Popkultur

Junge Muslime erzählen, wie sie im Ramadan gecheatet haben

"Einerseits erfüllte mich der Geschmack mit Glück, andererseits schämte ich mich sehr. Als hätte ich gerade meine Ehefrau betrogen."
Eine junge Frau holt Essen aus einem Kühlschrank
Symbolfoto: imago images / Indiapicture

Dem islamischen Glauben nach wurde die heilige Schrift des Koran über einen Zeitraum von 30 Tagen hinweg auf die Erde herabgesandt. Deswegen gedenken gläubige Muslime heute diesen 30 Tagen, indem sie während des Fastenmonats Ramadan von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang nicht sündigen. Anders gesagt: Sie dürfen nicht lügen, nicht fluchen, niemanden beleidigen, nichts essen, nichts trinken und keinen Sex haben.

Anzeige

Als Teenager haben meine muslimischen Freunde und ich während des Ramadan immer über alles nachgedacht, was wir nicht durften. Meine Versuchung: Big Macs und Whoppers.

So kam es auch, dass ich mit 15 Jahren das erste Mal gegen die Fastenregeln verstieß. In einer U-Bahn-Station schien mich die Fastfood-Werbung förmlich zu erschlagen. Ich versuchte, zu widerstehen. Doch wenige Sekunden später verschlang ich bei McDonald's einen Burger. Einerseits erfüllte mich der Geschmack mit Glück, andererseits schämte ich mich sehr. Als hätte ich gerade meine Ehefrau betrogen.

Dazu kommt: Ich liebe die Zeit des Ramadan: zusammen mit meinen Eltern vor Sonnenaufgang aufzustehen, die letzte Mahlzeit vor dem Fasten einzunehmen, und genauso mit einem Date abends das Fasten zu brechen. Aber trotzdem schaffe ich es nicht, abstinent zu bleiben.

Da ich weiß, dass ich da nicht alleine bin, habe ich drei junge muslimische Menschen darum gebeten, davon zu erzählen, wie sie während des Ramadan gecheatet haben.


Auch bei VICE: Die seltsame Welt der "feministischen" islamischen Sekte


Yasmina, 24, Verkäuferin im Einzelhandel

"Am Tag vor einer wichtigen Prüfung war ich richtig gestresst. Dazu ging mir meine Mutter noch richtig auf die Nerven. Als ich zusammen mit einer Freundin bei einer Tankstelle war, schnappte ich mir einen Schokoriegel und biss ab, ohne groß darüber nachzudenken. Es war mir einfach egal. Ich fühlte mich besser. Der Typ hinter der Kasse sagte nur noch: 'Du musst eigentlich zuerst bezahlen, bevor du abbeißt.'

Anzeige

Ich habe mich deswegen nicht wirklich schuldig gefühlt. Aber es hat schon dafür gesorgt, dass ich den Ramadan nicht mehr so ernst nahm. Heute trinke ich mit Freunden nach der Arbeit manchmal ein paar Gläser Wein. Meinen Eltern sage ich das natürlich nicht; sie sollen sich ja nicht ärgern. Lustig war es, als meine Eltern während des Ramadans mal über ein Wochenende wegfuhren. Ich glaube, es war mein Bruder, der plötzlich sagte: 'OK, ich esse jetzt was.' Meine anderen Geschwister und ich lachten. Dann gaben wir zu, selbst während des Fastens mal etwas gegessen zu haben.

Meinen Kollegen und Kolleginnen erzähle ich inzwischen nicht mehr, dass ich faste. Die bilden sich dann nämlich direkt ein Urteil über mich; nach dem Motto 'Du bist also eine strenge Muslimin'. Einer meiner Vorgesetzten merkte auch mal – angeblich scherzhaft – an, dass ich ja kein Kopftuch tragen würde.

