über Hitlers Geburtsstadt Braunau legen, folgen hunderte Menschen dem Aufruf der Plattform „braunau gegen rechts", einem Zusammenschluss linker und gewerkschaftlicher Organisationen. Mit Slogans, Musik und roten Fahnen ziehen die Menschen durch die Stadt, die Stimmung ist gut und laut. An der Demonstration nehmen auch zahlreiche österreichische, türkische und kurdische Jugendliche teil. Gemeinsam zeigen sie, es geht auch anders: gegen Faschismus und für ein solidarisches Miteinander.