Die Partei Die PARTEI Sexismus Debatte Antidiskriminierung Vorwürfe gegen Genossen wegen sexueller Grenzverletzungen
Sexismus-Debatte bei Die PARTEI: Die Mitglieder im Hintergrund stehen in keinem Zusammenhang zu den Vorwürfen || Hintergrund: Rebecca Rütten || Facepalm-Plakat: imago images | Future Image || Sonneborn: imago images | snapshot
Politik

Die PARTEI: Mehrere Genossen sollen Mitglieder sexuell belästigt haben

Die Satire-Partei ist eine Männerpartei – das wird ihr jetzt zum Verhängnis. Auch Martin Sonneborn steht in der Kritik.

Der Brief, der Die-PARTEI-Chef Martin Sonneborn im März 2019 erreicht, hat es in sich. In der Partei würden sich Personen breitmachen, die sich sexistisch äußerten und "genauso handeln", heißt es in dem Schreiben. Ein Mitglied habe etwa bei einer Parteiveranstaltung eine Kellnerin in die Küche verfolgt und ihr "angeboten", ihr seinen Penis zu zeigen. Der Bundesvorstand müsse einschreiten. Über 100 Mitglieder aus mehreren Verbänden der Partei haben unterschrieben.

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Es ist ein Brandbrief. Genossinnen seien durch übergriffige Neumitglieder in Gefahr, heißt es in dem Schreiben, das VICE vorliegt, weiter. Aber auch die Art und Weise, wie Die PARTEI Politik macht, stehe auf dem Spiel. Schließlich könne man den Sexismus anderer Parteien nicht mehr satirisch aufdecken, "wenn in den eigenen Reihen dergleichen unkommentiert stehen gelassen wird".

Zwei Monate später holt Die PARTEI sensationelle 2,4 Prozent bei der Europawahl, kurz darauf tritt das 40.000. Mitglied ein. Die PARTEI feiert. Doch intern prangern weitere Mitglieder mutmaßliche Übergriffe durch Genossen an.

Sie berichten von Grapschern, von anzüglichen Angeboten, von Schmähgedichten, in denen eine junge Frau als "Samenbank" bezeichnet wird, und von Neins, die nicht als Nein akzeptiert werden. Einige wollen deshalb ausgetreten sein. Ein Mann, der öffentlich bekannt hat, die Grenzen einer Genossin überschritten zu haben, soll zudem vom Vorstand weiter geschützt werden.

Die PARTEI hat ein Sexismus-Problem und ringt mit dem richtigen Umgang damit. Wie ernst die Lage ist, zeigt sich auch, als der Bundesvorstand von Die PARTEI drei Monate nach dem Brief zwei Mitglieder verliert.

Martina Werner ist zu diesem Zeitpunkt die einzige Frau im Gremium, Leo Fischer mit 37 Jahren das jüngste Mitglied. Werner, die schon vor Jahren einen Aufnahmestopp vorgeschlagen hatte, schreibt in einer Rücktrittsmail an die PARTEI-Basis von aufgeschobenen und verschleppten Beschlüssen "in der Sexismusfrage". Der Umgang mit Sexismus, sagt Fischer später zu VICE, sei nicht der einzige Grund für den Rückzug, aber da hätten er und Werner "am deutlichsten gemerkt, wie ein Thema auf die lange Bank geschoben wird".

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Martin Sonneborn sagt dazu, er bezweifle, dass die Rücktritte in Zusammenhang mit verschleppten Beschlüssen stünden. Man bedauere ihren Abgang.

Auch hat der Bundesvorstand zum Zeitpunkt der Rücktritte bereits umfassende Maßnahmen angekündigt: Die PARTEI soll auf Bundes- und auf Landesebene Antidiskriminierungsstellen bekommen, der Bundesvorstand will nötige Schulungen finanzieren. "Wir haben erkannt, dass wir da unbedingt etwas tun müssen", sagt ein Vorstandsmitglied zu VICE.

Der Vorsitzende Sonneborn schreibt dazu im April an alle Mitglieder: "Für PARTEI-Freunde, die in Zukunft ihre Finger nicht bei sich behalten können oder dämliche Anzüglichkeiten verbreiten, halten wir ein einfaches Übertrittsformular in die CDU bereit." Anders als die Genossen hinter dem Brandbrief kommt Sonneborn nicht ohne Ironie und Witz aus.