Meine Religion ist mir aber wichtig. Und ich finde nicht, dass mein Glaube wankt, wenn ich während des Ramadan nicht jeden Tag faste. Solange meine Absichten gut sind und ich mich nicht wie ein Arschloch verhalte, bin ich eine gute Muslimin. Ich bete immer noch, so oft es geht. Manchmal ist es bloß schwierig, alles mit dem Aufwachsen in einem westlichen Land unter einen Hut zu bringen."

Ismael, 25, Buchhalter

"Ich habe zum ersten Mal beim Fasten gecheatet, als ich auf Jobsuche war. Ich hatte bestimmt schon 100 Bewerbungen rausgeschickt, aber nur zwei Antworten erhalten. Das nagte an mir. Obwohl ich mein Studium mit guten Noten abgeschlossen hatte, fand ich keine Arbeit. Als eines Tages erneut eine dieser 'Danke für Ihre Bewerbung, aber leider müssen wir Ihnen mitteilen …'-Antwortmails in meinem Postfach landete, dachte ich mir nur: 'Scheiß drauf!'. Ich zog los und besorgte mir einen Burger, Zwiebelringe und eine Cola. Ich erwartete, mich besser zu fühlen. Stattdessen wurde mir davon richtig schlecht.

Anzeige

Ich schämte mich total. Kennst du das, wenn deine Eltern so sauer auf dich sind, dass sie schweigen? So fühlte es sich an. Ich hatte meine Religion hintergangen. Die Zwiebelringe bekam ich gar nicht mehr runter. Schon komisch, ich konnte wegen meiner Schuldgefühle nichts essen, obwohl ich den ganzen Tag Hunger hatte.

Meine Religion verlangt von mir, dass ich nur einen Monat lang bescheiden lebe, weniger esse und freundlich bin. Und selbst das habe ich verkackt – wie ein egoistischer Idiot. Überall auf der Welt verhungern Kinder, auch in meinem Heimatland Syrien. Und ich versuche schon bei den ersten Anzeichen von Stress, meine Sorgen wegzuessen."

Hamid, 28, Klempner

"In einem Einkaufszentrum traf ich zufällig auf eine Ex-Freundin, die ich immer noch heiß fand. Wir kamen ins Gespräch und sie fragte mich, ob wir zusammen Mittagessen gehen wollten. Als wir noch zusammen waren, habe ich nie ein großes Ding aus meiner Religion gemacht, weil ihre Eltern mit dem Islam nichts anfangen konnten. Ihr Vater war sogar Mitglied in einer dieser Facebook-Gruppen gegen Halal-Produkte. Meine Ex selbst war aber nicht rassistisch. Während unseres Gesprächs kam ich mir dennoch ziemlich komisch vor und dachte: 'Ich rede mit einer jungen Frau und habe sexuelle Gedanken über sie – da habe ich das mit dem Fasten doch eh schon vergeigt.'

Ich bin dann mit ihr in ein schickes Restaurant. Ich saß mit dem Rücken zur Wand saß und starrte die ganze Zeit paranoid aus dem Fenster. Ich konnte weder mein Essen genießen noch ihr richtig zuhören, weil ich die ganze Zeit Schiss hatte, dass mich meine Familie oder Freunde erwischen. Das machte mir mehr zu schaffen als irgendeine religiöse Sünde. Schließlich gingen wir zu ihr, um ein paar Filme zu schauen. Der Teufel hatte mich an diesem Tag wirklich fest im Griff.

Heute faste ich während des Ramadans schon die meiste Zeit. Ich mache höchstens eine Pause, wenn ich Fußball spielen muss oder auf der Arbeit viel zu erledigen habe. Ohne Essen keine Energie und Konzentration. Dennoch ist mir der Ramadan sehr wichtig – gerade weil ich in der westlichen Welt aufgewachsen bin. Die Fastenzeit zeigt, wie wichtig die eigene Herkunft und Kultur ist. Außerdem verbringt man mehr Zeit mit der Familie. Reichtum und irgendwelche Klassenzugehörigkeiten spielen während der 30 Tage keine Rolle. Jeder ist nett zueinander, es wird nicht getratscht, man sitzt nur zusammen und teilt sich das Essen.

Folge VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.