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Rassismus

Seit ich mit meinem Schwarzen Freund zusammen bin, hat sich mein Blick auf Deutschland verändert

Beim Geldabheben fragte ein Typ mit einem Eisernes-Kreuz-Tattoo, ob mein Freund "mit einem Nazi kämpfen" wolle. Doch meistens ist der Rassismus viel subtiler.
Fotos: Rebecca Rütten

Noch bevor ich anfing, meinen Freund zu daten, kurz nachdem wir uns auf Tinder kennengelernt hatten, schickte er mir eine Sprachnachricht und fragte: "Wie stehst du eigentlich zu der Black-Lives-Matter-Bewegung?" Erst Monate später sagte er mir, meine Antwort sei der Grund gewesen, warum er sich eine Beziehung mit mir vorstellen konnte: Er erklärte mir, er könne nicht mit einer weißen Frau zusammen sein, wenn er nicht mit ihr über die Erfahrungen sprechen könnte, die er als Schwarzer Mann macht. Ich wusste damals schon, dass nicht-weiße Menschen quasi bei jeder Bahnfahrt riskieren, von der Polizei gefilzt zu werden, dass meine syrischen Freunde bei Tinder unmatcht werden, sobald sie ihre Herkunft preisgeben, und welche Bücher und Blogs ich lesen muss, wenn ich etwas über die Mehrfachdiskriminierung Schwarzer Frauen erfahren will. Doch in sechs Monaten in einer Beziehung mit einem Schwarzen Mann habe ich gemerkt: Deutschland ist noch viel rassistischer, als ich dachte.

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Mein Freund ist 28, er ist aus London. Bevor er angefangen hat, mich immer wieder in Berlin zu besuchen, war er genau zwei Mal in Deutschland. Sein deutscher Wortschatz begrenzt sich auf grundsätzliche Höflichkeiten wie "Guten Tag" und "Dankeschön" – und skurrile Ausdrücke wie "durchflutschen", die er irgendwann mal von meinen betrunkenen Freunden und Freundinnen aufgeschnappt hat. Dass Deutschland weniger multikulturell ist als seine Heimatstadt London, konnte er schon wenige hundert Meter hinter dem Flughafen Schönefeld sehen. Dennoch sagt er: "Als mein Kumpel erzählte, dass er wegen seiner Hautfarbe an der Tür eines Berliner Clubs abgewiesen wurde, dachte ich, er hätte einen falschen ersten Eindruck von der Stadt."

Im Ausland gilt Berlin als bunte Enklave der kulturellen Freiheit, in der Sonntagmorgens in der U-Bahn spanische Berghain-Feiernde in schwarzen Netzhemden neben müden Dönerladen-Besitzern durch Kreuzberg fahren. Auch die Berliner und Berlinerinnen, besonders die Zugezogenen aus den deutschen Provinzen und den Metropolen der ganzen Welt, halten die Stadt für weltoffen. Und auch ich war immer stolz, wenn ich meinen Eltern beim Besuch am Kottbusser Tor eine Welt zeigen konnte, die sie aus ihrer Heimat Luxemburg so nicht kennen: Wenn hidschab-tragende Frauen mit ihren Kindern neben kippen-drehenden Studierenden aus Baden-Württemberg an 24-Stunden-Blumenläden vorbei durch die Straße liefen, fanden sie Berlin "supercool". Doch seit ich händchenhaltend mit einem Schwarzen Mann durch die Stadt laufe, sehe ich eine Seite Berlins, die es offensichtlich nicht so "supercool" findet, wenn Menschen nicht wie eine Klischee-Kartoffel aussehen.

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Ein Typ hat meinen Freund gefragt, ob er mit einem Nazi kämpfen wolle

Da wäre der Typ mit dem "Lonsdale"-Shirt und dem tätowierten Eisernen Kreuzen auf den Schienbeinen, der uns erst anpöbelt und meinen Freund dann fragt, ob er nicht Lust hätte, "mit einem Nazi zu kämpfen". Der schwitzige Mann im orangefarbenen Unterhemd, der meinem Freund beim Mittagessen im Vorbeigehen zuzischt, es seien "nur noch Schwarze in diesem Land". Er benutzte dabei ein anderes Wort. Der Türsteher einer Bar in Berlin-Mitte, der uns die Tür um 22 Uhr vor der Nase zuschlägt, weil "ein privates Event stattfindet". Eine halbe Stunde zuvor hatte ich bei der öffentlichen Facebook-Veranstaltung auf "interessiert" geklickt.