Ist das der richtige Umgang mit so einem Thema? Und reicht das, was getan wurde? Schließlich erhebt der Brandbrief einen weiteren schweren Vorwurf: Die Führung soll die übergriffige Stimmung in der Partei selbst befeuert haben.

Mindestens drei junge Menschen beklagen sexistische Übergriffe durch Parteigenossen

Sexismus ist in Deutschland ein Alltagsphänomen. Mehrere Studien belegen das und Parteien sind davon nicht ausgenommen. Politikerinnen der CDU, der SPD und der AfD beklagten in den letzten Jahren öffentlich sexistische Sprüche und Mackertum in den eigenen Reihen. Doch Fälle mutmaßlicher Belästigung und tätlicher Übergriffe werden zumindest selten öffentlich. Anders bei Die PARTEI.

Kurz nachdem Sonneborn den Brief erhalten hat, zwischen Ende März und September 2019, machen mindestens drei PARTEI-Mitglieder verschiedene mutmaßliche Übergriffe gegen sie öffentlich. Es sind drei junge, engagierte Menschen, wie sie jede Partei in Deutschland brauchen könnte. Alle drei stammen aus unterschiedlichen Landesverbänden. Alle drei ziehen sich infolge vorerst aus Die PARTEI zurück.

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Wenn du dich mit uns über diese Recherche austauschen möchtest, etwa weil du glaubst, etwas beitragen zu können, dann erreichst du Linus, Yannah und Thomas per E-Mail oder Twitter-DM, über die Links auf ihren Namen. Thomas kannst du auch verschlüsselt kontaktieren.

Hast du sexualisierte Gewalt erlebt? Am Ende des Artikels haben wir Hilfs- und Beratungsangebote zusammengestellt.


Christina Lütkebohmert hatte noch 2018 für Die PARTEI die Bürgermeisterwahl einer niedersächsischen Kleinstadt aufgemischt. Doch ihre Tätigkeit sei "von einem spaßigen Ehrenamt zu einer psychischen Belastung" geworden. So sagt sie es im September 2019 bei ihrer letzten Rede vor Genossinnen. Ein Grund dafür seien mutmaßliche sexuelle Grenzverletzungen.

Auf Anfrage von VICE schreibt Lütkebohmert, ein Mitglied habe sie im Jahr 2017 im Rahmen einer PARTEI-Aktion begrapscht. Ein zweiter Genosse soll Lütkebohmert im Vorfeld einer PARTEI-Veranstaltung angeboten haben, vor Ort gemeinsam zu übernachten. Als sie ablehnt, antwortet der Mann ihrer Erinnerung nach: "Es kann aber sehr spät werden. Mein Bett ist für dich da."

Sie meldet beide Vorfälle nicht. Weder der Polizei noch innerparteilich. Sie habe nicht gewusst, an wen sie sich hätte wenden sollen, so Lütkebohmert. Die Nachwuchspolitikerin hat die PARTEI daraufhin nicht verlassen, ist aber heute nicht mehr aktiv.

"In Kneipen wurde mir von verschiedensten Leuten an den Arsch, die Brüste oder gleich in den Schritt gefasst"

Ganz ausgetreten ist Lean Völkering, heute 23 Jahre alt. Er outet sich in seiner Zeit in Die PARTEI als trans*. Als Marie sitzt Völkering noch 2017 im Landesvorstand von Nordrhein-Westfalen, kandidiert bei Landtags- und Bundestagswahlen. Ende März 2019 tritt er aus – und berichtet über zahlreiche Übergriffe gegen sich. Auf Facebook schreibt Völkering: "In Kneipen wurde mir von verschiedensten Leuten an den Arsch, die Brüste oder gleich in den Schritt gefasst." Und das immer wieder vor Publikum.

Als Beispiel nennt Völkering den Bundesparteitag 2016, in dessen Rahmen auch eine PARTEI-Demonstration mit rund 100 Personen stattfand. Ein Genosse soll Völkering dabei vor der versammelten Demo untenrum entblößt haben. Niemand sei eingeschritten, niemand habe sich später um ihn gekümmert, schreibt Völkering Jahre später. Den Vorfall haben auch andere PARTEI-Mitglieder VICE bestätigt.

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Von einem anderen Genossen sei Völkering regelrecht gestalkt worden, ergänzt er in einem zweiten Post, den er seinem Austritt nachschiebt. Der Mann veröffentlicht etwa ein sexualisiertes Schmähgedicht, in dem er Völkering eine "Samenbank" nennt. VICE liegt ein Screenshot vor. Erst als er Anzeige bei der Polizei erstattet, werden die Postings gelöscht, so Völkering zu VICE. Ihr Verfasser wird schließlich aus der Partei ausgeschlossen. Die zuständige Staatsanwaltschaft stellt die Ermittlungen wegen Beleidigung ein: Der für eine Verfolgung notwendige Strafantrag wurde mehr als ein Jahr zu spät gestellt.

Unter die zwei Posts von Völkerings schreiben gut ein Dutzend Personen, dass auch sie Sexismus unter Mitgliedern erlebt oder am eigenen Leib erfahren hätten. VICE hat diese Vorwürfe bislang nicht geprüft.

In einem Fall riet Martin Sonneborn persönlich von einer Anzeige ab

Elisabeth Habel ist Generalsekretärin im Landesverband Sachsen-Anhalt, als sie Anfang 2019 an einer dreitägigen PARTEI-Schulung teilnimmt. Was sie dort erlebt haben will, beschreibt Habel VICE schriftlich. So fühle sie sich freier, über ihre Erlebnisse zu sprechen.

Während der Schulung habe sie aus praktischen Gründen ein Hotelzimmer mit einem Genossen geteilt. Der Mann ist kein Neuling in der PARTEI, er sitzt zu diesem Zeitpunkt im Vorstand eines Landesverbandes und hat auch bundesweite Funktionen inne. Habel und er kennen sich flüchtig. Während dieser drei Tage habe er allerdings "regelrecht verliebt" auf sie gewirkt, schreibt die 22-Jährige. Bei Komplimenten sei es nicht geblieben: Mindestens dreimal soll der Genosse ihre Privatsphäre nicht respektiert haben und sowohl körperlich als auch verbal ihre Grenzen verletzt haben, so Habel. Selbst nachdem sie ihn mit seinem Verhalten konfrontiert habe.

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VICE kennt Habels Schilderungen im Detail. Um sie zu schützen, geben wir sie nur zusammengefasst wieder. Der Beschuldigte selbst hat auf Anfragen von VICE nicht reagiert.

Habel meldet den mutmaßlichen Übergriff erst zwei Monate später, nachdem sie von einem ähnlichen Fall erfahren hat: Sie beschreibt den Vorfall in einer Telegram-Gruppe der Partei. Manche unterstützen sie, andere werfen ihr Rufmord vor.

Martin Sonneborn telefoniert mehrfach mit ihr, lädt sie Ende Juli 2019 sogar nach Brüssel ein. Er rät Habel von einer Anzeige ab. Vorerst hält sie sich an seinen Rat.

Sonneborn bestätigt diese Erzählung gegenüber VICE. Er habe Habel lediglich unterstützen und schützen wollen, so Sonneborn, – vor weiteren unangenehmen Erlebnissen. Etwa weil sie sich mit der Geschichte an eine Polizeiwache im Osten hätte wenden müssen. Auch müsse er nach Rücksprache mit Juristen davon ausgehen, "dass die Belästigung, der sie sich ausgesetzt sieht, gegen kein Gesetz verstößt".

Abschließend prüfen können das aber nur die Behörden in einem Strafverfahren.

Nur die AfD hat mehr männliche Mitglieder als die PARTEI

Kaum eine Partei ist so männlich wie Die PARTEI. Dabei ist es egal, ob man auf die Mitglieder, die Kader oder die Wählerschaft schaut. Von den Mitgliedern sind nur rund 20 Prozent weiblich. Unter den großen Parteien ist der Anteil mit dem der CSU vergleichbar und nur bei der AfD knapp niedriger. Die Männer besetzen bei Die PARTEI fast drei Viertel aller Führungspositionen. Das hat ein Datenjournalismus-Projekt ermittelt. Und laut dessen Auswertung wurde Die PARTEI bei der Europawahl 2019 von allen Parteien prozentual am ehesten von Männern gewählt.