Auch bei VICE: Die Black Women's Defense League kämpft mit Waffen gegen Rassismus und Frauenfeindlichkeit


Auch als wir am vergangenen Wochenende den Nachmittag in einem Berliner Beach-Club verbringen wollen, stellte sich unseren Plänen ein Türsteher wortwörtlich in den Weg: Nachdem er mich fragte, mit wem ich da bin, und ich auf meinen Freund hinwies, sagte er, es seien keine Liegen mehr frei. Den drei blonden Menschen vor uns hatte der Türsteher das auch gesagt – er ließ sie mit einem Lächeln und den Worten "viel Spaß!" trotzdem rein. Als ich ihn wiederholt darauf hinwies und fragte, warum mein Freund und ich nicht ins Schwimmbad dürften, sagte er: "Du diskutierst zu viel." Während hinter ihm eine Gruppe Menschen das Schwimmbad – und ihre Liegen – verließen, schickte er uns weg. Als wir uns außerhalb seines Sichtfelds positionierten, sahen wir, wie andere Anstehende rein durften.

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Das sind nur einige der offensichtlichen Angriffe auf meinen Freund. Viel öfter sind sie subtiler: verurteilende Blicke in der Bahn, auf der Straße oder im Supermarkt, mit denen Menschen zeigen, was sie von ihm halten – oder von uns als ethnisch gemischtem Paar. "Es wirkt manchmal, als wollten weiße Männer mir sagen: 'Du kommst her und nimmst uns unsere Frauen weg'", sagt mein Freund.

Wenn ich als weiße Frau allein unterwegs bin, erfahre ich keinen Rassismus. Und wenn ich mich nicht gerade in Sozialen Medien darüber informieren würde oder einen ethnisch gemischten Freundes- und Freundinnenkreis hätte, würde ich vielleicht auch nicht mitbekommen, wie alltäglich er in Deutschland ist. Sich nicht mit Rassismus auseinandersetzen zu müssen, ist ein Privileg. In der Bild empörte sich am Wochenende der stellvertretende BamS-Chefredakteur Christian Lindner: "Lassen wir uns nicht einreden, dass wir rassistisch sind." In den Kommentaren unter #MeTwo-Tweets relativieren zahlreiche User und Userinnen die Rassismus-Erfahrungen der Betroffenen – oder behaupten sogar, die Berichte seien erfunden.

Das sind wir

Für Weiße, die Rassismus daran festmachen, ob sie Schwarze Menschen mit dem N-Wort ansprechen und nicht erkennen, dass Betroffene systematisch diskriminiert werden, muss #MeTwo ein regelrechter Mindfuck sein. Doch statt zu reflektieren, wie sie selbst – bewusst oder unbewusst – für diese Erlebnisse mitverantwortlich sind, reagieren viele so offensiv, als habe ihnen gerade jemand gesagt, sie müssten als Strafe für ihr Unwissen zehn Hundewelpen töten. Dabei können selbst Leute, die sich wie ich als politisch links einordnen, von den Erfahrungen Betroffener viel lernen. Erst seit ich Teile meines Lebens mit einem Schwarzen Mann teile, weiß ich: Auch eine diverse Twitter-Timeline bedeutet noch lange nicht, dass ich als Weiße verstehe, wie viel Rassismus Betroffene in Deutschland tagtäglich erleben – oder wie sich diese Erfahrung für sie anfühlt. Hätte ich einen rein weißen Freundeskreis, wäre diese Erkenntnis vielleicht viel später gekommen – oder überhaupt nicht.

Mein Freund hat vor Kurzem seinen Kumpel angerufen und sich dafür entschuldigt, dass er dessen Berlin-Bericht am Anfang nicht ernst genommen hat. Noch vor zwei Monaten hat er Bewerbungen rausgeschickt, damit er irgendwann zu mir ziehen kann. Heute sagt er, er käme nur noch hierher, um mich zu sehen. Natürlich macht mich das traurig. Aber ich versuche, ihn zu verstehen. Und ich wünschte, andere Leute würden das auch.

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