Die PARTEI ist aus dem Satire-Magazin Titanic hervorgegangen, deren Chefredakteur Martin Sonneborn lange war. Heute wächst sie mit beachtlichem Tempo. Seit Sonneborn 2014 erstmals ins Europaparlament gewählt wurde, hat sich die gesamte Mitgliederzahl nahezu vervierfacht. Viele Neumitglieder haben kein Titanic-Abo, sondern kennen Sonneborn von YouTube oder aus den Medien. Was ein platter Sex-Witz ist und was sexismus-kritische Satire, können anscheinend nicht alle von ihnen auseinander halten.

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Probleme mit einzelnen Mitgliedern treten dabei schon vor Jahren auf. Im Juni 2016 wird ein Mann, der für Die PARTEI bei der Bürgermeisterwahl einer Großstadt in Nordrhein-Westfalen kandidiert hatte, von seinem Landes- und Kreisverband aufgefordert, auszutreten, was er daraufhin auch tut. Ein Gericht hatte den Mann gerade zu neun Monaten auf Bewährung verurteilt – wegen der sexuellen Nötigung einer 20-Jährigen. Die Tat steht in keinem Zusammenhang mit seiner Parteitätigkeit und die Ermittlungen werden Die PARTEI erst durch das Urteil bekannt, doch es wirkt makaber, dass der Mann im Wahlkampf "gefordert" hatte: "Mehr Geld! Mehr Bier! Mehr Sex!"

Vier Monate später prangern mehrere weibliche Mitglieder Sexismus und Diskriminierung innerhalb von Die PARTEI an. In ihrem anonymen Statement heißt es: "Wer einer PARTEI-Frau blöd kommt, wird hinter der Turnhalle verprügelt." Noch haftet an allem ein ironischer Unterton. Schon da hat Die PARTEI eine "Sexismusbeauftragte". Doch die fällt damit auf, dass sie Sonneborn bei einem Treffen in den Schritt greift.

Drei Jahre später folgt der Brandbrief, weitere mutmaßliche Fälle werden bekannt. Trotz des langen Anlaufs: Aus Sicht von Martin Sonneborn hat der Bundesvorstand angemessen auf die Lage reagiert. Er sagt: "Bei dieser Sache haben wir mehr Druck gemacht als bei jedem anderen Thema innerhalb der Partei."

Druck, das heißt laut Sonneborn, dass der Vorstand selbst die Einrichtung einer bundesweiten Antidiskriminierungskommission angeregt hat. Deren Ziel sei es, "einen Besserungsprozess in Gang zu setzen", so steht es im Protokoll der Vorstandskonferenz vom 4. April 2019. Der Bundesvorstand hat dauerhaft einen Ansprechpartner für die Kommission abgestellt.

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Schon lange vor dem Brandbrief, also vor März 2019, sei das Konzept für die Kommission entwickelt worden – im Rahmen von Workshops während der sogenannten Kaderschulungen, die der Bundesvorstand regelmäßig für PARTEI-Mitglieder organisiert. Mittlerweile gibt es bei diesen Schulungen einen Pflichtteil "Antidiskriminierung".

Der Ansprechpartner für die neue Antidiskriminierungskommission im Vorstand ist Tom Hintner. Er sagt, es sei seine Aufgabe, die Kommission finanziell, technisch und organisatorisch zu unterstützen. Ansonsten sei er selbst nur "dazu da zu drängen, dass Dinge geschehen".

Geschehen ist bislang allerdings noch nicht viel. So hat es zumindest den Anschein. Der Vorstand hat etwa beschlossen, dass die Kommission allen Mitgliedern erklärt, wie man respektvoll miteinander umgeht. Dafür war die Veröffentlichung eines Informationsschreibens geplant. Doch dieses Informationsschreiben hat es bis heute nicht gegeben.

Die neue Kommission kämpft mit Anlaufschwierigkeiten

Andrea Kübert, PARTEI-Frontkämpferin aus Bayern, sitzt in der Antidiskriminierungskommission. Die besteht aus sechs Frauen, die bereits im April 2019 beginnen, sich zu organisieren.

2020 soll das Informationsschreiben nun veröffentlicht werden.

Schneller war man bei der Einrichtung von Antidiskriminierungsstellen auf Landesebene. Sie sollen die ersten Anlaufstellen für Betroffene sein. In Niedersachsen, wo Christina Lütkebohmert aktiv war, gibt es nun das "Vertrauensteam Antidiskriminierung". Die PARTEI Saar, aus der der Brandbrief kam, hat zwei "Antidiskriminierungsbeauftragte" gewählt. Ähnlich wie im Landesverband Rheinland-Pfalz wurden diese Posten aber bereits vor dem Start der Antidiskriminierungskommission geschaffen.

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Laut Andrea Kübert haben alle 16 Landesverbände nun solche Stellen. Doch bislang listen nur neun Verbände die zuständigen Personen oder Kontaktmöglichkeiten auf ihrer Website. Der Rest ist öffentlich nicht auffindbar. So wie die Antidiskriminierungskommission selbst.

Der Grund dafür, so Kübert, sei, dass die Mitglieder der Kommission bislang nicht professionell ausgebildet sind. Das soll im Frühjahr 2020 bei einer Antidiskriminierungsschulung nachgeholt werden. Danach könnten die Teilnehmerinnen auch andere PARTEI-Mitglieder schulen. Anschließend soll das Informationsschreiben erscheinen. Vorher, sagt Kübert, "möchten wir nicht in die Öffentlichkeit treten".

Trotzdem bearbeitet die Kommission bereits Beschwerden aus der Partei, laut Kübert allerdings unter Vorbehalt und mit dem Hinweis, noch nicht geschult worden zu sein. Jedes Kommissionsmitglied betreut zwei bis vier Landesverbände. Wie viele Fälle es gibt, will Kübert nicht sagen, es seien aber "zu viele". In Einzelfällen habe man dazu geraten, rechtliche Schritte zu prüfen.

Lean Völkering, Christina Lütkebohmert und Elisabeth Habel geben alle an, mit der Antidiskriminierungskommission in Kontakt gewesen zu sein. Andrea Kübert sagt, konkrete Fälle kommentiere die Kommission nicht.

So gehen andere Parteien mit mutmaßlichen Vorfällen um

Im PARTEI-Bundesvorstand zeigt man derweil Verständnis dafür, dass die Antidiskriminierungskommission noch nicht voll funktionstüchtig ist. Man hätten ihnen gesagt, auch andere Parteien hätten dieses Problem, sagt Tom Hintner. Die PARTEI sei aber eine der ersten, die es auch angehen.

Nachfragen bei den anderen großen Parteien bestätigen das nur bedingt. Linke, Grüne und FDP haben bereits zentrale Anlaufstellen, an die sich Betroffene wenden können, wie die Pressestellen erklären. In der SPD setzen sie auf dezentrale, nicht flächendeckende Angebote, beispielsweise ein Vertrauensteam auf Bezirksebene. AfD und CDU bieten ihren Mitgliedern: nichts. Die CDU-Pressestelle schreibt: Sexuelle Belästigungen und Übergriffe seien auch nicht als strukturelles Problem bekannt, eine spezielle Beschwerdestelle deshalb nicht erforderlich. Die CSU antwortet auch auf Nachfrage nicht.

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Das rasant wachsende, chronisch klamme Spaßprojekt Die PARTEI hat damit zumindest mehr Strukturen geschaffen als CDU und SPD – zwei durchprofessionalisierte Volksparteien.

Trotzdem bezweifeln Christina Lütkebohmert und Lean Völkering, dass die neuen Strukturen in ihrer jetzigen Form etwas bewirken. Lütkebohmert sagt, sie begrüße, was entstanden sei, es handele sich aber um einen "Kurzschluss". So sei die Zusammenstellung der Kommissionsmitglieder problematisch. Lütkebohmert selbst will in einem Fall bei einem Mitglied der Kommission gelandet sein, das aus ihrer Sicht eng mit dem Beschuldigten befreundet war.

Andrea Kübert sagt, Betroffene könnten sich eine Ansprechpartnerin oder einen Ansprechpartner innerhalb der Strukturen der Antidiskrimierungskommission frei wählen. Völkering, der Die PARTEI bis heute beobachtet, sagt, aus seiner Sicht würden nur Fälle behandelt, die drohen, imageschädigend für die Partei zu sein. "Wer nicht für einen Aufschrei sorgt", so Völkering, "fällt unter den Tisch." Auch Elisabeth Habel sagt, die Kommission sei in ihrem Fall keine große Hilfe gewesen.

Andrea Kübert sagt, die Kommission nehme jeden Fall von Diskriminierung, der ihr gemeldet werde, ernst und begegne allen mit dem gleichen Engagement – unabhängig vom Ansehen der beteiligten Personen oder der Frage, ob ein Fall bereits öffentlich geworden sei. "Natürlich", so Kübert, "kann es im Einzelfall auch einmal vorkommen, dass wir Erwartungshaltungen nicht erfüllen können."

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Der "Sex-Wahlkampf" und seine Folgen: Wie viel Verantwortung trägt Martin Sonneborn?

Die Sexismus-Debatte innerhalb von Die PARTEI unterscheidet sich grundsätzlich von ähnlichen Diskussionen in anderen Parteien. Zwar sagen Sonneborn, Hintner und Kübert nahezu gleichlautend: Sexismus und damit auch sexualisierte Übergriffe seien kein spezielles PARTEI-Problem, sondern ein gesellschaftliches. Doch mehrere Mitglieder werfen dem Bundesvorstand vor, eine potentiell übergriffige Stimmung selbst gefördert zu haben.

Zu ihnen gehört auch Katharina Drängler, Landesvorsitzende von Die PARTEI Saar und langjähriges Mitglied der Partei. Sie hat den Brandbrief an den Bundesvorstand mitinitiiert.

Drängler sagt, sie sehe "ein hohes Gefahrenpotential" für die weiblichen Mitglieder. Der "Incel-Anteil" in der Partei sei mittlerweile erschreckend hoch – also die Zahl jener jungen Hetero-Single-Männer, die sich als vermeintliche Opfer des Feminismus sehen. Losgegangen sei all das mit dem sogenannten Sex-Wahlkampf.

Vor der Bundestagswahl 2017 demonstriert Die PARTEI für "Mehr Porno in der Politik". In einem Wahlwerbespot serviert man Pimmel-Bier und nackte Brüste. Der Kanzlerkandidat, Serdar Somuncu, fordert eine "Nacktpflicht für Frauen zwischen 18 – 25". In allen Fällen anwesend: Martin Sonneborn.

Mehrere lokale PARTEI-Gruppen eiferten dem in der Folge auf fragwürdige Weise nach. Mit Slogans wie "GrabToo – Sexuelle Belästigung für alle" wurde die #MeToo-Bewegung auf PARTEI-Plakaten lächerlich gemacht. Kreisverbände lobten auf Facebook Exhibitionisten als "mutige Sexdarsteller" und erklärten das Frauenwahlrecht als gescheitert. Die Dokumentation der Beispiele füllt 18 Seiten des Brandbriefes.

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Diese Die PARTEI-Plakate und -Posts sind eine Auswahl aus allen Veröffentlichungen von Parteiorganen, die Mitglieder als sexistisch kritisieren

Nicht der Sexismus etablierter Parteien sei hier satirisch angegriffen worden, sagt Drängler, sondern Frauen an sich. Zwar sei Martin Sonneborn für all das nicht allein verantwortlich, aber er müsse sich "nicht wundern, dass der Sexismus, den er vorlebt, dazu verleitet, dass eben auch so gehandelt wird".

Martin Sonneborn sagt über den Sex-Wahlkampf, er bedauere, was passiert sei. In der damaligen Situation, 2017, sei das Konzept eine "relativ unverdächtige Idee" gewesen. Man habe alles ad absurdum führen wollen, was andere Parteien bereits an Populismus, Sexismus und Unfug betrieben hätten.

Dass das nach hinten losging oder – in Sonneborns Worten – "Jungmänner ermunterte, Plakate zu machen, die geschmacklich nicht mehr korrekt waren", das sei für ihn nicht vorherzusehen gewesen.

Sonneborn selbst hatte den Sex-Wahlkampf noch vor der Bundestagswahl öffentlich für beendet erklärt. Ein halbes Jahr später lud er mehrere Frauen aus der Partei nach Brüssel ein: Auf der ersten "Konferenz der PARTEIfrauen" wurde auch der Sex-Wahlkampf aufgearbeitet. Teilnehmerinnen sollen bereits da von Übergriffen gegen sie berichtet haben. Zwischen der Außendarstellung von Die PARTEI und den mutmaßlichen Übergriffen bestehe dennoch kein Zusammenhang, sagt der Bundesvorsitzende heute.

Die mutmaßlichen Täter hinter diesen Übergriffen hatte Sonneborn in seiner Rundmail als PARTEI-Freunde bezeichnet, "die ihre Finger nicht bei sich behalten können". Es ist nicht die einzige flapsige Formulierung der Mail. Danach gefragt hält Sonneborn das Schreiben dennoch für ein deutliches Machtwort seinerseits. Mehrere Personen, mit denen VICE für diesen Artikel gesprochen hat, sehen das anders. Sie vermissen eine entschiedenere Positionierung des Bundesvorsitzenden. So auch im Fall des Mannes, der gegenüber Elisabeth Habel übergriffig geworden sein soll.

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"Martin hält ihn einfach in seinem Posten"

Nachdem Habel den mutmaßlichen Übergriff durch einen Genossen öffentlich gemacht hat, schreibt derselbe Mann in einer PARTEI-Facebook-Gruppe: "Ich habe Mist gebaut." Er habe sich einer Frau "aufgedrängt, ihre Grenzen überschritten und ausdrücklichen Wünsche nicht beachtet". Unsere Nachfrage, ob sich diese Erklärung auf die Vorwürfe Habels bezieht, ließ er unbeantwortet.

Der Landesvorstand, dessen Mitglied der Genosse zu diesem Zeitpunkt ist, prüft den Fall, holt juristischen Rat ein. Das Ergebnis: Man ergreift keine Ordnungsmaßnahmen, es handele sich um eine private Angelegenheit. In dieser Zeit postet ein Account des Landesvorstandes ein Foto, auf dem mehrere PARTEI-Mitglieder gemeinsam mit dem Mann beim Bier sitzen.

Auf weiteren Druck aus der Partei tritt der Mann schließlich zurück und aus Die PARTEI aus. Von seinen zwei bundesweiten Funktionen hält er eine allerdings bis heute inne. Aus PARTEI-Kreisen heißt es dazu: "Martin hält ihn einfach in seinem Posten."

Sonneborn soll auch Elisabeth Habel während ihres Treffens in Brüssel erklärt haben, warum der Mann, der ihre Grenzen verletzt haben soll, weiter eine Funktion für Die PARTEI behalten soll. Enttäuscht tritt sie, kaum zu Hause angekommen, als Generalsekretärin zurück und später aus Die PARTEI aus.

Martin Sonneborn sagt, eine endgültige Entscheidung über die Aufgaben des Mannes stehe noch aus. Die Position müsse jedoch besetzt sein. "Wir können da niemand aus dem Hut zaubern." Auch ist der Landesvorstand, dem der Mann angehört hatte, nach Prüfung der Vorwürfe zu dem Ergebnis gekommen, dass keine Maßnahmen nach dem Parteiengesetz ergriffen werden könnten. Jetzt solle deshalb erstmal der Ausgang des Strafverfahrens abgewartet werden, bevor der ehemalige Genosse möglicherweise zur Rechenschaft gezogen werde.

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Denn im Oktober 2019 erstattet Elisabeth Habel schließlich doch Strafanzeige wegen sexuellen Übergriffs. Anders als Sonneborn es ihr geraten hatte. In der Anzeige, von der VICE eine Abschrift vorliegt, schreibt Habel, sie hoffe, mit diesem Schritt endlich mit der Sache abschließen zu können. Das zuständige LKA nimmt infolge der Anzeige Ermittlungen zu einer sexuellen Belästigung auf, die bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Textes noch nicht abgeschlossen sind. VICE hat dem Beschuldigten auch dazu Fragen gestellt, die er bislang nicht beantwortet hat.

Habel tritt nach der Anzeige wieder in Die PARTEI ein, dieses Mal in Leipzig. Die Genossinnen dort hätten sie maßgeblich unterstützt. Jetzt, sagt Habel, sei die Chance, in der Partei "etwas grundlegend zu verbessern". Sie wolle für eine solidarische Gemeinschaft kämpfen.

Im November 2019 beschließt der Landesverband Sachsen als erster Verband, eine Frauenquote im Vorstand einzuführen: "mindestens 33,45 Prozent, maximal 50". An dem Antrag dafür hat auch Elisabeth Habel mitgewirkt.

Der Bundesvorstand wiederum hat gerade einen Aufnahmestopp für Männer beschlossen. Der soll ab 8. März, dem Frauentag, gelten und 100 Tage dauern. Ein ähnlicher Vorschlag war vor drei Jahren noch abgelehnt worden.

Update vom 3. März 2020, 14:20: In einer früheren Version haben wir die Autorenschaft des Briefs an den Bundesvorstand verkürzt dargestellt. Wir haben das entsprechend korrigiert.

Update vom 13. März, 17:55 Uhr: Der Bundesvorstand der PARTEI hat am Freitag in Reaktion auf unsere Recherche und die folgende Debatte ein "Statement zu Sexismus, Übergriffigkeit und Diskriminierung" veröffentlicht. Darin entschuldigt sich das Gremium teilweise für die bisherige Handhabung mutmaßlicher Grenzverletzungen.

Die Parteiführung schreibt, man habe sich in der Vergangenheit "sicherlich zu sehr um den Umgang mit den (Anm. d. Red.: mutmaßlichen) Tätern gekümmert", während eine Solidarisierung mit Betroffenen "zu kurz gekommen" sei. "Dafür", heißt es weiter, "entschuldigen wir uns an dieser Stelle sehr!"

Auch dürften "keine Zweifel daran aufkommen, dass Betroffene von Diskriminierung und Übergriffen" die Solidarität des Bundesvorstands hätten. Ebenso seien hämische oder verharmlosende Kommentare nicht tolerierbar.

Im Schreiben wird auf die Maßnahmen verwiesen, die der Bundesvorstand bislang ergriffen hat. Erstens: die Einrichtung der Antidiskriminierungskommission im April 2019. Die Gelder für eine von der Kommission gewünschte Schulung sollen mittlerweile freigegeben worden sein.

Zweitens: die Einführung eines Aufnahmestopps für Männer, die seit dem 8. März dieses Jahres und insgesamt 100 Tage lang nicht mehr in die Partei eintreten dürfen. Dieser Beschluss sei bereits Anfang Januar 2020 gefasst worden, schreibt der Bundesvorstand, also bevor VICE und in der Folge auch andere Medien über die Auseinandersetzung mit Sexismus berichtet haben. Zu diesem Zeitpunkt hatte VICE bereits mit mehreren Vorstandsmitgliedern im Rahmen eben dieser Recherche gesprochen. Die Folgeberichterstattung zu unserer Recherche hatte Martin Sonneborn erst am Anfang dieser Woche noch als "substanzlosen Quatsch" bezeichnet.

Anders als die bislang bekannte Äußerung des Bundesvorstandes zu den Vorwürfen innerhalb der Partei enthält das neue Statement keinerlei Ironie oder Witz. Stattdessen dankt man ausdrücklich den Mitgliedern der Antidiskriminierungskommission: Deren Engagement sei "keine Selbstverständlichkeit".

Hast du sexualisierte Gewalt erlebt? In Deutschland bekommst du Hilfe unter der Telefonnummer 0800 22 55 530, dem Hilfetelefon Sexueller Missbrauch der Bundesregierung. Weitere Infos findest du auf dem Hilfeportal. Wer in der Schweiz sexualisierte Gewalt erlebt hat, findet bei der Frauenberatung Links zu Beratungsstellen, betroffene Männer erhalten Hilfe im Männerhaus. In Österreich wird ein 24-Stunden-Hilfenotruf unter 01 71 719 angeboten.

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